Gericht / Entscheidungsdatum: BayObLG, Beschl. v. 14.10.2024 – 206 StRR 320/24
Leitsatz des Gerichts:
1. § 21e Abs. 3 S. 1 GVG muss im Hinblick auf Art. 101 Abs. 1 S. 2GG eng ausgelegt und entsprechend angewendet werden. Dies gilt in besonderem Maße für die Überleitung bereits anhängiger Verfahren, bei denen schon eine anderweitige Zuständigkeit begründet war. Der Änderungsgrund muss in solchen Fällen im Beschluss des Präsidiums oder einem Protokoll der entsprechenden Präsidiumssitzung festgehalten werden, damit überprüfbar ist, ob die gesetzlichen Voraussetzungen für die nur ausnahmsweise zulässige Änderung der Geschäftsverteilung vorlagen.
2. Sämtliche Regelungen eines Geschäftsverteilungsplanes, der die gesetzlichen Bestimmungen über die Zuständigkeiten der jeweiligen Spruchkörper ergänzt, müssen im Voraus generell-abstrakt die Zuständigkeit der Spruchkörper und die Zuweisung der einzelnen Richter regeln, damit die einzelne Sache „blindlings“ aufgrund allgemeiner, vorab festgelegte Merkmale an den entscheidenden Richter gelangt und so der Verdacht einer Manipulation der rechtsprechenden Gewalt ausgeschlossen wird. Die Neuverteilung darf nicht im Einzelfall sowohl die Neuverteilung als auch die Beibehaltung bestehender Zuständigkeiten ermöglichen und dabei die konkreten Zuständigkeiten von Beschlüssen einzelner Spruchkörper abhängig machen.
In pp.
I. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Landshut vom 24. Januar 2024 mit den dazugehörigen Feststellungen aufgehoben.
II. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Revision, an eine andere Strafkammer des Landgerichts Landshut zurückverwiesen.
Gründe
I.
Mit Urteil des Amtsgerichts Freising vom 4. April 2023 ist der Angeklagte wegen fahrlässiger Tötung mit fahrlässiger Gefährdung des Straßenverkehrs schuldig gesprochen worden. Das Amtsgericht hat gegen ihn deswegen eine Freiheitsstrafe von einem Jahr und sechs Monaten verhängt, ihm die Fahrerlaubnis entzogen, seinen Führerschein eingezogen und eine Sperre von zwei Jahren bestimmt, während derer ihm keine Fahrerlaubnis erteilt werden darf.
Gegen dieses Urteil haben der Angeklagte und die Staatsanwaltschaft Berufung eingelegt; die Staatsanwaltschaft hat ihre Berufung auf den Rechtsfolgenausspruch beschränkt.
Mit Urteil vom 24. Januar 2024 hat das Landgericht Landshut die Berufungen mit der Maßgabe verworfen, dass die Sperre für die Wiedererteilung der Fahrerlaubnis noch ein Jahr und zwei Monate beträgt.
Gegen dieses Urteil wendet sich der Angeklagte mit der Revision, die auf Verfahrensrügen sowie auf die Sachrüge, die mit Einzelausführungen begründet ist, gestützt ist.
Die Generalstaatsanwaltschaft M. führt in ihrer Stellungnahme vom 26. August 2024 aus, die Verfahrensrügen seien unzulässig, im Übrigen aber auch unbegründet. Die Rüge der Verletzung materiellen Rechts könne ebenfalls nicht zum Erfolg führen. Sie beantragt, die Revision des Angeklagten als unbegründet kostenpflichtig zu verwerfen.
II.
Das Rechtsmittel erzielt mit der Verfahrensrüge, das erkennende Gericht sei nicht vorschriftsmäßig besetzt gewesen, § 338 Nr. 1 HS 1 StPO, zumindest vorläufigen Erfolg.
Die Revisionsbegründungsschrift begegnet zwar im Hinblick auf die Anforderung des § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO, wonach die den gerügten Mangel begründenden Tatsachen vorzutragen sind, erheblichen Bedenken. Das Vorbringen stellt sich zum weit überwiegenden Teil als überflüssig und unstrukturiert dar. Gleichwohl kann jedenfalls die Rüge der fehlerhaften Gerichtsbesetzung als noch zulässig angesehen werden (nachfolgend zu 1.). Sie erweist sich im Ergebnis auch als begründet (zu 4.). In eine Sachprüfung des angefochtenen Urteils hatte der Senat folglich nicht mehr einzutreten.
