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Entscheidungen

KCanG u.a.

KCanG, Neufestsetzung einer Strafe infolge des CanG, Strafaussetzung zur Bewährung

Gericht / Entscheidungsdatum: LG Stuttgart, Beschl. v. 11.11.2024 – 8 Qs 46/24

Leitsatz des Gerichts:

1. Eine nach Art. 316p i.V.m. Art. 313 Abs. 3 Satz 2 EGStGB veranlasste Neufestsetzung der Strafe erfordert bei Festsetzung einer aussetzungsfähigen Strafe auch eine Entscheidung über die Aussetzung der Vollstreckung zur Bewährung.
2. Mit der Aussetzungsentscheidung ist die Bewährungszeit neu festzusetzen. Die Bewährungszeit beginnt nach § 56a Satz 1 StGB mit Rechtskraft der Aussetzungsentscheidung.
3. Auf die neue Bewährungszeit ist die Zeit, in der der Verurteilte seit Eintritt der Rechtskraft des Urteils unter Bewährung stand, anzurechnen.


In pp.

1. Auf die sofortige Beschwerde der Staatsanwaltschaft Stuttgart wird der Beschluss des Amtsgerichts Waiblingen vom 23. Juli 2024 dahingehend ergänzt, dass die Bewährungszeit auf zwei Jahre festgesetzt wird.
2. Auf die neue Bewährungszeit wird die seit Eintritt der Rechtskraft des Urteils des Landgerichts Stuttgart vom 29. Juni 2020 am 7. Oktober 2020 andauernde Bewährungszeit angerechnet.
3. Die Sache wird an die die Bewährungsaufsicht führende und zur Entscheidung nach § 56g StGB berufene Stelle des Amtsgerichts Esslingen weitergeleitet.
4. Die Staatskasse trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens und die notwendigen Auslagen des Verurteilten.

Gründe

I.

Mit Urteil des Amtsgerichts Waiblingen vom 9. Januar 2020 (i.V.m. dem Urteil des Landgerichts Stuttgart vom 29. Juni 2020) wurde gegen den Verurteilten wegen vorsätzlichen unerlaubten Besitzes von Betäubungsmitteln (0,34 Gramm netto Marihuana) in Tateinheit mit vorsätzlichem Führen einer verbotenen Waffe eine Freiheitsstrafe von drei Monaten verhängt, deren Vollstreckung für die Dauer von drei Jahren zur Bewährung ausgesetzt wurde. Das Urteil ist seit 7. Oktober 2020 rechtskräftig; die Bewährungszeit dauert an. Die Entscheidung über den Erlass der Strafe wurde – wegen eines Ermittlungsverfahrens wegen Verstoßes gegen das Waffengesetz – noch nicht getroffen.

Am 23. Juli 2024 setzte das Amtsgericht Waiblingen auf Antrag der Staatsanwaltschaft Stuttgart die Strafe nach Art. 316p, 313 Abs. 3 Satz 1, 2 EGStGB neu fest, indem es gegen den Verurteilten wegen vorsätzlichen Führens einer verbotenen Waffe eine „Freiheitsstrafe von zwei Monaten, ausgesetzt zur Bewährung“, verhängt hat.

Gegen diesen Beschluss wendet sich die Staatsanwaltschaft mit ihrer sofortigen Beschwerde. Sie beanstandet, dass das Amtsgericht – über die Neufestsetzung der Strafe hinaus – eine Bewährungsentscheidung getroffen hat. Art. 313 EGStGB verlange und erlaube nur die Neufestsetzung der Strafe; die Aussetzung der Vollstreckung der neu festgesetzten Strafe sei ohne rechtliche Grundlage erfolgt. Im Übrigen sei die getroffene Entscheidung – mangels Festsetzung einer Bewährungszeit – unklar; diese lasse sich nicht dem ursprünglichen Bewährungsbeschluss entnehmen, denn sie beginne mit der rechtskräftigen Bewährungsentscheidung neu. Nach allem sei eine neue Entscheidung über die Aussetzung der Vollstreckung von Art. 313 EGStGB nicht gewollt.

