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Entscheidungen

StPO

Pflichtverteidiger, rückwirkende Bestellung, Zulässigkeit

Gericht / Entscheidungsdatum: LG Krefeld, Beschl. v. 09.10.2024 - 21 Qs-12 Js 830/24-97/24

Eigener Leitsatz:

Es ist daran festzuhalten, dass eine rückwirkende Bestellung eines Pflichtverteidigers nicht zulässig ist.


21 Qs-12 Js 830/24-97/24

Landgericht Krefeld

Beschluss

In dem Beschwerdeverfahren
gegen pp.

Verteidiger:

hat die 1. Strafkammer des Landgerichts Krefeld durch die Vorsitzende Richterin am Landgericht, die Richterin am Landgericht und die Richterin am Landgericht am 09.10.2024 beschlossen:

Die Gehörsrüge des Beschwerdeführers vom 29.08.2024 gegen den Beschluss der Kammer vom 13.08.2024 wird auf seine Kosten als unbegründet zurückgewiesen.

Gründe:

Der Beschwerdeführer wendet sich nunmehr im Wege der Gehörsrüge gegen die Zurückweisung der nachträglichen Anordnung einer Pflichtverteidigerbeiordnung.

Mit Beschluss vom 08.07.2024 hat das Amtsgericht Krefeld (Az. 23 Gs 818/24) den Antrag auf Beiordnung eines Pflichtverteidigers zurückgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, weder die Voraussetzungen des § 140 Abs. 1 Nr. 1-11 StPO noch des § 140 Abs. 2 StPO lägen vor und zudem sei das Verfahren bereits eingestellt.

Mit Beschluss vom 13.08.2024 hat die Kammer die sofortige Beschwerde des Beschwerdeführers gegen den Beschluss des Amtsgerichts Krefeld vom 08.07.2024 auf dessen Kosten verworfen. In der Begründung wurde Bezug genommen auf die ständige Rechtsprechung der Kammer, wonach eine nachträgliche, rückwirkende Bestellung grundsätzlich unzulässig und unwirksam ist.

Mit Schriftsatz vom 29.08.2024 hat der Verteidiger des Beschwerdeführers gegen den Beschluss vom 13.08.2024 Anhörungsrüge gemäß § 33a StPO erhoben und Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gestellt. Zur Begründung hat er ausgeführt, Art. 103 Abs. 1 GG sei verletzt und der Beschwerdeführer werde in seinem Recht auf ein faires Verfahren verletzt. Sein Vorbringen sei in einer Weise ignoriert worden, als habe er es gar nicht vorgebracht. Es sei nicht nachvollziehbar, welche Begründung des Amtsgerichts sich das Landgericht zu eigen gemacht habe. Zudem habe das Landgericht verkannt, dass die Beiordnung eines Pflichtverteidigers im Interesse der Rechtspflege gemäß § 140 Abs. 2 StPO gewesen sei aufgrund der paranoid-schizophrenen Erkrankung des Beschwerdeführers. Bei Antragstellung hätten auch die Voraussetzungen des Art. 4 PKH Richtlinie 2016/1919 vorgelegen. Das Interesse der Rechtspflege bestehe in der Durchführung eines rechtsstaatlichen Strafverfahrens und der Einhaltung der Verfahrensrechte und —grundsätze, nicht in einer möglichst schnellen und kostengünstigen Beendigung der einzelnen Verfahren. Das Gericht habe auch keine Befugnis, das Interesse der Rechtspflege an einem rechtsstaatskonformen Verfahren durch reine Untätigkeit ins Leere laufen zu lassen. Ein Interesse der Rechtspflege könne im Falle einer rechtzeitigen Antragstellung und des Vorliegens der Beiordnungsvoraussetzungen des § 140 StPO nicht verneint werden. Die PKH-Richtlinie berücksichtige zudem sehr wohl das Kosteninteresse der Verteidigung. Bereits nach dem Zweck der Pflichtverteidigung müsse die Vergütung eine Rolle spielen. Die Mitwirkung des Verteidigers diene nicht lediglich den Verteidigungsbelangen des Beschuldigten im Einzelfall oder gar nur dem anwaltlichen Gebühreninteresse, sondern solle außerdem ein faires Verfahren sichern. Eine effektive Verteidigung sei nur bei ausreichender Vergütung des Pflichtverteidigers für seine Mitwirkung am Verfahren möglich., Der Gefahr eines verkürzten Rechtsschutzes könne wirksam nur durch die Zulassung einer rückwirkenden Bestellung begegnet werden. Schließlich stelle die Pflichtverteidigung eine staatliche Fürsorge für den vermögenslosen Beschuldigten dar.

