Gericht / Entscheidungsdatum: KG, Beschl. v. 28.10.2024 - 2 Ws 146/24 – 121 GWs 138/24
Eigener Leitsatz:
Vergehen nach § 34 Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 KCanG rechtfertigen als „schwere Straftaten“ weiterhin die Anordnung einer Telekommunikationsüberwachung nach § 100a StPO (§ 100a Abs. 2 Nr. 7a StPO). Sie gehören indes nicht zu den Delikten, die als „besonders schwere Straftaten“ nach § 100b Abs. 2 StPO die Anordnung einer Online-Durchsuchung erlauben würden. Das hat aber keinen Einfluss auf die Verwertbarkeit von vor dem Inkrafttreten des KCanG durch eine EncroChat-Maßnahme gewonnene Daten.
KAMMERGERICHT
Beschluss
2 Ws 146/24 – 121 GWs 138/24
In der Strafsache
gegen pp.
wegen Verstoßes gegen das Betäubungsmittelgesetz u.a.
hat der 2. Strafsenat des Kammergerichts in Berlin am 18. Oktober 2024 beschlossen:
1. Auf die sofortige Beschwerde der Staatsanwaltschaft Berlin wird der Beschluss des Landgerichts Berlin I vom 3. Juni 2024 aufgehoben.
2. Die Anklage der Staatsanwaltschaft Berlin vom 9. April 2024 wird unter Eröffnung des Hauptverfahrens vor der 42. großen Strafkammer des Landgerichts Berlin I zur Hauptverhandlung zugelassen.
3. Die Landeskasse Berlin hat die Kosten des Beschwerdeverfahrens zu tragen.
Gründe:
I.
1. Die Staatsanwaltschaft Berlin legt den Angeklagten mit ihrer am 11. April 2024 zum Landgericht Berlin I erhobenen Anklage vom 9. April 2024 Verstöße gegen das Konsumcannabisgesetz (KCanG) sowie dem Angeklagten S. darüber hinaus Verstöße gegen das Betäubungsmittelgesetz zur Last. Sie sollen in Berlin im Zeitraum vom 27. März 2020 bis zum 4. Juni 2020 in insgesamt 26 Fällen teils gemeinschaftlich jeweils gewerbsmäßig entgegen § 2 Abs. 1 Nr. 4 KCanG mit Cannabis Handel getrieben haben, wobei sich die Handlungen jeweils auf eine nicht geringe Menge bezogen haben sollen. Der Angeklagte S. soll zudem in zwei Fällen mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge unerlaubt Handel getrieben haben.
In insgesamt 26 Fällen sollen die Angeklagten im oben genannten Zeitraum Cannabis gekauft oder verkauft, Cannabis angebaut, Cannabis vorrätig gehalten und An- und Verkaufsverhandlungen über Cannabis geführt haben, wobei es größtenteils um Mengen im einstelligen, vereinzelt jedoch auch um Mengen im zweistelligen Kilogrammbereich (bis zu 50 kg) ging. Der Angeklagte S. soll darüber hinaus in einem Fall ernsthafte Ankaufsverhandlungen über 1 kg Kokain mit dem Ziel des gewinnbringenden Weiterverkaufs geführt haben (Fall 9) und in einem weiteren 200 Tabletten Ecstasy zum gewinnbringenden Weiterverkauf erworben haben (Fall 13). Für die Absprachen mit Lieferanten und Abnehmern sollen die Angeklagten sich des als besonders abhörsicher beworbenen niederländischen Kommunikationsdienstes „EncroChat“ bedient haben. Dieser bot Endgeräte (sogenannte Krypto-Handys) mit modifizierter Hardware und spezieller Software nebst Nutzungslizenzen an und ermöglichte damit über einen in Roubaix (Frankreich) stationierten Server eine Ende-zu-Ende verschlüsselte Kommunikation.
Der Angeklagte W. soll das kryptierte Mobiltelefon mit dem User-Namen pp und der Angeklagte S. soll dasjenige mit dem User-Namen pp. verwendet haben. In den Fällen 1-4, 6-7, 15-16, 18, 21-22, 24-25, 27 sollen die Angeklagten aufgrund eines zuvor gefassten Tatplans und unter arbeitsteiligem Vorgehen gemeinschaftlich (im Fall 1 zusammen mit dem gesondert verfolgten Encro-Chat-Nutzer „pp.“) gehandelt haben. In den Fällen 17, 19 und 26 soll der Angeklagte W., in den Fällen 5, 8-14, 20, 23 und 28 soll der Angeklagte S. jeweils allein gehandelt haben.
Die Auswertung der durch die französischen Ermittlungsbehörden zur Verfügung gestellten Daten führte unter anderem deshalb zur Identifizierung des Angeklagten W. als mutmaßlichem Nutzer der Kennung „pp.“, weil in einem Chat durch den EncroChat-Nutzer „pp.“ die damalige Meldeanschrift des Angeklagten W. mit dem Zusatz „bei mir“ angegeben wurde. In einem weiteren Chat bestätigte „pp.“, dass er einen CDB-Shop „pp.“ habe. Einer von zwei Gesellschaftern dieses Shops war der Angeklagte W. Der Angeklagte S. wurde unter anderem dadurch identifiziert, dass der EncroChat-Nutzer „pp.“ die Meldeanschrift des Angeklagten S. mit dem Zusatz „zu mir“/ „bei mir“ verwendete.
