Gericht / Entscheidungsdatum: AG Eilenburg, Beschl. v. 07.11.2024 – 8 OWi 614/24
Eigener Leitsatz:
Inwieweit ein Verfahrensbeteiligter einem Dritten die Besorgung prozessualer Angelegenheiten vertrauensvoll überlassen kann und in welchem Umfang er den Beauftragten kontrollieren muss, richtet sich nach den Umständen des Einzelfalls. Es trifft ihn bei Versäumnissen und Fehlern des Beauftragten dann kein Verschulden, wenn er bei dessen Auswahl und Überwachung die Sorgfalt aufgewandt hat, die verständiger Weise von ihm erwartet und ihm zugemutet werden kann. Ein völliger Mangel eigener Bemühungen, sich um seine Sache zu kümmern, begründet aber ein eigenes Verschulden an der Versäumung einer Frist.
In pp.
1. Der Antrag auf gerichtliche Entscheidung wird als unbegründet verworfen.
2. Die Kosten des Verfahrens und die notwendigen Auslagen des Betroffenen aufgrund des gerichtlichen Verfahrens hat der Betroffene zu tragen.
Gründe
I.
Gegen den Betroffenen ist am 05.04.2024 ein Bußgeldbescheid der Landesdirektion Sachsen ergangen, mit dem ihm eine außerörtlich begangene Geschwindigkeitsüberschreitung um 21 km/h vorgeworfen wird, die er am 02.02.2024 begangen haben soll. Dieser Bußgeldbescheid wurde dem Betroffenen am 11.04.2024 unter der Anschrift […] in Leipzig zugestellt, die er zuvor gegenüber der Verwaltungsbehörde auf die Anhörung hin als seine (neue) Wohnanschrift angegeben hatte. Die im Bußgeldbescheid festgesetzte Geldbuße i. H. v. 100,00 Euro zzgl. der geltend gemachten Gebühren und Auslagen (insgesamt 128,50 Euro) wurde am 12.04.2024 vom Konto des Betroffenen unter Angabe des behördlichen Aktenzeichens auf das Konto der Verwaltungsbehörde gezahlt.
Am 08.08.2024 zeigte sich für den Betroffenen sein Verteidiger bei der Verwaltungsbehörde an, legte gegen den Bußgeldbescheid vom 05.04.2024 unter Beantragung von Akteneinsicht Einspruch ein und beantragte zugleich Wiedereinsetzung in den vorigen Stand.
Zur Begründung seines Antrags auf Wiedereinsetzung führte der Betroffene aus, dass er nach Rückkehr aus seinem Urlaub am 04.08.2024 aus seinem Briefkasten ein auf den 30.07.2024 datiertes Schreiben der Fahrerlaubnisbehörde geholt und zur Kenntnis genommen habe. Darin habe ihm die Behörde mitgeteilt, dass sein Punktestand nunmehr auf 8 Punkte angewachsen und daher eine Entziehung der Fahrerlaubnis beabsichtigt sei. Über seinen Punktestand sei der Betroffene vorher nicht in Kenntnis gewesen. Ebenso wenig sei ihm ein Punkt aus 02/2024 bekannt.
Zu seiner Situation schilderte der Betroffene, dass er verheiratet sei und 4 Kinder habe, wovon die älteren beiden aus 1. Ehe und die jüngeren beiden Kleinkinder mit seiner jetzigen Frau stammen würden. Sein jüngstes Kind sei am […]2024 geboren und seine Ehefrau befindet sich derzeit in Elternzeit. Seit dem 01.02.2024 hätten sie ihr noch nicht fertiges, aber bewohnbares Haus in Leipzig bezogen und insofern einen gemeinsamen Hausstand gegründet.