Der zulässige Antrag des Beschwerdeführers auf Nachholung des rechtlichen Gehörs bleibt in der Sache ohne Erfolg.

1. Die Gehörsrüge vom 29.08.2024 nach § 33a StPO gegen den Beschluss der Kammer vom 13.08.2024 ist statthaft und legt in ihrer Begründung dar, woraus sich nach der Ansicht des Beschwerdeführers ein Verstoß gegen Art. 103 Abs. 1 GG ergeben soll, so dass sich die Gehörsrüge als zulässig erweist. Ein Rechtsmittel gegen den Beschluss der Kammer vom 13.08.2024 war dem Beschwerdeführer nicht gegeben, weil eine weitere Beschwerde durch § 310 Abs. 2 StPO ausgeschlossen ist.

2. In der Sache ist sie jedoch nicht begründet, da mit dem Beschluss der Kammer vom 13.08.2024 nicht der Anspruch des Beschwerdeführers auf rechtliches Gehör in entscheidungserheblicher Weise verletzt wurde.

a) Der Anspruch auf Gewährung rechtlichen Gehörs aus Art. 103 Abs. 1 GG ist eine Folgerung aus dem Rechtsstaatsgedanken für das Gebiet des gerichtlichen Verfahrens. Eine Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör kommt in Betracht, wenn sich die Beteiligten eines gerichtlichen Verfahrens zu Tatsachen und Beweismitteln nicht haben äußern können und wenn die tatsächlichen Grundlagen der durch das Gericht zu treffenden Entscheidung den Beteiligten nicht bekannt sind. Dagegen folgt nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts aus Art. 103 Abs. 1 GG keine umfassende Frage-, Aufklärungs- und Informationspflicht des Gerichts, insbesondere nicht im Blick auf dessen Rechtsansichten. Es besteht auch grundsätzlich keine Pflicht, dass das Gericht vor der Entscheidung auf seine Rechtsauffassung hinweist. Auch wenn die Rechtslage umstritten oder problematisch ist, muss daher ein Verfahrensbeteiligter grundsätzlich alle vertretbaren rechtlichen Gesichtspunkte von sich aus in Betracht ziehen und seinen Vortrag darauf einstellen, ohne dass es unter dem Aspekt des rechtlichen Gehörs eines Hinweises des Gerichts bedarf. Der Anspruch auf rechtliches Gehör verpflichtet das Gericht, die Ausführungen der Beteiligten zur Kenntnis zu nehmen und in Erwägung zu ziehen. Das Gericht ist aber nicht verpflichtet, sich mit jedem Vorbringen in den Entscheidungsgründen ausdrücklich zu befassen, namentlich nicht bei letztinstanzlichen, mit ordentlichen Rechtsmitteln nicht mehr angreifbaren Entscheidungen. Auch wenn das Gericht auf Tatsachenvortrag in den Entscheidungsgründen nicht eingeht, lässt dies nicht auf die Nichtberücksichtigung des Vortrags schließen, wenn das Vorbringen nach dem Rechtsstandpunkt des Gerichts unerheblich oder offensichtlich unsubstantiiert war. Folgt das Gericht in der Sache dem Vorbringen eines Beteiligten nicht, so ist dies für sich genommen keine Frage einer Gehörsrüge, die statt der Korrektur beliebiger Rechtsfehler lediglich der Heilung einer unterbliebenen Gewährung rechtlichen Gehörs dienen soll. sondern eine Frage der Anfechtung der getroffenen Entscheidung, die zulässig nur in dem Umfang ist, wie das Gesetz ein Rechtsmittel vorsieht (vgl. OLG Bremen Beschl. v. 26.10.2017 —1 Ws 120/17, BeckRS 2017, 134934 m.w.N.).

b) Schließlich muss die Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör auch entscheidungserheblich gewesen sein. Hätte insbesondere der Betroffene nichts anderes vortragen, sich also nicht anders verteidigen können, als er tatsächlich bereits vorgetragen hat, oder ist es sonst ausgeschlossen, dass das Gericht bei ordnungsgemäßer Anhörung anders entschieden hätte, ist der Gehörsverstoß nicht entscheidungserheblich (vgl. BVerfG, Beschluss vom 26.05.2014 — 2 BA 683/12, juris Rn. 15).

