Gericht / Entscheidungsdatum: BayObLG, Beschl. v. 04.10.2024 – 205 StRR 323/24
Leitsatz des Gerichts:
1. Die Rüge der Verletzung des § 265 Abs. 4 StPO bedarf keines vorherigen Zwischenrechtsbehelfs in der Hauptverhandlung, wenn statt des Gerichts lediglich der Vorsitzende einen Unterbrechungs- bzw. Aussetzungsantrag abgelehnt hat.
2. Ein Urteil muss nicht zwangsläufig auf der Verweigerung einer Aussetzung oder Unterbrechung der Hauptverhandlung zur Vorbereitung der Verteidigung auf eine Zeugenaussage beruhen.
In pp.
I. Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Traunstein vom 17. Juni 2024 wird als unbegründet verworfen.
II. Der Beschwerdeführer hat die Kosten seines Rechtsmittels zu tragen.
Gründe
I.
Das Amtsgericht hat den Angeklagten wegen fahrlässiger Trunkenheit im Verkehr in Tatmehrheit mit Beleidigung zu einer Gesamtgeldstrafe von 180 Tagessätzen zu je 50 Euro verurteilt. Das Landgericht hat die Berufung des Angeklagten gegen das Urteil des Amtsgerichts als unbegründet verworfen.
Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts, mit der er die Verletzung formellen und materiellen Rechts rügt, war unbegründet.
II.
Die Nachprüfung des Urteils aufgrund der Revision hat keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben (§ 349 Abs. 2 StPO).
Zur Begründung wird auf die auch unter Berücksichtigung der Gegenerklärung der Verteidigung vom 19. September 2024 zutreffende Stellungnahme der Generalstaatsanwaltschaft München in ihrer Antragsschrift vom 5. September 2024 Bezug genommen.
Ergänzend bemerkt der Senat:
I.
Zu den Verfahrensrügen:
Die Rüge der Verletzung von § 265 Abs. 4 StPO ist im Sinne von § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO zulässig erhoben. Die Entscheidung über den Aussetzungsantrag bzw. den hilfsweise gestellten Unterbrechungsantrag durch die Vorsitzende ist rechtsfehlerhaft. Auf diesem Fehler beruht jedoch im hier gegebenen konkreten Einzelfall die Verurteilung wegen einer fahrlässigen Trunkenheitsfahrt nicht, so dass die Rüge nicht zum Erfolg führt.
1. Der formellen Rüge lag folgender Verfahrensablauf zugrunde: Das Landgericht hat zur Berufungshauptverhandlung neben den der Verteidigung in der Ladung mitgeteilten Zeugen noch zwei weitere Zeugen nachgeladen. Die Verteidigung wurde hierüber vorab nicht, sondern erst im Hauptverhandlungstermin informiert. Die Verteidigung beantragte hierauf, die Aussetzung und hilfsweise die Unterbrechung des Verfahrens. Die Vorsitzende der Berufungskammer lehnte den Antrag ab.
2. Entgegen der Meinung der Generalstaatsanwaltschaft bedurfte es für die Erhebung einer zulässigen Rüge der Verletzung von §265 Abs. 4 StPO nicht des Zwischenrechtsbehelfs nach § 238 Abs. 2 StPO.
a) Gemäß § 265 Abs. 4 StPO obliegt es nicht dem Vorsitzenden, sondern dem gesamten Spruchkörper, über eine Aussetzung oder als minderes Mittel über eine Unterbrechung nach § 265 Abs. 4 StPO zu beschließen. Bedarf aber eine Maßnahme in der Hauptverhandlung von vornherein eines Gerichtsbeschlusses, so ist schon der Anwendungsbereich des §238Abs.1StPOnichteröffnetundesbestehtdemgemäßkein Anlass für ein Verfahren nach § 238 Abs. 2 StPO. Dieses kann damit auch nicht Voraussetzung einer zulässigen Rüge im Revisionsverfahren sein (vgl. BGH, Beschluss vom 25. Oktober2011-3StR315/11, NStZ 2012, 585, 586 Rn. 9 zur identischen Rechtslage bei § 251 Abs. 4 Satz 1 StPO; KK/Schneider, StPO, 9. Aufl. 2023, § 238 Rn. 31).
b) Einen Verstoß gegen § 265 Abs.4 StPO wegen einer kompetenzwidrigen Ablehnung der Anträge durch die Vorsitzende kann der Angeklagte daher mit der Revision auch dann geltend machen, wenn er diese Verfahrensweise in der Hauptverhandlung nicht gemäß § 238 Abs. 2 StPO beanstandet hatte.
