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Entscheidungen

Haftfragen

Neufassung eines Haftbefehls, unzuständiges Gericht, Wirksamkeit, Rechtsfolgen

Gericht / Entscheidungsdatum: OLG Jena, Beschl. v. 16.08.2024 - 1 Ws 290/24

Eigener Leitsatz:

1. Hat das Gericht bei der Neufassung eines Haftbefehles seine geschäftsplanmäßige Unzuständigkeit übersehen. führt das nicht zur Nichtigkeit des Haftbefehles, macht jedoch eine neue Entscheidung durch das geschäftsplanmäßig zuständige Gericht erforderlich. Eine solche neue Entscheidung liegt nicht in einem Haftfortdauerbeschluss, wenn dieser sich ausdrücklich nur mit der Verfahrensbeschleunigung befasst, jedoch keine eigene Begründung in der Sache enthält und damit den Verfahrensfehler nicht heilen kann.
2. Gleichwohl erfolgt eine Haftvollstreckung ggf. nicht rechtsgrundlos. Denn soweit ein unter Verstoß gegen Art. 101 Abs. 1 S. 2 GG ergangener Beschluss zugleich einen amtsgerichtlichen Haftbefehl aufgehoben hat, schlägt der Verfahrensmangel auch hierauf durch, sodass der amtsgerichtliche Haftbefehl nach wie vor Bestand hat.


OLG Jena

1 Ws 290/24

Beschluss

In dem Strafverfahren
gegen pp.

Verteidiger:

wegen schweren Raubes u.a.

hat der 1. Strafsenat des Thüringer Oberlandesgerichts in Jena durch Richter am Oberlandesgericht Warzecha, Richterin am Amtsgericht und Richter am Oberlandesgericht am 16.08.2024 beschlossen:

1. Die Fortdauer der Untersuchungshaft des Angeklagten wird angeordnet.
2. Eine etwa erforderliche weitere Haftprüfung nach § 122 Abs. 4 StPO findet statt am Freitag, dem 15.11.2024.
3. Bis zum Ablauf der Frist (§ 122 Abs. 4 S. 2 StPO) wird die Prüfung der Haftfortdauer nach § 122 Abs. 3 S. 3 StPO dem nach den allgemeinen Vorschriften dafür zuständigen Gericht übertragen.

Gründe:

Der am 06.01.2024 vorläufig festgenommene Angeklagte befindet sich seit diesem Tage ununterbrochen in Untersuchungshaft; zunächst aufgrund des auf den Haftgrund der Wiederholungsgefahr gestützten Haftbefehles des Amtsgerichtes Greiz vom 06.01.2024, in der Folgezeit aufgrund angepassten bzw. erweiterten und auf den Haftgrund der Verdunkelungs- und subsidiär den der Wiederholungsgefahr gestützten Haftbefehles der 7. Strafkammer des Landgerichtes Gera vom 06.06.2024.
In dem amtsgerichtlichen Haftbefehl wird dem Angeklagten schwerer Raub (§§ 249 Abs. 1, 250 Abs. 1 Nr. 1 a) StGB) vorgeworfen, in dem landgerichtlichen drüber hinaus gefährliche Körperverletzung in Tateinheit mit Bedrohung (§§ 223 Abs. 1, 224 Abs. 1 Nr. 4, 241 Abs. 1, 52 StGB), Dieb-stahl in Tateinheit mit Sachbeschädigung (§§ 242 Abs. 1, 303 Abs. 1, 52 StGB), Körperverletzung in drei Fällen (§§ 223 Abs. 1, 53 StGB), versuchte Nötigung in zwei Fällen (§§ 240 Abs. 1 bis 3, 53 StGB), Beleidigung (§ 185 StGB) und Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte (§ 113 Abs. 1 StGB). Wegen des konkreten Sachverhalts wird auf den amtsgerichtlichen Haftbefehl vom 06.01.2024 sowie den landgerichtlichen Haftbefehl vom 06.06.2024 Bezug genommen.

