Diese Homepage verwendet Cookies, um Inhalte und Anzeigen zu personalisieren, Funktionen für soziale Medien anbieten zu können und die Zugriffe auf die Website zu analysieren. Außerdem gebe ich Informationen zu Ihrer Nutzung meiner Website an meine Partner für soziale Medien, Werbung und Analysen weiter.

OK Details ansehen Datenschutzerklärung

Entscheidungen

StPO

Informelle Absprache, Geständnis, Bindungswirkung, fair-trial-Grundsatz

Gericht / Entscheidungsdatum: OLG Naumburg, Beschl. v. 24.9.2024 – 1 ORs 112/24

Eigener Leitsatz:

Das erstinstanzlich aufgrund einer (informell) getroffenen Verständigung erfolgte Geständnis des Angeklagten darf in der Berufungsinstanz jedenfalls dann nicht verwertet werden, wenn das Berufungsgericht den Angeklagten zu einer Strafe über der erstinstanzlich vereinbarten Strafobergrenze verurteilten will.


OBERLANDESGERICHT NAUMBURG

BESCHLUSS

1 ORs 112/24

In dem Strafverfahren
gegen pp.

Verteidiger:
wegen tätlichen Angriffs auf Vollstreckungsbeamte u. a.

hat der 1. Strafsenat des Oberlandesgerichts Naumburg am 24. September 2024 durch die Vorsitzende Richterin am Oberlandesgericht, den Richter am Oberlandesgericht und die Richterin am Landgericht gemäß § 349 Abs. 4 StPO einstimmig beschlossen:

Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Dessau-Roßlau -7. kleine Strafkammer als Berufungskammer - vom 31. Mai 2024 mit den zugrundeliegenden Feststellungen aufgehoben.
Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Revision, an eine andere kleine Strafkammer des Landgerichts Dessau-Roßlau zurückverwiesen.

Gründe:

I.

Mit Urteil vom 24. Januar 2024 verurteilte das Amtsgericht Köthen (Az.: 5 Ds 294 Js 9725/23 (45/23)) den Angeklagten, gestützt auf dessen geständige Einlassung, wegen tätlichen Angriffs auf Vollstreckungsbeamte in Tateinheit mit versuchter Körperverletzung, mit Bedrohung in vier rechtlich zusammentreffenden Fällen und mit Beleidigung in zwei rechtlich zusammentreffenden Fällen sowie wegen Bedrohung in Tateinheit mit tätlichem Angriff auf Vollstreckungsbeamte, mit versuchter Körperverletzung und mit Beleidigung unter Einbeziehung der Strafen aus den Urteilen des Amtsgerichts Köthen vom 3. Mai 2023 (Az.: 5 Ls 22/22 - 294 Js 28038/22) und vom 19. Oktober 2022 (Az.: 5 Ls 14/21 -190 Js 31659/20) zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr und acht Monaten.

Gegen dieses Urteil wandten sich der Angeklagte mit zunächst unbeschränkter Berufung sowie die Staatsanwaltschaft mit einer auf den Rechtsfolgenausspruch beschränkten Berufung.

Im Termin zur Berufungshauptverhandlung vor dem Landgericht Dessau-Roßlau am 31. Mai 2024 beschränkte der Angeklagte seine Berufung ebenfalls auf den Rechtsfolgenausspruch. Daraufhin änderte das Landgericht Dessau-Roßlau unter Annahme einer beiderseitigen wirksamen Beschränkung der Berufung auf den Rechtsfolgenausspruch das Urteil des Amtsgerichts Köthen mit Urteil vom 31. Mai 2024 im Rechtsfolgenausspruch ab und verurteilte den Angeklagten zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr, deren Vollstreckung es zur Bewährung aussetzte.

Gegen dieses Urteil wendet sich die Revision des Angeklagten, die mit der Verletzung formellen und materiellen Rechts begründet wird.

Die Generalstaatsanwaltschaft hat beantragt, die Revision des Angeklagten als offensichtlich unbegründet zu verwerfen.

Die Revision des Angeklagten hat bereits mit der Sachrüge Erfolg und führt zur Aufhebung des Urteils.

Die Beschränkung der Berufung der Staatsanwaltschaft auf den Rechtsfolgenausspruch war nicht wirksam, so dass das Landgericht nicht über alle Teile des amtsgerichtlichen Urteils entschieden hat, die seiner Prüfungskompetenz unterlagen.

