Gericht / Entscheidungsdatum: KG, Beschl. v. 31.07.2024 – 3 ORs 50/24 – 161 SRs 70/24
Leitsatz des Gerichts:
1. Entscheidende Prüfsteine für die Wirksamkeit einer Berufungsbeschränkung sind der legitime Gestaltungswille des Angeklagten sowie das Gebot eines bewussten und verständigen Umgangs mit justiziellen Ressourcen („Prozesswirtschaftlichkeit“).
2. Es erscheint überfürsorglich und letztlich paternalistisch-etatistisch, wenn die Justiz im Bereich der Strafrechtspflege über den erklärten Willen des Angeklagten, eine für ihn nachteilige Entscheidung hinzunehmen, ohne dringenden Grund hinweggeht.
3. Die Berufungsbeschränkung ist nur unwirksam, wenn die erstinstanzlichen Feststellungen abschließend und nicht behebbar unklar, lückenhaft, widersprüchlich oder so dürftig sind, dass sich Art und Umfang der Schuld nicht in dem zur Überprüfung des Strafausspruchs notwendigen Maße bestimmen lassen.
4. Der dabei anzuwendende Prüfungsmaßstab ergibt sich nicht aus dem Revisionsrecht.
5. Nicht beschränkungshindernd ist im Grundsatz ein dem Tatgericht unterlaufener Subsumtionsfehler. Ein solcher liegt u.a. vor, wenn das tatsächlich festgestellte Tatverhalten den nicht angefochtenen Schuldspruch nicht trägt.
6. Von dem Grundsatz der Unbeachtlichkeit von Subsumtionsfehlern ist auch nicht abzuweichen, wenn der Schuldspruch einen höheren Strafrahmen vorgibt als das tatsächlich festgestellte Verhalten bei zutreffender Subsumtion (entgegen OLG Köln NStZ-RR 2000, 49).
3 ORs 50/24 – 161 SRs 70/24
In der Strafsache
gegen pp.
wegen Raubs u.a.
hat der 3. Strafsenat des Kammergerichts aufgrund der Hauptverhandlung am 31. Juli 2024, an der teilgenommen haben:
pp.
für Recht erkannt:
Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Berlin I vom 23. April 2024 wird verworfen.
Der Angeklagte hat die Kosten seines Rechtsmittels zu tragen.
Gründe:
Das Amtsgericht Tiergarten hat den Angeklagten wegen Raubs in Tateinheit mit Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr verurteilt, deren Vollstreckung es zur Bewährung ausgesetzt hat. Nach den Urteilsfeststellungen stieß der angetrunkene Angeklagte den Geschädigten „anlässlich einer verbalen Auseinandersetzung … von vorne, so dass dieser zu Boden ging“. Weiter heißt es im Urteil des Amtsgerichts:
„Anschließend trat der Angeklagte dem auf dem Boden liegenden Geschädigten mit dem beschuhten Fuß in Verletzungsabsicht mehrfach gegen Bauch und gegen Rücken und schlug mit den Fäusten wiederholt auf den Geschädigten ein. Als sich Passanten näherten und den Angeklagten aufforderten, aufzuhören, entriss der Angeklagte dem Geschädigten dessen Turnbeutel mit persönlichen Papieren, so dass die Schulterbänder unten vom Rucksack abrissen, entnahm der Brusttasche der Jacke des Geschädigten mindestens 365 Euro Bargeld und dessen Ausweis. Zudem riss er dem Geschädigten dessen Uhr des Herstellers W. vom linken Arm und einen silbernen Ring von der linken Hand.“
Weiter heißt es in den Urteilsgründen, das Bargeld, die Uhr und den Ring habe der Angeklagte später an den Geschädigten zurückgegeben. Als Einlassung des Angeklagten wird u.a. mitgeteilt, er habe sich „von dem Geschädigten beleidigt gefühlt und sofort zugeschlagen“. Ausführungen zur inneren Tatseite des Raubs fehlen.
