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Entscheidungen

StPO

Pflichtverteidiger, rückwirkende Bestellung

Gericht / Entscheidungsdatum: LG Halle, Beschl. v. 05.11.2024 – 10a Qs 111/24

Eigener Leitsatz:

Die rückwirkende Bestellung zum Pflichtverteidiger ist ausnahmsweise dann zulässig, wenn der Beschuldigte rechtzeitig eine Pflichtverteidigerbestellung ausdrücklich beantragt hatte, wenn die Voraussetzungen einer Pflichtverteidigerbestellung zum Zeitpunkt der Antragstellung vorgelegen haben und wenn eine Entscheidung über den Beiordnungsantrag ohne zwingenden Grund nicht unverzüglich erfolgt ist, da die Entscheidung durch behördeninterne Vorgänge unterblieben ist, auf die ein Außenstehender keinen Einfluss hatte.


Landgericht Halle

10a Qs 111/24

Beschluss

In pp.

Verteidiger:
wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte

hat die 10. Große Strafkammer des Landgerichts Halle als Beschwerdekammer durch den Vorsitzenden Richter am Landgericht, die Richterin am Landgericht und die Richterin am Landgericht am 5. November 2024 beschlossen:

Auf die Beschwerde des ehemaligen Beschuldigten wegen der Nichtbescheidung seines Antrages auf Beiordnung eines Pflichtverteidigers wird dem ehemaligen Beschuldigten Rechtsanwalt pp. als Pflichtverteidiger beigeordnet.
Die Kosten des Beschwerdeverfahrens und die dem Beschwerdeführer insoweit entstandenen notwendigen Auslagen fallen der Landeskasse zur Last.

Gründe

I.

Gegen den ehemaligen Beschuldigten wurde ein Verfahren wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte geführt. Mit Verfügung vom 21.05.2024 leitete das Polizeirevier Halle die Akte an die zuständige Staatsanwaltschaft Halle weiter, wo sie am 22.05.2024 einging. Mit Schreiben vom 30.05.2024 teilte die JVA Halle auf Anfrage der Staatsanwaltschaft mit, dass sich der Beschuldigte seit dem 22.01.2024 in Haft befinde aufgrund zweier Verurteilungen durch das Amtsgericht Halle.

Mit Schreiben vom 15.07.2024, eingegangen beim Polizeirevier Halle (Saale) am selben Tag, beantragte der Verteidiger des Angeklagten die Beiordnung als Pflichtverteidiger und kündigte an, in diesem Fall sein Wahlmandat niederzulegen. Er teilte mit, dass sein Mandant von seinem Schweigerecht Gebrauch machen werde, Mit Schreiben vom 30.07.2024, gerichtet an das Amtsgericht Halle (Saale) und dort am 01.08.2024 eingegangen, beantragte der Verteidiger des Angeklagten die gerichtliche Entscheidung über den Beiordnungsantrag. Eine Entscheidung erging auch auf die Erinnerung vom 20.08.2024 nicht.

Mit Verfügung vom 20.08.2024 stellte die Staatsanwaltschaft Halle das Verfahren gemäß § 154 Abs. 1 StPO ein. Zu diesem Zeitpunkt lagen der Staatsanwaltschaft weder der Antrag auf Pflichtverteidigerbesteilung noch die weiteren Schreiben des Verteidigers vor.

Mit Schreiben vom 11.09.2024 erhob der Verteidiger bei dem Amtsgericht Halle (Saale) Beschwerde gegen die Versagung der Beiordnung als Pflichtverteidiger wegen Unterlassung der Beiordnung.

Mit Schreiben vom 08.10.2024, eingegangen am 09.10.2024 bei dem Landgericht Halle, erhob der Verteidiger des ehemals Beschuldigten Beschwerde wegen der Untätigkeit des Amtsgerichts Halle.

Die Akten wurden durch die Staatsanwaltschaft Halle dem Landgericht Halle vorgelegt.