Die Wirksamkeit der Berufungsbeschränkung hatte der Senat von Amts wegen im Freibeweis zu prüfen (vgl. KG Berlin, Urteil vom 17. August 2022 - (3) 161 Ss 129/22 (44/22) - , Rn. 14; Bayerisches Oberstes Landesgericht, Beschluss vom 16. Juni 2021 - 206 StRR 226/21 - , Rn. 4, 8; OLG Celle, Beschluss vom 23. November 2020 - 3 Ss 48/20 - , Rn. 23; jeweils zitiert nach juris; Paul in Karlsruher Kommentar zur StPO, 9. Auflage, § 318 Rn. 11 m. w. N).

Aufgrund der substanziierten Angaben des Angeklagten in seiner Revisionsbegründungsschrift, denen die Staatsanwaltschaft nicht entgegengetreten ist, der mit der Revisionsgegenerklärung der Staatsanwaltschaft mitgeteilten Erklärung des erstinstanzlichen Sitzungsvertreters der Staatsanwaltschaft, die mit den Angaben des Angeklagten (jedenfalls soweit es die Absprache der Verhängung einer Gesamtstrafe unter Einbeziehung von Vorstrafen betrifft) in Einklang steht, sowie der im Protokoll festgehaltenen Vorgänge in der erstinstanzlichen Hauptverhandlung geht der Senat davon aus, dass vor der erstinstanzlichen Hauptverhandlung zwischen dem Gericht und den Verfahrensbeteiligten eine - wenn auch informelle und damit unzulässige - Verständigung jedenfalls dahingehend getroffen worden ist, dass für den Fall eines Geständnisses des Angeklagten unter Einbeziehung der Strafen aus den Urteilen des Amtsgerichts Köthen vom 3. Mai 2023 und vorn 19. Oktober 2022 eine Gesamtfreiheitsstrafe von nicht mehr als einem Jahr und neun Monaten verhängt wird.

Die Staatsanwaltschaft war durch die vorangegangene Verständigung nicht an der Einlegung der Berufung gehindert (vgl. OLG Hamm, Beschluss vom 22. November 2017 - 111-1 RVs 79/17 -, Rn. 16; Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 67. Auflage, vor § 312 Rn. 1e).

Jedoch hat die Staatsanwaltschaft ausweislich der Berufungsbegründung mit ihrer Berufung das Ziel verfolgt, die verhängten Einzelstrafen zu erhöhen und von der Gesamtstrafenbildung mit den erwähnten Strafen aus den vorangegangenen Urteilen abzusehen. Dieses verfolgte Ziel bedeutete für den Angeklagten in jedem Fall eine Überschreitung des Verständigungsstrafrahmens. Denn mit dem Urteil des Amtsgerichts Köthen vom 3. Mai 2023 war unter Einbeziehung der Strafen aus dem Urteil des Amtsgerichts Köthen vom 19. Oktober 2022 eine Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr und vier Monaten verhängt worden. Selbst bei Beibehaltung der erstinstanzlich verhängten beiden Einzelstrafen von vier und fünf Monaten hätte aus diesen zwingend eine Gesamtfreiheitsstrafe gebildet werden müssen, mit der sich ohne die Bildung einer Gesamtstrafe mit den Strafen aus den genannten Vorverurteilungen die Gesamthöhe der Strafen gegenüber der nach dem Inhalt der Verständigung höchstmöglichen, aus allen Strafen gebildeten Gesamtfreiheitsstrafe erhöht.

Das erstinstanzlich aufgrund einer getroffenen Verständigung erfolgte Geständnis des Angeklagten darf in der Berufungsinstanz aber jedenfalls dann nicht verwertet werden, wenn - wie hier - das Berufungsgericht den Angeklagten zu einer Strafe über der erstinstanzlich vereinbarten Strafobergrenze verurteilten will. Denn der Schutz des Angeklagten, welcher in dem Grundsatz des fairen Verfahrens (Art 6 Abs. 1 S. 1 EMRK) manifestiert ist, verlangt, dass ein verständigungsbasiertes Geständnis bei einer fehlgeschlagenen Verständigung unverwertbar ist, weil er dieses im Vertrauen auf die Einhaltung der vereinbarten Strafobergrenze abgelegt hat (BGH, Beschluss vom 17. Februar 2021 - 5 StR 484/20 BGHSt 66, 37-48, Rn. 20; OLG Hamm, Beschluss vom 22. November 2017 - 111-1 RVs 79/17 Rn. 19; OLG Naumburg, Urteil vom 16. März 2017 2 Rv 3/17 -, Rn. 7; OLG Düsseldorf, Beschluss vom 6. Oktober 2010 - 111-4 RVs 60/10 -, Rn. 12; jeweils zitiert nach juris; Meyer-Goßner/Schmitt a. a. O.).

