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Entscheidungen

KCanG u.a.

KCanG, Auswertung des Messenger-Dienstes EncroChat, Katalogtat

Gericht / Entscheidungsdatum: OLG Koblenz, Beschl. v. 26.08.2024 - 5 Ws 489 – 490/24

Eigener Leitsatz:

Soweit einige Obergerichte unter Anwendung der Encro-Chat-Rechtsprechung des BGH aufgestellten Grundsätze die Zulässigkeit der Verwertung von Daten aus Kryptierdiensten beim Vorliegen von „nur“ Vergehen, auch bei Verwirklichung besonders schwerer Fälle, nach dem KCanG verneint, da der seitens des BGH fruchtbar gemachte Schutzbereich von §§ 100e Abs. 6, 100b StPO insoweit mangels Vorliegens von Katalogtaten nicht (mehr) eröffnet sei, tritt der Senat dieser Rechtsprechung nicht bei. Der Entscheidung des BGH zum Kryptierdienst kann eine Beschränkung dahingehend, dass stets der „fruchtbar gemachte Grundgedanke der Verwendungsschranke mit dem höchsten Schutzniveau (§ 100e Abs. 6 Nr. 1 StPO)“ in allen gleichgelagerten Fallgestaltungen heranzuziehen ist, nicht entnommen werden. Vielmehr sind nach dieser Entscheidung auch Verwendungsschranken unterhalb des Schutzniveaus von §§ 100e Abs. 6, 110b StPO in Betracht zu ziehen.


In pp.

1. Auf die sofortige Beschwerde der Generalstaatsanwaltschaft wird der Beschluss der 5. großen Strafkammer des Landgerichts Mainz vom 23. Juli 2024 aufgehoben, soweit das Landgericht die Eröffnung des Hauptverfahrens abgelehnt hat.
Die Anklageschrift der Generalstaatsanwaltschaft vom 29. Mai 2024 wird auch hinsichtlich der Taten 12 bis 20 zur Hauptverhandlung zugelassen und das Hauptverfahren vor der 5. großen Strafkammer des Landgerichts Mainz eröffnet.
2. Auf die Beschwerde der Generalstaatsanwaltschaft wird der Haftbefehl des Amtsgerichts Koblenz vom 5. Januar 2024, in der Gestalt des Haftfortdauerbeschlusses der 5. großen Strafkammer des Landgerichts Mainz vom 23. Juli 2024, entsprechend den Ausführungen unter Ziff. IV der nachfolgenden Beschlussgründe neu gefasst.
Gegen den Angeklagten wird die Fortdauer der Untersuchungshaft angeordnet.
3. Die Eröffnung des neu gefassten Haftbefehls obliegt dem Landgericht – 5. große Strafkammer – Mainz.

Gründe

I.

Die Generalstaatsanwaltschaft Koblenz führt ein Strafverfahren gegen den Angeklagten wegen gewerbsmäßigen Handeltreibens im Kilogrammbereich mit Kokain, Amphetamin und Cannabis.

Nach seiner Festnahme am 11. Januar 2024 (Bd. II, Bl. 335 ff. d.A.) befindet der Angeklagte sich aufgrund des Haftbefehls des Amtsgerichts Koblenz (30 Gs 118/24) vom 5. Januar 2024 (Bd. II, Bl. 249 ff. d.A.) seit diesem Tag ununterbrochen in Untersuchungshaft. Ihm lagen in dem vorgenannten, auf den Haftgrund der Fluchtgefahr gestützten Haftbefehl, der am 11. Januar 2024 in Vollzug gesetzt wurde (Bd. II, Bl. 280 f. d.A.), zunächst 14 Taten des Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge sowie zwei Taten des Besitzes von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge im Zeitraum vom 23. Dezember 2019 bis 17. Mai 2021 zur Last. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den genannten Haftbefehl Bezug genommen (Bd. II, Bl. 249 ff. d.A.).

Auf den Antrag des Angeklagten auf mündliche Haftprüfung wurde die rechtliche Würdigung des Haftbefehls durch Beschluss des Amtsgerichts Koblenz vom 19. April 2024 wegen des zwischenzeitlichen Inkrafttretens des KCanG abgeändert in acht Fälle des Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge, sechs Fälle des (gewerbsmäßigen) Handeltreibens mit Cannabis (in nicht geringer Menge) sowie zwei Fälle des Besitzes von Cannabis in nicht geringer Menge. Der Haftbefehl blieb in Vollzug. (Bd. III, Bl. 493 ff. d.A.).

Mit zur großen Strafkammer des Landgerichts Mainz erhobenen Anklage vom 29. Mai 2024 (Bd. III, Bl. 555 ff. d.A.) wurden dem Angeklagten sodann im Tatzeitraum vom 14. Dezember 2019 bis 20. November 2023 insgesamt deutlich mehr, nämlich 41 Straftaten, hiervon 14 Mal Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge sowie 27 Mal (gewerbsmäßiges) Handeltreiben mit Cannabis (in nicht geringer Menge), zur Last gelegt. Die Generalstaatsanwaltschaft beantragte mit Anklageerhebung überdies, den Haftbefehl entsprechend der erhobenen Anklageschrift neu zu fassen (Bd. III, Bl. 592 d.A.).

Der Nachweis zahlreicher angeklagter Taten beruhte dabei auf Chatprotokollen von end-to-end verschlüsselten Kryptohandys der Anbieter …[A] und …[B], die der Angeklagte neben weiteren Messengerdiensten wie …[C], …[D], …[E] und …[F] jeweils für seinen Betäubungsmittel- und Cannabishandel genutzt hatte.

Am 23. Juli 2024 hat die 5. große Strafkammer die Anklageschrift in Teilen, nämlich in den Fällen 1 bis 10 und 21 bis 41, zur Hauptverhandlung zugelassen und das Hauptverfahren insoweit eröffnet. In den Fällen 11 bis 20 hat die Kammer die Zulassung der Anklage und die Eröffnung des Hauptverfahrens abgelehnt. Dabei ging die Kammer für die Anklagepunkte 12 bis 20, die besonders schwere Fälle nach § 34 Abs. 1 Nr. 4, Abs. 3 Nr. 1 und Nr. 4 KCanG betreffen, von einer Unverwertbarkeit der über die Krypto-Messengerdienste …[A] und …[B] geführten Kommunikation aus, auf die sich die Anklage insoweit stützt. Hinsichtlich der Einzelheiten wird auf den Beschluss des Landgerichts Bezug genommen (Bd. IV, Bl. 756 ff. d.A.). Den Haftbefehl hat die Kammer entsprechend der teilweisen Eröffnung neu gefasst und diesen dem Angeklagten am 26. Juli 2024 eröffnet und in Vollzug gesetzt (Bd. IV, Bl. 742 ff., 855 ff. d.A.).