Die Anklagevorwürfe beruhen im Wesentlichen auf mutmaßlich von den jeweiligen Angeklagten verfassten oder an sie gerichteten Chat-Nachrichten, die mit hoher Wahrscheinlichkeit die in der Anklage beschriebenen Handelsgeschäfte zum Gegenstand haben und im Falle ihrer Verwertbarkeit mit ebensolcher Wahrscheinlichkeit ihre Überführung in der Hauptverhandlung ermöglichen werden.
2. Bereits am 29. Februar 2024 – vor Inkrafttreten des KCanG – hatte das Amtsgericht Tiergarten in derselben Sache auf den Haftgrund der Fluchtgefahr gestützte Haftbefehle gegen die Angeklagten erlassen. Diesen lag der dringende Tatverdacht des Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge, teils gemeinschaftlich, in insgesamt 25 Fällen beim Angeklagten S. und in 17 Fällen beim Angeklagten W. zugrunde. Ende März 2024 wurden die Haftbefehle gegen Auflagen außer Vollzug gesetzt, nachdem die Angeklagten jeweils selbständig mit ihren Verteidigern beim Amtsgericht Tiergarten erschienen waren.
Mit Beschluss vom 3. Juni 2024 lehnte das Landgericht Berlin I – 42. große Strafkammer – die Eröffnung des Hauptverfahrens bezüglich der Fälle 1-8, 10-12 und 14-28 aus Rechtsgründen ab und ließ die Anklage vom 9. April 2024 unter Eröffnung des Hauptverfahrens vor dem Amtsgericht Tiergarten – Schöffengericht – zur Hauptverhandlung zu. Den gegen den Angeklagten W. gerichteten Haftbefehl vom 29. Februar 2024 und den Haftverschonungsbeschluss vom 27. März 2024 hob die Strafkammer auf. Am 10. Juli 2024 hob die Strafkammer auf Antrag der Staatsanwaltschaft auch den den Angeklagten S. betreffenden Haftbefehl und Haftverschonungsbeschluss auf.
Wegen der weiteren Einzelheiten der vorgeworfenen Taten nimmt der Senat auf die Anklageschrift der Staatsanwaltschaft Berlin vom 9. April 2024 Bezug.
II.
Die Strafkammer meint, die Chat-Kommunikation der Angeklagten, auf die die Anklage sich als maßgebliches Beweismittel stützt, sei in den Fällen 1-8, 10-12 und 14-28 aus Rechtsgründen nicht geeignet, die Schuld der Angeklagten zu belegen. Da diese Fälle ausschließlich den unerlaubten Handel mit Cannabis (in nicht geringer Menge) betreffen, seien die Daten im deutschen Strafverfahren nicht verwertbar.
1. Die Strafkammer geht davon aus, dass die Verwertung der durch eigenständige Maßnahmen nach französischem Prozessrecht gewonnenen und an die deutschen Behörden übermittelten Daten aus dem EncroChat-Komplex aufgrund der mit den heimlichen Ermittlungsmaßnahmen einhergehenden besonders intensiven Grundrechtseingriffe den Rückgriff auf die in hiesigen strafprozessualen Verwendungsbeschränkungen verkörperten Wertungen erfordere. Auf der Grundlage des § 261 StPO dürften die erlangten Informationen daher nur zur Verfolgung von auch im Einzelfall besonders schwerwiegenden Straftaten im Sinne des § 100b Abs. 2 StPO verwendet werden, wenn die Erforschung des Sachverhalts auf andere Weise wesentlich erschwert oder aussichtslos und der Kernbereich privater Lebensführung nicht berührt sei.
Da die für den Verwendungs- bzw. Verwertungszeitpunkt geltende Rechtslage maßgeblich ist, hält die Kammer die Voraussetzungen für eine Beweisverwertung der EncroChat-Protokolle für nicht mehr gegeben. Die Fälle 1-8, 10-12 und 14-28 rechtfertigten die Anordnung einer Maßnahme nach § 100b StPO nicht: Die im vorliegenden Fall in Rede stehenden Taten sind nach der mit dem KCanG eingetretenen Gesetzeslage (als besonders schwere Fälle) nach § 34 Abs. 1 Nr. 4, Abs. 3 Satz 1 und Satz 2 Nr. 4 KCanG mit Strafe bedroht. Ihnen fehlt sowohl der Verbrechenscharakter als auch jeweils die Eigenschaft einer Katalogtat nach § 100b Abs. 2 StPO. Letztere sieht die Kammer als nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zwingende Voraussetzung für die Verwertbarkeit von EncroChat-Daten im Strafverfahren.
2. Den Angeklagten S. hält die Kammer des Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in zwei Fällen für hinreichend verdächtig. Angesichts der in den Fällen 9 und 13 jeweils in Rede stehenden Menge von einem Kilogramm Kokain und 200 Tabletten Ecstasy sei unter Heranziehung des für das Jahr 2020 geltenden durchschnittlichen Wirkstoffgehalts dieser Betäubungsmittel jeweils von einer nicht geringen Menge auszugehen. Bei der erforderlichen überschlägigen Prognoseentscheidung sei jedoch eine höhere Strafe als vier Jahre Freiheitsstrafe nicht zu erwarten, so dass die Strafgewalt des Schöffengerichts mit Sicherheit ausreichend erscheine.
