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Entscheidungen

StGB/Nebengebiete

Halbstrafe, Voraussetzungen, besondere Umstände, Rückfallrisiko

Gericht / Entscheidungsdatum: LG Stendal, Beschl. v. 22.08.2024 - 508 StVK 188/24

Eigener Leitsatz:

Nach § 57 Abs. 1 S. 1 StGB ist für eine Strafaussetzung bereits nach Verbüßung der Hälfte der verhängten Freiheitsstrafe das Vorliegen besonderer Umstände erforderlich, die sich aus einer Gesamtwürdigung von Tat, Persönlichkeit der verurteilten Person und ihrer Entwicklung während des Strafvollzuges ergeben müssen. Vordergründig ist jedoch, was aus dem Verweis auf § 57 Abs. 1 Satz 1 StGB folgt, erforderlich, dass eine Strafaussetzung unter Berücksichtigung des Sicherheitsinteresses der Allgemeinheit verantwortet werden kann. Verantworten lässt sich das mit der Aussetzung des Restes einer Freiheitsstrafe verbundene Risiko der Begehung neuer Straftaten durch den Verurteilten nur, wenn die begründete Aussicht auf den Eintritt eines Resozialisierungserfolges in Gestalt zukünftiger Straffreiheit besteht.


Landgericht Stendal
508 StVK 188/24

Beschluss

In der Strafvollstreckungssache
betreffend pp.

Verteidiger: Rechtsanwalt Siebers aus Braunschweig

hat die Strafkammer 8 des Landgerichts Stendal - Auswärtige Strafvollstreckungskammer mit Sitz in Burg -durch Richter am Amtsgericht am 22.08.2024 beschlossen:

1. Die Vollstreckung des Restes der gegen den Verurteilten verhängten Gesamtfreiheitsstrafe aus dem Urteil des Landgerichts München I vom 07.09.2022, Geschäftszeichen 6 KLs 307 Js 116158/18, wird nach Verbüßung der Hälfte zur Bewährung ausgesetzt. Der Verurteilte ist in dieser Sache aus der Haft zu entlassen.
2. Die Bewährungszeit wird auf drei Jahre festgesetzt.
3. Der Verurteilte wird für die Dauer eines Jahres der Aufsicht und Leitung eines für ihn zustän
digen Bewährungshelfers unterstellt.
4. Den Verurteilten wird für die Dauer der Bewährungszeit folgende Weisung erteilt:
Der Verurteilte hat dem Gericht innerhalb der Bewährungszeit jeden Wechsel des Wohnsitzes anzuzeigen.
5. Die Belehrung über die Bedeutung der Strafaussetzung wird gemäß § 454 Abs. 4 S. 2 StPO
der JVA Burg übertragen.

Gründe:

I.

Das Landgericht München 1 verhängte gegen den Verurteilten am 07.09.2022 wegen Steuerhinterziehung in 15 Fällen unter Einbeziehung der Strafe aus dem Urteil des Amtsgerichts München vom 21.06.2019 eine Gesamtfreiheitsstrafe von 4 Jahren und 7 Monaten. Den tat-sächlichen Feststellungen des Urteils zufolge hatte der Verurteilte seit 2007 das Sicherheits-unternehmen "PM Event und Security Services Agency" in München im Form eines Einzel-unternehmens geführt. Ab 2012 bis 2016 hatte er ein weiteres Sicherheitsunternehmen in München unter dem Namen "Guards United" als tatsächlicher Inhaber geführt. Das Gewerbe war allerdings seit dem 01.03.2013 bis zum 10.06.2016 auf den Verurteilten pp. angemeldet gewesen. Trotz verschiedener Firmenbezeichnungen hatte es sich um eine einzige Sicherheitsfirma, welche als Einzelunternehmen durch den Verurteilten betrieben worden waren, gehandelt. Entgegen der ihn treffenden Verpflichtung hatte der Verurteilte in dem Zeitraum von 2012 bis 2016 keine Jahressteuererklärungen für die Einkommens-, Gewerbe- und Umsatzsteuer abgegeben. Insgesamt hatte der Verurteilte Aufwendungen i.H.v. 898.658,62 € durch die Steuerhinterziehungen erspart. Wegen der Einzelheiten der Taten wird auf die tatsächlichen Feststellungen des Urteils des Landgerichts München 1 vom 07.09.2022 (BI. 1 ff. des Vollstreckungsheftes) ergänzend Bezug genommen.

