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Entscheidungen

StPO

Pflichtverteidiger, rückwirkende Bestellung, Zulässigkeit, Beiordnungsgrund, Schwere der Rechtsfolge, Gesamtstrafe

Gericht / Entscheidungsdatum: OLG Zweibrücken, Beschl. v. 11.09.2024 – 1 Ws 208/24

Leitsatz des Gerichts mit Ergänzungen/Änderungen:

1. Grundsätzlich ist eine rückwirkende Beiordnung eines Pflichtverteidigers möglich. Die rückwirkende Beiordnung - bezogen auf den Zeitpunkt der Antragsstellung - setzt jedoch voraus, dass die sachlichen Voraussetzungen für die Bestellung eines Pflichtverteidigers vorlagen und der Antrag auf Bestellung noch vor dem Abschluss des Verfahrens erfolgte.
2. Einem Strafverfahren kann zwar auch dadurch ein die Beiordnung eines Pflichtverteidigers gebietendes Gewicht zukommen, dass in einem weiteren Verfahren die Bildung einer Gesamtfreiheitsstrafe zu erwarten ist; dies ist aber dann nicht der Fall, wenn die im vorliegenden Verfahren zu erwartende Strafe bei der späteren Bildung der Gesamtfreiheitsstrafe nur geringfügig ins Gewicht fallen und eine sonst mögliche Strafaussetzung zur Bewährung nicht gefährden wird.


In pp.

1. Auf die sofortige Beschwerde der Staatsanwaltschaft Frankenthal (Pfalz) wird der Beschluss der 4. Kleinen Strafkammer des Landgerichts Frankenthal vom 04.08.2024 aufgehoben und die Beiordnung eines Pflichtverteidigers abgelehnt.
2. Der Angeklagte hat die Kosten des Beschwerdeverfahrens zu tragen.

Gründe

I.

Am 14.03.2024 verurteilte das Amtsgericht Speyer den Angeklagten wegen Verletzung der Unterhaltspflicht zu einer Geldstrafe von 60 Tagessätzen zu je 40 EUR. Hiergegen legte der Angeklagte am 18.03.2024 Berufung ein. Am 15.05.2024 regte der Angeklagte über seinen Verteidiger beim Landgericht Frankenthal (Pfalz) an, das Verfahren im Hinblick auf ein gesondertes Verfahren gegen ihn, nach § 154 Abs. 2 StPO einzustellen. Gleichzeitig beantragte er, ihm Rechtsanwalt Y wegen der Schwere der zu erwartenden Rechtsfolge gem. § 140 Abs. 2 StPO als Pflichtverteidiger beizuordnen. Zur Begründung führte er aus, dass in dem gesonderten Verfahren ein Haftbefehl wegen bewaffneten Handeltreibens (§ 30a Abs. 2 Nr. 2 BtMG) in Tateinheit mit gewerbsmäßigem Handeltreiben mit Cannabis in nicht geringer Menge (§ 34 Abs. 3 Nr. 1 und 4 KCanG) ergangen und anschließend außer Vollzug gesetzt worden sei. Bei Fortführung des vorliegenden Verfahrens sei eine Gesamtstrafenfähigkeit der Strafe aus dem vorliegenden und der Strafe aus dem gesonderten Verfahren zu berücksichtigen.

Auf Antrag der Staatsanwaltschaft stellte die 4. Kleine Strafkammer des Landgerichts Frankenthal (Pfalz) das Verfahren gem. § 154 Abs. 2 StPO im Hinblick auf die zu erwartenden Strafe in dem gesonderten Verfahren gegen den Angeklagten ein.

Am 21.06.2024 erinnerte der Angeklagte das Landgericht an die Bescheidung seines Antrags auf Beiordnung von Rechtsanwalt Y als Pflichtverteidiger. Die Staatsanwaltschaft trat dem Antrag auf Beiordnung mit Schreiben vom 27.06.2024 entgegen. Mit Beschluss vom 04.07.2024 ordnete der Vorsitzende der Strafkammer dem Angeklagten Rechtsanwalt Y als Pflichtverteidiger bei. Gegen den ihr formlos übersandten Beschluss wendet sich die Staatsanwaltschaft mit ihrer sofortigen Beschwerde vom 18.07.2024.

II.

1. Die sofortige Beschwerde der Staatsanwaltschaft ist zulässig. Gegen Entscheidungen über Pflichtverteidigerbestellungen ist einheitlich die sofortige Beschwerde nach § 331 Abs. 1 StPO statthaft (Löwe/Rosenberg/Jahn, StPO, § 140 Rn. 131 ff.). Es gilt somit die Wochenfrist ab Bekanntgabe der Entscheidung gem. § 311 Abs. 2 StPO. Für die Auslösung des Fristlaufs ist gem. § 35 Abs. 2 Satz 1 StPO eine Zustellung erforderlich (s. auch BGH NStZ-RR 2024, 155; BeckRS 2020, 22801 Rn. 10; OLG Braunschweig BeckRS 2023, 32335 Rn. 27; OLG Saarbrücken BeckRS 2021, 19276 Rn. 9). Da der Beschluss der Staatsanwaltschaft durch das Landgericht nur formlos bekannt gegeben wurde, wurde die sofortige Beschwerde jedenfalls rechtzeitig eingelegt.