Gegen die teilweise Nichteröffnung des Hauptverfahrens hat die Generalstaatsanwaltschaft am 29. Juli 2024, eingegangen beim Landgericht Mainz am selben Tag, sofortige Beschwerde eingelegt (Bd. IV, Bl. 871 f. d.A.). Im gleichen Schriftsatz hat die Generalstaatsanwaltschaft darüber hinaus Beschwerde eingelegt, die sich gegen die teilweise Ablehnung des am 29. Mai 2023 durch die Generalstaatsanwaltschaft auf Grundlage der Anklageschrift gestellten Haftbefehlsantrages richtet. In ihrer Beschwerdebegründung vom 5. August 2024 wendet sich die Generalstaatsanwaltschaft indes ausschließlich gegen die Nichteröffnung sowie den Nichterlass des Haftbefehls in den Fällen 12 bis 20 der Anklageschrift, da sie von einer Verwertbarkeit der über die Kryptoanbieter ...[A] und ...[B] geführten Kommunikation ausgeht (Bd. IV, Bl. 915 ff. d.A.).

Die 5. große Strafkammer des Landgerichts Mainz hat der Beschwerde durch Beschluss vom 6. August 2024 nicht abgeholfen (Bd. IV, Bl. 937 d.A.).

Die Generalstaatsanwaltschaft hat mit Votum vom 12. August 2024 beantragt,

- auf die sofortige Beschwerde das Hauptverfahren vor der 5. großen Strafkammer des Landgerichts Mainz auch hinsichtlich der angeklagten Fälle 12 bis 20 zu eröffnen, sowie

- auf die Beschwerde gegen den Angeklagten auch hinsichtlich der Fälle 12 bis 20 Haftbefehl zu erlassen.

Die Verteidigung sowie der Angeklagte hatten Gelegenheit zur Stellungnahme, haben hiervon indes keinen Gebrauch gemacht.

II.

Der nach §§ 210 Abs. 2, 311 StPO statthaften und auch im Übrigen zulässigen sofortigen Beschwerde der Generalstaatsanwaltschaft ist in der Sache ein Erfolg nicht zu versagen.

Der Angeklagte ist aufgrund des derzeitigen Sach- und Verfahrensstandes hinreichend verdächtig, sich auch hinsichtlich der Taten 12 bis 20 der Anklageschrift der Generalstaatsanwaltschaft Koblenz vom 29. Mai 2024 gemäß § 34 Abs. 1 Nr. 4, Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 und Nr. 4 KCanG strafbar gemacht zu haben.

Die Eröffnung des Hauptverfahrens ist zu beschließen, wenn nach den Ergebnissen des vorbereitenden Verfahrens der Angeklagte einer Straftat hinreichend verdächtig erscheint (§ 203 StPO). Hinreichender Tatverdacht ist anzunehmen, wenn bei vorläufiger Tatbewertung auf Grundlage des Ermittlungsergebnisses die Verurteilung in einer Hauptverhandlung mit vollgültigen Beweismitteln wahrscheinlich ist (vgl. BGH, Beschluss vom 26.03.2009 - StB 20/08, juris Rn. 23 m.w.N.). Auf diese Verdachtsprognose in Gestalt der strafprozessualen Reproduzierbarkeit der im Ermittlungsverfahren erarbeiteten Erkenntnisse in der Hauptverhandlung können auch Beweisverwertungsverbote Einfluss gewinnen (vgl. BGH, Beschluss vom 01.12.2016 - 3 StR 230/16, NStZ 2017, 593 ff.; KK-StPO/Schneider, 9. Aufl., § 203 Rn. 9 m.w.N.).

Gemessen hieran besteht auch hinsichtlich der dem Angeklagten in der Anklageschrift der Generalstaatsanwaltschaft Koblenz vom 29. Mai 2024 vorgeworfenen Taten 12 bis 20 eine Verurteilungswahrscheinlichkeit, denn in tatsächlicher Hinsicht belegen die Auswertungen der Daten der von dem Angeklagten genutzten Handys der Kryptoanbieter ...[A] und ...[B] unproblematisch die ihm zur Last gelegten Cannabisgeschäfte (siehe nachfolgend 1.) und es besteht auch nach dem Inkrafttreten des Gesetzes zum Umgang mit Konsumcannabis (Konsumcannabisgesetz - KCanG) vom 27. März 2024 (BGBl I, 2024 Nr. 109) am 1. April 2024 kein Beweisverwertungsverbot (siehe nachfolgend 2.).

1. Der hinreichende Tatverdacht folgt in tatsächlicher Hinsicht aus dem bisherigen Ermittlungsergebnis, insbesondere den Erkenntnissen aus der Auswertung der Daten der Kryptierdienste ...[A] sowie ...[B], anhand derer der Angeklagte als Nutzer der Accounts JID: … alias „…[G]“, JID: …[H] alias „…[I]“ (...[A]) sowie ID: … alias „…[J]“ und ID: … alias „…[K]“ (...[B]) identifiziert werden konnte. Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten nimmt der Senat insoweit Bezug auf die Darstellungen in dem angegriffenen Beschluss vom 23. Juli 2024 (Bd. IV, Bl. 744 ff. d.A.) und der Anklageschrift vom 29. Mai 2024 (Bd. III, Bl. 555 ff. d.A.) sowie der dort in Bezug genommenen Auswertungsberichte der Ermittlungsbehörden. Die hieraus gewonnenen Erkenntnisse werden darüber hinaus abgerundet durch die Auswerteergebnisse von Mobiltelefonen (iPhone 12 mini, iPhone 8), die anlässlich einer Wohnungsdurchsuchung bei dem Angeklagten sichergestellt wurden und die Begehung weiterer Straftaten nach dem BtMG und KCanG ergeben haben.

2. Die im Wege der Rechtshilfe erlangten Daten sowohl des Kryptierdienstes ...[A] als auch von ...[B] werden auch zum Inbegriff der Hauptverhandlung gemacht werden können; es bestehen auch hinsichtlich der Taten 12 bis 20 der Anklageschrift, die Cannabisgeschäfte betreffen, vorliegend keine Beweisverwertungsverbote.

- Die Datenerhebungen durch andere europäische Mitgliedsstaaten unterliegen keiner Rechtmäßigkeitsüberprüfung durch inländische Gerichte (siehe nachfolgend a)).
Randnummer20
- Zudem besteht kein Beweisverwertungsverbot für die Verwendung der im Wege der Rechtshilfe erlangten Daten von ...[B] und ...[A] aus rechtshilfespezifischen Gründen (siehe nachfolgend b)).