Die einbezogene Entscheidung des Amtsgerichts München vom 21.06.2019 war wegen vorsätzlichem unerlaubten Erwerb einer halbautomatischen Kurzwaffe in Tateinheit mit vorsätzlichem unerlaubten Besitz einer halbautomatischen Kurzwaffe in Tateinheit mit vorsätzlichem unerlaubten Erwerb einer Kriegswaffe in Tateinheit mit vorsätzlichem unerlaubten Erwerb einer halbautomatischen Kurzwaffe in 3 tateinheitlichen Fällen mit vorsätzlichem unerlaubten Erwerb von Munition in Tateinheit mit vorsätzlichem unerlaubten Besitz einer Kriegswaffe in Tateinheit mit vorsätzlichem unerlaubten Besitz einer halbautomatischen Kurzwaffe in 3 tateinheitlichen Fällen in Tateinheit mit vorsätzlichem unerlaubten Besitz von Munition zu einer Freiheitsstrafe von 2 Jahren und 2 Monaten erfolgt. Die Entscheidung ist seit dem 10.03.2020 rechtskräftig. Der Verurteilte hatte von dieser Haftstrafe im Zeitraum vom 11.07.2018 bis zum 06. November 2018 119 Tage und vom 23. November 2018 bis zum 6. November 2019 369 Tage verbüßt. In der Unterbrechung hatte er eine Ersatzfreiheitsstrafe verbüßt. Durch Beschluss des Amtsgerichts München vom 26.09.2020 wurde die Vollstreckung des Restes der gegen den Verurteilten verhängten Freiheitsstrafe zur Bewährung ausgesetzt. Den tatsächlichen Feststellungen des Urteils zufolge hatte der Verurteilte in der Zeit zwischen 2016 und 2018 verschiedene Waffen erworben, obwohl er wusste, dass er die dafür erforderliche waffenrechtliche Erlaubnis nicht hatte. Die Waffen hatte er an verschiedenen Orten aufbewahrt. Die dabei sichergestellte Maschinenpistole war in der Auffindesituation nicht funktionsfähig gewesen. Das Gleiche galt für die Selbstladepistole der Firma Colt. Die Pistole Walther P 38 war voll funktionstüchtig gewesen. Die Selbstladepistole Sauer und Sohn war zum Zeitpunkt der Sicherstellung nicht funktionsfähig gewesen. Die Selbstladepistole der Marke Colt war funktionsfähig gewesen. Die sichergestellte Waffe der Firma Glock war neuwertig gewesen. Der Verurteilte hatte die Waffen nach Erwerb zunächst in einer verschlossenen Garage aufbewahrt. Später hatte er sie in das Ferienhaus in Allrode verbracht, wo er die Waffen und Munition mit Ausnahme der Selbstladepistole der Marke Glock im Keller in einem Metallschrank aufbewahrt hatte. Die Pistole Glock hatte der Verurteilte im Garten unter einer Steinplatte vergraben. Nach einem Wassereinbruch im Keller, der nur über eine Bodentreppe zu erreichen gewesen war, hatte der Verurteilte die Waffen in das Erdgeschoss des Ferienhauses in eine unverschlossene Tasche verbracht. Das Ferienhaus war einsam gelegen. Es war von der Durchgangsstraße nicht einsehbar gewesen.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auch insoweit auf die in dem Urteil wiedergegebenen tatsächlichen Feststellungen des Urteils des Amtsgerichts München vom 21. Juni 2019 (BI. 6 ff. des Vollstreckungsheftes) ergänzend verwiesen.

Das Urteil des Landgerichts München I vom 07.09.2022 ist seit dem 07.02.2023 rechtskräftig.

Der Verurteilte befindet sich seit dem 30.05.2023 in Haft. Die Hälfte der gegen ihn verhängten Gesamtfreiheitsstrafe war am 01.06.2024 verbüßt. 2/3 der Strafe werden am 07.03.2025 vollstreckt sein. Das Strafende ist vorgesehen für den 17.09.2026.