Der Angeklagte hat gegen das Urteil Berufung eingelegt, die er in der Hauptverhandlung durch Erklärung seines ihn vertretenden Verteidigers auf die Rechtsfolgen beschränkt hat. Das Landgericht hat die Beschränkung für wirksam erachtet und den Angeklagten unter Annahme eines minder schweren Falls des Raubs zu einer Freiheitsstrafe von zehn Monaten verurteilt, deren Vollstreckung gleichfalls zur Bewährung ausgesetzt worden ist. Das Landgericht hat in den Urteilsgründen ergänzende Feststellungen dahin getroffen, dass der Geschädigte durch die Tat „Prellmarken über dem Auge und dem Unterkieferwinkel“ erlitten und sich einen Tag in stationärer Behandlung befunden habe. Gleichfalls hat es ausgeführt, warum die Steuerungsfähigkeit des Angeklagten nicht erheblich vermindert war. Gegen dieses Urteil wendet sich der Angeklagte mit der auf die allgemeine Sachrüge gestützten Revision. Das Rechtsmittel bleibt ohne Erfolg.
I.
Im Ergebnis rechtsfehlerfrei hat das Landgericht lediglich ergänzende Feststellungen zur Schuldfrage getroffen. Zutreffend ist die Strafkammer davon ausgegangen, dass die Urteilsfeststellungen des Amtsgerichts dadurch rechtskräftig geworden sind, dass der – verteidigte – Angeklagte seine Berufung auf den Rechtsfolgenausspruch beschränkt hat. Die Beschränkung war nach § 318 StPO wirksam.
1. Im Rahmen einer zulässigen Revision hat das Revisionsgericht auf die Sachrüge von Amts wegen - unabhängig von einer sachlichen Beschwer und ohne Bindung an die Rechtsauffassung des Berufungsgerichts - zu prüfen, ob dieses zu Recht von einer wirksamen Beschränkung der Berufung nach § 318 Satz 1 StPO und damit von einer Teilrechtskraft des erstinstanzlichen Urteils ausgegangen ist (vgl. BGHSt 27, 70; Senat, Beschluss vom 27. Februar 2024 – 3 ORs 81/23 –). Nach dem Rechtsmittelsystem der Strafprozessordnung hat der Angeklagte bei der Entscheidung, ob und inwieweit er ein gegen ihn ergangenes Urteil angreifen will, eine weitreichende Dispositionsbefugnis. Die aus Gründen der Prozesswirtschaftlichkeit (vgl. BGHSt 19, 46) dem Rechtsmittelberechtigten eingeräumte Verfügungsmacht verlangt es deshalb, den in Rechtsmittelerklärungen zum Ausdruck kommenden Gestaltungswillen im Rahmen des rechtlich Möglichen zu respektieren (vgl. BGHSt 47, 32; 29, 359; 14, 30; KG, Beschluss vom 26. August 2013 - (4) 161 Ss 129/13 (158/13) –, juris; Saarländisches Oberlandesgericht StRR 2024, 3 [Volltext bei juris]; OLG Celle BeckRS 2020, 34055; OLG Brandenburg BeckRS 2019, 16613; OLG Frankfurt BeckRS 2018, 54295; OLG Köln NStZ-RR 2017, 153; Paul in KK-StPO 9. Aufl., § 318 Rn. 1). Das Rechtsmittelgericht kann und darf diejenigen Entscheidungsteile nicht in Frage stellen, deren Nachprüfung von keiner Seite begehrt wird, wenn und soweit der angegriffene Teil trennbar ist, also losgelöst vom übrigen Urteilsinhalt selbständig geprüft und beurteilt werden kann (vgl. BGHSt 38, 362; 29, 359; KG, Beschluss vom 4. Mai 2017 - (5) 121 Ss 42/17 (32/17) – [juris]; Schmitt in Meyer-Goßner/Schmitt, StPO 67. Aufl., § 318 Rn. 33, § 352 Rn. 4; jeweils m.w.N.).