Da er beruflich seit 2021 sehr viel unterwegs und nur am Wochenende bzw. nur selten unter der Woche zu Hause sei, erledige seine Frau alle Verwaltungsaufgaben. Sie sei für die Finanzen zuständig. Diese Angelegenheiten habe sie bisher sehr zuverlässig und ohne Informationsverluste erledigt. Sie habe auf das auf ihn laufende Konto bei der Sparkasse Vollmacht und erledige alle Bankgeschäfte diesbezüglich online. Da er in den letzten Jahren sehr viel mit dem Auto unterwegs gewesen sei, seien einige Bußgeldverfahren in diesem Zeitraum entstanden, sodass er seiner Frau sehr dankbar dafür gewesen sei, dass sie sich zuverlässig um die Informationsweitergabe und die Bezahlung gekümmert habe. In diesem Zusammenhang habe sie seine Post für ihn geöffnet, mit ihm Rücksprache darüber gehalten und alles von ihm Erbetene in der Folge erledigt. Er habe über seinen Arbeitgeber ein Dienstfahrzeug zur Verfügung gestellt bekommen. Sofern dahingehend Anschreiben bzw. Zeugenbefragungen der Verkehrsbehörden eingehen, würden diese an ihn weitergeleitet werden. Er würde diese dann auf Arbeit ausfüllen und seine Heimatadresse angeben, sodass der weitere Verlauf der Verfahren über seine Privatadresse gelaufen sei. Die jeweiligen Bußgeldbescheide würden dann immer von seiner Ehefrau nach Rücksprache mit ihm zur Zahlung angewiesen oder einem Rechtsanwalt übergeben. So sei dies auch im letzten Fall bzw. auch in Bezug ein Schreiben der Führerscheinbehörde vom 30.04.2024 gewesen.
In Bezug auf den streitgegenständlichen Bußgeldbescheid sei es seiner Ehefrau im Umzugs- und Babystress mit 2 Kleinkindern untergegangen, dass sie ihm zu diesem Thema informiert bzw. ihm den Bescheid vorgelegt, sondern ohne Rücksprache mit ihm einfach bezahlt habe.
Von dem Bußgeldbescheid habe er bis heute keine Kenntnis. Der Umstand, dass dieser in Rechtskraft erwachsen sein soll, sei ihm erst am 05.08.2024 bekannt geworden, nachdem er den Brief der Führerscheinbehörde mit der Anhörung zum Fahrerlaubnisentzug zur Kenntnis genommen und mit dieser Rücksprache gehalten habe. An diesem Tage habe er auch erstmalig nach entsprechender Erkundigung bei seiner Ehefrau erfahren, dass sie den Bußgeldbescheid offensichtlich aus der Post genommen und das Bußgeld und auch die Verwaltungsgebühr ohne sein Wissen bezahlt habe. Eine Nachschau auf dem gemeinsamen Konto habe dies bestätigt. Der Bußgeldbescheid liege ihm bis heute nicht vor, lediglich anhand der Aktenzeichen habe er dies halbwegs rekonstruieren können.
Mit Bescheid vom 26.08.2024 hat die Verwaltungsbehörde den Einspruch des Betroffenen gegen den Bußgeldbescheid vom 05.04.2024 unter Ablehnung des Wiedereinsetzungsantrages verworfen. Der Verwerfungsbescheid wurde dem Verteidiger des Betroffenen am 28.08.2024 zugestellt, der daraufhin mit am gleichen Tag bei der Verwaltungsbehörde eingegangenem Schreiben einen Antrag auf gerichtliche Entscheidung gemäß § 62 OWiG stellte.
Die Verwaltungsbehörde hat diesem Antrag nicht abgeholfen und die Sache am 30.08.2024 dem Amtsgericht Eilenburg zur Entscheidung vorgelegt.
II.