1. Gegen die Zulässigkeit der Rüge sprechen zwar die von der Generalstaatsanwaltschaft M. zutreffend dargelegten erheblichen Mängel des Revisionsvortrags. Gleichwohl stehen diese im Ergebnis der Zulässigkeit der Rüge nicht entgegen.
a) Eine Verfahrensrüge hat den Voraussetzungen des § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO zu entsprechen. Für den erforderlichen Vortrag reicht es nicht aus, die möglichweise relevanten Verfahrenstatsachen im Sinne einer Nacherzählung der Hauptverhandlung zu referieren, statt bezogen auf die jeweilige konkrete Rüge (lediglich) den insoweit für die Beurteilung maßgeblichen Verfahrensstoff mitzuteilen. Es ist nicht Aufgabe des Revisionsgerichts, sich aus einem umfangreichen Konvolut von Unterlagen das für die jeweilige Rüge Passende herauszusuchen und dabei den Sachzusammenhang selbst herzustellen (BGH, Beschluss vom 24. Oktober 2022, 5 StR 184/22, NStZ 2023, 127; Beschluss vom 14. Mai 2020, 5 StR 672/19, NStZ 2020, 625; st. Rspr.).
b) Gemessen an diesen Maßstäben erweist sich der Revisionsvortrag als problematisch. Auf die Stellungnahme der Generalstaatsanwaltschaft vom 26. August 2024 (S. 3 bis 4) wird insoweit zur Vermeidung von Wiederholungen Bezug genommen, jedoch mit der Maßgabe, dass es dem Senat mit einigem Bemühen noch möglich war zu erkennen, welcher konkrete Verfahrensmangel behauptet wird und auf welche Verfahrenstatsachen dieser sich im Kern stützt Der Senat hält die Rüge fehlerhafter Gerichtsbesetzung im Ergebnis daher nicht für unzulässig. Zur ergänzenden Begründung, auch im Hinblick auf die am 19. September 2024 eingegangene Gegenerklärung, sind folgende Ausführungen veranlasst:
aa) Der Revisionsvortrag erschöpft sich im Wesentlichen in einem Bericht über den gesamten Verfahrensgang, beginnend mit der Anklageschrift vom 24. Oktober 2022, bis zur vollständigen Wiedergabe des Berufungsurteils vom 24. Januar 2024. Dieser ist weder mit eigenen Worten noch in zusammengefasster Form oder wenigstens nur auszugsweise formuliert, sondern besteht (mittels eingescannter Dokumente) aus einer ungekürzten Wiedergabe einer Vielzahl von Aktenstücken, darunter zahlreicher im Laufe des Verfahrens eingereichter Verteidigerschriftsätze, ohne dass jeweils die für die Rüge maßgeblichen Teile hervorgehoben oder wenigstens bezeichnet wären. Die eingescannten Schriftsätze ihrerseits enthalten vielfach wieder dieselben eingescannten Dokumente und sind durch sich mehrfach wiederholende Rechtsausführungen gekennzeichnet. Die weit überwiegende Anzahl dieser Dokumente weist keinen erkennbaren Bezug zu etwaig erhobenen oder intendierten Revisionsrügen auf. Lediglich beispielhaft sei erwähnt, dass selbst das erstinstanzliche Verfahren durch vollständig einkopierte Dokumente von der Anklageschrift bis zum Urteil wiedergegeben ist, ohne jeden Hinweis, aus welchem Grund das jeweilige Dokument für maßgeblich erachtet wird (S. 2 bis einschl. 36 der Begründungsschrift). Eine auch nur entfernte Relevanz für gerügte Fehler im Verfahrens- oder im materiellen Recht erschließt sich nicht. Auch der weitere Inhalt der Revisionsbegründung weist entsprechende erhebliche Redundanzen auf. Die in der Gegenerklärung auf die Stellungnahme der Generalstaatsanwaltschaft geäußerte Auffassung des Revisionsführers, dass all dieser Vortrag erforderlich sei, trifft rechtlich nicht zu.
bb) Wenn der Senat gleichwohl die gegen die Gerichtsbesetzung gerichtete Rüge noch für zulässig ansieht, so beruht dies auf folgenden Erwägungen:
(1) Die Rüge ist unter Nennung der einschlägigen Normen – § 338 Nr. 1 StPO, § 21e Abs. 1 GVG und Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG – deutlich hervorgehoben der Revisionsbegründung vorangestellt (Rev. Begr. S. 1) und lässt ihre Zielrichtung, einen Angriff gegen den die Zuständigkeit des erkennenden Gerichts begründenden Geschäftsverteilungsplan, erkennen. Anders verhält es sich hingegen, wie die Generalstaatsanwaltschaft zutreffend beanstandet, in Bezug auf eine etwaig intendierte Rüge mit Bezug auf die erfolgte Befangenheitsablehnung gegen die Vorsitzende der Strafkammer. Dass ein solcher Angriff gewollt sein könnte, kann allenfalls vermutet werden, was nicht genügt. Es fehlt hierzu auch an jeglichem geordneten Sachvortrag.