Sind die vorstehenden Voraussetzungen nicht erfüllt, ist ein zulässiger Antrag auf nachträgliche Anhörung als Nachholungsverfahren gemäß § 33a StPO als unbegründet zurückzuweisen.

3. Nach diesen Maßstäben ist im vorliegenden Fall mit dem Beschluss der Kammer vom 13.08.2024 der Anspruch des Beschwerdeführers auf rechtliches Gehör nicht in entscheidungserheblicher Weise verletzt worden.

a) In der sofortigen Beschwerde vom 23.07.2024 hat der Beschwerdeführer vorgetragen, aufgrund der Erkrankung lägen die Beiordnungsvoraussetzungen vor; auch seien die Voraussetzungen für eine rückwirkende Beiordnung erfüllt und die Beschlussfassung sei aufgrund justizinterner Vorgänge wesentlich verzögert worden. Der Beschwerdeführer stützt die Gehörsrüge darauf, dass sein Vorbringen in einer Weise ignoriert worden sei, als habe er es gar nicht vorgebracht. Sowohl aus der Entscheidung des Amtsgerichts als auch der des Landgerichts ergäben sich nicht einmal die inhaltliche Kenntnisnahme der Beiordnungsvoraussetzungen. Schließlich habe das Landgericht verkannt, dass die Beiordnung im Interesse der Rechtspflege gewesen sei.

b) Zunächst wird darauf hingewiesen, dass sich die Kammer nicht lediglich den Erwägungen des angefochtenen Beschlusses angeschlossen hat. In dem Beschluss vom 13.08.2024 wird vielmehr unter Begründung ausgeführt, dass aufgrund der Einstellung des Verfahrens das Vorliegen der Beiordnungsvoraussetzungen offen bleiben kann und dass es ständiger Kammerrechtsprechung entspricht, dass eine nachträgliche, rückwirkende Bestellung unzulässig und unwirksam ist und dass dies auch gilt, wenn rechtzeitig Bestellung beantragt wurde.

c) Auch das Vorbringen des Beschwerdeführers mit der Gehörsrüge gibt der Kammer keinen Anlass zu einer Änderung der hiesigen ständigen Rechtsprechung in den Fällen der nachträglichen Pflichtverteidigerbestellung, auf welche in dem angefochtenen Beschluss verwiesen wurde.

Die rückwirkende Bestellung eines Pflichtverteidigers kommt nach Ansicht der Kammer bereits generell nicht in Betracht, so dass auch — wie bereits dargelegt -dahinstehen kann, ob ein Fall der notwendigen Verteidigung vorgelegen hat. Eine nachträgliche, rückwirkende Bestellung (für den Zeitraum ab Antragstellung) für ein abgeschlossenes Verfahren oder einen abgeschlossenen Instanzenzug ist nach Ansicht der Kammer — auch unter Berücksichtigung der Ausführungen in der Gehörsrüge - grundsätzlich unzulässig und zwar auch dann, wenn der Beiordnungsantrag rechtzeitig gestellt wurde und in der Sache hätte Erfolg haben können.

aa) Die Kammer hält an ihrer bisherigen Rechtsprechung fest, wonach eine nachträgliche, rückwirkende Bestellung (für den Zeitraum ab Antragstellung) für ein abgeschlossenes Verfahren oder einen abgeschlossenen Instanzenzug unzulässig ist, was auch dann gilt, wenn der Beiordnungsantrag rechtzeitig gestellt wurde und in der Sache hätte Erfolg haben können.. Wie bereits in dem angefochtenen Beschluss ausgeführt, ist die Kammer der Ansicht, dass die Bestellung des Pflichtverteidigers nicht dem Kosteninteresse des Betroffenen oder seines Verteidigers dient, sondern allein den Zweck verfolgt, im öffentlichen Interesse dafür zu sorgen, dass ein Betroffener in schwerwiegenden Fällen rechtskundigen Beistand erhält und der ordnungsgemäße Verfahrensablauf gewährleistet ist.