Mit Schriftsatz seines Verteidigers vom 30.04.2024 beantragt der Verurteilte die Reststrafen-aussetzung zur Bewährung nach Verbüßung der Hälfte der gegen ihn verhängten Gesamt-freiheitsstrafe.

Die Leiterin der Justizvollzugsanstalt Burg führt in ihrer Stellungnahme vom 20.06.2024 aus, der Verurteilte habe in eine Reststrafenaussetzung eingewilligt. Offene Verfahren seien der-zeit nicht anhängig. Der Verurteilte sei dem Erstvollzug zuzuordnen. Er habe sich jedoch als Bewährungsversager erwiesen. Er sei zudem mehrfach vorbestraft. Eine behandlungsbedürftige Suchtmittelproblematik bestehe bei ihm nicht. Das vollzugliche Verhalten sei beanstandungsfrei. Er sei auf einem sogenannten Vertrauensposten der Anstalt als Hausarbeiter tätig. Ihm sei die Unterbringung im Wohngruppenvollzug zugesprochen wurden. Der Verur-teilte sei ledig und habe keine Kinder. Er pflege regelmäßig Kontakt zu seiner Familie und seiner Lebensgefährtin. Seine Lebensgefährtin sei als Kriminalhauptkommissarin tätig. Sie sei alleinerziehende Mutter und sozial und gesellschaftskonform integriert. Sie erscheine als verantwortungsvolle Bezugsperson für den Verurteilten. Nach Haftentlassung wolle er entweder in den Haushalt seiner Lebensgefährtin oder in seinen Wohnraum in Allrode zurückkehren. Die berufliche Weiterbeschäftigung sei bei dem bisherigen Arbeitgeber möglich. Die finanzielle Verpflichtungslage sei derzeit geklärt. Behandlungsmaßnahmen stehe der Verurteilte seit dem Beginn seiner Inhaftierung positiv gegenüber. Seit dem 27.12.2023 nehme er an einer deliktorientierten Behandlungsmaßnahme teil. Innerhalb der Maßnahme verhalte er sich positiv; eine ausreichende Behandlungsmotivation sei feststellbar. Ein Abschluss werde im März 2025 erwartet. Aktuell befinde er sich inmitten seines individuell erforderlichen Veränderungsprozesses. Das Erlernen und Trainieren von nachhaltig andauernden Straftatvermeidungsstrategien stünde gegenwärtig noch aus. Insgesamt sei durchaus ein günstiger Persönlichkeitsentwicklungsansatz vorhanden. Von einer ausreichenden Senkung des Rückfallrisikos könne allerdings noch nicht ausgegangen werden. Allein die Einbettung in Familie und Beruf führe nicht automatisch zu einer günstigen Legalprognose. Eine Aussetzung der Reststrafe werde gegenwärtig noch nicht befürwortet. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Stellungnahme der Leiterin der Justizvollzugsanstalt Burg vom 20.06.2024 (BI. 99 ff. des Vollstreckungsheftes) ergänzend Bezug genommen.

Die Staatsanwaltschaft München I beantragt, die Aussetzung der Reststrafe abzulehnen.

Mit Schriftsatz seines Verteidigers vom 12.07.2024 hat der Verurteilte weiter vorgetragen. Zudem hat der Verurteilte mit weiteren Schriftsätzen seines Verteidigers vom 16.07.2024 und 09.08.2024 zum Verfahren vorgetragen. Auf den Inhalt der Schriftsätze wird verwiesen.

Die Kammer hat den Verurteilten am 20.08.2024 in Gegenwart seines Verteidigers persönlich in der JVA Burg angehört. Wegen des Ergebnisses der Anhörung wird auf das Terminsprotokoll Bezug genommen.

II.

Die Kammer hat die Vollstreckung des Restes der gegen den Verurteilten verhängten Ge-samtfreiheitsstrafe zur Bewährung ausgesetzt.

Eine Strafaussetzung zur Bewährung ist, weil die gegen den Verurteilten verhängte Strafe zwei Jahre übersteigt, nur bei Vorliegen der Voraussetzungen des § 57 Abs. 2 Nr. 2 StGB möglich ist.