- Die Verwertbarkeit von ...[A]-Daten unterliegt auch darüber hinaus keinen Bedenken (siehe nachfolgend c)).

- Schließlich sind die erhobenen Daten vorliegend nach den Grundsätzen des sog. hypothetischen Ersatzeingriffes unter den Voraussetzungen von §§ 479 Abs. 1, Abs. 2 Satz 1, 161 Abs. 3 i.V.m. 100a Abs. 1, Abs. 2 Nr. 7a. lit. a) StPO verwertbar. Die Rechtsprechung des BGH aus der sog. ...[L] Entscheidung (vgl. BGH, Beschluss vom 02.03.2022 - 5 StR 457/21, juris) steht dem nicht entgegen (siehe nachfolgend d)).

Im Einzelnen:

a) Beim hier einschlägigen Fall, in denen deutsche Behörden, die Beweiserhebung nicht selbst veranlasst, sondern im Ausland bereits erhobene Daten vielmehr nachträglich im Wege der Rechtshilfe erhalten haben, ist wegen der unions- und völkerrechtsfreundlichen Vermutung rechtmäßigen Handelns die Beweiserhebung des ausländischen Staates gerade nicht vorgelagert nach ausländischem Recht zu überprüfen (vgl. BGH, a.a.O. Rn. 53). Vielmehr richtet sich die Frage der Verwertbarkeit der Beweise ausschließlich nach dem nationalen Recht des um Rechtshilfe ersuchenden Staates, soweit der um Rechtshilfe ersuchte Staat die unbeschränkte Verwendung der von ihm erhobenen und übermittelten Beweisergebnisse gestattet hat (vgl. BGH, Beschlüsse vom 21.11.2012 - 1 StR 310/12, BGHSt 58, 32 Rn. 21 m.w.N.; vom 09.04.2014 - 1 StR 39/14, NStZ 2014, 608; vom 02.03.2022, a.a.O.), was vorliegend durch Frankreich für ...[B] bzw. die USA für ...[A] erfolgt ist (Bl. 80, 89 SB „Rechtshilfe Frankreich“; Bd. I, Bl. 56 d.A.).

Für den hier einschlägigen Rechtshilfeverkehr innerhalb der EU – die Daten des durch das FBI aufgesetzten Kryptierdienstes ...[A] wurden ebenfalls in einem EU- Mitgliedsstaat erhoben und infolge von Rechtshilfeersuchen den USA zur Verfügung gestellt – folgt dies aus dem Grundsatz der gegenseitigen Anerkennung gerichtlicher Entscheidungen (Art. 1 Abs. 2 RL EEA, Art. 82 Abs. 1 AEUV).

b) Zu einer Einschränkung der vorgenannten Vermutung rechtmäßigen Handelns mit der Folge einer Unverwertbarkeit von Beweismitteln kann es indes aus rechtshilfespezifischen Gründen wie der Verletzung völkerrechtlicher Grundsätze, des ordre public oder rechtshilferechtlicher Bestimmungen kommen.

Hinsichtlich der Daten des Kryptierdienstes …[L] ist bereits höchstrichterlich entschieden, dass ein Beweisverwertungsverbot aus den oben aufgeführten europarechtlichen Gründen nicht vorlag (vgl. BGH, Beschluss vom 02.03.2022 a.a.O., Rn. 32 - 60). Diese Rechtsprechung, der sich der Senat ausdrücklich anschließt, ist aufgrund der weitreichenden Vergleichbarkeit mit den hier in Rede stehenden Kryptierdiensten ...[A] und ...[B] auf den vorliegenden Fall übertragbar:

aa) Ebenso wie bei ...[B] war das Angebot von ...[L] dadurch gekennzeichnet, dass die Geräte nicht über seriöse Vertriebswege verkauft wurden und für die verschlüsselten Geräte ein außergewöhnlich hoher Preis – etwa 1.500 € für eine sechsmonatige Nutzung – zu zahlen war, obwohl die Geräte selbst nur über einen sehr eingeschränkten Funktionsumfang verfügten. Zudem beinhalteten sowohl ...[L]- als auch ...[B]-Geräte weitere Merkmale, zum Beispiel Verschlüsselung, automatische Löschung von Nachrichten, schnelles Löschen aller Daten durch Eingabe eines speziellen PIN-Codes auf dem Sperrbildschirm („panic PIN-Code“), die eine kriminelle Nutzung nahelegten. Auch die ...[L]-Daten sind, wie in der vorliegenden Fallgestaltung, in einem französischen Ermittlungsverfahren erhoben worden, die relevanten Server befanden sich in beiden Verfahren bei der Firma …[M] in …[Z].

bb) Auch hinsichtlich des Kryptierdienstes ...[A] besteht eine Vergleichbarkeit mit ...[L].

Im Rahmen von Ermittlungen des amerikanischen Federal Bureau of Investigation (nachfolgend: FBI) gegen Vertreiber von Kryptohandys entwickelte das FBI eine eigene verschlüsselte Geräteplattform namens ...[A]. Die ...[A]-Geräte wurden nachfolgend an kriminelle Organisationen als neues, hoch entwickeltes und insbesondere abhörsicheres Gerät vermarktet. Tatsächlich konnte die stattfindende Kommunikation durch das FBI jedoch vollständig mitgelesen werden. Die in Rede stehenden Daten wurden von einem – durch die USA nicht benannten – Mitgliedsstaat der Europäischen Union auf Basis einer dortigen gerichtlichen Entscheidung erhoben und den USA im Rahmen von Rechtshilfeersuchen zur Verfügung gestellt. Seit Oktober 2020 stellte das FBI sodann einer bei Europol gebildeten Task Force den Inhalt aller Nachrichten von ...[A]-Nutzern zur Verfügung (Bd. I, Bl. 54 ff. d.A.).

Das OLG Karlsruhe hat darüber hinaus folgende Feststellungen zum technischen Hintergrund der Erhebung von ...[A]-Daten getroffen (Beschluss vom 04.01.2024 - 3 Ws 353/24, juris).

