Gericht / Entscheidungsdatum: KG, Beschl. v. 26.06.2024 – 3 ORbs 93/24
Leitsatz des Gerichts:
1. Sind die Voraussetzungen für ein Regelfahrverbot nach der BKatV nicht gegeben, bedarf es näherer Feststellungen, ob die Anordnung eines Fahrverbotes dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit entspricht. Nur wenn die Beharrlichkeit der Pflichtverletzung von ähnlich starkem Gewicht wie in der ausdrücklich normierten Konstellation des § 4 Abs. 2 Satz 2 BKatV ist, kommt die Anordnung eines Fahrverbotes wegen der Vorahndungslage in Betracht. Denn nur dann wird es geboten sein, mit der Denkzettel- und Besinnungsmaßnahme auf den Betroffenen gemäß § 25 Abs. 1 Satz 1 2. Alt. StVG i.V.m. § 4 Abs. 2 Satz 1 BKatV einzuwirken.
2. Daher bedarf es in den Urteilsgründen nähere Darlegung zum Zeitmoment (vgl. § 4 Abs. 2 Satz 2 BKatV), zur Anzahl, zur Tatschwere und zu den Rechtsfolgen früherer und noch verwertbarer Verkehrsverstöße und deren Vergleichbarkeit mit der verfahrensgegenständlichen Zuwiderhandlung.
3 ORbs 93/24 - 162 SsBs 17/24
In der Bußgeldsache
gegen pp.
wegen einer Verkehrsordnungswidrigkeit
hat der 3. Senat für Bußgeldsachen des Kammergerichts am 26. Juni 2024 beschlossen:
Die Rechtsbeschwerde des Betroffenen gegen den Beschluss des Amtsgerichts Tiergarten vom 14. April 2024 wird gemäß § 79 Abs. 3 Satz 1 OWiG i.V.m. § 349 Abs. 2 StPO als unbegründet verworfen.
Der Betroffene hat die Kosten seines Rechtsmittels zu tragen.
Gründe:
I.
Die Polizei Berlin hat mit Bußgeldbescheid vom 15. Juni 2023 gegen den Betroffenen wegen fahrlässiger Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit - begangen am 7. Februar 2023 - eine Geldbuße von 500,00 Euro festgesetzt und ein Fahrverbot von einem Monat wegen beharrlicher Pflichtenverletzung unter Berücksichtigung von vier Voreintragungen im Fahreignungsregister in den letzten zwei Jahren und eine Wirksamkeitsbestimmung nach § 25 Abs. 2a StVG angeordnet.
Auf den dagegen gerichteten Einspruch hat das Amtsgericht Tiergarten eine Hauptverhandlung am 14. Dezember 2023 durchführt, in der der Verteidiger mit entsprechender Vollmacht den Einspruch gegen den Bußgeldbescheid auf den Rechtsfolgenausspruch wirksam beschränkt und sich mit einer Entscheidung durch Beschluss einverstanden erklärt hat.
Das Amtsgericht hat gegen den Betroffenen durch Beschluss vom 14. April 2024 auf eine Geldbuße von 250,00 Euro erkannt, ihm für die Dauer von einem Monat wegen beharrlicher Pflichtenverletzung verboten, Kraftfahrzeuge jeder Art im öffentlichen Straßenverkehr zu führen und eine Anordnung nach § 25 Abs. 2a StVG getroffen.
Das Gericht stützt die Anordnung des Fahrverbotes nach § 4 Abs. 2 Satz 1 BKatV auf folgende Verurteilungen und Vorahndungen mit Ausnahme des Bußgeldbescheides vom 10. Oktober 2022:
Nach Entzug der Fahrerlaubnis aufgrund einer am 20. Februar 2020 rechtkräftig gewordenen Verurteilung wegen eines verbotenen Kraftfahrzeugrennens hat die Fahrerlaubnisbehörde dem Betroffenen am 17. Februar 2021 die Fahrerlaubnis erneut erteilt.
Das Amtsgericht verurteilte den Betroffenen:
- am 31. Januar 2022, rechtkräftig seit dem 9. Februar 2022, wegen eines Rotlichtverstoßes zu einer Geldbuße von 180,00 Euro und
- am 21. Februar 2022, rechtkräftig am 28. Februar 2022, wegen eines vorsätzlichen Benutzens eines elektronischen Gerätes, das der Kommunikation, Information oder Organisation dient, zu einer Geldbuße von 150,00 Euro.