3. Mit ihrer sofortigen Beschwerde vom 7. Juni 2024, beim Landgericht am selben Tage eingegangen, begehrt die Staatsanwaltschaft Berlin die Aufhebung des landgerichtlichen Beschlusses, die Eröffnung des Hauptverfahrens und die unveränderte Zulassung der Anklage zur Verhandlung vor einer Strafkammer des Landgerichts Berlin I.
III.
Die sofortige Beschwerde ist statthaft (§ 210 Abs. 2 StPO) und rechtzeitig (§ 311 Abs. 2 StPO) eingelegt worden, also zulässig. Sie ist auch begründet.
1. Gemäß § 203 StPO beschließt das Gericht die Eröffnung des Hauptverfahrens, wenn nach den Ergebnissen des vorbereitenden Verfahrens ein Angeschuldigter einer Straftat hinreichend verdächtig erscheint. Im Rahmen der anzustellenden Beweisbarkeitsprognose gilt es zu prüfen, ob der Tatnachweis mit den prozessual zulässigen Mitteln gelingen wird. Bezugspunkt ist dabei nicht die richterliche Überzeugungsbildung als solche, sondern das ihr zugrundeliegende Beweismaterial als Ergebnis der Beweisaufnahme in der Hauptverhandlung. Der Sache nach geht es darum, ob sich die im Ermittlungsverfahren gewonnenen Erkenntnisse in der Hauptverhandlung dergestalt reproduzieren lassen, dass darauf gestützt die Verurteilung des Angeschuldigten hinreichend wahrscheinlich ist (vgl. Schneider in KK-StPO 9. Aufl., § 203 Rn. 7 mwN). Im Rahmen der Eröffnungsentscheidung sind daher mögliche Beweisverwertungsverbote zu berücksichtigen (vgl. BGH NStZ 2017, 593 mwN).
2. Zutreffend geht die Strafkammer davon aus, dass maßgebliches Beweismittel zum Beleg der den Handel mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge sowie den verbotenen Handel mit Cannabis in nicht geringer Menge betreffenden Tatvorwürfe aus der Anklageschrift die EncroChat-Kommunikation der Angeklagten ist.
Für solche Daten hat der Bundesgerichtshof in seinem Beschluss vom 2. März 2022 (5 StR 457/21, juris) auf Grundlage einer umfassenden, an verfassungsrechtlichen Maßstäben vorgenommenen Prüfung bejaht, dass diese in einem deutschen Strafverfahren verwertbar sind. Nach seiner Rechtsprechung stützt sich die Verwertung der mittels einer im EncroChat-Komplex vorliegenden Europäischen Ermittlungsanordnung erlangten Informationen in der Hauptverhandlung auf § 261 StPO als gesetzliche Grundlage (vgl. BGH aaO).
a) Aus § 261 StPO folgt zunächst der Grundsatz, dass das Gericht die Beweisaufnahme von Amts wegen auf alle Tatsachen und Beweismittel zu erstrecken hat, die für die Entscheidung der Schuld- und Rechtsfolgenfrage von Bedeutung sein können (vgl. Bartel in: MüKoStPO 2. Aufl., § 261 Rn. 139). Insoweit verlangt und gestattet das Rechtsstaatsprinzip die Berücksichtigung der Belange einer funktionstüchtigen Strafrechtspflege, ohne die der Gerechtigkeit nicht zum Durchbruch verholfen werden kann (vgl. BVerfGE 33, 367; BGH NStZ 2009, 519). Der Rechtsstaat kann sich nur verwirklichen, wenn ausreichende Vorkehrungen dafür getroffen sind, dass Straftäter im Rahmen der geltenden Gesetze verfolgt, abgeurteilt und einer gerechten Bestrafung zugeführt werden (vgl. BVerfG, Beschluss vom 9. November 2020 – 2 BvR 2101/09 – mwN). Bei einem Beweisverwertungsverbot handelt es sich deshalb um eine Ausnahme (vgl. BGHSt 28, 122), die nur nach ausdrücklicher gesetzlicher Vorschrift oder aus übergeordneten wichtigen Gründen im Einzelfall anzuerkennen ist (std. Rspr., vgl. BVerfG NJW 2012, 907; BGH NJW 2022, 2126). Fehlt – wie überwiegend – eine ausdrückliche gesetzliche Regelung, dass ein Fehler bei der Beweiserhebung zu einem Verwertungsverbot des solchermaßen erlangten Beweismittels führt, ist regelmäßig im Einzelfall das Interesse des Staates an einer funktionstüchtigen Strafrechtspflege unter Berücksichtigung des Gewichts der verfolgten Straftat mit den widerstreitenden Interessen des Betroffenen abzuwägen (vgl. BGH NStZ 2003, 668; OLG Celle, Beschluss vom 9. Juli 2024 – 3 Ws 55/24 –). Maßgeblich beeinflusst wird das Ergebnis dieser Abwägung einerseits durch das Ausmaß des staatlichen Aufklärungsinteresses, dessen Gewicht im konkreten Fall vor allem unter Berücksichtigung der Verfügbarkeit weiterer Beweismittel, der Intensität des Tatverdachts und der Schwere der Straftat bestimmt wird. Andererseits ist das Gewicht des in Rede stehenden Verfahrensverstoßes von Belang. Ein Rechtsverstoß darf sich nicht dahingehend auswirken, dass die Informationsverwertung zu einem unverhältnismäßigen Eingriff in das allgemeine Persönlichkeitsrecht oder die Verwertbarkeit zu einer Begünstigung rechtswidriger Beweiserhebungen führen würde, dass einem Angeklagten keine hinreichenden Möglichkeiten zur Einflussnahme auf Gang und Ergebnis des Verfahrens verbleiben oder die Mindestanforderungen an eine zuverlässige Wahrheitserforschung nicht mehr gewahrt sind (vgl. BGH NJW 2022, 2126 mwN).