„...[A] ist bzw. war eine Messenger-App auf modifizierten Mobiltelefonen mit dem Betriebssystem Android zum verschlüsselten Versand von Text-, Foto-, Video- und Audionachrichten (Telefonieren, Fotografieren und das Versenden von E-Mails war nicht möglich), die vom FBI in Zusammenarbeit mit einer Vertrauensperson (…[N]) entwickelt und über das bestehende Netzwerk der Vertrauensperson zum Vertrieb von verschlüsselten Kommunikationsgeräten an kriminelle Organisationen vertrieben wurde (…[O]). In die von der Vertrauensperson bereits entwickelte Anwendung ...[A], die als Nachfolger u.a. für das abgeschaltete Netzwerk ...[B] gedacht war, wurde durch die Vertrauensperson und das FBI eine Falltür (master key) in das Verschlüsselungssystem der Anwendung eingebaut, die unsichtbar an jede Nachricht angehängt war und es den Strafverfolgungsbehörden ermöglichte, alle Nachrichten zu entschlüsseln und selbst abzuspeichern. Die erste probeweise Verteilung von ...[A] an kriminelle Organisationen über drei Mittelsmänner der Vertrauensperson erfolgte im Oktober 2018 in Australien unter dem Motto “designed by criminals for criminals”. Nur über solche Mittelsmänner konnte die Anwendung erlangt werden; es gab keine Verteilung über offene Kanäle. Die Anwendung selbst war in der Taschenrechner-App versteckt und konnte nur über eine Personal Identification Number (PIN) geöffnet werden. Im Sommer 2019 schloss das FBI mit einem Drittland in der EU ein Rechtshilfeabkommen (Mutual Legal Assistance Treaty “MLAT”) dahingehend ab, dass alle ...[A]-Nachrichten auf einen in dem Drittland stehenden Server geleitet und Kopien der Nachrichten dem FBI zugänglich gemacht wurden. Dieses Vorgehen wurde in dem Drittland durch einen richterlichen Beschluss genehmigt und dauerte vom 21.10.2019 bis 07.06.2021. Insgesamt wurden mehr als 20 Millionen Nachrichten von 11.800 Endgeräten abgefangen und nötigenfalls übersetzt.

c) Abseits der vorangestellten Grundsätze unterliegt insbesondere die Verwertung der durch den Kryptierdienst ...[A] gewonnenen Daten aus Sicht des Senates auch im Übrigen keinen Bedenken.

Höchstrichterliche Rechtsprechung zur dieser Frage existiert bislang nicht. In der obergerichtlichen Rechtsprechung ist eine Verwertbarkeit von Daten des Kryptierdienstes ...[A] jedoch weitgehend anerkannt (so OLG Frankfurt a.M., Beschlüsse vom 21.11.2021 - 1 HEs 427/21, NJW 2022, 710 und vom 14.02.2022 - 1 HEs 509-514/21, BeckRs 2022, 5572; OLG Saarbrücken, Beschluss vom 30.12.2022 - 4 HEs 35/22; OLG Köln, Beschluss vom 23.06.2023 - 2 Ws 304/23; OLG Karlsruhe, Beschluss vom 04.01.2024 - 3 Ws 353/23; OLG Stuttgart, Beschluss vom 22.04.2024 - H 4 Ws 123/24, jew. n. juris; a.A. - nicht tragend - OLG München, Beschluss vom 19.10.2023 - 1 Ws 525/23, juris).

Schließlich ist auch zu sehen, dass selbst für den – hier nicht gegebenen – Fall, dass die Beweiserhebung von ...[A]-Daten rechtsfehlerhaft gewesen wäre, daraus nicht notwendig ein Beweisverwertungsverbot für eine Hauptverhandlung im Inland folgen würde, da von Verfassungs wegen kein Rechtssatz dahingehend besteht, dass im Falle einer rechtsfehlerhaften Beweiserhebung die Verwertung gewonnener Beweise stets unzulässig wäre (vgl. nur BVerfG, Beschluss vom 09.11.2010 – 2 BvR 2101/09, juris). Ob ein solches Verwertungshindernis eingreift, wäre sodann vielmehr jeweils nach den Umständen des Einzelfalls, insbesondere nach der Art des Verbots und dem Gewicht des Verstoßes, unter Abwägung der widerstreitenden Interessen zu entscheiden.

d) Die erhobenen ...[B]- und ...[A]-Daten sind vorliegend nach den Grundsätzen des sog. hypothetischen Ersatzeingriffes unter den Voraussetzungen von §§ 479 Abs. 1, Abs. 2 Satz 1, 161 Abs. 3 i.V.m. 100a Abs. 1, Abs. 2 Nr. 7a. lit. a) StPO verwertbar. Die Rechtsprechung des BGH aus der sog. ...[L]-Entscheidung (vgl. BGH, Beschluss vom 02.03.2022 - 5 StR 457/21, juris) steht dem nicht entgegen.

Im Einzelnen:

aa) Verfassungsgemäße Rechtsgrundlage für die Verwertung der erlangten Informationen in der Hauptverhandlung ist § 261 StPO, unabhängig davon, ob diese zuvor im Inland oder auf sonstige Weise – etwa im Wege der Rechtshilfe – erlangt worden sind (vgl. BVerfG, Beschluss vom 07.12.2011 - 2 BvR 2500/09, 2 BvR 1857/10, BVerfGE 130, 1 ff. Rn. 120, 137 ff. m.w.N.). Zudem beschränkt nach deutschem Recht keine gesetzliche Vorschrift ausdrücklich, zu irgendeinem Zeitpunkt durch Rechtshilfe von anderen Mitgliedsstaaten erlangte Beweismittel zu verwerten. Insbesondere die Verwendungsschranke des § 100e Abs. 6 StPO ist nach ihrem Wortlaut auf diese Fallkonstellation nicht unmittelbar anwendbar, da die betroffenen Beweismittel gerade nicht durch innerstaatliche Maßnahmen nach §§ 100b, 100c StPO, sondern im Wege ausländischer Ermittlungen gewonnen wurden. Da jedoch – anders als bei im Inland erfolgter Beweissicherung oder im Wege der Rechtshilfe ersuchten Ermittlungsmaßnahmen – nicht schon bei deren Anordnung eine verfassungskonforme Limitierung, beispielsweise durch Beschränkung auf besonders schwere Straftaten im Rahmen von sog. Straftatenkatalogen, erfolgen kann, sind die möglichen Unterschiede der Eingriffsvoraussetzungen nach der StPO und ausländischer Rechtsordnungen auf der Ebene der Beweisverwendung zu kompensieren, da in der Verwendung von in einem anderen Verfahren erhobenen personenbezogenen Daten ein eigenständiger Grundrechtseingriff liegt (vgl. BGH, Beschluss vom 02.03.2022, a.a.O.).

bb) Ausgehend hiervon hat der BGH in seiner grundlegenden Entscheidung zur Verwertbarkeit von Daten des Kryptierdienstes ...[L] (Beschluss vom 02.03.2022, a.a.O.) wie folgt ausgeführt:

„Gerade wenn – wie vorliegend – besonders intensive Grundrechtseingriffe durch heimliche Ermittlungsmaßnahmen in Rede stehen (...), sind verfassungsrechtliche Schutzmechanismen für die Beweisverwertung indes unabdingbar (vgl. auch BVerfG, Urteil vom 19. Mai 2020 – 1 BvR 2835/17, BVerfGE 154, 152 ff. Rn. 216 ff.). Dem Kernbereichsschutz und dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz kommen dabei besondere Bedeutung zu. (...)