Die Polizei Berlin erlies gegen den Betroffenen folgende Bußgeldbescheide:
- am 30. Mai 2022, rechtskräftig seit dem 17. Juni 2022, wegen eines vorsätzlichen Benutzens eines elektronischen Gerätes, das der Kommunikation, Information oder Organisation dient, und setzte eine Geldbuße von 130,00 Euro fest.
- am 10. Oktober 2022, rechtkräftig seit dem 1. März 2023, wegen eines vorsätzlichen Benutzens eines elektronischen Gerätes, das der Kommunikation, Information oder Organisation dient, und setzte ein Bußgeld von 160,00 Euro fest.
Gegen diesen Beschluss des Amtsgerichts hat der Verteidiger rechtzeitig Rechtsbeschwerde eingelegt. Er stützt sie auf die Verletzung materiellen Rechts. Zur Begründung trägt er u.a. vor, das Amtsgericht habe es versäumt, Feststellungen zu den wirtschaftlichen Verhältnissen darzulegen. Dazu sei es bei Verhängung einer Geldbuße von mehr als 250 Euro verpflichtet gewesen. Ferner lägen die Voraussetzungen für die Verhängung eines Fahrverbotes wegen eines beharrlichen Pflichtenverstoßes nach § 4 Abs. 2 Satz 1 BKatV nicht vor. Es fehle den Vorahndungen und der verfahrensgegenständlichen Tat an dem notwendigen inneren Zusammenhang. Auch sei nicht dargelegt, dass es dem Betroffenen subjektiv an der Akzeptanz der Verkehrsvorschriften fehle.
Die Generalstaatsanwaltschaft Berlin hat mit Zuschrift vom 27. Mai 2024 beantragt, die Rechtsbeschwerde zu verwerfen. Der Schriftsatz des Verteidigers vom 19. Juni 2024 lag vor.
II.
Die zulässige Rechtsbeschwerde hat keinen Erfolg, weil sie keinen Rechtsfehler zum Nachteil der Betroffenen erkennen lässt. Nach wirksamer Beschränkung des Einspruchs auf den Rechtsfolgenausspruch hat das Amtsgericht rechtsfehlerfrei auf eine Geldbuße von 250,00 Euro erkannt und ein Fahrverbot von einem Monat wegen beharrlicher Pflichtverletzung nach § 4 Abs. 2 Satz 1 BKatV angeordnet.
Die Überprüfung des Rechtsfolgenausspruchs hat sich darauf zu beschränken, ob das Amtsgericht im Rahmen des ihm eingeräumten Rechtsfolgenermessens (vgl. Senat, Beschluss vom 22. August 2007 - 3 Ws (B) 429/06 -, juris) von rechtlich zutreffenden Erwägungen ausgegangen ist und von seinem Ermessen rechtsfehlerfrei Gebrauch gemacht hat. Dabei hat der Senat die Entscheidung des Tatgerichts bis zur Grenze des Vertretbaren hinzunehmen (vgl. Senat DAR 2021, 698; DAR 2021, 477).
1. Gemessen an diesem Maßstab ist gegen die Erhöhung der Regelgeldbuße gemäß § 17 Abs. 3 OWiG von 115 Euro auf 250 Euro angesichts der im Beschluss rechtsfehlerfrei dargestellten Voreintragungen und der Feststellung eines geregelten Einkommens aus Rechtsgründen nichts zu erinnern. Die vom Verteidiger vermissten weiteren Darlegungen zu den wirtschaftlichen Verhältnissen bedarf es - bereits nach seinem eigenen Vortrag (vgl. RB vom 22. April 2024, S. 1) - nicht. Denn es ist allgemein anerkannt, dass erst bei einer Geldbuße von mehr als 250,00 Euro ggf. weitere Feststellungen erforderlich werden (dazu ausführlich: Senat, Beschluss vom 27. April 2020 - 3 Ws (B) 49/20 -, juris). Ein solcher Fall liegt hier nicht vor.