b) Für die durch Rechtshilfe im EncroChat-Komplex erlangten Informationen, die nicht auf einer Anordnung der Ermittlungsmaßnahmen durch deutsche Behörden, sondern nur auf der Übermittlung von Beweisergebnissen beruhen, die ein anderer EU-Mitgliedstaat auf eigener Rechtsgrundlage erhoben hat, fehlt es an einer ausdrücklichen Verwendungsbeschränkung jenseits des im Rechtshilfeverkehr geltenden ordre-public-Vorbehalts (vgl. BGH, Beschluss vom 5. Juli 2022 – 4 StR 61/22 –, juris; BGH, Beschluss vom 2. März 2022 aaO). Die Vorschrift des § 100e Abs. 6 StPO ist auf die vorliegende Konstellation nach ihrem Wortlaut nicht unmittelbar anwendbar, da die in Rede stehenden Daten nicht durch Maßnahmen nach den §§ 100b, 100c StPO, sondern durch eigenständige Maßnahmen nach französischem Prozessrecht gewonnen wurden (vgl. BGH, Beschluss vom 2. März 2022 aaO).
Wenn besonders intensive Grundrechtseingriffe durch heimliche Ermittlungsmaßnahmen in Rede stehen, sind verfassungsrechtliche Schutzmechanismen für die Beweisverwertung dennoch unabdingbar. Der Grundrechtseingriff kann aber nicht bereits bei der Anordnung einer Ermittlungsmaßnahme limitiert werden, wenn es um außerhalb der europäischen Rechtshilfe schon vorhandene ausländische Überwachungsergebnisse geht, also um Informationen, die ein anderer Mitgliedstaat in originärer Anwendung seines nationalen Rechts im Rahmen eines bereits betriebenen Ermittlungsverfahrens gewonnen hat und die nicht aufgrund eines Rechtshilfeersuchens erhoben wurden. Insoweit ist es erforderlich, mögliche Unterschiede bei den Eingriffsvoraussetzungen auf der Ebene der Beweisverwendung zu kompensieren. Hierfür kann auf die in strafprozessualen Verwendungsbeschränkungen verkörperten Wertungen zurückgriffen werden, mit denen der Gesetzgeber dem verfassungsrechtlichen Verhältnismäßigkeitsgrundsatz bei vergleichbar eingriffsintensiven Mitteln Rechnung trägt (vgl. BGH, Beschluss vom 2. März 2022 aaO).
In dem ihm vorliegenden Fall hat der Bundesgerichtshof angenommen, dass aufgrund des Gewichts der Maßnahme zur Wahrung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes – auch um jede denkbare Benachteiligung auszuschließen – die Grundgedanken der Verwendungsschranke mit dem höchsten Schutzniveau fruchtbar gemacht werden können. Daraus folgte entsprechend der Wertung des § 100e Abs. 6 Nr. 1 StPO, dass die im Wege europäischer Rechtshilfe erlangten Beweisergebnisse aus dem EncroChat-Komplex in einem Strafverfahren ohne Einwilligung der überwachten Person nur zur Aufklärung einer Straftat verwendet werden dürfen, auf Grund derer eine Maßnahme nach § 100b StPO hätte angeordnet werden können. Zudem sind die den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz konkretisierenden einschränkenden Voraussetzungen in § 100b Abs. 1 Nr. 2 und 3 StPO in den Blick zu nehmen (vgl. BGH, Beschluss vom 2. März 2022 aaO).
3. Gemessen an diesen Grundsätzen besteht auch hinsichtlich der den Angeklagten W. und S. in der Anklageschrift der Staatsanwaltschaft Berlin vom 9. April 2024 vorgeworfenen Taten 1-8, 10-12, 14-28 eine Verurteilungswahrscheinlichkeit. Denn in tatsächlicher Hinsicht belegen die Auswertungen der Daten der von den Angeklagten genutzten Handys des Anbieters EncroChat die ihnen zur Last gelegten verbotenen Cannabisgeschäfte, und es besteht auch nach dem am 1. April 2024 in Kraft getretenen Gesetz zum Umgang mit Konsumcannabis (KCanG) vom 27. März 2024 mit der Neufassung des § 100b Abs. 2 Nr. 5 und 5a StPO (BGBl I 2024 Nr. 109) kein Beweisverwertungsverbot.
a) In tatsächlicher Hinsicht folgt der hinreichende Tatverdacht aus dem bisherigen Ermittlungsergebnis, insbesondere aus der Auswertung der Daten des Kryptierdienstes EncroChat, anhand derer die Angeklagten als Nutzer der Accounts „pp.“ und „pp.“ identifiziert werden konnten. Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten zu den im Zusammenhang mit Cannabis verfolgten Taten verweist der Senat auf die Darstellungen in der Anklageschrift vom 9. April 2024 sowie der dort in Bezug genommenen Auswertungsberichte der Ermittlungsbehörden. Hinsichtlich der dem Angeklagten S. zur Last gelegten Taten des Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge verweist der Senat auf die zutreffende Darstellung in dem angegriffenen Beschluss.