3) Dass das Urteil hinsichtlich der Trunkenheitsfahrt auf diesem Rechtsfehler beruht, kann der Senat jedoch ausschließen:
a) Die beiden vom Landgericht ohne Ladungsmitteilung an den Verteidiger nachgeladenen Zeugen K. und G. waren im Ermittlungsverfahren polizeilich nicht förmlich vernommen worden. Beide hatten gegenüber den ermittelnden Polizeibeamten lediglich angegeben, sie hätten gesehen, dass der Angeklagte auf der Dorfstraße mit dem Rad gegen den Randstein gefahren sei und „alleinbeteiligt“ auf die Straße/den Gehweg gestürzt sei. Die genannten Zeugen waren auch nicht zur Hauptverhandlung vor dem Amtsgericht geladen worden und somit auch nicht vor dem Amtsgericht richterlich vernommen. Nach den Feststellungen des Landgerichts habe der Angeklagte zu Sache in der Hauptverhandlung angegeben, der Unfall habe sich ereignet, als er mit seinem Fahrrad auf der Dorfstraße gefahren sei und „aus Übermut“ mit dem Fahrradlenker kleine Schlenker gemacht habe. Er sei dann aus Versehen bei einem dieser Schlenker an den Randstein des Gehwegs gekommen und habe den Sturz nicht vermeiden können (UA S. 8). Die Kammer führte weiter aus, sie habe auf der Grundlage dieser geständigen Einlassung des Angeklagten nicht den geringsten Zweifel daran, dass der Angeklagte ohne jede Fremdbeteiligung bei einer Fahrt mit dem Fahrrad zu Sturz gekommen sei. Die Einlassung des Angeklagten werde im Übrigen durch die glaubhafte Aussage des Zeugen K. bestätigt. Der Zeuge G. habe keine Erinnerung mehr gehabt, ob er den Angeklagten vor dem Sturz noch auf dem Fahrrad gesehen habe (UA S. 9). Bei der Strafzumessung hat die Kammer zugunsten des Angeklagten sein Geständnis gewertet (UA S. 11).
b) Die Verurteilung des Angeklagten beruht demnach hinsichtlich der Feststellung des Tatbestandsmerkmals des Führens eines Fahrzeugs im Straßenverkehr auf dem Geständnis des Angeklagten, an dessen Glaubhaftigkeit die Kammer „nicht den geringsten Zweifel“ hegte. Es kam somit nicht auf die Angaben der beiden Zeugen in der Berufungshauptverhandlung an. Der Zeuge G. hatte zudem zur Fahrt des Angeklagten auf dem Rad überhaupt keine Erinnerung mehr und der Zeuge K. bestätigte lediglich das Geständnis des Angeklagten. Er machte sonst keine ergänzenden Angaben. Zusätzlich ist bei der hier gegebenen sehr umgrenzten Wahrnehmung der Zeugen nicht ersichtlich, welche an die Zeugen zu richtenden Fragen und Vorhalte mit dem Angeklagten vor der Vernehmung der Zeugen besprochen werden sollten, zumal der Angeklagte in der Hauptverhandlung bereits vor der Zeugenvernehmung das Führen des Fahrrads im Verkehr eingeräumt hatte. Auch die Revision trägt insoweit nur pauschal vor, es sei notwendig gewesen, sich mit dem Angeklagten über die Zeugen zu unterhalten und mögliche Fragen an die Zeugen mit dem Angeklagten vorzubereiten bzw. abzustimmen. Bei dieser besonderen Sachlage kann es der Senat ausschließen, dass die diesbezügliche Verurteilung auf der Verweigerung einer Aussetzung oder Unterbrechung zur Vorbereitung auf die Aussage der genannten Zeugen beruht.
4. Die Rüge der Verletzung von § 338 Nr. 8 StPO i.V.m. § 265 Abs. 4 StPO ist ebenfalls unbegründet, weil die diesbezügliche Verurteilung nicht auf einem möglichen Rechtsfehler beruht.
a) Nach – zutreffender – herrschender Ansicht stellt § 338 Nr. 8 StPO trotz seiner Stellung in § 338 StPO keinen absoluten Revisionsgrund dar. Nach dem Wortlaut, der die Anwendung der Vorschrift auf die Fälle begrenzt, in denen die Verteidigung in einem für die Entscheidung wesentlichen Punkt unerlaubt beschränkt worden ist, sind nur Rechtsfehler angesprochen, auf denen das Urteil beruht oder beruhen kann (KK/Gericke, StPO, 9. Aufl. 2023, § 338 Rn. 101).
b) Ein Beruhen kann der Senat aus den oben genannten Gründen ausschließen.
II.