Hierfür kann auf die in strafprozessualen Verwendungsbeschränkungen verkörperten Wertungen zurückgegriffen werden, mit denen der Gesetzgeber dem verfassungsrechtlichen Verhältnismäßigkeitsgrundsatz bei vergleichbar eingriffsintensiven Mitteln Rechnung trägt (vgl. auch BVerfG, Urteil vom 19. Mai 2020 – 1 BvR 2835/17, BVerfGE 154, 152 ff. Rn. 216 ff.). Im vorliegenden Fall können aufgrund des Gewichts der Maßnahme zur Wahrung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes – auch um jede denkbare Benachteiligung auszuschließen – die Grundgedanken der Verwendungsschranke mit dem höchsten Schutzniveau (§ 100e Abs. 6 StPO) fruchtbar gemacht werden.“

Nach Maßgabe dieser Grundsätze können im Wege europäischer Rechtshilfe erlangte Erkenntnisse unproblematisch jedenfalls zur Aufklärung von Straftaten verwertet werden, aufgrund derer eine Maßnahme nach § 100b StPO hätte angeordnet werden können (§ 100e Abs. 6 Nr. 1 StPO).

Maßgeblicher Zeitpunkt für diese Prüfung ist die im Verwendungs- bzw. Verwertungszeitpunkt geltende Rechtslage, denn bei sich im Verlaufe eines anhängigen Strafverfahrens ändernden strafprozessualen Vorschriften ist die neue Rechtslage maßgebend (vgl. BGH, Beschluss vom 21.11.2012, a.a.O.). Als Verwertungszeitpunkte sind hier neben dem Stellen des Rechtshilfeersuchens (BGH, wie vor) ebenfalls die Entscheidung über die Eröffnung des Hauptverfahrens bzw. die Urteilsfällung relevant (vgl. BGH, Urteil vom 14.08.2009 - 3 StR 552/08, juris), zumal der durch die Erhebung der Daten erfolgte Grundrechtseingriff durch eine Verwertung im Urteil naturgemäß stärker perpetuiert wird als durch die vorgelagerte schlichte Übermittlung infolge eines Rechtshilfeersuchens.

Soweit die den Handel mit Cannabis betreffenden Taten 12 bis 20 sowohl zum Zeitpunkt der Erhebung der Kommunikationsdaten durch Überwachung der ausländischen ...[B]- und ...[A]-Server in den Jahren 2019 bis 2021 als auch während der Stellung der Rechtshilfeersuchen – für ...[B] in Gestalt der Europäischen Ermittlungsanordnung vom 11. Dezember 2023 sowie für ...[A] am 21. April 2021 – noch als Verbrechenstatbestand des (gewerbsmäßigen) Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge gemäß §§ 29 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, Abs. 3 Satz 2 Nr. 1, 29a Abs. 1 Nr. 2 BtMG Katalogtaten nach § 100b Abs. 1, Abs. 2 Nr. 5b) StPO darstellten, ist dies indes nach dem zum 1. April 2024 als Art. 1 CanG in Kraft getretenen KCanG nicht mehr der Fall. Hiernach unterfällt Cannabis nicht mehr dem BtMG und die Taten sind seit Inkrafttreten der Vorschrift nicht mehr als Verbrechenstatbestände, sondern vielmehr als besonders schwere Fälle des (gewerbsmäßigen) Handeltreibens mit Cannabis (in nicht geringer Menge) gemäß § 34 Abs. 1 Nr. 4, Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 und Nr. 4 KCanG zu werten.

Durch Art. 13a des CanG wurden darüber hinaus zeitgleich strafprozessuale Befugnisnormen, unter anderem auch § 100b StPO, geändert. Nach nunmehr aktueller Fassung des § 100b Abs. 2 Nr. 5a StPO sind schwere Straftaten im Sinne des Abs. 1 Nr. 1 StPO nur die Verbrechenstatbestände des § 34 Abs. 4 Nr. 1, 3 oder 4 KCanG, die vorliegend nicht einschlägig sind. Die Taten 12 bis 20 haben durch die Gesetzesänderung demzufolge sowohl ihren Verbrechenscharakter als auch denjenigen als Katalogtat im Sinne von § 100b StPO verloren.

cc) Insoweit haben zuletzt einige Obergerichte unter direkter Anwendung der in der zitierten ...[L]-Rechtsprechung des BGH aufgestellten Grundsätze die Zulässigkeit der Verwertung von Daten aus Kryptierdiensten beim Vorliegen von „nur“ Vergehen, auch bei Verwirklichung besonders schwerer Fälle, nach dem KCanG verneint, da der seitens des BGH fruchtbar gemachte Schutzbereich von §§ 100e Abs. 6, 100b StPO insoweit mangels Vorliegens von Katalogtaten nicht (mehr) eröffnet sei (so OLG Frankfurt a.M., Beschluss vom 13.06.2024 - 1 Ws 175/24 für ...[B]; OLG Karlsruhe, Beschluss vom 24.07.2024 - 3 Ws 221/24 für ...[B]; KG Berlin, Beschluss vom 30.04.2024 - 5 Ws 67/24 für ...[L], jew. n. juris; OLG Köln, Beschluss vom 06.06.2024 - 2 Ws 251/24 (nicht veröffentlicht)).

Der Senat vermag dieser Rechtsprechung nicht beizutreten. Sie greift nach hiesiger Auffassung zu kurz.

Der Entscheidung des BGH zum Kryptierdienst ...[L] kann eine Beschränkung dahingehend, dass stets der „fruchtbar gemachte Grundgedanke der Verwendungsschranke mit dem höchsten Schutzniveau (§ 100e Abs. 6 Nr. 1 StPO)“ in allen gleichgelagerten Fallgestaltungen heranzuziehen ist, nicht entnommen werden. Vielmehr sind nach dieser Entscheidung auch Verwendungsschranken unterhalb des Schutzniveaus von §§ 100e Abs. 6, 110b StPO in Betracht zu ziehen.