b) Ein absolutes Beweisverwertungsverbot liegt schon wegen des Inhalts der überwachten Kommunikation sowie der mutmaßlichen Gesprächspartner nicht vor. Es handelt sich weder um Kommunikation im engsten Familienkreis, noch geht es um einen vertrauensvollen Gedankenaustausch mit der Möglichkeit, Gefühle oder Empfindungen auszudrücken (vgl. BGHSt 31, 296). Erkenntnisse aus dem Kernbereich privater Lebensführung (vgl. § 100d Abs. 2 Satz 1 StPO) sind von der Beweiserhebung und -verwertung nicht betroffen.
c) Aber auch ein relatives Beweisverwertungsverbot ist nicht gegeben, denn den Angeklagten werden – auch unter Berücksichtigung der mit dem KCanG eingetretenen Änderungen – schwere Straftaten vorgeworfen und bei umfassender Abwägung überwiegt das Aufklärungsinteresse des Staates die von den Angeklagten erlittenen Rechtseinbußen.
aa) Die den Angeklagten in den Fällen 1-8, 10-12, 14-28 vorgeworfenen Taten stellen nicht (mehr) Verbrechen nach § 29a Abs. 1 BtMG, sondern nach § 34 Abs. 3 KCanG „nur“ besonders schwere Fälle des unerlaubten Handeltreibens dar. Deren Strafrahmen ist mit drei Monaten bis zu fünf Jahren Freiheitsstrafe deutlich geringer als der Strafrahmen des vor Inkrafttreten dem Grunde nach einschlägigen § 29a Abs. 1 BtMG. Vergehen nach § 34 Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 KCanG rechtfertigen als „schwere Straftaten“ weiterhin die Anordnung einer Telekommunikationsüberwachung nach § 100a StPO (§ 100a Abs. 2 Nr. 7a StPO). Sie gehören indes nicht zu den Delikten, die als „besonders schwere Straftaten“ nach § 100b Abs. 2 StPO die Anordnung einer Online-Durchsuchung erlauben würden. Denn § 100b Abs. 2 Nr. 5a StPO sieht seit Inkrafttreten des KCanG lediglich für die nach § 34 Abs. 4 Nr. 1, Nr. 3 oder Nr. 4 KCanG mit Freiheitsstrafe nicht unter zwei Jahren zu bestrafenden Taten die Möglichkeit einer Online-Durchsuchung vor, also im Wesentlichen bei bandenmäßigem oder bewaffnetem Handeltreiben mit Cannabis in nicht geringer Menge.
Einer Verwertung im vorliegenden Verfahren steht dies jedoch nicht entgegen. Denn der Gesetzgeber hat sich mit dem KCanG ausdrücklich zum Ziel gesetzt, durch einen legalen Zugang zu Konsumcannabis die organisierte Kriminalität einzudämmen (vgl. BT-Drs. 20/8704 S. 74). Es liefe daher dem Gesetzeszweck und den von Bundesverfassungsgericht und Bundesgerichtshof aufgestellten Grundsätzen zur Beweisverwertung zuwider, die erhöhte kriminelle Energie eines verbotenen Cannabishandels – insbesondere eines solchen im „großen Stil“ – mittels Nutzung des EncroChat-Dienstes zu privilegieren.
bb) Ausgehend von § 261 StPO als Grundlage der Verwertbarkeit und dem Erfordernis verfassungsrechtlicher Schutzmechanismen im Zusammenhang mit EncroChat-Daten hat der Bundesgerichtshof in dem von ihm entschiedenen Fall die Grundgedanken der Verwendungsschranke mit dem höchsten Schutzniveau (§ 100e Abs. 6 StPO) fruchtbar gemacht. Er ist – diesem Grundgedanken und dem Wortlaut von § 100e Abs. 6 StPO folgend – davon ausgegangen, dass die Verwendung der Daten eine der in § 100b Abs. 2 StPO genannten Straftaten voraussetzt. Dies bedeutet allerdings nicht, dass Daten unterhalb dieses Schutzniveaus in keinem Fall verwertbar sind (vgl. OLG Stuttgart, Beschluss vom 23. September 2024 – 7 Ws 29/24 –; OLG Koblenz, Beschluss vom 26. August 2024 – 5 Ws 489-490/24 –, juris; OLG Celle, Beschluss vom 9. Juli 2024 – 3 Ws 55/24 –, juris). Denn daraus, dass der Grundgedanke des § 100e Abs. 6 StPO anwendbar ist – auch, um jede denkbare Beeinträchtigung auszuschließen – ergibt sich zunächst vor allem, dass die Daten jedenfalls dann immer verwendbar sind, wenn die Voraussetzungen dieser Vorschrift vorliegen.