Macht der Angeklagte von der ihm gesetzlich eingeräumten Verfügungsmacht Gebrauch, ist das Revisionsgericht gehalten, diesen Gestaltungswillen zu akzeptieren. Dies gilt auch dann, wenn der Angeklagte einen ungünstigen Schuldspruch hinnimmt (vgl. BGH NStZ-RR 2022, 290; NStZ-RR 1996, 267; Senat, Urteil vom 26. Februar 2020 - (3) 161 Ss 10/20 (8/20) – [juris]; Hanseatisches Oberlandesgericht Hamburg, Beschluss vom 29. Juli 2019 - 2 Rev 26/19 – [juris]). Für ein solches Prozessverhalten kann es vielfältige Gründe geben, die das Revisionsgericht nicht zu hinterfragen hat. Bereits dies macht deutlich, dass die Beurteilung der Frage, ob der Entscheidung eines Angeklagten, den gegen ihn ergangenen Schuldspruch zu akzeptieren, die vom Ausgangsgericht getroffenen Feststellungen gegen sich gelten zu lassen und in der Rechtsmittelinstanz lediglich den Strafausspruch überprüfen zu lassen, Geltung zu verschaffen ist, nicht nach denselben Maßstäben erfolgt wie die revisionsgerichtliche Überprüfung eines vom Angeklagten angefochtenen Schuldspruchs nach § 344 StPO (vgl. Senat, Beschluss vom 27. Februar 2024 – 3 ORs 81/23 –; KG StV 2014, 78; BayObLGSt 1999,96; 1993, 84).
Allerdings ist auch anerkannt, dass den Grundsätzen der Dispositionsfreiheit und der Prozesswirtschaftlichkeit Grenzen gesetzt sind. So setzt eine wirksame Beschränkung voraus, dass der nach dem Willen des Rechtsmittelführers neu zu verhandelnde Entscheidungsteil losgelöst vom übrigen Urteilsinhalt selbständig geprüft und beurteilt werden kann (vgl. BGHSt 24, 185 [vertikale Beschränkung]; 62,155 [§ 318 StPO]; NStZ 2016, 105). Auch muss der nicht angegriffene Teil der Vorentscheidung so festgestellt und bewertet sein, dass er – unabänderlich und damit bindend geworden – eine hinreichend tragfähige Grundlage für eine eigenständige Entscheidung des Berufungsgerichts zu bieten vermag (vgl. BGHSt 33, 59 [Senat f. Anwaltssachen]; 62, 155). Verbindungen mit dem sachlichen Recht bestehen dabei nur insoweit, als die sich stellenden Fragen (isolierte Überprüfbarkeit des angefochtenen Entscheidungsteils; belastbare Feststellung und Bewertung des nicht angegriffenen Teils der Vorentscheidung) auch in Ansehung der sachlich-rechtlichen Ausgangslage beantwortet werden müssen (vgl. BGHSt 62, 155). Unwirksam erscheinen Berufungsbeschränkungen nach diesen Maßgaben, wenn die dem amtsgerichtlichen Schuldspruch zugrundeliegenden Feststellungen tatsächlicher und rechtlicher Art unklar, lückenhaft, widersprüchlich oder so dürftig sind, dass sich Art und Umfang der Schuld nicht in dem zur Überprüfung des Strafausspruchs notwendigen Maße bestimmen lassen oder unklar bleibt, ob sich der Angeklagte überhaupt strafbar gemacht hat (vgl. BGHSt 62, 155 m.w.N.).