bb) Bis zum Inkrafttreten des Gesetzes zur Neuregelung der notwendigen Verteidigung vom 10.12.2019 in Umsetzung der RL 2016/1919/EU („PKI-I-Richtlinie") wurde in der Rspr. des BGH eine nach Verfahrensabschluss beantragte Beiordnung. zum Pflichtverteidiger abgelehnt hat. Hiernach war die rückwirkende Bestellung eines Verteidigers schlechthin unzulässig und unwirksam. Nach dem BGH erfolge die Beiordnung im Strafprozess nicht im Kosteninteresse des Angeklagten, sondern diene allein dem Zweck, die ordnungsgemäße Verteidigung in einem noch ausstehenden Verfahren zu gewährleisten (vgl. BGH Urt. v. 20.7.2009 - 1 StR 344/08, BeckRS 2009, 24464 Rn. 4, beck-online). Dies wurde auch dann angenommen, wenn der Antrag rechtzeitig gestellt, aber versehentlich nicht über ihn entschieden worden war. Begründet wurde dies primär damit, dass bei den §§ 140 f. StPO die „Sicherung einer ordnungsgemäßen Verteidigung im Vordergrund steht", die Vorschriften aber nicht in eine „Sozialregelung für mittellose Beschuldigte" verkehrt werden dürften (vgl. Schmitt in: Meyer-Goßner, § 142 StPO Rn. 19 m.w.N.).

cc) Allerdings lehnt auch nach Inkrafttreten des Gesetzes zur Neuregelung der notwendigen Verteidigung vom 10.12.2019 der überwiegende Teil in der obergerichtlichen Rechtsprechung die rückwirkende Bestellung eines Pflichtverteidigers weiterhin ab. Hierbei wird davon ausgegangen, dass dies ausschließlich dem Zweck dient, dem Verteidiger für einen bereits abgeschlossenen Verfahrensabschnitt einen Vergütungsanspruch gegen die Staatskasse zu verschaffen, aber nicht der Gewährleistung der notwendigen ordnungsgemäßen Verteidigung (vgl. OLG Braunschweig Beschl. v. 2.3.2021 - 1 Ws 12/21, BeckRS 2021, 3268; OLG Bremen, Beschl. v. 23.9.2020 - 1 Ws 120/20 - NStZ 2021, 253; OLG Hamburg Beschl. v. 16.9.2020 -2 Ws 112/20, BeckRS 2020, 27077).
Hierzu führt etwa das OLG Hamburg aus, dass nach Art. 4 der PKH-Richtlinie EU 2016/1919 vom 26. Oktober 2016 der „Anspruch auf Prozesskostenhilfe" nur dann besteht, „wenn es im Interesse der Rechtspflege erforderlich ist", mithin für das weitere Verfahren von Bedeutung ist. Keineswegs sieht die Richtlinie vor, den Beschuldigten nachträglich in jedweder Phase des Verfahrens von den Kosten der Verteidigung frei zu halten, gar nach rechtskräftig erfolgter kostenpflichtiger Verurteilung noch eine Beiordnung eines Verteidigers vorzunehmen. Ferner beabsichtigte der Gesetzgeber in Umsetzung der Richtlinie gerade keinen Systemwechsel in der Frage der Pflichtverteidigerbestellung im Sinne der Anknüpfung an eine Bedürftigkeitsprüfung statt wie bisher allein an die Prüfung des Rechtspflegeinteresses (BT-Drucksache 19/13829 S. 22). Hierbei ging der Gesetzgeber davon aus, dass. die PKH-Richtlinie der Beibehaltung des deutschen Systems der notwendigen Verteidigung nicht entgegensteht. Nach Art. 4 Abs. 2 der PKH-Richtlinie steht es den Mitgliedsstaaten nämlich frei, ob sie eine Bedürftigkeitsprüfung, eine Prüfung der materiellen Kriterien (vor allem Schwere der Straftat, Schwierigkeit der Rechtslage, Straferwartung, vgl. Art. 4 Abs. 4 PKH-Richtlinie) oder beides vornehmen (vgl. OLG Hamburg Beschl. v. 16.9:2020 - 2 Ws 112/20, BeckRS 2020, 27077). Eine derartige Änderung war auch vom Gesetzgeber bei der Umsetzung der Richtlinie nicht gewollt (vgl. BT-Drs. 19/13829, 2, 21 f.). Es war insbesondere nicht das Ziel der Richtlinie, den Vergütungsanspruch des Verteidigers zu sichern (vgl. LG Oldenburg, Beschl. v. 7.3.2022 - 4 Qs 76/22 - NStZ 2023, 127). Nach Art. 4 Abs. 1 der PKH-Richtlinie ist zwar vorgesehen, dass Mitgliedsstaaten beschuldigten Personen, die nicht über ausreichende Mittel zur Bezahlung eines Rechtsbeistands verfügen, Anspruch auf Prozesskostenhilfe zu gewähren, wenn dies im Interesse der Rechtspflege erforderlich ist. Es ist aber nicht vorgesehen, den Beschuldigten nachträglich von Kosten freizustellen oder ihm nach Beendigung eines Verfahrens einen Pflichtverteidiger beizuordnen (vgl. LG Oldenburg Beschl. v. 6.12.2022 - 3 Qs 409/22, BeckRS 2022, 37864 Rn. 6, beck-online). Keineswegs sieht die Richtlinie vor, den Beschuldigten nachträglich in jedweder Phase des Verfahrens von den Kosten der Verteidigung freizuhalten (vgl. OLG Brandenburg Beschl. v. 23.3.2022 - 1 Ws 28/22, BeckRS 2022, 8770).