1. Der gemäß §§ 52 Abs. 2 Satz 3, 69 Abs. 1 Satz 2 OWiG i. V. m. § 62 OWiG zulässige Antrag auf gerichtliche Entscheidung ist unbegründet, weil die Verwaltungsbehörde den Einspruch des Betroffenen gegen den Bußgeldbescheid vom 05.04.2024 zu Recht gemäß § 69 Abs. 1 Satz 1 OWiG als unzulässig verworfen hat, da er nicht fristgemäß eingelegt wurde und Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nicht zu gewähren ist.
a) Gemäß § 67 Abs. 1 OWiG ist der Einspruch gegen den Bußgeldbescheid innerhalb von zwei Wochen nach Zustellung einzulegen. Diese Einspruchsfrist hat der Betroffene hier nicht gewahrt. Ausweislich der Akte (Bl. 29R) wurde der Bescheid vom 05.04.2024 dem Betroffenen am 11.04.2024 zugestellt. Der Bescheid war auch mit einer ordnungsgemäßen Rechtsbehelfsbelehrung versehen. Die zweiwöchige Einspruchsfrist endete damit gemäß § 46 Abs. 1 OWiG i. V. m. § 43 Abs. 1 StPO mit Ablauf des 25.04.2024, sodass sie bei Einspruchseinlegung am 08.08.2024 bereits verstrichen war.
b) Eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gemäß § 52 OWiG i. V. m. §§ 44, 45 StPO ist nicht zu gewähren. Der Betroffene hat nicht glaubhaft gemacht, dass er ohne Verschulden daran gehindert war, die Einspruchsfrist einzuhalten (§ 44 Satz 1 StPO). Gemäß § 45 Abs. 2 Satz 1 StPO sind dabei mit der Antragstellung oder im Verfahren über den Antrag alle Tatsachen zur Begründung des Antrages zu benennen und glaubhaft zu machen. Verschulden i. S. des § 44 Satz 1 StPO ist anzunehmen, wenn der Betroffene diejenige Sorgfalt außer Acht lässt, die für einen gewissenhaften und seine Rechte und Pflichten sachgemäß wahrnehmenden Prozessführenden geboten ist und ihm nach den gesamten Umständen des konkreten Falles zuzumuten war (vgl. nur OVG Lüneburg, Beschl. v. 15.10.1990 - 10 M 24/90 -, NJW 1991, 1196 zum gleichlautenden § 60 Abs. 1 VwGO).
Inwieweit ein Verfahrensbeteiligter einem Dritten die Besorgung prozessualer Angelegenheiten vertrauensvoll überlassen kann und in welchem Umfang er den Beauftragten kontrollieren muss, richtet sich nach den Umständen des Einzelfalls. Es trifft ihn bei Versäumnissen und Fehlern des Beauftragten dann kein Verschulden, wenn er bei dessen Auswahl und Überwachung die Sorgfalt aufgewandt hat, die verständiger Weise von ihm erwartet und ihm zugemutet werden kann. Steht der Beauftragte zum Auftraggeber in einem engen und dauerhaften Verhältnis, das ein gegenseitig erprobtes Vertrauen begründet - wie das der Ehe - und fehlen Anhaltspunkte, aus denen sich ausnahmsweise eine Unzuverlässigkeit des Ehegatten bei der Wahrnehmung wichtiger Angelegenheiten ergeben, so ist der Auswahlsorgfalt in aller Regel genügt und es reduziert sich auch die Überwachungssorgfalt (vgl. OLG Zweibrücken, Beschl. v. 16.08.1991 - 1 Ws 222/91 -, BeckRS 1991, 652; OLG Frankfurt a. M., Beschl. v. 17.10.2000 - 3 Ws 1049/00 -, NStZ-RR 2001, 85).