Hierfür spricht insbesondere, dass der BGH ausweislich seiner weiteren Begründung zurückgreifen will auf „die in strafprozessualen Verwendungsbeschränkungen verkörperten Wertungen“, „mit denen der Gesetzgeber dem verfassungsrechtlichen Verhältnismäßigkeitsgrundsatz bei vergleichbar eingriffsintensiven Mitteln Rechnung trägt“. Die Verwendung der Mehrzahl sowie das Aufführen von `vergleichbaren Mitteln´ lässt aus Sicht des Senats die vorgenannte Schlussfolgerung zu.

Diese Sichtweise wird zudem dadurch gestützt, dass der BGH in seiner Entscheidung ebenfalls den Gedanken des hypothetischen Ersatzeingriffes aufgreift, dem indes bereits dadurch Genüge getan sei, dass die Daten in einem Strafverfahren mit einer Katalogtat (Anm. d. Senats: i.S.d. § 100b Abs. 2 StPO) verwertet würden (BGH, a.a.O. Rn. 70). Dieser Ausführungen bedürfte es nicht, wenn der BGH die höchste Verwendungsschranke des § 100e Abs. 6 StPO stets in Anwendung zu bringen beabsichtigte.

Auch eine durch den BGH nach der ...[L]-Entscheidung verworfene Revision (vgl. BGH, Beschluss vom 16.02.2023 - 4 StR 93/22, juris), spricht für die dargelegte Auslegung. Denn soweit die Revisionsführer in jenem Verfahren „in § 100e Abs. 6 Nr. 1 StPO die einzig in Betracht kommende Befugnisnorm, auf die sich eine Verwendung der Daten stützen könnte“ sahen, hielt der 4. Senat „demgegenüber daran fest, dass die Wertungen des § 100e Abs. 6 Nr. 1 StPO i.V.m. § 100b StPO eine im Rahmen der Anwendung von § 261 StPO zu beachtende Verwendungsbeschränkung bilden“ (Anm.: Unterstreichungen durch den Senat).

Zu sehen ist darüber hinaus, dass der BGH im konkret entschiedenen Fall (Beschluss vom 02.03.2022, a.a.O.) auch gerade keine Differenzierung vornehmen musste, da selbst bei Anlegung des höchsten Schutzniveaus von § 100e Abs. 6 StPO eine Verwertbarkeit der Daten gegeben war.

Konsequenz einer direkten und einzelfallunabhängigen Übertragung der BGH-Rechtsprechung auf sonstige Fallgestaltungen wäre im Übrigen auch, dass im Falle von nachträglich im Wege der Rechtshilfe erlangten Daten das höchste Schutzniveau des § 100e Abs. 6 StPO auch stets Maßstab für sämtliche, nachträglich im Wege der Rechtshilfe erhaltenen Daten sein müsste, was indes einer funktionsfähigen, nationalen und internationalen Strafverfolgung nicht gerecht würde (so Schubert, jurisPR–StrafR 8/2024 Anm. 3 zum Urteil des LG Mannheim vom 12.04.2024 - 5 KLs 804 Js 28622/21). Denn Intention des Gesetzgebungsvorhabens war neben der Entkriminalisierung des Besitzes geringerer Mengen Cannabis zum Eigenkonsum ebenfalls, dass eine effektive Strafverfolgung von (schweren) Straftaten weiterhin möglich bleibt (vgl. BTDrs. 20/8704, Seite 171).

dd) Ausgehend von den vorangestellten Ausführungen ist die Heranziehung der Grundsätze des sog. hypothetischen Ersatzeingriffes nach §§ 479 Abs. 2 Satz 1, 161 Abs. 3 Satz 1 StPO für den vorliegenden Fall möglich.

Voraussetzung dieser Zweckumwidmung ist, dass die im Wege der Rechtshilfe erlangten Daten – bei einem hypothetischen Inlandssachverhalt – im Inland rechtmäßig hätten erhoben werden können (vgl. BVerfG, Beschluss vom 07.12.2011 - 2 BvR 2500/09, juris Rn. 147; BGH, Beschluss vom 21.11.2012 - 1 StR 310/12, juris Rn. 44). Im Inland könnten die verfahrensgegenständlichen Daten der Fälle 12 bis 20 auf der Grundlage von § 100a Abs. 1, Abs. 2 Nr. 7a. lit. a) StPO gewonnen werden.

Im Einzelnen:

(1) Vorliegend handelt es sich bei der Überwachung der ...[B]- sowie ...[A]-Server jeweils um verdeckte Maßnahmen, mit denen in das Grundrecht des Post- und Fernmeldegeheimnisses (Art. 10 GG) eingegriffen wurde.

Die Generalstaatsanwaltschaft hat hierzu im Votum vom 12. August 2024 zu den technischen Vorgängen wie folgt ausgeführt:

