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Entscheidungen

StPO

(Berufungs)Hauptverhandlung, Aufhebung und Zurückverweisung, Verlesung des tatrichterlichen Urteils

Gericht / Entscheidungsdatum: OLG Oldenburg, Beschl. v. 15.08.2024 – 1 ORs 143/24

Leitsatz des Gerichts:

Im Falle Falle der Teilaufhebung und Zurückverweisung eines amtsgerichtlichen Urteils auf eine Sprungrevision – etwa hinsichtlich des Strafausspruchs - sind die für den neuen Tatrichter bindend gewordenen Urteilsteile und Feststellungen des amtsgerichtlichen Urteils im Zuge der erneuten tatrichterlichen Verhandlung zu verlesen oder den Verfahrensbeteiligten auf sonstige Weise bekannt zu machen.


In der Strafsache
pp.

wegen Subventionsbetruges,

hat der 1. Strafsenat des Oberlandesgerichts Oldenburg am 15. August 2024 durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht und die Richter am Oberlandesgericht und gemäß § 349 Abs. 4 StPO einstimmig beschlossen:

Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Amtsgerichts - Schöffengericht - Westerstede vom 27. Februar 2024 aufgehoben.
Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung über den Strafausspruch an eine andere als Schöffengericht tätige Abteilung des Amtsgerichts Westerstede zurückverwiesen, die auch über die Kosten der Revision zu entscheiden hat.

Gründe

I.

Das Amtsgericht - Schöffengericht - Westerstede hatte den Angeklagten mit Urteil vom 7. Februar 2023 wegen Subventionsbetruges in Tateinheit mit Fälschung beweiserheblicher Daten in sechs Fällen sowie wegen Subventionsbetruges in fünf Fällen zu einer - zur Bewährung ausgesetzten - Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr und zehn Monaten verurteilt. Daneben hat es eine Einziehung des Wertes des Erlangten angeordnet. Auf die hiergegen gerichtete Revision des Angeklagten hatte der Senat mit Beschluss vom 6. Juni 2023 (1 ORs 105/23) das angefochtene Urteil im Schuldspruch dahingehend geändert, dass der Angeklagte des Subventionsbetruges in elf Fällen schuldig ist und im Strafausspruch mit den dazugehörigen Feststellungen aufgehoben. Im Umfang der Aufhebung war die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung an eine andere als Schöffengericht tätige Abteilung des Amtsgerichts Westerstede zurückverwiesen worden, die auch über die Kosten der Revision zu entscheiden hat. Im Übrigen hatte der Senat das Rechtsmittel des Angeklagten als unbegründet verworfen.

Das Amtsgericht - Schöffengericht - Westerstede hat den Angeklagten nunmehr mit Urteil vom 27. Februar 2024 wegen Subventionsbetruges in elf Fällen zu einer - zur Bewährung ausgesetzten - Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr und sechs Monaten verurteilt.
Hiergegen richtet sich die auf die Sachrüge und Verfahrensrügen gestützte Revision des Angeklagten.

II.

Das Rechtsmittel hat bereits mit der den Anforderungen des § 344 Abs. 2 StPO genügenden Verfahrensrüge, mit der der Angeklagte geltend macht, dass das Amtsgericht seinen Strafausspruch auf die - inzwischen rechtskräftigen - Feststellungen zum Schuldspruch gestützt hat, ohne diese jedoch zuvor in die Hauptverhandlung durch Verlesung oder auf sonstige Weise eingeführt zu haben, zumindest vorläufig Erfolg (vgl. BayObLG, Beschluss vom 31.03.2000 - 1 St RR 37/00, juris Rn. 6). Vom Unterbleiben dieser im Verhandlungsprotokoll vom 27. Februar 2024 nicht ausgewiesenen wesentlichen Förmlichkeiten hat der Senat auszugehen, nachdem auch im Anschluss an den Eingang der Revisionsbegründung keine Berichtigung oder Ergänzung des Protokolls vorgenommen oder auch nur erwogen wurde (vgl. OLG Jena, Beschluss vom 25.10.2016 - 1 OLG 181 Ss 77/16, juris Rn. 4; OLG Frankfurt, Beschluss vom 19.05.1998 - 2 Ss 162/98, juris Rn. 3).