Der vorgenannten Vorschrift zufolge ist für eine Strafaussetzung bereits nach Verbüßung der Hälfte der verhängten Freiheitsstrafe das Vorliegen besonderer Umstände erforderlich, die sich aus einer Gesamtwürdigung von Tat, Persönlichkeit der verurteilten Person und ihrer Entwicklung während des Strafvollzuges ergeben müssen. Vordergründig ist jedoch, was aus dem Verweis auf § 57 Abs. 1 S. 1 StGB folgt, erforderlich, dass eine Strafaussetzung unter Berücksichtigung des Sicherheitsinteresses der Allgemeinheit verantwortet werden kann.

Verantworten lässt sich das mit der Aussetzung des Restes einer Freiheitsstrafe verbundene Risiko der Begehung neuer Straftaten durch den Verurteilten nur, wenn die begründete Aus-sicht auf den Eintritt eines Resozialisierungserfolges in Gestalt zukünftiger Straffreiheit besteht.

Diese Voraussetzungen liegen im vorliegenden Fall vor. Dabei hat die Kammer zunächst
berücksichtigt, dass der Verurteilte bereits im Erkenntnisverfahren die ihm zur Last gelegten Taten eingeräumt hat. Darüber hinaus befindet er sich erstmals im Vollzug.

Es spricht eine Vermutung dafür, dass der erstmalige Freiheitsentzug bereits hinreichend auf den Verurteilten eingewirkt hat und der Begehung weiterer Straftaten entgegensteht. Tatsachen, die geeignet wären, diese Vermutung zu entkräften, sind nicht erkennbar. Vielmehr ist festzustellen, dass der Verurteilte die Zeit seiner Inhaftierung genutzt hat, um sich mit seinen charakterlichen Defiziten, die zu den Straftaten geführt haben, auseinanderzusetzen. Innerhalb der Haft ist er behandlungsmotiviert und nimmt seitdem 27.12.2023 an einer deliktorientierten Behandlungsmaßnahme teil. Sein vollzugliches Verhalten ist beanstandungsfrei. Ferner verfügt er über einen stabilen sozialen Empfangsraum, der sowohl durch eine Wohn-als auch durch eine Arbeitsmöglichkeit strukturiert wird. Zudem wird durch die Justizvollzugsanstalt die Beziehung zu seiner Lebensgefährtin als positiv für die weitere Entwicklung eingeschätzt.

Des Weiteren muss berücksichtigt werden, dass sich der Verurteilte in der Zeit vom 06.11.2019 bis zum 30.05.2023 in Freiheit befunden und keine weiteren Straftaten mehr begangen hat. Er hat seinen Wohnort München verlassen und seine selbstständige Tätigkeit aufgegeben. Zuletzt war er bei seinem Bruder angestellt gewesen.

In diesem Zusammenhang fällt auch auf, dass er sich aufgrund der Entscheidung des Amts-gerichts München vom 21.06.2019 bereits zuvor im Zeitraum vom 11.07.2018 bis 06.11.2018 und vom 13.11.2018 bis 06.11.2019 in Haft befunden hat und insofern den Freiheitsentzug bereits hat zu spüren bekommen. Dieser Einfluss hat Eingang gefunden auf die weitere, bis zur Inhaftierung andauernden Entwicklung des Verurteilten. Letztlich muss auch berücksichtigt werden, dass die der Entscheidung des Landgerichts München I vom 07.09.2022 zugrundeliegenden Straftaten mittlerweile über acht Jahre zurückliegen.

Diese Aspekte stellen in ihrer Gesamtheit besonderer Umstände dar, die eine Aussetzung der Reststrafe zur Bewährung nach Verbüßung der Hälfte rechtfertigen.

Die Unterstellung des Verurteilten unter die Aufsicht und Leitung eines Bewährungshelfers hat ihre Grundlage in § 57 Abs. 3 S. 2 StGB.

Die Weisung zur Mitteilung jeden Wohnsitzwechsels hat ihre Grundlage in § 57 Abs. 3 S. 1 i.V.m. § 56 Abs. 2 Nr. 1 StGB.

Von weiteren Weisungen hat die Kammer Abstand genommen, weil sie zum gegenwärtigen Zeitpunkt nicht erforderlich erscheinen, um den Verurteilten weiterhin zu einem straffreien Leben anzuhalten.


Einsender: RA W. Siebers, Braunschweig

Anmerkung:


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