II.

Die Beschwerde des Angeschuldigten ist als Untätigkeitsbeschwerde gemäß § 304 StPO zulässig. Das Amtsgericht, dem zumindest der Antrag auf Beiordnung als Pflichtverteidiger seit dem 01.08.2024 vorlag, hatte über diesen nicht vor Abschluss des Verfahrens entschieden. Verzögert das Gericht die Bearbeitung des Antrags auf Bestellung eines Pflichtverteidigers, so steht dem Beschuldigten, der wegen der Auswahlregelung des § 142 Abs. 1 S. 2 StPO auch nicht Gefahr läuft, dass ein anderer Rechtsanwalt bestellt wird, alsbald die Möglichkeit der Untätigkeitsbeschwerde zur Verfügung, weil das Unterlassen einer Entscheidung in diesem Fall einer ablehnenden Entscheidung gleich zu achten wäre (LG Halle, Beschluss vom 28.12.2009 - 6 Os 69/09, BeckRS 2011, 10749 m. W. N.).

Auf Grund der Gleichstellung der Nichtentscheidung über einen Beiordnungsantrag mit einer ablehnenden Entscheidung durch die Rechtsprechung war die Kammer als Beschwerdegericht zur Vermeidung einer weiteren Verzögerung auch zuständig in der Sache selbst zu entscheiden, zumal es eine reine Untätigkeitsbeschwerde in der StPO nicht gibt (vgl. Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 66. Auflage 2023, § 304 Rn 3).

Die Beschwerde ist auch begründet.

Dem ehemals Beschuldigten wäre zum Zeitpunkt des Beiordnungsantrages und auch noch zum Zeitpunkt des Antrages auf gerichtliche Entscheidung gemäß § 140 Abs. 1 Nr. 6 StPO ein Pflichtverteidiger beizuordnen gewesen, da sich der ehermals Beschuldigte zu diesen Zeitpunkten in Haft befand.

Im vorliegenden Fall war eine rückelende Pflichtverteldigerbestellung auszusprechen. Eine rückwirkende Bestellung eines Pflichtverteidigers kommt insbesondere dann in Betracht, wenn der Beschuldigte rechtzeitig ausdrücklich eine Bestellung eines Pflichtverteidigers beantragt hatte, die Voraussetzungen einer Pflichtverteidigerbestellung zum Zeitpunkt des Antrages vorgelegen haben und eine Entscheidung über den Beiordnungsantrag ohne zwingenden Grund nicht unverzüglich erfolgte, da die Entscheidung durch behördeninterne Vorgänge unterblieben ist, auf die ein Außenstehender keinen Einfluss hatte (vgl. LG Dresden, Beschluss vom 28. Februar 2024, 3 Qs 2/24, juris).

So liegt der Fall hier. Der Antrag des ehemaligen Beschuldigten wurde gemäß § 142 Abs. 1 Satz 2 StPO nicht unverzüglich dem Gericht zur Entscheidung vorgelegt, obwohl er rechtzeitig gestellt war und — wie dargestellt die Voraussetzungen einer Pflichtverteidigerbestellung gegeben waren.

Das Polizeirevier hat den Antrag auf Pflichtverteidigerbestellung nicht an die zuständige Staatsanwaltschaft weitergeleitet. Ein Tätigwerden des Amtsgerichts Halle nach Eingang des Antrages auf gerichtliche Bestellung ist der Akte nicht zu entnehmen. Bis zur Aktenanforderung durch das Landgericht Halle nach Eingang der Beschwerde ist nicht ersichtlich, dass dem Beiordnungsantrag überhaupt Beachtung geschenkt wurde. Dies geht in diesem konkreten Fall nicht zu Lasten des ehemals Beschuldigten.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 467 Abs. 1 StPO analog.


Einsender: RA J.-R. Funck, Braunschweig

Anmerkung:


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