Den zu § 261 StPO entwickelten verfassungsrechtlichen Grundsätzen folgend führt dies nicht zu dem Umkehrschluss, dass eine Verwertung andernfalls in jedem Fall von vornherein verboten ist (vgl. Schleswig-Holsteinisches OLG, Beschluss vom 9. Oktober 2024 – 1 Ws 171/24 –). Ebenso wenig ergibt sich zwingend, dass die kryptierten Kommunikationsdaten nur zu verwenden sind, wenn es sich bei der aufzuklärenden Straftat um eine der in § 100b Abs. 2 StPO genannten „besonders schweren Straftaten“ handelt. Eine direkte Anwendung dieser Vorschriften ist aufgrund der Eigenart der Informationsgewinnung und der Informationen ausdrücklich ausgeschlossen (vgl. BGH, Beschluss vom 5. Juli 2022 – 4 StR 61/22 –, juris; BGH, Beschluss vom 2. März 2022 aaO); entscheidend ist die darin verkörperte Wertung. Nach seinem Grundgedanken (unabhängig von dem Wortlaut) ist § 100e Abs. 6 StPO aber vor allem zu entnehmen, dass es bei jeglicher Verwendung von Daten auf den Schweregrad des Eingriffs ankommt und eine besondere Eingriffstiefe spezielle Anforderungen an die weitere Verwendung stellt (vgl. BT-Drs. 18/12785, 57f.; Henrichs/Weingast in KK-StPO, 9. Aufl. 2023, § 100e Rn. 1). Dies gilt auch für den vorliegenden Fall.
Wenn daher hier Straftaten in Rede stehen, die Maßnahmen nach §§ 100b, 100c StPO nicht rechtfertigen, kommen dem Kernbereichsschutz und der restriktiven Verhältnismäßigkeitsprüfung (vgl. BGH, Beschluss vom 2. März 2022 aaO) als verfassungsrechtlicher Schutzmechanismen für die Beweisverwertung besondere Bedeutung zu. Ausgehend vom Einzelfall ist das Interesse des Staates an der Tataufklärung unter Berücksichtigung der Intensität des Tatverdachts, der Schwere der Straftat und unter Einbeziehung der Eingriffsintensität sorgfältig gegen das Individualinteresse der Angeklagten an der Bewahrung ihrer Rechtsgüter abzuwägen.
cc) Die vorzunehmende Abwägung führt im vorliegenden Fall zur Verwertbarkeit der Daten, da dem staatlichen Aufklärungsinteresse hier höheres Gewicht zukommt. Letzteres folgt aus dem Mangel an weiteren Beweismitteln sowie aus der besonderen Schwere der dem Angeklagten zur Last gelegten Taten.
(1) Andere Beweismittel als die EncroChat-Kommunikationsdaten stehen nicht zur Verfügung. Ohne die Verwendung der Daten wäre eine Erforschung des Sachverhalts mithin nicht möglich, insbesondere da die den Angeklagten vorgeworfenen Geschäfte bereits vier Jahre zurückliegen. Die EncroChat-Daten sind zudem besonders ergiebig (vgl. BGH, Beschluss vom 2. März 2022 aaO). Da die Angeklagten den kryptierten Kommunikationsweg und damit ein vermeintlich unüberwachtes Kommunikationsmittel nutzten, enthalten die Daten offene Kommunikation über Drogengeschäfte in erheblichem Umfang, einschließlich Preislisten und zahlreiche Bilder von Betäubungsmitteln. Dies führt dazu, dass hinsichtlich des den Angeklagten vorgeworfenen gewerbsmäßigen verbotenen Handeltreibens mit Cannabis in nicht geringer Menge dringender Tatverdacht und damit die höchste Verdachtsintensität anzunehmen ist.
(2) Der dringende Tatverdacht bezieht sich unter anderem auf ein Delikt, das auch nach der mit der Legalisierung einhergehenden Neubewertung von Cannabis, etwa hinsichtlich Konsum, Anbau und Besitz, eine schwere Straftat darstellt. Ausdrücklich heißt es in den letzten Empfehlungen des Gesundheitsausschusses: „Wenn Erscheinungsformen der organisierten Kriminalität wie der unerlaubte Umgang mit Cannabis in gewerbsmäßiger oder bandenmäßiger Begehungsweise gegebenenfalls unter Einbeziehung Minderjähriger – Gegenstand der Ermittlungen sind, geht es regelmäßig um verdeckt-kollusives Handeln, zu dessen Aufklärung auch verdeckte Ermittlungsmaßnahmen, wie insbesondere die Telekommunikationsüberwachung (§ 100a StPO) und die Online-Durchsuchung (§ 100b StPO) möglich sein müssen“ (vgl. BT-Dr. 20/10426 S. 147). Dementsprechend gehören zu den „schweren Straftaten“ nach § 100a Abs. 2 Nr. 7a. a) StPO auch Straftaten nach einer in § 34 Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 KCanG in Bezug genommenen Vorschrift, mithin unter anderem das verbotene gewerbsmäßige Handeltreiben mit Cannabis. Maßnahmen der Telekommunikationsüberwachung, darunter die sogenannte Quellen-Telekommunikationsüberwachung, bei der Telekommunikationsdaten mittels eines auf dem jeweiligen informationstechnischen System des Betroffenen installierten Spähprogramms unmittelbar vor oder nach dem Sendevorgang erhoben werden, hat der Gesetzgeber bei den den Angeklagten vorgeworfenen Taten für angemessen und erforderlich erachtet. Denn es war ihm wohl bewusst, dass auch Straftaten nach § 34 KCanG verdächtige Personen bei der Planung und Durchführung ihrer Taten sämtliche technisch zur Verfügung stehenden Kommunikationsmittel nutzen und diese regelmäßig auch wechseln, um staatliche Überwachungsmaßnahmen möglichst zu umgehen (vgl. OLG Celle aaO; BT-Dr. 20/10426 S. 148).