Zur Sachrüge:
Die Nachprüfung des Urteils aufgrund der Sachrüge hat keine durchgreifenden Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben:
1. Hinsichtlich der Verurteilung wegen einer fahrlässigen Trunkenheitsfahrt wird Bezug genommen auf die zutreffenden und nicht ergänzungsbedürftigen Ausführungen der Generalstaatsanwaltschaft in ihrer Zuschrift vom 5. September 2024.
2. Hinsichtlich der Verurteilung wegen Beleidigung hat das Landgericht, soweit relevant, folgende Feststellungen getroffen: Aufgrund eines positiven Atemalkoholtests war beim Angeklagten eine Blutentnahme angeordnet worden. Er habe sich zunächst geweigert, die Blutentnahme durchführen zu lassen. Nach einem Gespräch mit dem Arzt sei er dann aber zu eine Mitwirkung bereit gewesen. Der Arzt habe ihn gefragt, welche Stoffe er konsumiert habe. Daraufhin habe der Angeklagte geäußert, er werde dem Arzt antworten, sobald die „Affenbande“, gemeint waren die beiden anwesenden Polizeibeamten, das Zimmer verlassen hätten.
a) Zunächst wird ebenfalls Bezug genommen auf die diesbezüglichen Ausführungen der Generalstaatsanwaltschaft in ihrer Zuschrift vom 5. September 2024. Ergänzend führt der Senat in diesem Zusammenhang aus:
b) Bei dem hier relevanten Ausdruck der „Affenbande“ handelt es sich um eine Formalbeleidigung, so dass eine Abwägung zwischen den Beeinträchtigungen der persönlichen Ehre der betroffenen Polizeibeamten auf der einen und der Meinungsfreiheit des Angeklagten auf der anderen Seite regelmäßig nicht erforderlich ist.
i) Beider Formalbeleidigung kann es sich um Fällehandeln, wenn etwa mit Vorbedacht und nicht nur in der Hitze einer Auseinandersetzung aus sich heraus herabwürdigende Schimpfwörter -etwa aus der Fäkalsprache – verwendet werden, die nach allgemeiner Auffassung besonders krass sind. Auch dort ist es - wie bei der Schmähkritik - im Regelfall nicht erforderlich, in eine Grundrechtsabwägung einzutreten. In Fällen der Formalbeleidigung ist das Kriterium der Strafbarkeit nicht der fehlende Sachbezug einer Herabsetzung, sondern die kontextunabhängig gesellschaftlich absolut missbilligte und tabuisierte Begrifflichkeit und damit die spezifische Form dieser Äußerung. Dem liegt zugrunde, dass die Bezeichnung anderer Personen mit solchen Begriffen sich gerade ihrer allein auf die Verächtlichmachung zielenden Funktion bedient, um andere unabhängig von einem etwaigen sachlichen Anliegen herabzusetzen. Sie ist daher in aller Regel unabhängig von den konkreten Umständen als Beleidigung zu werten (BVerfG, Nichtannahmebeschluss vom 19. Mai 2020 – 1 BvR 2397/19 –, juris Rn. 21).
ii) Bei einer Bande handelt es sich nach dem allgemeinen primären Sprachgebrauch regelmäßig um eine Gruppe von Menschen, die sich zusammengeschlossen haben, um gemeinsam Straftaten zu begehen (vgl. BGH, Beschluss vom 22. März 2001 – GSSt 1/00 –, juris Rn. 20). Sofern die Bezeichnung „Affe“ in Bezug auf Menschen gebraucht wird, bringt der Sprecher damit zum Ausdruck, dass es sich bei diesem Menschen um einen besonders dummes, tierähnlich intellektuell beschränktes, Wesen der Gattung „Mensch“ handelt. Hier werden die betroffenen Polizeibeamten demnach als wie Tiere geistig minderbemittelte Wesen bezeichnet, die zudem noch von der Rechtsordnung absolut missbilligt handeln, indem sie nämlich Straftaten begehen. Eine derartige Bezeichnung ist gesellschaftlich absolut missbilligt und tabuisiert. Sie hatte den einzigen Zweck, die Polizeibeamten ohne Bindung an die konkrete Situation verächtlich zu machen.
c) Die gerichtliche Feststellung des Vorliegens einer Formalbeleidigung schließt eine – hilfsweise Abwägung zwischen der Meinungsfreiheit und dem Schutz der Persönlichkeit nach den konkreten Umständen des Falles nicht etwa aus. Ein solches Vorgehen bietet sich vielmehr in den vielfach nicht eindeutig gelagerten Grenzfällen an (BVerfG, Nichtannahmebeschluss vom 19. Mai 2020 – 1 BvR 2397/19 –, juris Rn. 25). Die Abwägung kann auch vom Revisionsgericht noch nachgeholt werden, sofern das angefochtene Urteil ausreichende Feststellungen getroffen hat (OLG Stuttgart, Urteil vom 7. Februar 2014 – 1 Ss 599/13 –, juris Rn. 21).