Unter Zugrundelegung dieses Maßstabs ist der Betroffene in Ansehung seines Vortrags, den er durch die vorliegende eidesstattliche Versicherung seiner Ehefrau ausreichend glaubhaft gemacht hat, der ihm noch obliegenden Überwachungssorgfalt in vorwerfbarer Weise nicht zureichend nachgekommen. Zunächst ist dahingehend zu befinden, dass der Betroffene unter Zugrundelegung seines Vortrags seine Ehefrau nicht nur mit der Besorgung eines konkreten Rechtsgeschäfts beauftragt, sondern er ihr offensichtlich die Besorgung jeglicher rechtsgeschäftlicher Angelegenheiten ihn betreffend anvertraut hat. Dies verlangt nach Auffassung des Gerichts jedenfalls ein gewisses Maß an wiederkehrender Kontrolle der „beauftragten“ Person, da die Fehleranfälligkeit bei einer „globalen“ Aufgabenübertragung gegenüber einer einzelfallbezogenen Geschäftsbesorgung steigt, auch wenn sich die beauftragte Person in der Vergangenheit als zuverlässig erwiesen hat. Ein blindes Vertrauen in die Aufgabenwahrnehmung für sämtliche Teilbereiche des einen Betroffenen betreffenden Schriftsatzverkehrs mit Dritten erscheint auch vor dem Hintergrund von Art. 19 Abs. 4 und 103 Abs. 1 GG nicht schützenswert, käme dadurch doch zum Ausdruck, dass ein Betroffener der Wahrnehmung seiner Rechte mit vermeidbarer Gleichgültigkeit gegenüber steht.
So liegt der Fall jedoch hier. Dem Betroffenen hätte es sich, nachdem er auf den Anhörungsbogen hin am 02.04.2024 gegenüber der Verwaltungsbehörde erklärt hat, dass er der verantwortliche Fahrzeugführer gewesen sei und der Verkehrsverstoß auch im übrigen zugegeben werde, aufdrängen müssen, dass bald ein Bußgeldbescheid der Verwaltungsbehörde gegenüber ihm ergehen würde. Gerade angesichts dessen, dass am […]2024 das zweite gemeinsame Kind zur Welt gekommen und zudem während dieser Zeit viel Verwaltungsaufwand auch wegen eines Rechtsstreits mit dem Bauträger angefallen sein soll, wäre vom Betroffenen, um einer Überforderungssituation seiner Ehefrau vorzubeugen, zu erwarten gewesen, hier entweder unterstützend tätig zu werden oder sich zumindest bei seiner Ehefrau regelmäßig nach einem etwaigen Fortgang des ihm bekannten Bußgeldverfahrens zu erkundigen. Unter Zugrundelegung des Vortrags des Betroffenen, bei seiner Ehefrau erst am 05.08.2024 nachgefragt zu haben, ist dies jedoch über einen Zeitraum von ca. 4 Monaten seit Bekanntwerden des (von ihm eingeräumten) Tatvorwurfs nicht geschehen. Auch nachdem ihm das Schreiben der Fahrerlaubnisbehörde vom 30.04.2024 und der darin ausgesprochenen Verwarnung bei einem Punktestand von 6 Punkten zur Kenntnis gelangte, sah er augenscheinlich weiterhin keinen Anlass, sich nach dem Fortgang des ihm bekannten Bußgeldverfahrens zu erkundigen. Der Vortrag des Betroffenen verhält sich zudem nicht dazu, weshalb er über einen Zeitraum von ca. 16 Wochen seit der Überweisung vom 12.04.2024 nicht in der Lage war, von dieser Buchung Kenntnis zu erhalten. Sollte der Betroffene über diesen Zeitraum die Bewegungen auf seinem Konto nicht kontrolliert haben, kommt auch darin zum Ausdruck wie er seine eigenen Interessen vernachlässigt und seine Rechte in vermeidbarer Weise nicht wahrgenommen hat (in dieser Richtung auch OLG Dresden, Beschl. v. 24.11.2004 - 2 Ws 662/04 -, NStZ 2005, 398).
Nach alledem ist festzustellen, dass der offenbar völlige Mangel eigener Bemühungen, sich um seine Sache zu kümmern, ein eigenes Verschulden an der Versäumung der Einspruchsfrist begründet.
2. Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 62 Abs. 2 Satz 2 OWiG i. V. m. § 473 Abs. 1 Satz 1 StPO.
3. Die Entscheidung ist gemäß § 62 Abs. 2 Satz 3 OWiG unanfechtbar.
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