II.

Auf die sofortige Beschwerde der Staatsanwaltschaft Stuttgart ist der Beschluss des Amtsgerichts Waiblingen vom 23. Juli 2024 in dem aus dem Beschlusstenor ersichtlichen Umfang zu ergänzen.

1. Das Rechtsmittel der Staatsanwaltschaft ist zulässig.

a) Es ist – auch wenn es sich gegen „den Beschluss vom 05.06.2024“ wendet – als solches gegen den vorgenannten Beschluss auszulegen (§ 300 StPO).

b) Die Teilanfechtung der Entscheidung über die Aussetzung der Vollstreckung ist statthaft, denn die Frage der Strafaussetzung kann eigenständig und unabhängig von der Straffestsetzung als Zumessungsakt im engeren Sinne geprüft und entschieden werden. Die Frage der Strafaussetzung zur Bewährung steht mit der Straffrage nicht in einer inneren Abhängigkeit, die die isolierte Anfechtung ausschließt (Saarländisches Oberlandesgericht, Beschluss vom 8. August 2024 – 1 Ws 101/24 Rn. 8).

2. Der Beschluss des Amtsgerichts Waiblingen vom 23. Juli 2024, der im Rahmen der Neufestsetzung der Strafe zu Recht auch über die Aussetzung der Vollstreckung befunden hat, war um die (Mindest-) Bewährungszeit von zwei Jahren zu ergänzen; auf die neue Bewährungszeit ist jedoch die Zeit, in der der Verurteilte aufgrund der am 29. Juni 2020 – rechtskräftig seit 7. Oktober 2020 – angeordneten Bewährung stand, anzurechnen. Infolgedessen ist die Sache an die die Bewährungsaufsicht führende Stelle des Amtsgerichts Esslingen zur Entscheidung nach § 56g StGB weiterzuleiten.

a) Zu Recht hat das Amtsgericht im Rahmen der Neufestsetzung der Strafe auch über die Aussetzung der Vollstreckung entschieden.

Zutreffend hat das Amtsgericht nach Art. 316p i.V.m Art. 313 Abs. 3 Satz 2 EGStGB zunächst die Strafe neu festgesetzt, da die am 29. Juni 2020 verhängte Strafe § 29 Abs. 1 BtMG und damit einer Strafvorschrift entnommen worden ist, die den Sachverhalt (Besitz von 0,34 Gramm netto Marihuana zum Eigenkonsum) nach Inkrafttreten des Gesetzes zum Umgang mit Konsumcannabis (Konsumcannabisgesetz – KCanG) vom 27. März 2024 (BGBl. 2024 I Nr. 109) nach § 3 KCanG nicht mehr unter Strafe stellt (vgl. BeckOK StGB/Seel, 62. Ed. 1.8.2024, EGStGB Art. 316p Rn. 10 f. mwN). Art. 313 Abs. 3 Satz 3 EGStGB – der die Ermäßigung der Strafe ermöglicht, wenn die Strafe der Strafvorschrift des Waffengesetzes entnommen worden wäre – greift nicht.

Angesichts der Beschränkung des Rechtsmittels auf die Frage der Strafaussetzung kommt es auf den Umstand der fehlenden Darlegung der Strafzumessung nicht an.

b) Zu Recht hat das Amtsgericht eine Bewährungsentscheidung getroffen und dabei – zugunsten des Verurteilten – offensichtlich eine positive Prognose im Sinne des § 56 Abs. 1 StGB zugrunde gelegt. Infolgedessen hat es die Vollstreckung der neu festgesetzten Strafe zur Bewährung ausgesetzt.