Diese Einschränkung der Dispositionsbefugnis wiederum begrenzend ist zu berücksichtigen, dass Lücken bei den Urteilsfeststellungen in aller Regel durch das Berufungsgericht geschlossen werden können (vgl. BGHSt 62, 155). Daraus ergibt sich zweierlei: Aus Lücken der erstinstanzlichen Entscheidung folgt nicht ohne Weiteres die Unwirksamkeit der Berufungsbeschränkung auf den Rechtsfolgenausspruch. Dies gilt namentlich dann, wenn solche Lücken – erkennbar – in zweiter Instanz beseitigt werden können. Auf der anderen Seite kann von Unvollständigkeiten der Berufungsentscheidung nicht ohne Weiteres auf die Unwirksamkeit der Berufungsbeschränkung geschlossen werden (vgl. Senat, Urteil vom 26. Februar 2020 - (3) 161 Ss 10/20 (8/20) -, [juris]). Weist das amtsgerichtliche Urteil in diesem Sinne schließbare Lücken auf und sind diese in der Berufungsinstanz nicht durch ergänzende Feststellungen geschlossen worden, so wird hierdurch nicht die vom Angeklagten erklärte Beschränkung unwirksam. Vielmehr erweist sich in diesem Fall das Berufungsurteil als lückenhaft, und es ist gegebenenfalls revisionsrechtlich angreifbar (vgl. Senat, Urteil vom 26. Februar 2020 - (3) 161 Ss 10/20 (8/20) -, [juris]).
Für die Prüfung der Wirksamkeit der Berufungsbeschränkung bleibt damit zentral, ob die erstinstanzlichen Feststellungen abschließend und nicht behebbar „unklar, lückenhaft, widersprüchlich oder so dürftig sind, dass sich Art und Umfang der Schuld nicht in dem zur Überprüfung des Strafausspruchs notwendigen Maße bestimmen lassen“ (BGHSt 62, 155).
2. Im hier zu überprüfenden Fall weist das amtsgerichtliche Urteil Rechtsfehler sowohl in Bezug auf die Rechtsanwendung (Subsumtion) (a) als auch in Bezug auf die Feststellungen zur inneren Tatseite (§ 267 Abs. 1 Satz 1 StPO) (b) auf. Nach Maßgabe der unter 1. umrissenen Grundsätze und namentlich unter Beachtung der Dispositionsbefugnis des Angeklagten und der Maxime der Prozesswirtschaftlichkeit hinderten beide Mängel den Angeklagten jedoch nicht daran, seine Berufung wirksam auf die Rechtsfolgen zu beschränken.
a) Die Urteilsfeststellungen weisen aus, dass der Angeklagte zunächst gegenüber dem Geschädigten „anlässlich einer verbalen Auseinandersetzung“ gewalttätig geworden ist und dem am Boden Liegenden schließlich Gegenstände abgenommen hat. Diese Feststellungen tragen nicht die Verurteilung wegen Raubs. Denn hierzu bedarf es eines finalen Zusammenhangs zwischen der Gewaltanwendung und der Wegnahme (vgl. BGHSt 4, 210: „Ursachenbeziehung“), der hier gerade nicht festgestellt worden ist. Wäre das amtsgerichtliche Urteil mit der Revision angefochten, wäre es wegen Verstoßes gegen das sachliche Recht aufzuheben. Denn die äußeren Feststellungen trügen nur eine Verurteilung wegen Körperverletzung (§ 223 Abs. 1 StGB) und (§ 53 StGB) Diebstahls (§ 242 Abs. 1 StGB), nicht aber eine solche wegen Raubs in Tateinheit mit Körperverletzung. (§§ 249 Abs. 1, 223 Abs. 1, 52 StGB).