Die Tatvorwürfe aus dem landgerichtlichen Haftbefehl sind zugleich Gegenstand der beim Land-gericht Gera erhobenen Anklage der Staatsanwaltschaft Gera vom 03.05.2024, die mit Beschluss vom 27.05.2024 unverändert zur Hauptverhandlung zugelassen wurde.

Nachdem die mit 16 Hauptverhandlungstagen anberaumte Hauptverhandlung vor der 7. Straf-kammer des Landgerichtes Gera zunächst am 26.06.2024 und 17.07.2024 durchgeführt wurde, stellte die 7. Strafkammer am 24.07.2024 und damit vor Beginn des dritten Hauptverhandlungstages ihre geschäftsplanmäßige Unzuständigkeit fest, setzte die Hauptverhandlung aus und legte das Verfahren der zuständigen 11. Strafkammer des Landgerichtes Gera vor. Diese hielt in dem dort am 30.07.2024 vorgelegten Verfahren mit Beschluss vom 31.07.2024 die weitere Haftvollziehung für erforderlich und ordnete die Vorlage der Akten an das Thüringer Oberlandesgericht zur Prüfung nach §§ 121, 122 StPO an.

Die Thüringer Generalstaatsanwaltschaft beantragt mit ihrer Aktenvorlage am 05.08.2024 die Anordnung der Haftfortdauer. Der Verteidiger des Angeklagten ist dem am 12.08.2024 entgegen getreten und rügt unter anderem einen Verstoß gegen Art 101 Abs. 1 S. 2 GG.

II.

Der Senat ordnet die Fortdauer der Untersuchungshaft des Angeklagten an, da die Voraussetzungen des § 112 StPO weiterhin vorliegen und besondere Umstände die Aufrechterhaltung der Untersuchungshaft über einen Zeitraum von sechs Monaten hinaus rechtfertigen.

(1). Grundlage der weiteren Vollstreckung der Untersuchungshaft ist der Haftbefehl des Amtsgerichtes Greiz vom 06.01.2024 (25 AR (BD) 5/24); der angepasste Haftbefehl der 7. Strafkammer des Landgerichtes Gera vom 06.06.2024 hat demgegenüber keinen Bestand.


Der Senat geht jedoch davon aus, dass eine Anpassung des Haftbefehles durch die zuständige Strafkammer zeitnah erfolgen wird.

a) Die Prüfung der Haftentscheidung durch den Senat, die zunächst die allgemeinen Haftvoraus-setzungen umfasst (KK-StP0/Gericke, 9. Auflage, § 121, Rn. 25) lässt zwar in dem landgerichtlichen Haftbefehl vom 06.06.2024 einen den Voraussetzungen des § 114 Abs. 2 StPO genügenden Haftbefehl sowie dessen Verkündung nach § 115 StPO erkennen, jedoch verletzt der durch die 7. Strafkammer des Landgerichtes Gera erlassene Haftbefehl die Verfahrensgarantie aus Art. 101 Abs. 1 S. 2 GG.

Zwar führt nicht jede fehlerhafte Anwendung von Zuständigkeitsregeln und damit nicht jeder Zuständigkeitsmangel zu einem Verstoß gegen den Anspruch auf den gesetzlichen Richter (vgl. BGH, Urteil vom 08.12.1992, 1 StR 594/92), jedoch liegt ein solcher Verfassungsverstoß jedenfalls dann vor, wenn die Auslegung einer Zuständigkeitsnorm oder ihre Handhabung im Einzelfall über einen bloßen Irrtum hinaus geht (BGH, Urteil vom 08.12.1992, 1 StR 594/92) und willkürlich oder offensichtlich unhaltbar ist oder wenn die richterliche Entscheidung Bedeutung und Tragweite der Verfassungsgarantie des Art. 101 Abs. 1 S. 2 GG grundlegend verkennt (KG, Beschluss vom 24.04.2015, 4 Ws 34/15). Willkür in diesem Sinne liegt vor, wenn die Entscheidung auf un-sachlichen, sich von den gesetzlichen Maßstäben völlig entfernenden Erwägungen beruht und un-ter keinem Gesichtspunkt mehr vertretbar erscheint (OLG Düsseldorf, Beschluss vom 11.01.1995, 2 Ss 434/94-109/94 II; KG, Beschluss vom 24.04.2015, 4 Ws 34/15). Maßstab hierfür sind nicht subjektive Beweggründe des Handelnden, sondern allein objektive Kriterien (KG, Beschluss vom 24.04.2015, 4 Ws 34/15; BayObLG, Beschluss vom 12.02.1980, 3 Ob OWi 5/80).