Die Neufestsetzung der Strafe ist ein neuer Strafzumessungsakt (BeckOK, aaO, EGStGB Art. 313 Rn. 11). Im Zuge dieser Neufestsetzung der Strafe nach Art. 316p i.V.m. Art. 313 Abs. 3 Satz 2 EGStGB ist damit auch die Aussetzung der Strafvollstreckung eigenständig ohne Bindung an Vorentscheidungen nach der Sachlage zum Zeitpunkt der Beschlussfassung zu prüfen (Saarländisches Oberlandesgericht, aaO Rn. 14; Thüringer Oberlandesgericht, Beschluss vom 17. Juni 2024 – 1 Ws 190/24 Rn. 8 f.). Maßgeblicher Beurteilungszeitpunkt für die Sozialprognose ist der Zeitpunkt der Neufestsetzung der Strafe (vgl. Thüringer Oberlandesgericht, aaO, Rn. 19).

Denn die Neufestsetzung der Strafe nach Art. 313 Abs. 3, 4 EGStGB weist den gesamten Akt der Strafzumessung i.S.d. §§ 46 ff. StGB dem erstinstanzlichen Gericht zu; sie ist der Sache nach eng an die nachträgliche Gesamtstrafenbildung nach § 460 StPO, § 55 StGB angelehnt, für die sich aus § 58 Abs. 2 StGB ergibt, dass bei der Entscheidung neu und selbständig über die Strafaussetzung zu entscheiden ist (Thüringer Oberlandesgericht, aaO Rn. 8 f.; Landgericht Aachen, Beschluss vom 29. April 2024 – 69 KLs 17/19). Der Umstand, dass durch eine neue Entscheidung über die Strafaussetzung die Vergünstigung einer ursprünglich gewährten Strafaussetzung (sogar) in Wegfall geraten kann, steht dem nicht entgegen. Denn er ist als Reflex der gesetzlichen Bestimmungen hinzunehmen, hat der Gesetzgeber bezüglich der zu treffenden Entscheidung doch gerade kein Verschlechterungsverbot entsprechend § 331 StPO kodifiziert (Thüringer Oberlandesgericht, aaO Rn. 8 mwN).

Würde man die Entscheidung über die Aussetzung der Vollstreckung der neu festgesetzten Strafe generell als nicht zulässig erachten, bestünde im Übrigen auch für diejenigen Verurteilten keine Möglichkeit, in den Genuss der Strafaussetzung zu kommen, bei denen die neu festgesetzte Strafe erstmals bei maximal zwei Jahren und damit erstmals im aussetzungsfähigen Bereich liegt oder aber nunmehr höchstens ein Jahr erreicht, was für eine Aussetzung der Vollstreckung besondere Umstände in Tat und Persönlichkeit des Täters entbehrlich macht (Thüringer Oberlandesgericht, aaO Rn. 8 mwN).

c. Die (neu) getroffene Aussetzungsentscheidung ist um die Bestimmung der Bewährungszeit nach § 56a StGB zu ergänzen. § 56a StGB ist eine notwendige Ergänzung des § 56 StGB, da es zwangsläufig einer zeitlichen Begrenzung bedarf, wie lange Maßnahmen nach §§ 56b bis 56d StGB angeordnet werden können und wann der Verurteilte mit einem Straferlass nach § 56g StGB rechnen kann, sofern nicht ein Widerruf nach § 56f Abs. 1 StGB erfolgt (HK-GS/Matthias Braasch, StGB, 5. Aufl., § 56a Rn. 1; MüKoStGB/Groß/Kett-Straub, 4. Aufl., § 56a Rn. 1-4).

Dass hierdurch, wie hier, zum Nachteil des Verurteilten eine von Neuem beginnende (Mindest-) Bewährungszeit in Gang gesetzt wird, ist dem Strafgesetzbuch – etwa in § 58 Abs. 2 StGB – nicht fremd und als Folge dessen, dass der Gesetzgeber insoweit eine ausgleichende Regelung weder im Allgemeinen noch im Zuge des Gesetzes zum Umgang mit Konsumcannabis (Konsumcannabisgesetz – KCanG) vom 27. März 2024 (BGBl. 2024 I Nr. 109) geschaffen hat, hinzunehmen (Saarländisches Oberlandesgericht, aaO Rn. 14; Thüringer Oberlandesgericht, aaO Rn. 8).