Allerdings ergibt sich der hier anzuwendende Prüfungsmaßstab nicht aus dem Revisionsrecht (vgl. Senat, Beschluss vom 27. Februar 2024 – 3 ORs 81/23 –). Ob und wie sich derartige sachlich-rechtliche Rechtsanwendungsfehler des erstinstanzlichen Urteils auf die Wirksamkeit der Rechtsmittelbeschränkung auswirken, wird in Rechtsprechung und Literatur unter dem Begriff „Subsumtionsfehler“ erörtert. Der Bundesgerichtshof (nachfolgend: BGH) hat hierzu entschieden: „Etwaige Subsumtionsfehler des erkennenden Gerichts und daraus resultierende Mängel des Schuldspruchs berühren die Wirksamkeit einer Rechtsmittelbeschränkung, die den Schuldspruch von einer Beanstandung ausnimmt, nicht“ (BGH NStZ-RR 2022, 290; vgl. auch BGH NStZ-RR 2020, 303). „Die fehlerhafte Rechtsanwendung bei Schuldspruch“, formulierte der BGH auch, „lässt eine Revisionsbeschränkung allein nicht unwirksam werden“ (BGH NStZ-RR 2020, 303 [Beschränkung der Revision]; vgl. auch BGH NStZ-RR 2020, 222; 2013, 349; OLG Köln NStZ-RR 2017, 153).
In der Rechtsprechung wird dem namentlich durch das OLG Köln nicht, jedenfalls nicht konsequent gefolgt. In ständiger Rechtsprechung erkennt das OLG Köln die Grundregel an, der zufolge Subsumtionsfehler die Wirksamkeit einer Rechtsmittelbeschränkung nicht berühren sollen. Hiervon nimmt es aber die Fälle aus, bei denen der fehlerhafte Schuldspruch zu Lasten des Angeklagten einen höheren Strafrahmen vorgibt (vgl. OLG Köln NStZ-RR 2000, 49). Neuerdings erweitert das OLG Köln diese Auffassung auf den Fall, dass die richtige Subsumtion nur hypothetisch-fakultativ zu einem milderen Strafrahmen geführt haben könnte (vgl. OLG Köln, Beschluss vom 16. April 2024 – III-1 ORs 62/24 [vollendeter Diebstahl statt Versuch]).
Wendete man die Rechtsprechung des OLG Köln auf den hiesigen Fall an, so wäre die Beschränkung unwirksam. Denn der nicht angefochtene Schuldspruch verweist mit dem Verbrechen des Raubs auf einen höheren Strafrahmen als die „tatsächlich festgestellten“ Vergehen der Körperverletzung und des Diebstahls. Allerdings folgt der Senat der Rechtsprechung des OLG Köln nicht. Zu dessen Verkürzung des vom BGH formulierten Grundsatzes, demzufolge gerichtliche Subsumtionsfehler der Wirksamkeit der Rechtsmittelbeschränkung nicht entgegenstehen, besteht kein Anlass.
Eine solche Verengung widerspricht namentlich der höchstrichterlichen Rechtsprechung, der zufolge das Rechtsmittelgericht bei einer Rechtsmittelbeschränkung auch dann auf der Basis des Schuldspruchs des angefochtenen Urteils entscheidet, wenn dieser auf einer rechtsfehlerhaften Subsumtion und damit auf einer unzutreffenden rechtlichen Einordnung des Tatgeschehens beruht (vgl. BGH NStZ-RR 2020, 303) – und zwar unabhängig davon, ob „sich eine fehlerhafte rechtliche Einordnung einer festgestellten Tat zu Gunsten oder zu Ungunsten des Angeklagten auswirkt“ (vgl. BGH NStZ-RR 2022, 290; NStZ 1996, 352). Es ist auszuschließen, dass dem BGH bei seinen Entscheidungen der wohl naheliegendste Fall eines sich zuungunsten des Angeklagten auswirkenden Subsumtionsfehlers, nämlich die Eröffnung eines erhöhten Strafrahmens, außer Blick geraten sein könnte. Auch dass der BGH von dem Grundsatz – lediglich – die Fälle ausnehmen will, bei denen die gerichtlichen Feststellungen kein strafbares Verhalten ergeben, zeigt, dass er die Möglichkeit im Blick hatte, dass der Schuldspruch auch zum Nachteil des Angeklagten fehlerhaft sein kann. Der hier erkennende Senat verkennt nicht, dass die Grundsatzentscheidungen des BGH (NStZ-RR 2022, 290; 2020, 303) die Beschränkung der Revision betreffen. Es ist aber nicht ersichtlich, dass für die Berufungsbeschränkung in Bezug auf die Bedeutung von Subsumtionsfehlern etwas anderes zu gelten hätte.