2. Die sofortige Beschwerde hat auch in der Sache Erfolg. Grundsätzlich ist eine rückwirkende Beiordnung eines Pflichtverteidigers möglich (OLG Bamberg (1. Strafsenat), Beschluss vom 29.04.2021 – 1 Ws 260/21, OLG Nürnberg, Beschluss vom 06.11.2020 – Ws 962/20, Ws 963/20; MüKo-StPO § 142 Rn. 14). Die rückwirkende Beiordnung eines Pflichtverteidigers (bezogen auf den Zeitpunkt der Antragsstellung) setzt jedoch voraus, dass die sachlichen Voraussetzungen für die Bestellung eines Pflichtverteidigers vorlagen und der Antrag auf Bestellung noch vor dem Abschluss des Verfahrens erfolgte (OLG Bamberg aaO.).

Vorliegend wurde der Antrag auf Beiordnung durch den Angeklagten zeitlich vor der (vorläufigen) Einstellung durch das Landgericht gestellt; jedoch lagen die Voraussetzungen für eine Beiordnung nach § 140 StPO nicht vor.

a) In dem Verfahren selbst liegen keine Umstände vor, die eine Verteidigung als notwendig erscheinen lassen. Die Schwere der angeklagten Tat begründet eine solche Notwendigkeit für sich genommen nicht. Maßgeblich für die Beurteilung ist vor allem die zu erwartende Rechtsfolgenentscheidung. Meist wird angenommen, dass die Erwartung von 1 Jahr Freiheitsstrafe die Grenze bildet, ab der regelmäßig Anlass zur Beiordnung besteht (Meyer-Goßner, StPO, § 140 Rn 23a mwN). Gegenstand des Verfahrens ist eine Unterhaltspflichtverletzung. Der Angeklagte wurde deswegen erstinstanzlich durch das Amtsgericht Speyer zu einer Geldstrafe von 60 Tagessätzen zu je 40 EUR verurteilt. Da gegen das Urteil lediglich der Angeklagte Berufung eingelegt hatte, war eine härtere Strafe nach § 331 StPO ausgeschlossen.

b) Auch der Umstand, dass aus der Strafe im vorliegenden Verfahren und aus der Strafe, die in dem gesonderten Verfahren gegen den Angeklagten zu erwarten ist, voraussichtlich eine Gesamtstrafe von mehr als 1 Jahr zu bilden sein wird, rechtfertigt es nicht, wegen der Schwere der Tat einen Fall notwendiger Verteidigung i.S. von § 140 Abs. 2 StPO anzunehmen.

Die Vorschriften der StPO über die notwendige Verteidigung und die Bestellung eines Verteidigers stellen sich als Konkretisierung des Rechtsstaatsprinzips in seiner Ausgestaltung als Gebot fairer Verhandlungsführung dar. Der Beschuldigte muss die Möglichkeit haben, zur Wahrung seiner Rechte auf den Gang und das Ergebnis des Verfahrens Einfluss zu nehmen. Dazu gehört auch, dass ein Beschuldigter der die Kosten eines gewählten Verteidigers nicht aufzubringen vermag, in schwerwiegenden Fällen von Amts wegen und auf Staatskosten einen rechtskundigen Beistand (Verteidiger) erhält (BVerfG, Beschluss vom 19.10.1977 – 2 BvR 462/77 – juris Rn 31; Meyer-Goßner; StPO, § 140 Rn 1). Bei der Bewertung, ob ein solcher schwerwiegender Fall vorliegt, ist auch die Gesamtwirkung der Strafe zu berücksichtigen. Hierzu gehören auch sonstige schwerwiegende Nachteile, die der Angeklagte infolge der Verurteilung zu befürchten hat, wie etwa ein drohender Bewährungswiderruf. Nach verbreiteter Auffassung gehören hierzu auch weitere gegen den Angeklagten anhängige Strafverfahren, in denen es zu einer Gesamtstrafenbildung kommen kann (OLG Hamm, StV 2004, 586; KG, Beschluss vom 13.12.2018 - 3 Ws 290/18 - 121 AR 260/18, KK-StPO/Willnow StPO § 140 Rn. 27, 27a).

Hierbei bedarf es allerdings einer gründlichen Prüfung des Einzelfalls, ob andere Verfahren und die Erwartung späterer Gesamtstrafenbildung das Gewicht des abzuurteilenden Falles tatsächlich so erhöhen, dass die Mitwirkung eines Verteidigers geboten ist (OLG Stuttgart, Beschluss vom 02.03.2012 - 2 Ws 37/12).

Diese Voraussetzungen liegen hier ersichtlich nicht vor. Das vorliegende Verfahren selbst bietet - wie dargelegt - kein Anlass zur Beiordnung eines Pflichtverteidigers. In dem weiteren Verfahren gegen den Angeklagten wird ihm der Vorwurf des bewaffneten Handeltreibens gemacht, wofür § 30a Abs. 2 Nr. 2 BtMG eine Mindestfreiheitsstrafe von 5 Jahren vorsieht. Selbst bei Annahme eines minder schweren Falles läge der Strafrahmen nicht unter 1 Jahr Freiheitsstrafe. Die Einstellung des vorliegenden Verfahrens lag daher nahe, was von dem Angeklagten auch beantragt wurde. Selbst im Falle einer Gesamtstrafenbildung wäre lediglich eine geringfügige - für den Angeklagten nicht wesentlich ins Gewicht fallende - Erhöhung der in dem gesonderten Verfahren zu erwartende Strafe anzunehmen gewesen.

Zudem lagen keine Anhaltspunkte dafür vor, dass durch eine im vorliegenden Verfahren gegebenenfalls zu verhängende Strafe im Rahmen einer späteren Gesamtstrafenbildung eine sonst mögliche Strafaussetzung zur Bewährung gefährdet werden könnte (vgl. KG Berlin, Beschluss vom 06.01.2017, 4 Ws 212/16).


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