(2) Der Senat hat daher den Revisionsvortrag von Seite 1 bis 217 (bis zur deutlich abgesetzten Aufklärungsrüge gemäß § 244 Abs. 2 StPO) ausschließlich im Hinblick auf Relevanz für die Gerichtsbesetzung in den Blick genommen, und hatte ihn nicht mehreren unterschiedlichen Verfahrensrügen zuzuordnen. Ferner hat er die in die Begründung eingescannten zahlreichen Verteidigerschriftsätze zwar zur Kenntnis genommen, nicht aber daraufhin analysiert, ob sie ihrerseits Ausführungen enthalten, die zur Begründung der gegenständlichen Rüge (mittelbar) geeignet sein könnten, denn die vom Verteidiger gefertigten Begründungsschrift hat gerügte Verfahrensfehler selbst präzise zu kennzeichnen und die sie begründenden relevanten Tatsachen strukturiert und nachvollziehbar darzulegen. Das Revisionsgericht hat sich die Argumente nicht selbst zusammenzusuchen.
(3) Die Prüfung hat ergeben, dass die Revision jedenfalls einige relevante tatsächliche Behauptungen aufstellt, die geeignet sind, die Besetzungsrüge zu tragen: Zur Entscheidung über die gegenständliche Berufung sei die 6. Strafkammer berufen gewesen. Die Überleitung auf die 7. Strafkammer durch den Präsidiumsbeschluss vom 17. Oktober 2023 (15. Nachtrag zum Geschäftsverteilungsplan) sei rechtswidrig gewesen. Es sei lediglich eine Überlastung der 3. Strafkammer, nicht aber der 6. Strafkammer ersichtlich. Zudem verstoße die Formulierung, die den Übergang davon abhängig mache, dass die bei der 6. Strafkammer anhängige Sache am 1. November 2023 noch nicht terminiert sei, gegen das Bestimmtheitsgebot, denn sie habe Raum für Manipulationen durch die 6. Strafkammer gelassen.
(3) Zur Stützung des Vorbringens beinhaltet die Begründungsschrift, wenn auch in einem verwirrenden Kontext einer Vielzahl weiterer für die Rüge bedeutungsloser Unterlagen, aber noch identifizierbar, folgende für die Prüfung relevante Dokumente: den Beschluss des Präsidiums des Landgerichts Landshut vom 17. Oktober 2023 über den 15. Nachtrag zur richterlichen Geschäftsverteilung für das Jahr 2023 (Rev.Begr. S. 78-97), die Belastungsanzeige der 3. Strafkammer vom 10. März 2023 (S. 98-99) sowie eine Verfügung des Vorsitzenden der 6. Strafkammer vom 11. September 2023 in den gegenständlichen Verfahrensakten (S. 45; Bl. 1124 d.A.).
(4) Entgegen der Auffassung der Generalstaatsanwaltschaft ist der Verfahrensfehler auch hinreichend bestimmt behauptet.
Gerügt wird, dass sich den Akten an keiner Stelle eine Auslastung bzw. die Darlegung und Verifizierung vorrangiger Haft- und Unterbringungssachen der 6. Strafkammer entnehmen lasse (Rev.Begr. S. 45). Diese, wenn auch missverständliche, Formulierung, lässt sich zum einen dahin auslegen, dass behauptet wird, eine Überlastung der 6. Strafkammer, die eine Übertragung der bereits anhängigen Sache hätte gestatten können, habe tatsächlich nicht vorgelegen. Zum anderen kommt es hierauf, wie nachfolgend auszuführen, nicht entscheidend an. Ein Verfahrensfehler liegt nämlich auch schon dann vor, wenn das Präsidium, unabhängig von der Frage, ob eine Überlastung tatsächlich bestand, den Grund für die Übertragung des Verfahrens von der 6. auf die 7. Strafkammer nicht dokumentiert hat. Auch ein solcher Mangel ist noch erkennbar behauptet.
2. Die Rüge ist nicht präkludiert. § 338 Nr. 1 2. HS, § 222a StPO und das Vorabentscheidungsverfahren gemäß § 222b Abs. 3 StPO sind, was die Revision übersehen und sie zu umfangreichem Vorbringen veranlasst hat, nicht anwendbar. Das Landgericht war mit dem Verfahren nicht im ersten Rechtszug befasst (vgl. auch Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 67. Aufl. 2024, § 338 Rn. 16; KG, Beschluss vom 14. Dezember 2017, (4) 121 Ss 127/17 (211/17), NStZ 2018, 491 Rn. 11).