(3) Darüber hinaus handelt es sich bei den den Angeklagten vorgeworfenen Taten unter Berücksichtigung der einzelnen Fälle um Straftaten mit ganz erheblichem Unrechtsgehalt. Es besteht nicht nur der dringende Verdacht, dass die Angeklagten entgegen § 2 Abs. 1 Nr. 4 KCanG gewerbsmäßig Handel getrieben, sondern zudem, dass sich die Handlungen in jedem der ihnen vorgeworfenen Einzelfälle auf eine nicht geringe Menge Cannabis bezogen (§ 34 Abs. 3 Nr. 4 KCanG) haben, womit die Angeklagten bei ihren Taten jeweils zwei Regelbeispiele verwirklicht hätten.
So war der Anbau und Verkauf der selbst angepflanzten Cannabissorten in einem Umfang geplant, der zu Einnahmen von über 250.000 Euro im Jahr führen sollte. Den Tatvorwürfen liegt eine Vielzahl an An- und Verkaufsangeboten der Angeklagten zugrunde, die sich an einen Kreis von fünf bis zehn Nutzern anderer User-Namen des EncroChat-Dienstes richteten, die nach den Chat-Inhalten ihrerseits verdächtig sind, mit Cannabis im Kilogrammbereich gehandelt zu haben. Der Einsatz der Krypto-Handys sowie Planungen, ihre Kommunikation mithilfe von IMEI-Changern und abhörsicheren Handytaschen zusätzlich zu sichern, zeigt eine dem Tatverdacht zugrunde liegende erhöhte kriminelle Energie. Die hohe Frequenz der Handlungen, die Absicherung des Geschäfts und die Kommunikation der Angeklagten mit einer Vielzahl anderer EncroChat-Nutzer geben Grund zu der Annahme, dass die Angeklagten sowohl im kriminellen Cannabishandel innerhalb der Stadt als auch weit darüber hinaus gut vernetzt waren. Zusätzlich zu dem ihnen vorgeworfenen Handel in der Stadt, begründen die Daten den Verdacht, dass sie Pflanzequipment aus den USA sowie Cannabis aus Spanien bezogen und darüber hinaus auch Kontakte nach Dänemark und Holland unterhielten. In einem Zeitraum von nur gut zwei Monaten (April und Mai 2020) ging es um Gesamtmengen von ca. 130 kg Marihuana sowie gut 30 kg Haschisch. Selbst wenn es – schon aufgrund der Vielzahl unterschiedlicher Kommunikationspartner – keinen hinreichenden Verdacht auf einen verbotenen bandenmäßigen Handel der Angeklagten mit Cannabisprodukten gibt und ebenso wenig Anhaltspunkte für ein bewaffnetes Handeltreiben vorliegen, sind die Taten der organisierten Kriminalität zuzuordnen. Aufgrund der in dem kurzen Zeitraum umgesetzten Mengen an Cannabis und der dafür eingesetzten Gelder wiegen sie besonders schwer.
dd) Es ist nicht ersichtlich, dass diesen Aspekten, die das Ausmaß der Straftaten und des daraus folgenden staatlichen Aufklärungsinteresses aufzeigen, im vorliegenden Fall eine grobe Verkennung oder bewusste Missachtung der Rechtslage (vgl. BVerfGE 130, 1, juris Rn. 121), ein schwerwiegender, bewusster oder willkürlicher Verfahrensverstoß (vgl. BGH, Urteil vom 3. Mai 2018 – 3 StR 390/17 –, juris) oder eine Einschränkung der Rechte der Verteidigung gegenüber stehen, die jeweils zur Unverwertbarkeit der Kommunikationsdaten führen würden.
Die von den französischen Behörden durchgeführte Beweismittelgewinnung verstieß nicht gegen wesentliche rechtsstaatliche Grundsätze im Sinne des nationalen oder europäischen ordre public (vgl. BGH, Beschluss vom 2. März 2022 aaO). Insbesondere handelte es sich nicht um eine „verdachtsunabhängige, ungezielte und breit gestreute heimliche Massenüberwachung“ (vgl. Singelnstein NStZ 2021, 449), sondern den Ermittlungen lagen letztlich jeden Nutzer des EncroChat-Dienstes betreffende konkrete Verdachtsmomente zugrunde (vgl. BGH, Beschluss vom 2. März 2022 aaO).
Ob ein Verstoß gegen rechtshilferechtliche Vorschriften bei der Zusammenarbeit zwischen französischen und deutschen Polizeibehörden vorlag (vgl. BGH, Beschluss vom 2. März 2022 aaO; Strate HRR 2024, 226) kann hier offen bleiben. Denn bei der gebotenen strikten Verhältnismäßigkeitsprüfung überwiegt selbst in diesem Fall das staatliche Aufklärungsinteresse. Dabei kommt es nicht nur auf die oben bereits ausgeführte besondere Schwere der Straftaten, sondern auch auf die Qualität des Eingriffs an (vgl. BVerfG 130, 1, juris Rn. 141).