Vorliegend hat die 7. Strafkammer bei der Neufassung des Haftbefehles ihre geschäftsplanmäßige Unzuständigkeit ersichtlich übersehen. Aufgrund der klaren Regelungen im landgerichtlichen Geschäftsverteilungsplan ist damit ausgeschlossen, dass die 7. Strafkammer ihre Zuständigkeit aufgrund einer noch vertretbaren Rechtsauffassung angenommen hat; die Nichtbeachtung des Geschäftsverteilungsplanes infolge Versehens stellt einen objektiv willkürlichen Entzug des gesetzlichen Richters dar (BayObLG, Beschluss vom 12.02.1980, 3 Ob OWi 5/80; OLG Düsseldorf, Beschluss vom 10.05.2000, 1 Ws 305/00).

b) Dieser Verfahrensmangel führt hingegen nicht zur Nichtigkeit des Haftbefehles, macht jedoch eine neue Entscheidung durch die geschäftsplanmäßig zuständige Strafkammer erforderlich.

Eine solche neue Entscheidung liegt nicht in dem Haftfortdauerbeschluss vom 31.07.2024, da dieser sich ausdrücklich nur mit der Verfahrensbeschleunigung befasst, jedoch keine eigene Be-gründung in der Sache enthält und damit den Verfahrensfehler nicht heilen konnte (vgl. OLG Düsseldorf, Beschluss vom 10.05.2000, 1 Ws 305/00).

c) Gleichwohl erfolgt die derzeitige Haftvollstreckung gegen den Angeklagten nicht rechtsgrund-los. Denn soweit der unter Verstoß gegen Art. 101 Abs. 1 S. 2 GG ergangene Beschluss der 7. Strafkammer in Ziffer 2. des Tenors zugleich den amtsgerichtlichen Haftbefehl vom 06.01.2024 aufhebt, schlägt der Verfahrensmangel auch hierauf durch, sodass der amtsgerichtliche Haftbefehl nach wie vor Bestand hat. Dieser stellt daher die alleinige Prüfungsgrundlage für den Senat dar (vgl. auch OLG Hamm, Beschluss vom 22.01.1998, 2 BL 2/98).

(2) Der Angeklagte ist der im Haftbefehl des Amtsgerichtes Greiz vom 06.01.2024 bezeichneten Tat weiterhin dringend verdächtig. Der dringende Tatverdacht ergibt sich insbesondere aus den in der Anklage der Staatsanwaltschaft Gera vom 03.05.2024 genannten Beweismitteln, wie sie auch im wesentlichen Ergebnis der Ermittlungen wiedergegeben sind. Ergänzend wird auf den in diesem Verfahren ergangenen Beschluss des Senates vom 15.04.2024 (1 Ws 115/24) Bezug genommen.

(3) Ferner ist nach wie vor der Haftgrund des § 112a Abs. 1 Nr. 2 StPO gegeben. Insofern wird ebenfalls auf den in diesem Verfahren ergangenen Beschluss des Senates Beschluss des Senates vom 15.04.2024 (1 Ws 115/24) Bezug genommen.

Der weitere Haftgrund der Verdunkelungsgefahr durfte dagegen durch den Senat nicht geprüft werden, da dieser sich ausschließlich in dem Haftbefehl der 7. Strafkammer findet, nicht jedoch in demjenigen des Amtsgerichtes Greiz, der hier als alleinige Grundlage der Haftvollstreckung in Betracht kommt. Eine etwaige Erweiterung des Haftbefehles durch den Senat ist im Verfahren nach §§ 121, 122 StPO nicht statthaft (KK-StP0/Gericke, 9. Auflage, § 121, Rn. 24a).