Auch missachtet die Judikatur des OLG Köln den legitimen Gestaltungswillen des Angeklagten ebenso wie das Gebot eines bewussten und verständigen Umgangs mit justiziellen Ressourcen („Prozesswirtschaftlichkeit“). Es entspricht einer auch im Bereich der Strafrechtspflege überfürsorglichen und letztlich paternalistisch-etatistischen Sichtweise, wenn die Justiz über den erklärten Willen des Angeklagten, eine für ihn nachteilige Entscheidung hinzunehmen, hinweggeht. Der Täter kennt den abgeurteilten Lebenssachverhalt besser als das Tatgericht und die Staatsanwaltschaft. Wenn der – zudem fast immer und so auch hier verteidigte – Angeklagte eine Verurteilung wegen Raubs akzeptieren möchte, so kann es nicht einleuchten, dass dies wegen vermeintlich systematischer Belange unterbunden wird.
Nach diesen Grundsätzen berührte der Subsumtionsfehler hier nicht die Wirksamkeit der Berufungsbeschränkung. Der verteidigte Angeklagte hat, übrigens in Kenntnis der schriftlichen Urteilsgründe und der darin enthaltenen Feststellungsmängel, seine Berufung auf den Rechtsfolgenausspruch beschränkt und damit eindeutig zum Ausdruck gebracht, dass er den Schuldspruch und die ihn tragenden Feststellungen anerkennen und nicht zur Überprüfung des Landgerichts gestellt wissen will. Dass die amtsgerichtlichen Urteilsfeststellungen den Schuldspruch sachlich-rechtlich nicht tragen, ist nach den obigen Ausführungen in diesem Zusammenhang ohne Belang.
b) Ohne Bedeutung ist in diesem Zusammenhang gleichfalls, dass die amtsgerichtlichen Feststellungen auch daran leiden, dass sie zur inneren Tatseite des Raubs nichts enthalten. Namentlich fehlt es an Ausführungen zum Wegnahmevorsatz und zur Zueignungsabsicht. Zur inneren Finalität von Gewaltanwendung und Wegnahme enthält das Urteil ohnedies keine Feststellungen.
Diese Umstände sind aber für die hier maßgebliche Bestimmung der Strafzumessungsschuld von vornherein ohne tragende Bedeutung. Zwar haben sie für die sog. Strafbegründungsschuld (zur Begrifflichkeit vgl. König, Festschrift für Hentschel-Heinegg, S. 259) durchaus Relevanz. Es kann aber nicht einleuchten, fehlende Feststellungen (hier: zur inneren Tatseite) anders zu beurteilen als den – von höchstrichterlicher Rechtsprechung für nicht beschränkungskritisch gehaltenen – Subsumtionsfehler. Denn im Kern liegen beide Fälle gleich: Der hier ausgemachte Subsumtionsfehler (Bewertung der Tat als Raub in Tateinheit mit Körperverletzung) erweist sich als nichts anderes als das Fehlen von Feststellungen in Bezug auf die innere Tatseite. Hätte das amtsgerichtliche Urteil die Feststellungen enthalten, dass der Angeklagte die Gewalt anwendete, um dem Geschädigten Wertsachen wegzunehmen, wäre die Tat zutreffend unter die Gesetzesnormen §§ 223, 249, 52 StGB zu subsumieren gewesen.
3. Auch sind die erstinstanzlichen Feststellungen nicht anderweitig unbehebbar „unklar, lückenhaft, widersprüchlich oder so dürftig, dass sich Art und Umfang der Schuld nicht in dem zur Überprüfung des Strafausspruchs notwendigen Maße bestimmen lassen“ (BGHSt 62, 155). Bei diesem vom BGH formulierten Erfordernis geht es nicht um die Strafbegründungsschuld (schuldhafte Verwirklichung des Tatbestands), sondern um die (die Höhe der Strafe determinierende) Strafzumessungsschuld (vgl. König, a.a.O., S. 259).
