Gericht / Entscheidungsdatum: OLG Bamberg, Beschl. v. 05.09.2024 - 1 Ws 187/24
Leitsatz des Gerichts:
Die Bestellung eines Pflichtverteidigers umfasst auch die Vertretung des Angeklagten im Adhäsionsverfahren.
In pp.
I. Die sofortige Beschwerde der Staatskasse gegen den Beschluss der 1. Strafkam-mer des Landgerichts Würzburg vom 29.12.2023 wird als unbegründet verworfen.
II. Die Entscheidung ergeht gerichtsgebührenfrei; Kosten werden nicht erstattet.
Gründe
I.
Die 1. Strafkammer des Landgerichts Würzburg ordnete dem Angeklagten im Rah-men der Hauptverhandlung vom 12.09.2023 Rechtsanwalt X als Pflichtverteidiger gemäß § 140 Abs. 1 Nr. 1 und 2 StGB bei.
Mit Schriftsatz ihres bevollmächtigten Rechtsanwalts vom 11.09.2023 beantragte die Neben-klägerin und Geschädigte, den Angeklagten zur Zahlung eines Schmerzens-gelds […] zu verurteilen.
Mit Urteil und Anerkenntnisurteil vom 18.09.2023 wurde der Angeklagte zu einer Freiheitsstrafe […] verurteilt. Er wurde darüber hinaus verurteilt, an die Neben- und Adhäsionsklägerin ein Schmerzensgeld in Höhe von […] zuzüglich Zinsen hieraus zu zahlen. Das Urteil ist seit dem 30.11.2023 rechtskräftig. Ausweislich des Urteils hat der Angeklagte den im Adhäsionswege geltend gemachten Schmerzensgeldan-spruch der Geschädigten […] vollständig anerkannt […].
Mit Schriftsatz vom 27.09.2023 beantragte der Pflichtverteidiger des Angeklagten seine Gebühren und Auslagen nebst Umsatzsteuer […] festzusetzen. Nach Hinweis des Landgerichts vom 14.11.2023 korrigierte der Verteidiger mit Schriftsatz vom 16.11.2023 seine Kostenrechnung, beantragte aber nach wie vor, die Gebühren nach Nr. 4143 VV RVG sowie nach Nr. 1003 VV RVG festzusetzen.
Mit Beschluss vom 05.12.2023 setzte die Rechtspflegerin des Landgerichts die zu erstatten-den Gebühren und Auslagen des Pflichtverteidigers auf […] fest. Die Fest-setzung von Gebühren für die Vertretung im Adhäsionsverfahren wurde abgelehnt.
Gegen den Kostenfestsetzungsbeschluss legte der Verteidiger mit Schriftsatz vom 12.12.2023, eingegangen beim Landgericht am selben Tag, sofortige Beschwerde ein.
Mit Beschluss vom 19.12.2023 half die Rechtspflegerin beim Landgericht der (als solchen ausgelegten) Erinnerung nicht ab.
Mit Beschluss vom 29.12.2023 änderte das Landgericht auf die Erinnerung vom 12.12.2023 den Kostenfestsetzungsbeschluss vom 05.12.2023 dahingehend ab, dass die dem Pflichtverteidiger aus der Staatskasse zu zahlenden Gebühren und Auslagen auf […] festgesetzt wurden. Die Strafkammer schloss sich der Auffassung an, dass die Bestellung eines Pflichtverteidigers die Vertretung im Adhäsionsverfah-ren umfasse.
Gegen diesen ihr am 24.01.2024 zugestellten Beschluss legte die Bezirksrevisorin mit Schreiben vom 25.01.2024, eingegangen beim Landgericht am 26.01.2024, Be-schwerde ein und begründete diesen mit Schreiben vom 22.02.2024. Sie vertritt die Auffassung, dass eine Beiordnung als Pflichtverteidiger sich nicht auf das Adhäsi-onsverfahren erstrecke. Hinsichtlich der Einzelheiten wird auf das genannte Schrei-ben Bezug genommen.