„Im Fall von ...[B] wurde eine Serverüberwachung dergestalt durchgeführt, dass die (interne) Kommunikation zwischen dem App-Server (Server 1) und dem Sicherungsserver (Server 2) sowie die Kommunikation zwischen dem App-Server und dem Internet überwacht wurde (Bl. 160 f. des Sonderbands „Rechtshilfe Beschlüsse ...[B]“). Die Überwachung erbrachte SQL-Befehle, die an die Datenbank von ...[B] gesendet wurden, um Kontakte zu ergänzen oder zu löschen, eine Ansicht der verschlüsselten Nachrichten der Nutzer mit Metadaten (IMEI und ICCID, IP-Adresse, Umfang der Kommunikation u.ä.) und Bestätigungs-E-Mails einschließlich IMEI-Nummern, ...[B]-IDs etc. (Bl. 166, 196 ff. des Sonderbands „Rechtshilfe Beschlüsse ...[B]“). Die Inhalte der zahlreichen Nachrichten selbst waren, mit Ausnahme der an neue Kontakte gesendeten Einladungsnachrichten, zunächst verschlüsselt (Bl. 175, 196 ff. des Sonderbands „Rechtshilfe Beschlüsse ...[B]“), nach und nach gelang jedoch eine Entschlüsselung (Bl.175, 211 f., 229 des Sonderbands „Rechtshilfe Beschlüsse ...[B]“). Durch die abgefangenen Datenbankbefehle konnte der Inhalt der Datenbank Stück für Stück rekonstruiert werden (Bl. 196 f. des Sonderbands „Rechtshilfe Beschlüsse ...[B]“). Die Überwachung wurde durch richterlichen Beschluss jeweils verlängert und auf einen im September 2020 bekannt gewordenen Server erweitert (Bl. 178 ff. (22.07.2019), 193 ff. (20.08.2019), 218 ff. (13.12.2019), 230 ff. (10.01.2020), 190 ff. (19.02.2020), 187 ff. (10.04.2020), 206 ff. (03.08.2020), 183 ff. (03.12.2020), 238 ff. (06.10.2020) des Sonderbands „Rechtshilfe Beschlüsse ...[B]“). Die Maßnahme wurde am 17.12.2020 ergänzt durch die Anordnung zur Anbringung eines Gerätes zum Abfangen von EDV-Nachrichten, um die Entschlüsselung der einzelnen Daten zu ermöglichen (Bl. 249 ff. des Sonderbands „Rechtshilfe Beschlüsse ...[B]“). Hierbei wurde ein weiterer Server, ein sog. „Man-in-the-middle-Server“ (MITM) eingerichtet, der der Erfassung von Daten an der externen Verbindung des Sicherungsservers (Server 2) und später auch des Hauptservers (Server 1) bei der Firma …[M] diente (Bl. 257, 263, 270 des Sonderbands „Rechtshilfe Beschlüsse ...[B]“). Hierdurch konnten der gesamte Traffic der Telefone an den Server und des Servers an die Telefone mitgeschnitten werden (Bl. 259 des Sonderbands „Rechtshilfe Beschlüsse ...[B]“). Sobald sich ein ...[B]-Telefon an dem Server 2 authentifiziert hat, wurde für dieses Telefon eine Benachrichtigung des Typs Push generiert, die speziell erstellt wurde und normalerweise unsichtbar war, und deren alleiniger Zweck darin bestand, das Telefon zu veranlassen, im Rückschluss die kryptographischen Elemente zu übermitteln, die für die Entschlüsselung der von diesem Telefon erhaltenen individuellen Nachrichten erforderlich waren; diese Elemente konnten über den MITM erfasst und an den Server 2 weitergeleitet werden. Auch jede andere Kommunikation der Telefone an den Server 2 und von dem Server 2 wurde unverändert weitergeleitet, so dass der Verschlüsselungsdienst weiterhin normal funktionierte (Bl. 259 des Sonderbands „Rechtshilfe Beschlüsse ...[B]“). Die übermittelten kryptografischen Elemente konnten dann wiederum zur Entschlüsselung der einzelnen Nachrichten eingesetzt werden. Zudem wurde eine Serverbeschlagnahme durchgeführt, indem zwei funktionelle Kopien des Arbeitsspeichers des Hauptservers durchgeführt wurden (Bl. 259 des Sonderbands „Rechtshilfe Beschlüsse ...[B]“).“

Im Fall von ...[A] führt die Generalstaatsanwaltschaft wie folgt aus:

„...[A] war eine (Erg. d. Senats: vom FBI selbst entwickelte) Messenger-App auf modifizierten Mobiltelefonen mit dem Betriebssystem Android zum verschlüsselten Versand von Text-, Foto-, Video- und Audionachrichten (Telefonieren, Fotografieren und das Versenden von E-Mails war nicht möglich), die vom FBI in Zusammenarbeit mit einer Vertrauensperson (…[N]) entwickelt und über das bestehende Netzwerk der Vertrauensperson zum Vertrieb von verschlüsselten Kommunikationsgeräten an kriminelle Organisationen vertrieben wurde (…[O]). In die Anwendung wurde durch die Entwickler des FBI eine Falltür (master key) in das Verschlüsselungssystem der Anwendung eingebaut, die unsichtbar an jede Nachricht angehängt war und es den Strafverfolgungsbehörden ermöglichte, alle Nachrichten unmittelbar zu entschlüsseln und selbst abzuspeichern. Im Sommer 2019 schloss das FBI mit einem Drittland in der EU sodann ein Rechtshilfeabkommen (Mutual Legal Assistance Treaty “MLAT”) dahingehend ab, dass alle ...[A]-Nachrichten auf einen in dem Drittland stehenden Server geleitet und Kopien der Nachrichten dem FBI zugänglich gemacht wurden.“

In beiden Fällen wurden Daten demzufolge im Rahmen der Telekommunikationsvorgänge – von den Nutzern unbemerkt und somit verdeckt – abgefangen und entschlüsselt.

(2) Die Verwertbarkeit der Daten setzt nach §§ 479 Abs. 2 Satz 1, 161 Abs. 3 Satz 1 StPO das Vorliegen einer Katalogtat nach § 100a Abs. 2 StPO voraus. Die Vorschrift des § 479 Abs. 2 StPO ist auch bei grenzüberschreitendem Datenverkehr anwendbar (vgl. BGH, Beschluss vom 21.11.2012, a.a.O.). Bei den hier in Rede stehenden Straftaten der §§ 34 Abs. 1 Nr. 4, Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 KCanG handelt es sich indes um solche nach § 100a Abs. 2 Nr. 7a. lit. a) StPO. Die vorliegend zum Nachweis der Taten 12 bis 20 der Anklageschrift auf den ausländischen Servern gespeicherte laufende, individuelle Kommunikation (Chatprotokolle mit etwaig anhängenden Bildern, Videos, Links) zwischen dem Angeklagten und seinen Abnehmern bzw. Lieferanten von Cannabis hätte demzufolge im Inland hypothetisch über eine Maßnahme der Telekommunikationsüberwachung nach § 100a Abs. 1 StPO erlangt werden können.

(3) Auch die übrigen einschränkenden Voraussetzungen von § 100a Abs. 1 Nr. 2 und Nr. 3 StPO liegen unproblematisch vor. Denn es handelt sich bei den gewerbsmäßigen Cannabisdelikten des Angeklagten im zumeist zweistelligen Kilogrammbereich um schwerwiegende und ahndungswürdige Taten, für die der Angeklagte noch immer jeweils mit der Verhängung empfindlicher Einzelfreiheitsstrafen im mittleren bis oberen Bereich des nunmehr herabgesetzten abstrakten Strafrahmens, der bis zu fünf Jahren Freiheitsstrafe (§ 34 Abs. 3 Satz 1 KCanG) reicht, zu rechnen hat. Die weiterhin, auch im Rahmen des § 34 Abs. 3 Satz 2 Nr. 4 KCanG geltende nicht geringe Menge von 7,5 Gramm THC (vgl. BGH, Beschluss vom 18.04.2024 - 1 StR 106/24, juris) ist jeweils um ein Vielfaches überschritten. Zudem wären diese Taten ohne die Verwertung der Kommunikationsdaten nicht nachzuweisen.

Zusammenfassend ergibt die Auswertung der Kommunikationsinhalte einen hinreichenden Tatverdacht hinsichtlich des Vorliegens von Katalogtaten im Sinne von § 100a Abs. 2 StPO, so dass nach deutschem Recht die Überwachung der laufenden Kommunikation zulässig gewesen wäre.