3. Der Senat geht bei seiner Prüfung von der Erwiesenheit der vorgetragenen Verfahrenstatsachen aus, auch soweit sie nicht bereits durch den Akteninhalt bestätigt werden. Einer freibeweislichen Ermittlung bedarf es nicht. Der Wortlaut des Beschlusses vom 17. Oktober 2023 und der darin enthaltenen Feststellung, dass die 3. Strafkammer des Landgerichts Landshut überlastet sei, bei fehlender Feststellung einer Überlastung der 6. Strafkammer, ergibt sich aus dem eingescannten Beschluss (Rev.Begr. S. 78 ff). Für eine etwaige unvollständige Wiedergabe besteht wegen dessen äußeren Erscheinungsbildes kein Anhalt. Die Verfügung des Vorsitzenden der 6. Strafkammer vom 16. August 2023 in der gegenständlichen Verfahrensakte, wonach eine „derzeitige“ Terminierung wegen der Belastung der Kammer nicht möglich sei, ergibt sich aus dem Akteninhalt (Rev.Begr. S. 45; Bl. 1124 d.A.). Schließlich ist die Staatsanwaltschaft in ihrer Gegenerklärung vom 25. April 2024 dem Revisionsvorbringen lediglich in einem hier nicht maßgeblichen Punkt entgegengetreten (Bl. 1324 d.A.), was ebenfalls für die Richtigkeit und Vollständigkeit des weiteren Vorbringens spricht.
Es fehlt auch jeder Anhaltspunkt, dass die Revision eine etwaige nachträglich erfolgte Stellungnahme des Präsidiums bezüglich der Übertragung der gegenständlichen Sache auf die 7. Strafkammer verschwiegen haben könnte. Der Senat folgert aus dem Beschluss der 7. Strafkammer vom 24. Januar 2024, der auf den erhobenen Besetzungseinwand hin erfolgt ist, und der ohne weitere Begründung dahin lautet, dass die Übertragung dem Geschäftsverteilungsplan entspreche, der seinerseits nicht zu beanstanden sei (Rev.Begr. S. 177; Bl. 1256 d.A.), dass es einen ergänzenden Präsidiumsbeschluss nicht gibt und dass auch eine Rückfrage beim Präsidium, um eine gegebenenfalls vorhandene nachträgliche Dokumentation zum Grund der Zuständigkeitsänderung zu erfragen oder eine solche herbeizuführen, nicht stattgefunden hat.
4. Die Verfahrensrüge ist auch begründet. Die Übertragung des den Angeklagten betreffenden Verfahrens auf die 7. Strafkammer ist nicht gesetzmäßig erfolgt. Das erkennende Gericht war nicht zur Verhandlung und Entscheidung im vorliegenden Verfahren berufen. Es liegt der absolute Revisionsgrund der nicht vorschriftsmäßigen Besetzung vor, § 338 Nr. 1 StPO.
a) Der Senat geht von folgendem Prozessgeschehen aus:
Bei Vorlage der Berufungen gegen das Urteil des Amtsgerichts Freising vom 4. April 2023 an das Landgericht Landshut als Berufungsgericht mit Eingang am 8. August 2023 (Rev.Begr. S. 42, Bl. 1121 d.A.) war die 6. Strafkammer des Landgerichts Landshut gemäß dem zu diesem Zeitpunkt geltenden Geschäftsverteilungsplan für die Sache zuständig. Mit Datum vom 17. Oktober 2023 wurde seitens des Präsidiums der 15. Nachtrag zur richterlichen Geschäftsverteilung bei dem Landgericht Landshut für das Geschäftsjahr 2023 beschlossen, der unter Ziff. „I. Feststellung“ folgende Formulierung enthält:
„1. Die dritte Strafkammer (Wirtschaftsstrafkammer) ist wegen mehrerer Anklagen der Europäischen Staatsanwaltschaft überlastet (vgl. Belastungsanzeige vom 10.03.2023). Es wird eine weitere Wirtschaftsstrafkammer (7. Strafkammer) eingerichtet.
2. Staatsanwältin als Gruppenleiterin Z. ist mit Wirkung vom 01.11.2023 zur Vorsitzenden Richterin am Landgericht ernannt worden. […]
(Beschluss S. 1; Rev.Begr. S. 78).
Unter II. Nr. 1 heißt es:
„Vorsitzende Richterin am Landgericht Z. wird Vorsitzende der 7. Strafkammer.“ (Beschluss S. 2, Rev.Begr. S.79).