Das Landgericht hat mit Beschluss vom 28.02.2024 der Beschwerde nicht abgehol-fen.
II.
Die nach § 56 Abs. 2 Satz 1 i.V.m. § 33 Abs. 3 RVG statthafte und auch im Übrigen zulässige Beschwerde der Staatskasse ist nicht begründet.
Das Landgericht hat die Gebühren des Pflichtverteidigers zutreffend festgesetzt. […].
Die Beiordnung des Pflichtverteidigers gemäß § 140 Abs. 1 StPO erstreckt sich auch auf die Vertretung des Angeklagten im Adhäsionsverfahren. An seiner früheren ent-gegenstehenden Rechtsauffassung (OLG Bamberg, Beschl. v. 22.10.2008 - 1 Ws 576/08 bei juris = BeckRS 2008, 24774 = OLGSt StPO § 140 Nr. 25 = NStZ-RR 2009, 114) hält der Senat im Hinblick auf die Umsetzung der Richtlinie 2016/1919 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26.10.2016 über Prozesskostenhilfe für Verdächtige und beschuldigte Personen in Strafverfahren sowie die Ent-scheidung des Bundesgerichtshofs vom 27.07.2021 (BGH, Beschl. v. 27.07.2021 - 6 StR 307/21 bei juris = NJW 2021, 2901 = StraFo 2021, 473 = StV-S 2021, 155 = ZfSch 2021, 703 = JurBüro 2021, 603) nicht mehr fest (vgl. hierzu auch OLG Dres-den, Be-schl. v. 21.12.2023 - 2 Ws 298/23; OLG Brandenburg, Beschl. v. 24.01.2022 - 1 Ws 108/21 jew. bei juris).
Der Bundesgerichtshof hat in seinem Urteil vom 27.07.2021 u.a. folgendes ausgeführt:
„Die Frage, ob bei bereits bestehender Pflichtverteidigung Prozesskostenhilfe für das Adhäsionsverfahren gewährt und der Verteidiger insoweit beigeordnet wird, ist um-stritten. Während einerseits angenommen wird, die Pflichtverteidigung umfasse auch die Vertretung im Adhäsionsverfahren (vgl. OLG Rostock Beschl. v. 15.6.2011 – I Ws 166/11, BeckRS 2011, 18598; OLG Köln Beschl. v. 29.6.2005 – 2 Ws 254/05, BeckRS 2005, 7953; OLG Hamm Beschl. v. 31.5.2001 – 2 [s] Sbd. 6-87/01, BeckRS 2001, 5826; OLG Schleswig NStZ 1998, 101; Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 64. Aufl., § 143 Rn. 1; KK-StPO/Willnow, 8. Aufl., § 140 Rn. 4; SK-StPO/Velten, 5. Aufl., § 404 Rn. 21; Burhoff/Volpert, RVG Straf- und Bußgeldsachen, 6. Aufl., Nr. 4143 VV Rn. 21; HK-RVG/Kroiß, 8. Aufl., Nr. 4141 VV RVG Rn. 22; Gerold/Schmidt, RVG, 24. Aufl., Nr. 4143 VV RVG, 4144 Rn. 5, jew. mwN), wird andererseits eine gesonderte Bei-ordnung für erforderlich gehalten (vgl. OLG Dresden Beschl. v. 27.3.2013 – 3 Ws 2/13, BeckRS 2013, 22042; KG Beschl. v. 24.6.2010 – 1 Ws 22/09, BeckRS 2011, 2650; OLG Bam-berg BeckRS 2008, 24774 = NStZ-RR 2009, 114 Ls.; MüKoStPO/Grau, 2019, § 404 Rn. 8; v. Heintschel-Heinegg/Bockemühl in Klein-knecht/Müller/Reitberger, StPO, 2020, § 404 Rn. 29; Schöch in Satz-ger/Schluckebier/Widmaier, StPO, 4. Aufl., § 404 Rn. 19; Schnei-der/Volpert/Fölsch, Gesamtes Kostenrecht, 2. Aufl., VV RVG Nr. 4141 – 4147 Rn. 41, jew. mwN). Der BGH hat die Frage – soweit ersichtlich – bislang nicht entschieden (vgl. BGH Beschl. v. 17.12.2013 – 2 StR 351/13, BeckRS 2014, 1647).