2. Auch die Verhängung des Fahrverbotes von einem Monat gemäß § 25 Abs. 1 Satz 1 2. Alt. StVG i.V.m. § 4 Abs. 2 Satz 1 BKatV wegen beharrlicher Verletzung der Pflichten eines Kraftfahrzeugführers außerhalb eines gesetzlichen Regelfalles ist nicht zu beanstanden.
a) Beharrlich begangen sind Pflichtverletzungen, die ihrer Art oder den Umständen nach nicht bereits zu den objektiv oder subjektiv groben Zuwiderhandlungen zählen (Erfolgsunwert), durch deren wiederholte Begehung der Täter aber zeigt, dass ihm die für die Teilnahme am Straßenverkehr erforderliche rechtstreue Gesinnung und notwendige Einsicht in zuvor begangenes Unrecht fehlen, so dass er Verkehrsvorschriften unter Missachtung einer oder mehrerer Vorwarnungen verletzt (Handlungsunwert, vgl. nur Senat, Beschlüsse vom 4. Februar 2021 - 3 Ws (B) 6/21 -, 17. April 2018 – 3 Ws (B) 100/18 – und 22. August 2007 a.a.O.; OLG Bamberg, Beschluss vom 4. Oktober 2007 – 3 Ss OWi 1364/07 –, alle juris). Sind – wie hier – die Voraussetzungen für ein Regelfahrverbot nach der BKatV nicht gegeben, bedarf es näherer Feststellungen, ob die Anordnung eines Fahrverbotes dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit entspricht. Nur wenn die Beharrlichkeit der Pflichtverletzung von ähnlich starkem Gewicht wie in der ausdrücklich normierten Konstellation des § 4 Abs. 2 Satz 2 BKatV ist, kommt die Anordnung eines Fahrverbotes wegen der Vorahndungslage in Betracht. Denn nur dann wird es geboten sein, mit der Denkzettel- und Besinnungsmaßnahme auf den Betroffenen einzuwirken (vgl. Senat, Beschlüsse vom 17. April 2018 und 22. August 2007 a.a.O.; BayObLG, Beschluss vom 22. März 2019 - 202 ObOWi 96/19 -, BeckRS 2019, 17055). Nach dieser Vorschrift ist in der Regel ein Fahrverbot zu verhängen, wenn gegen den Betroffenen wegen einer Geschwindigkeitsüberschreitung von mindestens 26 km/h innerhalb des letzten Jahres eine Geldbuße rechtkräftig festgesetzt worden ist und er innerhalb eines Jahres nach Rechtskraft eine weitere Geschwindigkeitsüberschreitung von mindestens 26 km/h begeht.
Selbst eine Häufung nur leicht fahrlässiger Verstöße kann unter diesen Umständen mangelnde Rechtstreue offenbaren (vgl. BGHSt 38, 231; Senat, Beschluss vom 17. April 2018 a.a.O.; OLG Bamberg, Beschluss vom 4. Oktober 2007 a.a.O.).
Dem Zeitmoment kommt dabei, wie sich § 4 Abs. 2 Satz 2 BKatV entnehmen lässt, Bedeutung für das Vorliegen eines beharrlichen Pflichtenverstoßes insoweit zu, als der Zeitablauf zwischen den jeweiligen Taten (Rückfallgeschwindigkeit) und des jeweiligen Eintritts der Rechtskraft zu berücksichtigen ist (vgl. BayObLG, Beschluss vom 13. Dezember 2022 – 202 ObOWi 1458/22 –, juris m.w.N.). Daneben sind insbesondere Anzahl, Tatschwere und Rechtsfolgen früherer und noch verwertbarer Verkehrsverstöße im Einzelfall zu gewichten (vgl. BayObLG, Beschluss vom 13. Dezember 2022, a.a.O.). Sie sind in den Urteilsgründen ebenso darzustellen, wie der innerer Zusammenhang zwischen den Vorahndungen und der verfahrensgegenständlichen Zuwiderhandlung. Dieser ist in der Regel gegeben, wenn die in § 4 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 bis 4 BKatV genannten Verstöße jeweils unterhalb der Fahrverbotsschwelle des Bußgeldkatalogs zusammentreffen. Es bedarf zudem Feststellungen zur Annahme eines auch subjektiv auf Gleichgültigkeit beruhenden besonders verantwortungslosen Verkehrsverhaltens, was sich aus einer Gesamtbetrachtung ergeben kann (OLG Bamberg, Beschluss vom 30. März 2011 - 3 Ss OWi 384/11 -, juris).
b) Diesen Maßstäben werden die Urteilsgründe noch gerecht.