II. Nr. 17 enthält folgende Regelung:
„Alle anhängigen Berufungsverfahren der 6. Strafkammer, die am 01.11.2023 noch anhängig sind und bei denen in der 6. Strafkammer noch kein Hauptverhandlungstermin für die Zukunft bestimmt ist, werden der 7. Strafkammer übertragen.“ (Beschluss S. 10, Rev.Begr. S. 87)
Das gegenständliche Berufungsverfahren wurde entsprechend dieser Regelung auf die 7. Strafkammer übergeleitet und von dieser weitergeführt. Das angefochtene Berufungsurteil wurde von der 7. Strafkammer erlassen.
b) Die Revision rügt zu Recht, dass der Präsidiumsbeschluss vom 17. Oktober 2023 jedenfalls in Ansehung der Übertragung der gegenständlichen Berufungssache auf die 7. Strafkammer den Anforderungen des § 21e Abs. 1, Abs. 3 GVG an eine unterjährige Änderung von Geschäftsaufgaben nicht standhält.
aa) Gemäß § 21e Abs. 1 GVG ist die Verteilung der richterlichen Geschäfte vor dem Beginn eines Geschäftsjahres für dessen Dauer zu bestimmen. Änderungen während des laufenden Geschäftsjahres haben dem Maßstab des § 21e Abs. 3 Satz 1 GVG zu entsprechen. Dies ist der Fall, wenn sie aus den im Gesetz genannten Gründen, beispielsweise wegen der Überlastung eines Spruchkörpers, nötig werden.
(1) § 21e Abs. 3 Satz 1 GVG muss im Hinblick auf Art. 101 Abs. 1 Satz 2GG eng ausgelegt und entsprechend angewendet werden (st. Rspr.; vgl. BGH, Beschluss vom 5. August 1976, 5 StR 314/76, NJW 1976, 2029; s. auch Beschluss vom 21. April 2022, StB 13/22, BeckRS 2022,12653 Rn. 14 m.w.N.), denn eine Änderung im laufenden Geschäftsjahr birgt stets Gefahren für das verfassungsrechtliche Gebot des gesetzlichen Richters in sich.
Dies gilt in besonderem Maße für die Überleitung bereits anhängiger Verfahren, bei denen schon eine anderweitige Zuständigkeit begründet war. Deshalb ist es in solchen Fällen geboten, die Gründe, die eine derartige Umverteilung erfordern, umfassend und nachvollziehbar zu dokumentieren und den Verfahrensbeteiligten – jedenfalls auf Verlangen – zur Kenntnis zu bringen, um den Anschein einer willkürlichen Zuständigkeitsverschiebung auszuschließen (BGH BeckRS 2022, 12653 Rn. 14; Urteil vom 9. April 2009, 3 StR 376/08, NJW 2010, 625 Rn. 11; Beschluss vom 22. März 2016, 3 StR 516/15, NStZ 2016, 562; vgl. auch BVerfG, Beschluss vom 16. Februar 2005, 2 BvR 581/03, NJW 2005, 2689, 2690). Der Änderungsgrund muss im Beschluss des Präsidiums oder einem Protokoll der entsprechenden Präsidiumssitzung festgehalten werden, damit überprüfbar ist, ob die gesetzlichen Voraussetzungen für die nur ausnahmsweise zulässige Änderung der Geschäftsverteilung vorlagen (BGH NStZ 2016, 562).
(2) Diesen Anforderungen genügt der Beschluss des Präsidiums vom 17. Oktober 2023 bereits deshalb nicht, weil die erforderliche Dokumentation derjenigen Gründe fehlt, die das Präsidium zur Änderung der Geschäftsverteilung im hier maßgeblichen Punkt veranlasst haben. Es kann deshalb nicht beurteilt werden, ob die Überleitung des den Angeklagten betreffenden anhängigen Berufungsverfahrens von der 6. auf die 7. Strafkammer rechtmäßig war.