Der Senat vertritt die Auffassung, dass die Bestellung eines Pflichtverteidigers auch die Vertretung im Adhäsionsverfahren umfasst.
Ist die Mitwirkung eines Verteidigers notwendig iSv § 140 StPO, so erstreckt sich diese Notwendigkeit auf das gesamte Verfahren (§ 143 I StPO), mithin auch auf die Verteidigung gegen Adhäsionsanträge (KK-StPO/Willnow, § 140 Rn. 4).
Dies ergibt sich bereits aus der engen tatsächlichen und rechtlichen – in der Regel untrennbaren – Verbindung zwischen der Verteidigung gegen den Tatvorwurf und der Abwehr des aus der Straftat erwachsenen vermögensrechtlichen Anspruchs des Verletzten iSv § 403 StPO (vgl. BGH NJW 2001, 2486 = BGHR StPO § 397a Abs. 1 Beistand 4). Die sich aus der straf-prozessualen Verknüpfung von Tat und Anspruch resultierende Effizienz ist gerade Zweck des Adhäsionsverfahrens (vgl. OLG Hamm Beschl. v. 31.5.2001 – 2 [s] Sbd. 6 – 87/01, BeckRS 2001, 5826). Auch der Gesetz-geber ist mit der Regelung der Nr. 4143 VV-RVG davon ausgegangen, dass die das Adhäsionsverfahren betreffende Gebühr ohne Weiteres dem „Pflichtverteidiger“ zu-steht (vgl. BT-Drs. 15/1971, 228; s. außerdem Burhoff/Volpert, Nr. 4143 VV Rn. 21).
Die in zeitlicher und sachlicher Hinsicht umfassende Wirkung der Bestellung eines Pflichtverteidigers ist überdies der durch das Gesetz zur Neuregelung des Rechts der notwendigen Verteidigung vom 10.12.2019 (BGBl. 2019 I 2128) neugefassten Vorschrift des § 143 Abs. 1 StPO zu entnehmen. Denn der Gesetzgeber hat die Richtlinie 2016/1919 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26.10.2016 über Prozesskostenhilfe für Verdächtige und be-schuldigte Personen in Strafverfah-ren (ABl. L 297, 1 – „PKH-Richtlinie“) unter Beibehaltung des Systems der notwendi-gen Verteidigung in nationales Recht umgesetzt (vgl. BT-Drs. 19/13829, 2). Er hat eine Entscheidung gegen die „antragsbasierte Prozesskostenhilfe für Be-schuldigte anstelle oder neben der notwendigen Verteidigung“ getroffen (vgl. BT-Drs. 19/13829, 4, 27), weil es „keine Vorteile mit sich bringen würde“. Daraus wird deutlich, dass es nach dem Willen des Gesetzgebers im Strafverfahren kein Nebeneinander von Pro-zesskostenhilfe und notwendiger Verteidigung geben soll.
Die Vorschrift des § 404 Abs. 5 StPO, die die Beiordnung eines Rechtsanwalts für den Angeschuldigten im Adhäsionsverfahren zulässt, gebietet keine andere Wertung, denn sie bleibt zumindest für die Fälle, in denen die Voraussetzungen des § 140 StPO nicht vorliegen, von Bedeutung.“
Diesen Ausführungen schließt sich der Senat vollumfänglich an.
Die Beschwerde war daher zu verwerfen.
III.
Eine Kostenentscheidung ist nicht veranlasst. Das Verfahren ergeht gerichtsgebüh-renfrei; Kosten werden nicht erstattet, § 56 Abs. 2 Satz 2 und 3 RVG.
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Anmerkung:
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