Hebt das Revisionsgericht - wie hier - das Ausgangsurteil nur im Strafausspruch auf und verweist es die Sache in diesem Umfang zurück, sind der Schuldspruch und die ihm zugrundeliegenden Feststellungen für den neuen Tatrichter bindend und bilden die Grundlage für das weitere Verfahren (vgl. Franke, in: LR-StPO, 26. Aufl., § 353 Rn. 30). Somit befindet sich der neue Tatrichter bei teilweiser Zurückverweisung in einer ähnlichen Lage wie der - über eine teilweise beschränkte Berufung zur Entscheidung berufene - Berufungsrichter (vgl. Franke, in: LR-StPO, 26. Aufl., § 353 Rn. 27), welcher gemäß § 324 Abs. 1 StPO im Rahmen der die Hauptverhandlung einleitenden Berichterstattung das Urteil des ersten Rechtszuges zu verlesen hat, soweit es für das weitere Verfahren von Bedeutung ist. Dies versteht sich aus Gründen der Logik von selbst, da andernfalls insbesondere die Schöffen in Unkenntnis oder nicht ausreichender Kenntnis der tatsächlichen und rechtlichen Schwerpunkte so wenig geeignet wären, ihr Richteramt mit der ihnen vom Gesetz aufgetragenen Verantwortung auszuüben, wie Schöffen, die über den Gegenstand der Anklage im Unklaren gelassen würden (vgl. OLG Hamburg, Urteil vom 12.12.1984 - 1 Ss 147/83, NStZ 1985, 379).

Dementsprechend wird auch im Fall teilweiser Zurückverweisung verlangt, dass die Mitglieder des gegenüber dem ersten Verfahrensgang neu besetzten Tatsachengerichts über den inzwischen rechtskräftig gewordenen Schuldspruch und seine tatsächlichen Grundlagen in einer den Erfordernissen des § 261 StPO Rechnung tragenden Weise - etwa durch Verlesung oder Bekanntgabe - unterrichtet werden (vgl. BGH, Urteil vom 31.10.1961 - 1 StR 401/61, NJW 1962, 59 <60>), da das neue Tatgericht ohne Kenntnis der es bindenden Schuldfeststellungen seiner Aufgabe nicht gerecht werden kann, die angemessene Rechtsfolge zu bestimmen (vgl. BGH a.a.O.; ferner OLG Frankfurt, Beschluss vom 19.05.1998 - 2 Ss 162/98, juris Rn. 3).
Vor diesem Hintergrund hätten die Gründe des vom Senat nur teilweise aufgehobenen Ausgangsurteils des Amtsgerichts Westerstede vom 7. Februar 2023 insoweit verlesen oder auf sonstige Weise bekannt gemacht werden müssen, als sie die dem Schuldspruch zugrundeliegenden Feststellungen enthalten. Dies war jedoch nicht der Fall: Ausweislich des - mit der Verfahrensrüge zutreffend mitgeteilten - Hauptverhandlungsprotokolls sind lediglich - obwohl insoweit die rechtskräftigen Feststellungen zum Schuldspruch an dessen Stelle getreten sind (vgl. Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 67. Aufl., § 324 Rn. 1) - der Anklagesatz und das "Revisionsurteil" des Senats verlesen worden. Dies vermochte die Verlesung oder sonstige Bekanntgabe der Urteilsgründe des Ausgangsurteils indes nicht zu ersetzen (vgl. OLG Frankfurt, Beschluss vom 19.05.1998 - 2 Ss 162/98, juris Rn. 7).

Der Senat vermag auch nicht auszuschließen, dass das Urteil auf diesem Verfahrensmangel beruht (§ 337 Abs. 1 StPO). Abgesehen davon, dass nicht ersichtlich ist, dass den Schöffen der konkrete Verfahrensgegenstand auf andere Weise rechtzeitig vor der Beweisaufnahme zur Kenntnis gebracht worden ist, rügt die Revision zu Recht, dass wesentliche, (erst) in den schriftlichen Gründen des angefochtenen Urteils mitgeteilte Tatsachen - wie etwa der Umstand, dass der Angeklagte in einer Mehrzahl von Fällen in Höhe von 4.000,- Euro bzw. 9.997,- Euro nicht selbst bereichert und der Betrag der Schadenswiedergutmachung um ein Vielfaches höher war als in der (erneut verlesenen) Anklageschrift zugrunde gelegt - mangels dahingehender Bekanntgabe nicht in ausreichender Weise (§ 261 StPO) in die Hauptverhandlung eingeführt worden sind. Es kann deshalb aus Sicht des Revisionsgerichts nicht ausgeschlossen werden, dass wesentliche Verfahrensbeteiligte - namentlich die Schöffen - über diese Umstände bei der Entscheidungsfindung im Unklaren geblieben sind (vgl. BayObLG, Beschluss vom 31.03.2000 - 1 St RR 37/00, juris Rn. 11), was sich wiederum auf die Strafzumessung ausgewirkt haben kann (vgl. OLG Jena, Beschluss vom 25.10.2016 - 1 OLG 181 Ss 77/16, juris Rn. 5; ferner OLG Hamburg, Urteil vom 12.12.1984 - 1 Ss 147/83, NStZ 1985, 379).

III.

Nach alldem war die Sache gemäß § 354 Abs. 2 StPO zur erneuten Verhandlung und Entscheidung über den Strafausspruch an eine andere als Schöffengericht tätige Abteilung des Amtsgerichts Westerstede zurückzuverweisen, die auch über die Kosten der Revision zu entscheiden hat.


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