(i) Das Präsidium hat im Änderungsbeschluss (lediglich) festgestellt, Anlass für die Änderung der Geschäftsverteilung sei die Überlastung der 3. Strafkammer als Wirtschaftsstrafkammer; es werde eine weitere Wirtschaftsstrafkammer (7. Strafkammer) eingerichtet (Beschluss unter „I.“ Rev.Begr. S. 78). Dem lag eine Überlastungsanzeige der 3. Strafkammer (bereits vom 10. März 2023) zugrunde (Bezugnahme im Beschluss a.a.O.; Anzeige der Vorsitzenden der 3. Strafkammer vom 10. März 2023, Rev.Begr. S. 98 f.). Von einer Überlastung der 6. Strafkammer ist das Präsidium ersichtlich nicht ausgegangen. Weder im Beschluss noch in einer sonst dokumentierten Stellungnahme – die auch nachträglich zum Zweck der Heilung noch möglich gewesen wäre (vgl. KK-StPO/Diemer, 9. Aufl. 2023, § 21e GVG Rn. 15; BGH Beschluss vom 25. März 2021, 3 StR 10/20, BeckRS 2021, 13180 Rn. 39) – findet sich ein diesbezüglicher Hinweis. Aus der Verfügung des Vorsitzenden der 6. Strafkammer vom 16. August 2023 zu den gegenständlichen Verfahrensakten, die dahin lautet, eine „derzeitige“ Terminierung sei wegen der Belastung der Kammer nicht möglich, sie werde „nach Bewältigung der aktuellen Auslastung“ erfolgen (Rev.Begr. S. 45; Bl. 1124 d.A.), ergibt sich nichts anderes. Ausweislich der Verfügung ist diese lediglich den Verfahrensbeteiligten, nicht aber dem Präsidium des Landgerichts zugeleitet worden, die demzufolge eine Überlastung der 6. Strafkammer auch nicht dokumentiert hat. Im Übrigen ergibt sich aus der Verfügung auch inhaltlich keine dauerhafte Überlastung der 6. Strafkammer im Sinne des § 21e Abs. 3 GVG, allenfalls eine „derzeitige“ Auslastung mit anderen Verfahren; eine Terminierung nach deren Bewältigung wurde in Aussicht gestellt.
(ii) Der Generalstaatsanwaltschaft ist einzuräumen, dass als weiterer Änderungsgrund gemäß § 21e Abs. 3 GVG in Betracht kommt, dass die Neubildung eines Spruchkörpers (7. Strafkammer) eine Neuverteilung von Geschäftsaufgaben erforderlich gemacht haben kann (vgl. dazu KK-StPO/Gericke, 9. Aufl. 2023, § 338 Rn. 30). Gleichwohl ist auch insoweit lediglich dokumentiert, dass infolge des außergewöhnlichen Geschäftsanfalls in der 3. Strafkammer (Wirtschaftsstrafkammer) der neu geschaffenen Kammer neben neu eingehenden Verfahren auch ein Teil der dort bereits anhängigen Wirtschaftsstrafsachen übertragen wird. Die Zuweisung auch anderer Verfahren, hier von bereits anhängigen Berufungsverfahren in allgemeinen Strafsachen, entbehrt einer Begründung. Dieser Mangel betrifft auch die Frage, aus welchen Gründen insoweit eine Umverteilung zum 1. November 2023 noch im laufenden Geschäftsjahr nötig war.
(3) Das Revisionsgericht hat die aufgezeigten Mängel bei seiner rechtlichen Prüfung zu berücksichtigen. Nach bisheriger ständiger Rechtsprechung unterliegt die Entscheidung des Präsidiums nach § 21 e Abs. 3 GVG nicht lediglich einer Vertretbarkeits – oder Willkürkontrolle, sondern ist einer vollständigen revisionsgerichtlichen Überprüfung unterworfen (BGH, Beschluss vom 10. Juli 2013, 2 StR 116/13, NStZ 2014, 226 Rn. 17; Urteil vom 7. April 2021, 1 StR 10/20, NStZ 2023, 122 Rn. 17, je m.w.N; für den verfassungsrechtlichen Kontrollmaßstab ebenso BVerfG, Beschluss vom 16. Februar 2005, 2 BvR 581/03, NJW 2005, 2689, 2690).
Ob, wie es die Generalstaatsanwaltschaft in ihrem Vorlageschreiben vertritt (S. 6), abweichend hiervon eine Prüfung lediglich auf objektive Willkür vorzunehmen ist, wenn das Präsidium die Annahme der tatbestandlichen Voraussetzungen des § 21e Abs. 3 GVG fehlerhaft beurteilt hat (angedeutet, aber letztlich offengelassen von BGH, Beschluss vom 21. April 2022, StB 13/22, BeckRS 2022, 12653 Rn. 25 und BGH, Beschluss vom 25. März 2021, 3 StR 10/20, BeckRS 2021, 13180 Rn. 44 ff.), bedarf keiner Entscheidung.
