Gericht / Entscheidungsdatum: LG Essen, Beschl. v. 01.08.2023 -1 NBs 13/23
Eigener Leitsatz:
Zur Wiederaufnahme des Verfahrens, wenn die Verurteilung des Verurteilten auf seinem im Rahmen einer Verständigung (§ 257c StPO) abgegebenen Geständnis beruht.
Landgericht Essen
Beschluss
In der Strafsache
gegen pp.
hat die Xl. Kleine Strafkammer des Landgerichts Essen durch den Vorsitzenden Richter am Landgericht am 01.08.2023 beschlossen:
Die Wiederaufnahme des Verfahrens gegen das Berufungsurteil des Landgerichts Dortmund, Az. 45 Ns 46/20, vom 17.03.2021 zugunsten des Verurteilten wird zugelassen.
Dem Verurteilten wird gemäß § 364a StPO für das Wiederaufnahmeverfahren Rechtsanwalt pp. als Pflichtverteidiger beigeordnet.
Gründe:
Mit Anklageschrift vom 16.12.2019 der Staatsanwaltschaft Dortmund wurde der Verurteilte angeklagt, einen Menschen bedroht und in zwei Fällen eine Falschverdächtigung begangen zu haben. Hintergrund des Vorwurfs der Bedrohung ist, dass der Verurteilte am 19.05.2019 gegenüber dem JVHS pp. geäußert haben soll, dass er ihn und seine Familie „kalt machen" werde.
In der Hauptverhandlung vor dem Amtsgericht Dortmund vom 25.02.2020 räumte der Verurteilte den Anklagevorwurf geständig ein. so dass er wegen Bedrohung und falscher Verdächtigung zu einer Gesamtgeldstrafe von 130 Tagessätzen zu je 10,- € verurteilt wurde. Eine weitergehende Beweisaufnahme fand nicht statt. Infolge von Berufungseinlegungen der Staatsanwaltschaft und des Verurteilten verhandelte die 45. Kleine Strafkammer des Landgerichts Dortmund die Sache am 17.03.2021. Während die Berufung der Staatsanwaltschaft bereits auf den Rechtsfolgenausspruch beschränkt war. beschränkte der Verurteilte seine Berufung in der Berufungshauptverhandlung ebenfalls auf den Rechtsfolgenausspruch. Im Folgenden gab der Verurteilte eine geständige Einlassung ab. Eine weitere Beweisaufnahme zur Sache fand nicht statt. Mit Urteil vom 17.03.2021 verwarf das Landgericht die Berufung des Verurteilten und änderte aufgrund der Berufung der Staatsanwaltschaft das amtsgerichtliche Urteil im Rechtsfolgenausspruch dahingehend ab, dass der Verurteilte zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von 6 Monaten verurteilt wird, deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt wird. Infolge der hiergegen eingelegten Revision des Verurteilten. verwarf das Oberlandesgericht Hamm mit Beschluss vom 01.06.2022 die Revision des Angeklagten. soweit er wegen Bedrohung zu einer Freiheitsstrafe von vier Monaten mit Strafaussetzung zur Bewährung verurteilt worden ist. Im Übrigen wurde das landgerichtliche Urteil in Bezug auf die Verurteilung wegen falscher Verdächtigung und im Gesamtstrafenausspruch aufgehoben und das Verfahren bzgl. des Vorwurfs der falschen Verdächtigung nach § 354 Abs. 1 StPO eingestellt.
Mit Schriftsatz seines Verteidigers vom 05.12.2022 hat der Verurteilte nunmehr die Zulassung der Wiederaufnahme des Verfahrens gegen das Berufungsurteil des Landgerichts Dortmund vom 17.03.2021, Az. 45 Ns 46/20, sowie die Beiordnung seines Verteidigers als Pflichtverteidiger gemäß § 364a StPO beantragt.
Der Antrag wird auf § 359 Nr. 5 StPO gestützt und unter Darlegung neuer Tatsachen und Beweismittel dargelegt, dass in der Sache - Verurteilung wegen Bedrohung - ein Freispruch zu erfolgen habe, da das ausgebrachte Geständnis unzutreffend und aus rein taktischen Erwägungen erfolgt sei und sich aus den Aussagen benannter, bislang nicht vernommener Zeugen ergebe, dass der Angeklagte die Tat nicht begangen habe.
Die Staatsanwaltschaft hat zum Antrag auf Zulassung des Wiedereinsetzungsantrags bereits Stellung genommen und beantragt, dem Antrag auf Zulassung des Wiedereinsetzungsantrags zugunsten des Angeklagten stattzugeben und Rechtsanwalt pp. dem Verurteilten als Pflichtverteidiger beizuordnen.
1. Der Antrag auf Zulassung des Wiederaufnahmeverfahrens war stattzugeben.
Der Antrag ist gemäß der in § 366 StPO genannten Form eingebracht worden und benennt insbesondere § 359 Nr. 5 StPO als Wiederaufnahmegrund zugunsten des Angeklagten. Zudem sind die Beweismittel angegeben, die den Wiederaufnahmegrund belegen sollen. Diese sind derart hinreichend konkret bezeichnet worden_ so dass das Gericht sie beiziehen und für eine Beweisaufnahme nach § 369 Abs. 1 StPO verwenden kann. Das Ziel der Wiederaufnahme, einen Freispruch zu erlangen. ist legitim.
Zudem sind die Voraussetzungen des § 359 Nr. 5 StPO gegeben, da der Verurteilte Tatsachen und Beweismittel benennt. die als neu zu bewerten sind, und die geeignet sind_ zu einem anderen Ergebnis in der Sache zu führen. Hierbei sind die Tatsachen und Beweismittel als neu zu bewerten, da diese bei der Überzeugungsbildung des erkennenden Gerichts nicht berücksichtigt worden sind. da die Feststellung zum Tatgeschehen sich allein auf der damaligen geständigen Einlassung des Verurteilten gründete, die nunmehr widerrufen wurde. Dahingehend sind die genannten Tatsachen und Beweismittel auch hinreichend geeignet, ggfs. zu einem Freispruch des Verurteilten zu führen. Der Verurteilte hat zudem im Rahmen seiner besonderen Darlegungspflicht dargelegt. dass er das Geständnis damals lediglich aus taktischen Erwägungen abgegeben habe, um eine Verurteilung zu einer in Rede stehenden vollstreckbaren Freiheitsstrafe durch das Berufungsgericht zu vermeiden. Dass das Geständnis hierbei vor dem Landgericht Dortmund im Rahmen einer Verständigung i.S.v. § 257c StPO abgegeben wurde, ist hierbei unerheblich, da die Verfahrensabsprache grundsätzlich keine Bindungswirkung entfaltet (vgl. hierzu Singelnstein in BeckOK StPO, 47. Edition, Stand: 01.04.2023, § 359 Rn. 37 m.w.N.). Zudem ist hierbei zu beachten, dass das damals abgegebene Geständnis des Angeklagten nicht im Hinblick auf die Richtigkeit überprüft worden ist. Die Kammer hat hierbei auch in den Blick genommen, dass der Verurteilte bereits vor dem Amtsgericht eine geständige Einlassung abgegeben hat, wozu er allerdings ebenfalls konkret dargelegt hat, dass dies allein auf Anraten seines Verteidigers erfolgt sei, um hierdurch eine Verurteilung zu einer Freiheitsstrafe zu vermeiden.
2. Die Pflichtverteidigerbeiordnung folgt aus § 364a StPO.
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