Zwar ist auch insoweit zu konstatieren, dass die Feststellungen des Amtsgerichts nicht gerade elaboriert sind. Als im Zusammenhang mit den abgeurteilten Tatbeständen des Raubs und der Körperverletzung schuldbestimmend erscheinen vorrangig die Schwere der Verletzungen und die Höhe des zugefügten Vermögensschadens. Zu ersterem findet sich nichts Ausdrückliches, jedoch umreißt die Art der Tatbegehung (Stoßen mit der Folge des Stürzens, mehrere Tritte gegen Bauch und Rücken, mehrere Faustschläge) die Verletzungsfolgen im Groben. Das Landgericht hat zudem insoweit ergänzende Feststellungen getroffen, dass der Geschädigte „Prellmarken über dem Auge und dem Unterkieferwinkel“ erlitten und sich vom Tattag bis zum Folgetag in stationärer Behandlung befunden habe (UA S. 2). Die Schadenshöhe weist das amtsgerichtliche Urteil mit dem Verlust von 365 Euro Bargeld, einer „Uhr des Herstellers W.“, einem silbernen Ring und einem Ausweis aus (UA S. 3). Dass der Wert des Rings und der Uhr nicht näher spezifiziert wird, erscheint zur Beurteilung der Strafzumessungsschuld unter zwei Gesichtspunkten als nicht gravierend: Zum einen ist beides an den Geschädigten zurückgegeben worden, wodurch sich die schuldbestimmende Relevanz des Sachwerts relativiert. Zum anderen wären insoweit ergänzende Feststellungen durch das Berufungsgericht möglich gewesen. Nach dem oben zu 1. (a. E.) Ausgeführten wäre bei dieser Sachlage nicht die Berufungsbeschränkung unwirksam. Würde dem Wert der Gegenstände rechtsfolgenbestimmende Relevanz zugeschrieben, so wäre allenfalls dem Landgericht vorzuhalten, diese Umstände nicht ergänzend aufgeklärt zu haben.
4. Auch eine Gesamtschau aller Umstände des Einzelfalls gebietet keine andere Beurteilung. Namentlich erfordert die Lücken- und damit Fehlerhaftigkeit der amtsgerichtlichen Feststellungen keine weitergehende Korrektur aus übergeordneten Gründen der materiellen Gerechtigkeit. Kann der Angeklagte ein fehlerhaftes Urteil dadurch in Gänze rechtskräftig werden lassen, dass er kein Rechtsmittel einlegt, so muss es jedenfalls im Grundsatz auch – und gegebenenfalls erst recht – möglich sein, mit dem Schuldspruch einen fehlerhaften oder inkonsistenten Urteilsteil rechtskräftig werden zu lassen. Dies gilt jedenfalls dann, wenn die Feststellungen den Schuldgehalt der Tat grob umreißen und etwaige Lücken durch eine Beweisaufnahme in der Berufungshauptverhandlung geschlossen werden können. Beides war hier der Fall.
5. Nach allem hat der Angeklagte seine Berufung wirksam auf die Rechtsfolgen beschränkt, und der Schuldspruch ist rechtskräftig geworden. Das angefochtene Urteil ist damit nicht mangels Feststellungen zum Schuldspruch fehlerhaft.
II.
Gegen die die Rechtsfolgenentscheidung betreffende Beweiswürdigung ist ebenso wenig zu erinnern wie gegen die Rechtsfolgenentscheidung selbst. Dass das Landgericht keine (ergänzenden) Feststellungen zum Wert des Rings und der Uhr getroffen hat, erweist sich nicht als durchgreifender Rechtsfehler.
III.
Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 473 Abs. 1 StPO.
Einsender: RiKG U. Sandherr, Berlin
Anmerkung:
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