aa) Vorliegend hat der Betroffene die zulässige Höchstgeschwindigkeit um 23 km/h überschritten. Damit kommt er bereits - wie das Amtsgericht zutreffend feststellt - in die Nähe des in § 4 Abs. 2 Satz 2 BKatV genannten Grenzwertes. Auch besteht zwischen den Vorahndungen und der verfahrensgegenständlichen Verkehrsordnungswidrigkeit ein innerer Zusammenhang. Denn - anders als der Verteidiger meint (vgl. Schriftsatz vom 19. Juni 2024, S.3/4) - sind sowohl die Vorahndungen des Rotlichtverstoßes nach § 4 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 BKatV (rechtskräftige Verurteilung vom 9. Februar 2022) und der vorsätzlichen Zuwiderhandlungen nach § 23 Abs. 1a StVO gemäß § 4 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 BKatV (rechtskräftige Verurteilung vom 28. Februar 2022 und rechtskräftiger Bußgeldbescheid vom 17. März 2022) als auch die Geschwindigkeitsüberschreitung nach § 4 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BKatV (Tatzeit: 7. Februar 2023) Verstöße gegen § 4 Abs. 1 Satz 1 BKatV unterhalb der Fahrverbotsschwelle. Zwar hat das Tatgericht versäumt, die Tatzeiten der Vorahndungen festzustellen, aber den Urteilsgründen ist zu entnehmen, dass gegen den Betroffenen rechtskräftig innerhalb des Jahres 2022 in drei Fällen wegen der o.g. Verkehrsverstößen Geldbußen festgesetzt worden sind. Auch weist der vom Amtsgericht festgestellte zeitliche Rahmen keine signifikante Zeitspanne auf, in der der Betroffene seit der Wiedererteilung der Fahrerlaubnis verkehrsrechtlich beanstandungsfrei am Straßenverkehr teilgenommen hat.
bb) Die früheren Zuwiderhandlungen sind auch nicht als leichte Verstöße zu qualifizieren. Denn sie sind jeweils mit einer teils deutlich über der Regelbuße liegenden Geldbuße geahndet worden. Soweit das Tatgericht die Vorahndung vom 10. Oktober 2022, rechtkräftig seit dem 1. März 2023, bei seiner Gesamtschau unberücksichtigt gelassen hat, weil ihre Rechtskraft erst nach der am 7. Februar 2023 begangenen verfahrensgegenständlichen Zuwiderhandlung eingetreten ist, übersieht das Gericht, dass die Rechtskraft der Vorahndung nicht stets Voraussetzung für die Annahme der Beharrlichkeit ist. Dies etwa dann nicht, wenn sich ihre Warnfunktion aus anderen Umständen ergibt wie z.B. aufgrund von Zustellungen der Bußgeldbescheide, die der Zuwiderhandlung vorausgegangen sind (BayObLG VRS 98, 33). Vorliegend spricht der Zeitablauf eher für eine Warnung. Denn es ist anzunehmen, dass die Polizei Berlin dem Betroffenen den Bußgeldbescheid vom 10. Oktober 2022 vor dem 7. Februar 2023 zugestellt hat, so dass er vor Begehung der Geschwindigkeitsüberschreitung am 7. Februar 2023 erneut gewarnt war. Aber dieser Fehler gefährdet den Bestand des Urteils nicht. Er ist unschädlich, weil die Nichtberücksichtigung dieser weiteren auf § 23 Abs. 1a StVO basierenden Vorahndung den Betroffenen nicht belastet.
cc) Des Weiteren lässt die Gesamtschau der Urteilsgründe den Schluss auf eine auch subjektiv auf mangelnder Verkehrsdisziplin beruhende Unrechtskontinuität zu.
dd) Nicht zu beanstanden sind auch die Ausführungen, warum der angestrebte Zweck einer hinreichenden Einwirkung auf die Betroffene mit einer Erhöhung der Geldbuße (§ 4 Absatz 4 BKatV) nicht erreicht werden kann (vgl. BGHSt 38, 231; OLG Hamm, Beschluss vom 24. Oktober 2013 – III 3 RBs 256/13 –, juris). Auch die Möglichkeit, wegen Vorliegen eines Härtefalls ausnahmsweise von einem Fahrverbot abzusehen, hat das Amtsgericht geprüft und rechtfehlerfrei verneint, zumal es der Betroffenen die Möglichkeit eingeräumt hat, den Beginn der Wirksamkeit des Verbots innerhalb eines Zeitraums von vier Monaten selbst zu bestimmen.
Einsender: RiKG U. Sandherr, Berlin
Anmerkung:
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