i) Für die Schutzwürdigkeit des Persönlichkeitsrechts der betroffenen Polizeibeamten sprechen folgende Umstände: Der konkret ehrschmälernde Gehalt der verwendeten Äußerung ist hier erheblich, weil der Ausdruck „Affenbande“ im dargelegten Sinn grundlegende, allen Menschen gleichermaßen zukommende Achtungsansprüche verletzt und das soziale Ansehen der betroffenen Polizeibeamten geschmälert hat. Der Ausdruck hat auch die angesprochenen Personen als Ganze und nicht nur einzelne ihrer Tätigkeiten oder Verhaltensweisen betroffen. Die Polizeibeamten wurden mit dem Schimpfwort „Affenbande“ betitelt, nachdem der Angeklagte sich nach einem Gespräch mit dem Arzt bereits freiwillig zur Blutentnahme bereit erklärt hatte. Danach hatten auch schon zwei Polizeibeamte den Raum, in dem sich der Angeklagte befand, wieder verlassen. Zu diesem Zeitpunkt fragte der die Blutentnahme durchführende Arzt den Angeklagten, „was er denn konsumiert habe“ (UA S. 10). Hierauf antwortete der Angeklagte dem Arzt, er werde es ihm erst sagen, wenn „die Affenbande“, also die zwei noch im Zimmer anwesenden Polizeibeamten den Raum verlassen hätten. Der Angeklagte belegte somit die betroffenen Polizeibeamten mit dem Schimpfwort „Affenbande“, obwohl sich die Gesamtsituation durch seine Bereitschaft, an der Blutentnahme mitzuwirken, wieder gänzlich entspannt hatte. Dass der Angeklagte durch die Verwendung des Ausdrucks „Machtkritik“ ausüben wollte, ist nicht erkennbar. Er äußerte sich gerade nicht gegenüber den Inhabern der staatlichen Macht, sondern er äußerte sich über sie gegenüber einem unbeteiligten Arzt, der nicht die Staatsmacht repräsentierte. Die betroffenen Polizeibeamten hatten dem Angeklagten in der Situation, in der die Äußerung fiel, auch keinerlei mittelbaren oder unmittelbaren Anlass für die Verwendung des Ausdrucks gegeben.
ii) Im Rahmen der Bewertung der Meinungsfreiheit war zu berücksichtigen: Das Gewicht der Meinungsfreiheit ist im vorliegenden Fall schon deshalb gering anzusetzen, weil der hier gegenständliche Ausdruck keinen Beitrag zur öffentlichen Meinungsbildung darstellte, sondern es ging in der konkreten Situation hiervon unabhängig lediglich um die emotionalisierende Verbreitung von Stimmungen gegen einzelne Personen. Zu berücksichtigen war aber, dass die Äußerung lediglich die beiden betroffenen Polizeibeamten und der anwesende Arzt hören konnten, so dass keine weitreichenden Folgen der Betitelung durch den Angeklagten zu befürchten waren. Ebenfalls zu sehen war, dass die strafrechtliche Sanktion nicht die Freiheit des Angeklagten berührte, bestimmte Inhalte und Wertungen überhaupt zum Ausdruck zu bringen. Es hätte durchaus alternative Äußerungsmöglichkeiten für ähnliche Inhalte gegeben, die die Person der Polizeibeamten nicht herabgewürdigt hätten. Anhaltspunkte für eine beschränkte Ausdrucksfähigkeit des Angeklagten, welche möglicherweise in der Lage gewesen wäre, den verwendeten Ausdruck zu relativieren, sind nicht vorhanden. Die Äußerung fiel zwar nicht mit Vorbedacht, aber auch nicht im spontanen Rahmen einer hitzigen Diskussion. Sie fiel auch nur mündlich, also als flüchtiges Wort, das sich nicht perpetuierte.
iii) Bei wertender Betrachtung dieser Umstände überwiegt nach Ansicht des Senats das Interesse am Schutz der Persönlichkeit der betroffenen Polizeibeamten. Dabei war vor allem von Bedeutung, dass der verwendete Ausdruck kein Beitrag zu einer seriösen Meinungsbildung war, sondern lediglich die beiden Beamten gegenüber dem Arzt herabsetzen sollte.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 473 Abs. 1 Satz 1 StPO.
Einsender: 5. Strafsenat des BayObLG
Anmerkung:
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