Die Frage, ob die tatbestandlichen Voraussetzungen für eine Entlastung der 3. Strafkammer tatsächlich vorlagen, und nach welchem Maßstab dies zu überprüfen wäre, spielt für die hier maßgebliche Frage keine Rolle. Entscheidend ist, dass sich für die Regelung betreffend die 6. Strafkammer gar keine Begründung findet. Dem Senat ist es daher, unabhängig vom anwendbaren Prüfungsmaßstab, überhaupt nicht möglich nachzuvollziehen, aus welchen Gründen die Übertragung der bereits anhängigen Berufungssache erfolgt ist und nicht erst, ob das Vorliegen der tatbestandlichen Voraussetzungen des § 21e Abs. 3 GVG zutreffend bewertet wurde.
c) Zudem bestehen durchgreifende Rechtsbedenken gegen die Bestimmtheit der Geschäftsverteilung, soweit sie den Übergang von in der 6. Strafkammer bereits anhängiger Berufungsverfahren davon abhängig gemacht hat, dass diese „am 01.11.2023 noch anhängig sind und bei denen in der 6. Strafkammer noch kein Hauptverhandlungstermin für die Zukunft bestimmt ist“ (II. Nr. 17 des Beschlusses, Rev.Begr. S. 87).
aa) Sämtliche Regelungen eines Geschäftsverteilungsplanes, der die gesetzlichen Bestimmungen über die Zuständigkeiten der jeweiligen Spruchkörper ergänzt, müssen die wesentlichen Merkmale gesetzlicher Vorschriften aufweisen. Sie müssen also im Voraus generell-abstrakt die Zuständigkeit der Spruchkörper und die Zuweisung der einzelnen Richter regeln, damit die einzelne Sache „blindlings“ aufgrund allgemeiner, vorab festgelegte Merkmale an den entscheidenden Richter gelangt und so der Verdacht einer Manipulation der rechtsprechenden Gewalt ausgeschlossen wird (BVerfG, Beschluss vom 23. Dezember 2016, 2 BvR 2023/16, BeckRS 2016,111809 Rn. 25; BGH BeckRS 2022, 12653 Rn. 11). Es muss im Vorhinein so genau wie möglich feststehen, welcher Richter für welches Verfahren im Einzelfall berufen ist (Münchener Kommentar zur StPO/Schuster, § 21e GVG Rn. 29 m.w.N.). Soweit bereits anhängige Verfahren von einer Neuverteilung bestehender Zuständigkeiten erfasst werden, sind diese Voraussetzungen nur dann erfüllt, wenn die Neuverteilung durch den Geschäftsverteilungsplans selbst erfolgt, nicht aber, wenn sie im Einzelfall sowohl die Neuverteilung als auch die Beibehaltung bestehender Zuständigkeiten ermöglichen und dabei die konkreten Zuständigkeiten von Beschlüssen einzelner Spruchkörper abhängig machen (BVerfG a.a.O. Rn. 26).
bb) Diesem Maßstab wird die gegenständliche Regelung nicht gerecht.
(1) Nach dem Inhalt der am 17. Oktober 2023 vom Präsidium beschlossenen Klausel sollte der Übergang bereits anhängiger Berufungsverfahren von zwei Voraussetzungen abhängig sein, die, so jedenfalls der Wortlaut, am 1. November 2023 noch vorliegen sollten: die Sache sollte noch anhängig und noch nicht (für die Zukunft) terminiert sein. Jedenfalls hinsichtlich der zweiten Voraussetzung lag es demnach in der Hand des Vorsitzenden der 6. Strafkammer, im verbleibenden Zeitraum zwischen dem 17. und dem 31. Oktober 2023 die Voraussetzungen für den Übergang des Verfahrens eintreten zu lassen oder zu verhindern, je nachdem, ob er die Sache noch terminieren oder dieses unterlassen würde. Damit handelt es sich um eine Bestimmung, die die Begründung einer konkreten, auf den Einzelfall bezogenen Zuständigkeit in unzulässiger Weise in die Entscheidungsgewalt eines Spruchkörpers gelegt hat, der gerade Adressat der generell-abstrakten Zuständigkeit sein sollte (vgl. BVerfG a.a.O. Rn. 31 für eine Regelung, die den Übergang von Verfahren an die Frage knüpft, ob bis zum Stichtag das Hauptverfahren noch eröffnet wird).