Das Verbot, das Geständnis zu verwerten, führt hier dazu, dass Schuldspruch und Rechtsfolgenausspruch rechtlich und tatsächlich nicht mehr selbstständig beurteilt werden können (vgl. OLG Hamm a. a. O. Rn. 20; OLG Naumburg a. a. O. Rn. 8; KG Berlin, Beschluss vom 7. Oktober 2020 - (4) 161 Ss 121/20 (166/20) - , Rn. 9; zitiert nach juris; Meyer-Goßner/Schmitt a. a. O.). Dem fair-trial-Grundsatz widerspräche es, wenn Gericht, Staatsanwaltschaft und Angeklagter sich - sei es unter den Voraussetzungen des § 257c StPO oder im Rahmen einer unzulässigen informellen Absprache - auf einen bestimmten Strafrahmen verständigt hätten, der Angeklagte mit Rücksicht darauf ein Geständnis abgibt, das Gericht absprachegemäß verurteilt, die Staatsanwaltschaft sodann aber gegen das Urteil Rechtsmittel mit dem Ziel einer höheren Bestrafung einlegt, welche dann - letztlich auf der Grundlage des erstinstanzlichen Geständnisses - erfolgt (OLG Düsseldorf a. a. O.).

Wegen der fehlenden Trennbarkeit von Schuld- und Rechtsfolgenausspruch war daher die Beschränkung der Berufung der Staatsanwaltschaft auf den Rechtsfolgenausspruch unwirksam.

Das Landgericht hätte daher nicht von der Wirksamkeit der Beschränkung der Berufung der Staatsanwaltschaft ausgehen dürfen und das erstinstanzliche Urteil umfassend im Schuldspruch mit eigenen Feststellungen überprüfen müssen.

Daran ändert in der vorliegenden Konstellation auch nichts, dass es in der Berufungshauptverhandlung ebenfalls zu einer - diesmal formal ordnungsgemäßen -Verständigung der Verfahrensbeteiligten nach § 257c StPO gekommen ist. Diese Verständigung hatte zum Inhalt, dass bei Beschränkung der Berufung des Angeklagten auf den Rechtsfolgenausspruch eine Gesamtfreiheitsstrafe zwischen neun Monaten und einem Jahr, ausgesetzt zur Bewährung, verhängt wird, woraufhin der Angeklagte seine Berufung entsprechend beschränkt hat. Zu einem Geständnis, das zur Grundlage der Überprüfung des Schuldspruches hätte gemacht werden können, kam es aufgrund der Verständigung bereits nicht. Ferner hätte ein solches Geständnis aufgrund der vom Landgericht angenommen wirksamen Beschränkung der Berufungen auf den Rechtsfolgenausspruch auch keine Bedeutung für die Entscheidungsfindung betreffend den Schuldspruch mehr entfalten können (vgl. OLG Düsseldorf a. a. O. Rn. 15). Nur wenn das Berufungsgericht den Schuldspruch auch tatsächlich überprüft, kann eine aufgrund der neu zu treffenden Verständigung abgegebene geständige Einlassung des Angeklagten Grundlage für eine Verurteilung sein (s. a. OLG Hamm a. a. O. Rn. 22).

Der Senat hebt das landgerichtliche Urteil mit den zugehörigen Feststellungen auf und verweist die Sache an eine andere kleine Strafkammer des Landgerichts Dessau-Roßlau zurück (§ 354 Abs. 2 S. 1 StPO). Die neu zuständige Kammer wird umfassend die notwendigen Feststellungen zum Tatgeschehen und zu den Rechtsfolgen zu treffen haben.


Einsender: RA J.-R. Funck, Braunschweig

Anmerkung:


zurück zur Übersicht

Die Nutzung von Burhoff-Online ist kostenlos. Der Betrieb der Homepage verursacht aber für Wartungs-, Verbesserungsarbeiten und Speicherplatz laufende Kosten.

Wenn Sie daher Burhoff-Online freundlicherweise durch einen kleinen Obolus unterstützen wollen, haben Sie hier eine "Spendenmöglichkeit".