dd) Die Kammer teilt die Einschätzung, dass es zur rückwirkenden Bestellung eines Pflichtverteidigers auch nach Umsetzung der PKH-Richtlinie keinen Anlass gibt.

Die rückwirkende Beiordnung nach Verfahrensabschluss ist vielmehr auf etwas Unmögliches
gerichtet. Durch sie kann zudem die notwendige Verteidigung eines Angeklagten für die Vergangenheit nicht mehr gewährleistet werden (vgl. auch OLG Brandenburg Beschl. v. 9.3.2020 - 1 Ws 19/20). Hierdurch würde Sinn und Zweck der notwendigen Verteidigung widersprochen, die in der Sicherung eines rechtskundigen Beistands und der Gewährleistung eines ordnungsgemäßen Verfahrensablaufs bestehen_ Nach Abschluss eines Strafverfahrens kann für eben dieses eine Prozesskostenhilfe nicht mehr im Interesse der Rechtspflege erforderlich sein, da sie das Verfahren in keiner Weise mehr beeinflussen kann (vgl. auch LG Oldenburg, Beschl. v. 7.3.2022 - 4 Qs 76/22 - NStZ 2023, 127).

Die Beiordnung nach den §§ 140, 141 StPO erfolgt nicht im Kosteninteresse des Betroffenen, sondern dient allein dem im öffentlichen Interesse liegenden Zweck, in schwerwiegenden Fällen eine ordnungsgemäße Verteidigung des nicht genügend rechtskundigen Beschuldigten/Angeklagten in einem noch ausstehenden oder, noch anhängigen Verfahren zu sichern und einen ordnungsgemäßen Verfahrensablauf zu gewährleisten. Dies kann durch eine nachträgliche Bestellung nicht mehr erreicht werden. Eine solche würde vielmehr ausschließlich dem verfahrensfremden Zweck dienen, dem Verteidiger für einen bereits abgeschlossenen Verfahrensabschnitt einen Vergütungsanspruch gegen die Staatskasse zu verschaffen. Wenn das Verfahren abgeschlossen ist, scheidet eine dem Zweck der Pflichtverteidigung entsprechende Tätigkeit denknotwendig aus (vgl. auch LG Oldenburg Beschl. v. 6.12.2022 — 3 Qs 409/22, BeckRS 2022, 37864). Das Institut der notwendigen Verteidigung ist dazu bestimmt, dem Angeklagten einen rechtskundigen Beistand zu sichern und einen ordnungsgemäßen Verfahrensablauf zu gewährleisten. Folglich kann die gerichtliche Bestellung eines Verteidigers nur für die Zeit ab dem Beiordnungsakt erfolgen, weil dieser Akt keinen Einfluss darauf hat, ob in zurückliegenden Verfahrensabschnitten ein Verteidiger tatsächlich mitgewirkt hat oder nicht. Für die erfolgte Verteidigermitwirkung nachträglich eine Bestellung anzuordnen, würde nur noch das Kosteninteresse des Angeklagten oder des Verteidigers befriedigen, aber nicht dem aufgezeigten Zweck der Sicherung einer Verteidigung dienen (vgl. OLG Hamburg Beschl. v. 16.9.2020 — 2 Ws 112/20, BeckRS 2020, 27077). Die mit der Bestellung zum Pflichtverteidiger einsetzende öffentlich-rechtliche Pflicht zum Tätigwerden kann dieser nach Verfahrensabschluss nicht mehr erfüllen. Zudem dient die Beiordnung eines Verteidigers - anders als im Zivilrecht, wo eine rückwirkende Beiordnung und auch Bewilligung von Prozesskostenhilfe möglich ist - nicht dem Ausgleich der Mittellosigkeit des Angeklagten. Auch das Argument, der Beschuldigte dürfe nicht für die Verteidigerkosten aufkommen müssen, überzeugt nicht, da gemäß § 464a Abs. 1 S. 1 StPO auch die Auslagen der Staatskasse für die Pflichtverteidigergebühren zu den Verfahrenskosten zählen, die bei Verpflichtung zur Kostentragtang festgesetzt werden (vgl. LG Oldenburg Beschl. v. 6.12.2022 — 3 Qs 409/22, BeckRS 2022, 37864).