(4) Der weitere Haftvollzug ist auch im Hinblick auf die Bedeutung der Sache und die zu erwartenden Strafe oder Maßregel der Besserung und Sicherung nicht unverhältnismäßig (§ 112 Abs. 1 Satz 1 StPO). Insbesondere angesichts der in Rede stehenden Tat und vor dem Hintergrund der bisherigen (teilweise einschlägigen) Vorstrafen wird die zu erwartende Strafe im Falle einer Verurteilung die bisherige Dauer des Haftvollzuges bei Weitem übersteigen.

Weniger einschneidende Maßnahmen nach § 116 Abs. 3 StPO begründen derzeit nicht hinreichend die Erwartung, dass der Zweck der Haft auch durch diese erreicht werden kann.

(5) Schließlich wurde das Verfahren bislang auch in der für Haftsachen erforderlichen Weise gefördert. Die besondere Schwierigkeit oder der besondere Umfang der Ermittlungen oder ein anderer wichtiger Grund haben ein Urteil noch nicht zugelassen und rechtfertigen die Fortdauer der Haft, § 121 Abs. 1 StPO.

Wegen der einzelnen Ermittlungshandlungen und des Verlaufs des Verfahrens wird zunächst auf die Ausführungen der Thüringer Generalstaatsanwaltschaft in der Stellungnahme vom 05.08.2024 verwiesen. Danach ist weder das staatsanwaltschaftliche Ermittlungsverfahren bis zur Anklageerhebung noch die bisherige Verfahrensdurchführung am Landgericht im Hinblick auf die Wahrung des Beschleunigungsgrundsatzes zu beanstanden. Insbesondere haben auch die weiteren Tatvorwürfe, die zwar Gegenstand der Anklage vom 03.05.2024, nicht jedoch des Haftbefehles vom 06.01.2024 sind, zu keiner Verfahrensverzögerung geführt.

Soweit die Hauptverhandlung durch die 7. Strafkammer ausgesetzt und das Verfahren an die 11. Strafkammer des Landgerichtes abgegeben worden war, rechtfertigt auch dies keine unvermeidbare Verfahrensverzögerung. Ausweislich des Vermerkes des Vorsitzenden der 7. Strafkammer vom 24.07.2024 (BI. 665 d.A.) wurde erst nach Beginn der Hauptverhandlung eine Fehleintragung von (wohl mehreren) Verfahren in der beim Landgericht geführten Turnusliste bekannt, die für die Zuordnung einzelner Verfahren zu bestimmten Strafkammern maßgeblich ist. Die unverzüglich eingeleitete Korrektur und Neuregistrierung führte zur Vorlage des Verfahrens an die geschäftsplanmäßig zuständige 11. Strafkammer noch innerhalb der Frist des § 121 Abs. 1 StPO. Dabei ist zu berücksichtigen, dass die Frist des § 121 Abs. 1 StPO während der Dauer der bisherigen Hauptverhandlung vor der (unzuständigen) 7. Strafkammer bis zu deren Aussetzung ruhte (vgl. BGH, Beschluss vom 21.05.1986, AK 8/86). Seitens der Vorsitzenden der 11. Strafkammer sind unmittelbar nach Aktenvorlage neue Hauptverhandlungstermine unter Heranziehung der bereits zuvor durch die 7. Strafkammer mit den Beteiligten abgestimmten Ter-min geprüft und den Verfahrensbeteiligten mitgeteilt worden, welche Termine bestehen bleiben können, sodass nach wie vor von einem zügigen Fortgang des Verfahrens — nach dem Be-schluss der 11. Strafkammer vom 31.07.2024 ab dem 25.09.2024 — und dessen zeitnahem Ab-schluss ausgegangen werden kann.

(6) Die Übertragung der weiteren Haftprüfung auf das Landgericht beruht auf § 122 Abs. 3 S. 3 StPO; die Frist für eine etwa erforderlich werdende erneute Haftprüfung durch den Senat bemisst sich nach § 122 Abs. 4 S. 2 in Verbindung mit § 121 Abs. 3 StPO.


Einsender: RA J. Stiehler, Halle

Anmerkung:


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