Schließlich ist auch der Kernbereich privater Lebensgestaltung nicht berührt (vgl. 100d Abs. 1 StPO), da die strafbefangene Kommunikation, wie bereits zuvor (II. 2. c) dd)) ausgeführt, keine dem höchstpersönlichen Lebensbereich zugehörigen Inhalte enthielt.

(4) Sofern die im vorliegenden Verfahren zu den Taten 12 bis 16 der Anklage zu Beweiszwecken zu verwertenden Daten aus der Auswertung der beschlagnahmten Server von ...[B] stammen, ergibt sich für die Verwertbarkeit kein anderes Ergebnis. Anstatt auf § 100a StPO wäre die Erhebung der Daten in diesem Fall hypothetisch nach den Vorschriften der Beschlagnahme gemäß §§ 94,98 StPO als offene Maßnahme zu beurteilen. § 100e Abs. 6 StPO findet dort keine Anwendung und die Voraussetzungen für eine weitere Verwendung gemäß §§ 479 Abs. 2 Satz 1, 161 Abs. 3 Satz 1 StPO wären ebenfalls gegeben.

Insoweit war die Eröffnung des Hauptverfahrens auch hinsichtlich der Taten 12 bis 20 durch den Senat auszusprechen.

3. Hinsichtlich des Anklagevorwurfs zu Fall 11 der Anklageschrift ist eine Entscheidung des Senats nicht veranlasst, da die Eröffnungs- und Haftentscheidung des Landgerichts ausweislich der Begründungsschrift und der Antragsstellung im Übersendungsschreiben vom 12. August 2024 insoweit nicht angegriffen wird.

III.

Auf die nach § 305 Satz 2 StPO zulässige, da eine Verhaftung betreffende, Beschwerde der Generalstaatsanwaltschaft gegen die die Eröffnungsentscheidung nach § 207 Abs. 4 StPO begleitende Haftfortdauerentscheidung der Kammer vom gleichen Tag – und gleichsam infolge der unter II. dargelegten Eröffnungsentscheidung des Senats – war auch der Haftbefehl entsprechend abzuändern und zu ergänzen.

Denn unter Zugrundelegung der Ausführungen unter II. zum hinreichenden Tatverdacht sowie der Verwertbarkeit der diesen belegenden ...[A]- und ...[B]-Chatprotokolle besteht auch eine große Verurteilungswahrscheinlichkeit und somit ebenfalls dringender Tatverdacht hinsichtlich der Taten 12 bis 20 der Anklageschrift.

IV.

Der Haftbefehl des Amtsgerichts Koblenz vom 5. Januar 2024, in der Form des Haftfortdauerbeschlusses der 5. großen Strafkammer vom 23. Juli 2024, wird wie folgt abgeändert und neu gefasst:

Gegen den Angeklagten …[P], geb. am … in … wird die Fortdauer der Untersuchungshaft angeordnet.

Der Angeklagte ist dringend verdächtig,

in der Zeit vom 14. Dezember 2019 bis zum 20. November 2023

in …[Y] und anderorts

durch 40 rechtlich selbständige Handlungen

1. in 13 Fällen (Fälle 5, 7-11, 15-17, 27, 29, 34, 35)

mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge unerlaubt Handel getrieben zu haben

sowie

2. in 27 Fällen (Fälle 1-4, 6, 12, 13/14, 18-26, 28, 30–33, 36-40)

entgegen § 2 Abs. 1 Nr. 4 KCanG mit Cannabis in nicht geringer Menge gewerbsmäßig Handel getrieben zu haben.

Im Anklagezeitraum betätigte sich der Angeklagte in Kenntnis einer ihm fehlenden Erlaubnis zum Umgang mit Betäubungsmitteln als Betäubungshändler sowie ebenfalls als Händler von Cannabis, um sich hierdurch eine fortlaufende Einnahmequelle von einigem Umfang und einiger Dauer zu verschaffen. Für die Abwicklung seiner Betäubungsmittelgeschäfte nutzte der Angeklagte die Kryptierdienste ...[A] und ...[B] sowie die verschlüsselten Messenger-Dienste …[D], …[C], …[E] und …[F] mit jeweils unterschiedlichen Aliasnamen, um seine Identität zu verschleiern. Bei den Kryptierdiensten ...[A] und ...[B] konnte der Angeklagte als Nutzer der Accounts JID: … alias „…[G]“, JID: …[H] alias „…[I]“ (jew. ...[A]) sowie ID: … alias „…[J]“ und ID: … alias „…[K]“ (jew. ...[B]) identifiziert werden.

Konkret bezieht sich der Tatverdacht auf folgende Sachverhalte und Betäubungsmittel- sowie Cannabisgeschäfte, bei denen der Angeklagte in allen Fällen die Absicht hatte, sich durch wiederholte Tatbegehung eine fortlaufende Einnahmequelle von einiger Dauer und einigem Umfang zu verschaffen:

[…]
V.

Für die nachträglichen Entscheidungen über die Untersuchungshaft und die erforderlichen Verfahrenshandlungen ist nach § 126 Abs. 2 Satz 1 StPO das Landgericht – 5. große Strafkammer – Mainz, als mit der Sache befasstes Gericht zuständig. Dieses hat folglich die Verkündung des neu gefassten Haftbefehls vorzunehmen, denn die Vorschrift des § 115 Abs. 2 und 3 StPO findet ebenfalls Anwendung, wenn ein Haftbefehl inhaltlich geändert oder erweitert wird (vgl. OLG Koblenz, Beschluss vom 04.04.2011 - 1 Ws 183/11, BeckRS 2011, 20783; OLG Stuttgart, Beschluss vom 14.07.2005 - 4 HEs 59/05, NStZ 2006, 588; OLG Jena, Beschluss vom 27.06.2008 - 1 Ws 240/08, BeckRS 2009, 53).

VI.

Im Falle der – wie hier – erfolgreichen sofortigen Beschwerde der Generalstaatsanwaltschaft gegen die teilweise Nichteröffnung sowie der erfolgreichen Beschwerde der Generalstaatsanwaltschaft gegen den teilweisen Nichterlass des Haftbefehls bedurfte es keiner Kosten- und Auslagenentscheidung, da die Rechtsmittelkosten zu den Verfahrenskosten zählen, die der Angeklagte nach § 465 StPO zu tragen hat.

Von seinen notwendigen Auslagen wird er nicht entlastet (Meyer-Goßner/Schmitt/Schmitt, 67. Aufl., § 473 Rn. 15).


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