Mit der (Neu-) Festsetzung der Strafe und der Entscheidung über die Aussetzung ist zugleich auch über die Bewährungszeit (neu) zu entscheiden; die Aufrechterhaltung der ursprünglich festgesetzten Bewährungszeit kommt nicht in Betracht, denn § 56a StGB ist ein Appendix zu § 56 StGB (MüKoStGB/Groß/Kett-Straub, aaO, § 56a Rn. 1). Gleiches ergibt sich auch aus § 58 StGB: Wird die nachträgliche Gesamtstrafe zur Bewährung ausgesetzt, ist nach § 56a StGB eine (neue) Bewährungszeit zu bestimmen (MüKoStGB/Groß/Kett-Straub, aaO, § 58 Rn. 7); die früher gewährte Strafaussetzung wird durch die nachträgliche Gesamtstrafenbildung gegenstandslos (Schönke/Schröder/Kinzig, StGB, 30. Aufl., § 58 Rn. 8) und entfällt. Über die Aussetzung ist neu und selbständig unter Prüfung der Voraussetzungen des § 56 StGB i.V.m. § 58 Abs. 1 StGB zu entscheiden; Beurteilungszeitpunkt für die Sozialprognose ist der Zeitpunkt der nachträglichen Entscheidung (Fischer, StGB, 71. Aufl., § 58 Rn. 3). Im Übrigen geht auch § 56a Abs. 2 Satz 1 StGB, wonach die Bewährungszeit stets mit der Rechtskraft der Entscheidung über die Strafaussetzung beginnt, von einer zeitgleich mit der Aussetzungsentscheidung zu bestimmenden Bewährungszeit aus.

d) Nach allem ergänzt die Beschwerdekammer die von dem erkennenden Gericht (neu) getroffene Aussetzungsentscheidung um die Mindestbewährungszeit des § 56a Abs. 1 Satz 2 StGB von zwei Jahren, die sie angesichts der Straffreiheit des Verurteilten seit 2020 und der Erfüllung der Bewährungsauflage für ausreichend erachtet. Die (neu festgesetzte) Bewährungszeit beginnt nach § 56a Abs. 2 Satz 1 StGB – anders als die Verlängerung der Bewährungszeit nach § 56 Abs. 2 Satz 2 StGB, die unmittelbar an das Ende der zunächst bestimmten Frist ansetzt (vgl. Fischer, aaO, § 56f Rn. 17c) – mit Rechtskraft der Aussetzungsentscheidung.

e) Auf die neue Bewährungszeit ist jedoch die Zeit, in der der Verurteilte aufgrund des Urteils des Landgerichts Stuttgart vom 29. Juni 2020 – mithin nach § 56a Abs. 2 Satz 1 StGB seit Eintritt der Rechtskraft am 7. Oktober 2020 – unter Bewährung stand, anzurechnen. Dies ist für den Fall, dass in einem Wiederaufnahmeverfahren erneut eine Strafaussetzung gewährt wird und mit Eintritt der Rechtskraft dieses Urteils eine neue Frist beginnt, anerkannt (vgl. Schönke/Schröder/Kinzig, aaO, § 56a Rn. 3; vgl. zum Ganzen Löwe-Rosenberg/Schuster, StPO, 27. Aufl., § 373 Rn. 16 ff., 30 ff.). Nichts anderes kann für den verfahrensgegenständlichen Fall der Neufestsetzung der Strafe gelten, da dem Täter wegen einer Tat nur eine bestimmte Bewährungsdauer abverlangt werden darf.

f) Angesichts der damit (längst) abgelaufenen Bewährungszeit ist die Sache an die die Bewährungsaufsicht führende Stelle des Amtsgerichts Esslingen zur Entscheidung nach § 56g StGB weiterzuleiten.

III.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 473 Abs. 1 Satz 1 StPO (MüKoStPO/Maier, 1. Aufl., § 473 Rn. 136).


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