d) Der Grundsatz der Unzulässigkeit einer nachträglichen Bestellung als Verteidiger gilt auch für den Fall einer vorläufigen Einstellung des Verfahrens nach § 154 Abs. 2 StPO. Auch in diesem Fall ist das Verfahren beendet, so dass es eines weiteren Tätigwerdens des Verteidigers in diesem Verfahren nicht bedarf, solange nicht zur Wiederaufnahme ein Gerichtsbeschluss nach § 154 Abs. 7 StPO ergangen ist (vgl. OLG Bremen, Beschl. v. 23.9.2020 - 1 Ws 120/20 - NStZ 2021, 253).

e) Der Kammer ist auch die teilweise obergerichtliche Rechtsprechung bekannt, in welcher die Auffassung vertreten wird, unter besonderen Umständen sei eine Ausnahme von dem Grundsatz der Unzulässigkeit einer nachträglichen Beiordnung zu machen, nämlich in den Fällen, in denen der Antrag auf Beiordnung rechtzeitig vor Abschluss des Verfahrens gestellt wurde, die Voraussetzungen für eine Beiordnung vorlagen und das Begehren in verfahrensfehlerhafter Weise, insbesondere wesentlich verzögert, behandelt wurde (vgl. OLG Bamberg, Entscheidung vom 29.04.2021, Az. 1 Ws 260/21; OLG Nürnberg, Entscheidung vom 06.11.2020, Az. Ws 962, 963/20).

Selbst unter Berücksichtigung dieser Ansicht würde dies aber auch vorliegend nicht zu einem anderen Ergebnis führen: Der Antrag auf Bestellung als Pflichtverteidiger erfolgte am 17.05.2024. Am 04.06.2024 erging die vorläufige Einstellungsverfügung gemäß § 154 Abs. 1 StPO durch die Staatsanwaltschaft. Am 10.06.2024 wurde die Akte durch die Staatsanwaltschaft an den Verteidiger versendet mit der Anfrage, ob vor dem Hintergrund der Einstellung des Verfahrens an dem Beiordnungsantrag festgehalten wird. Am 30.06.2024 teilte der Verteidiger mit, an dem Antrag werde festgehalten; mit Beschluss des Amtsgerichts vom 08.07.2024 wurde - nach vorheriger Anhörung der Staatsanwaltschaft - der Antrag zurückgewiesen. Von einer wesentlichen Verzögerung der Entscheidung über den Beiordnungsantrag kann bei dieser Sachlage nicht ausgegangen werden (vgl. für eine ähnliche Sachverhaltskonstellation LG Amberg Beschl. v. 18.10.2023 - 11 Qs 73/23, BeckRS 2023, 30031.)

Die Zurückweisung der Gehörsrüge als unbegründet zieht als Kostenfolge die Kostentragungspflicht des Angeschuldigten nach sich (vgl. OLG Koblenz, Beschluss vom 13.05.2015 - 2 Ws 289/14, juris Ls.; OLG Bremen Beschl. v. 26.10.2017 - 1 Ws
120/17, BeckRS 2017, 134934.


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Anmerkung:


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