Nach der Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs fehlt es an Anhaltspunkten dafür, dass die Erhebung und die Übermittlung der erhobenen EncroChat-Daten mittels einer Europäischen Ermittlungsanordnung der Umgehung restriktiver nationaler Vorgaben zur Überwachung diente (EuGH C-670/22 Rn. 97). Insoweit ist es ausgeschlossen, anzunehmen, dass ein bewusst willkürlicher Verstoß gegen sich aus rechtshilferechtlichen Vorschriften ergebende Rechte der Angeklagten vorliegt. Zudem ist zu berücksichtigen, dass die heimlichen Ermittlungsmaßnahmen und die – rechtshilferechtlichen Vorgaben (vgl. EuGH C-670/22) möglicherweise nicht entsprechende – Übermittlung der Beweismittel zwar schwerwiegende Grundrechtseingriffe darstellen, die Kommunikationsdaten, auf denen die Anklageschrift im vorliegenden Fall beruht, jedoch nur einen geringen Grad an Persönlichkeitsrelevanz aufweisen. Die Angeklagten setzten die – heimlich überwachten – Krypto-Handys fast ausschließlich und gezielt für den An- und Verkauf von Cannabis und Betäubungsmitteln ein. Mittels Nutzung des EncroChat-Dienstes realisierten sie mithin vor allem ihre Beteiligung an organisierter Kriminalität und durften dabei zu keinem Zeitpunkt darauf vertrauen, gefahrlos und unüberwacht über die Cannabis- und Betäubungsmittelgeschäfte kommunizieren zu können. Ein in Anbetracht des Aufklärungsinteresses unverhältnismäßiger Eingriff in das allgemeine Persönlichkeitsrecht der Angeklagten ist daher nicht anzunehmen.
Ein etwaiger Rechtsverstoß wirkt sich im vorliegenden Fall auch nicht dahingehend aus, dass den Angeklagten keine hinreichenden Möglichkeiten zur Einflussnahme auf Gang und Ergebnis des Verfahrens verbleiben (vgl. EuGH C-670/22 Rn. 130f; BGH NJW 2022, 2126). Auch bei digitalen Beweismitteln gelten die sich aus Art. 6 EMRK ergebenden Anforderungen an die Fairness des Verfahrens (vgl. EGMR, Urteil vom 26. September 2023 – 15669/20 – [Yüksel Yalçınkaya v. Turkey] Rn. 313). Nach ständiger Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte ist insoweit zu prüfen, ob die Angeklagten die Möglichkeit hatten, die Echtheit der Beweise anzufechten und ihrer Verwertung zu widersprechen (vgl. EGMR, Urteil vom 1. Oktober 2010 – 2297/05 – [Gäfgen v. Germany] Rn. 164f mwN). Zudem ist die Qualität der Beweismittel einschließlich der Frage zu berücksichtigen, ob die Umstände, unter denen sie erlangt wurden, Zweifel an ihrer Verlässlichkeit oder Genauigkeit aufkommen lassen (vgl. EGMR, Urteil vom 3. März 2016 – 7215/10 – [Prade v. Germany] Rn. 34).
Es ist im jetzigen Verfahrensstadium nicht ersichtlich und von den Angeklagten auch nicht geltend gemacht, dass sie insoweit in ihrer Verteidigung beschränkt worden sind oder im Verlauf des Verfahrens beschränkt werden könnten. Es steht ihnen frei, insbesondere die Datenauthentizität und -integrität der dem hinreichenden Verdacht der Begehung schwerer Cannabis- und Betäubungsmitteldelikte zugrunde liegenden Kommunikationsdaten anzugreifen. Beides wird in der Hauptverhandlung im Lichte der Gesamtheit der Beweisaufnahme aufzuklären und zu gewichten sein, steht aber nicht der Annahme eines hinreichenden Tatverdachts entgegen.
4. Die Hauptverhandlung hat vor dem Landgericht, hier der Strafkammer 42 des Landgerichts Berlin I, stattzufinden. Es ist mit hinreichender Wahrscheinlichkeit zu erwarten, dass die Angeklagten im Fall eines Schuldspruchs zu einer das Maß von vier Jahren übersteigenden Gesamtfreiheitsstrafe verurteilt werden. Damit wird die Strafgewalt des Schöffengerichts nicht ausreichen, sondern die Zuständigkeit des Landgerichts begründet (§ 24, § 74 GVG).
Die Rechtsfolgenerwartung ist aufgrund einer überschlägigen Prognoseentscheidung zu treffen. Dabei ist der nicht unerhebliche Zeitablauf zwischen den mutmaßlichen Tatzeitpunkten und einem möglichen Schuldspruch zugunsten der Angeklagten zu berücksichtigen. Zu ihren Lasten wirken sich indes die Anzahl der von ihnen mutmaßlich jeweils begangenen Taten aus sowie der Umstand, dass in den beiden gemeinschaftlich zur Last gelegten Taten 2, 4, 7, 21 und 27 die nicht geringe Menge um ein Vielfaches überschritten worden sein soll. Ebenso gilt dies in den dem Angeklagten S. zur Last gelegten Fällen 5, 20, 23. Hinreichende Anhaltspunkte für das Absehen von der Regelwirkung eines besonders schweren Falls liegen nicht vor. In Fall 9 soll der Angeklagte S. zudem mit einer harten Droge gehandelt haben.
IV.
Die Kosten des Rechtsmittels fallen der Landeskasse Berlin zur Last, weil kein anderer dafür haftet.
Einsender: RiKG D. Neumann, Berlin u. RiAG L. Fricke, Berlin
Anmerkung:
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