(2) Die Generalstaatsanwaltschaft weist zwar in ihrer Stellungnahme zutreffend darauf hin, dass Regelungen in einem Geschäftsverteilungsplan ebenso wie abstrakt-generelle Gesetze der Auslegung, auch im Lichte des Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG, zugänglich sind (Vorlageschreiben S. 7). Der Senat sieht jedoch keinen Spielraum für eine Interpretation dahingehend, dass es für die Frage, ob das Verfahren schon terminiert sei, auf den Tag des Präsidiumsbeschlusses ankommen solle, und deshalb kein Spielraum für eine Manipulation bis zum Stichtag 1. November 2023 gegeben sei. Die Bestimmung im Präsidiumsbeschluss stellt das Datum „01.11.2023“ den erst danach genannten beiden Voraussetzungen für einen Übergang der Sache voran, was dafür spricht, dass auch beide auf diesen Termin in der Zukunft bezogen sind. Auch aus der verwendeten Zeitform lassen sich keine abweichenden Schlüsse ziehen. Beide Voraussetzungen sind, nach Nennung des künftigen Stichtags, im Präsens formuliert („noch anhängig sind“; „noch kein Hauptverhandlungstermin für die Zukunft bestimmt ist“); für eine differenzierende Auslegung dahin, dass sich diese Klauseln auf unterschiedliche Daten beziehen könnten, sieht der Senat keinen ausreichenden Anhalt. Lediglich ergänzend sei bemerkt, dass auch der Vorsitzende der 6. Strafkammer selbst die Regelung dahin ausgelegt hat, dass er den Übergang der Sache durch eigene Terminierung noch verhindern könne, denn unter dem 26. Oktober 2023 hat er verfügt, dass ihm eine „Terminierung dieses Verfahrens […] vor dem 01.11.2023 nicht mehr möglich“ sei (Rev.Begr. S. 46; Bl. 1125 d.A.).
d) Wegen der aufgezeigten Verstöße gegen § 21e Abs. 3 GVG, Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG stellt sich die Überleitung des gegenständlichen Verfahrens von der ursprünglich zuständigen 6. Strafkammer des Landgerichts Landshut auf die 7. Strafkammer als unzulässig dar. Das erkennende Gericht war nicht vorschriftsmäßig besetzt. Es liegt der absolute Revisionsgrund des § 338 Nr. 1 StPO vor.
III.
Auf die Revision des Angeklagten hin ist daher das angefochtene Urteil mit den zugrunde liegenden Feststellungen, §§ 349 Abs. 4, 353 Abs. 1 und Abs. 2 StPO, aufzuheben. Das Verfahren wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung an eine andere Strafkammer des Landgerichts Landshut zurückverwiesen.
Einer Entscheidung über weitere Verfahrensrügen bedarf es nicht mehr, ebenso wenig war das Urteil noch auf die erhobene Sachrüge hin einer rechtlichen Prüfung auf Fehler im sachlichen Recht hin zu unterziehen.
Für das weitere Verfahren weist der Senat im Hinblick auf die erhobene Aufklärungsrüge gemäß § 244 Abs. 2 StPO gleichwohl auf Folgendes hin:
Nach den Feststellungen, die das Landgericht auf der Grundlage einer ausführlichen Beweisaufnahme und sachverständig beraten getroffen hat, hat sich die Alkoholisierung des Getöteten im Unfallgeschehen nicht ausgewirkt (UA S. 23), und zwar unabhängig davon, davon, ob die Blutalkoholkonzentration im Zeitpunkt des Unfalls (um 06:05 Uhr) höher war als zum Zeitpunkt der späteren Leichenblutentnahme bei dem bereits um 07:30 Uhr verstorbenen Unfallgeschädigten. Der Unfall war nach den Feststellungen für ihn in jedem Fall unvermeidbar (UA S. 5).
Auf der Basis dieser Feststellungen hätte die erhobene Aufklärungsrüge mit der Zielrichtung, die Blutalkoholkonzentration des Getöteten zum Zeitpunkt des Unfalls hätte genauer bestimmt werden müssen, keine Aussicht auf Erfolg. Es existiert kein Rechtssatz des Inhalts, dass ein alkoholisierter Verkehrsteilnehmer, der bei einem Verkehrsunfall infolge schuldhaften Verhaltens eines anderen Verkehrsteilnehmers getötet wird, und dessen Alkoholisierung in keiner Weise mitursächlich für das Unfallgeschehen war, weniger schutzwürdig sein könnte als ein nicht oder geringer alkoholisierter Getöteter. Auch für das Ausmaß der Schuld des den tödlichen Unfall allein schuldhaft Verursachenden spielt eine etwaige Alkoholisierung bzw. deren Höhe der getöteten Person in einem solchen Fall fehlender Mitursächlichkeit keine Rolle.
Für den Fall, dass das neue Tatgericht hinsichtlich einer etwaigen Mitursächlichkeit der Alkoholisierung des Getöteten zu denselben Feststellungen und Beweisergebnissen gelangt, sieht der Senat keinen sachlichen Anlass für die Vornahme der vom Revisionsführer begehrten Beweiserhebung.
Einsender:
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