Gericht / Entscheidungsdatum: KG, Beschl. v. 21.05.2024 – 3 ORbs 54/24 - 122 SsBs 5/24
Leitsatz des Gerichts:
1. Ein unübersichtliches Konvolut aus Ablichtungen des Bußgeldbescheides, Ablichtungen aus dem amtsgerichtlichen Sitzungsprotokoll, Gesetzeszitaten,
Ablichtungen aus einem privaten Sachverständigengutachten sowie von Schreiben des Verteidigers an das Gericht genügt den Anforderungen an einen
ausreichenden Vortrag nicht.
2. Aus dem Rechtsbeschwerdevortrag muss erkennbar sein, aufgrund welcher konkreten Tatsachen sich das Gericht zu weiteren Beweiserhebungen hätte gedrängt sehen sollen.
3. Es ist nicht Aufgabe des Rechtsbeschwerdegerichts, sich aus einem unübersichtlichen Vortrag das für die jeweilige Rüge Passende herauszusuchen.
3 ORbs 54/24 - 122 SsBs 5/24
In der Bußgeldsache
gegen pp.
wegen einer Verkehrsordnungswidrigkeit
hat der 3. Senat für Bußgeldsachen des Kammergerichts am 21. Mai 2024 beschlossen:
Die Rechtsbeschwerde des Betroffenen gegen das Urteil des Amtsgerichts Tiergarten vom 6. Dezember 2023 wird nach §§ 79 Abs. 3 Satz 1 OWiG, 349 Abs. 2 StPO als unbegründet verworfen.
Der Betroffene hat die Kosten seines Rechtsmittels zu tragen.
Gründe:
I.
Das Amtsgericht Tiergarten hat den Betroffenen am 6. Dezember 2023 wegen einer vorsätzlichen Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit um 24 km/h innerhalb geschlossener Ortschaften zu einer Geldbuße in Höhe von 300,00 Euro verurteilt.
Gegen das Urteil wendet sich der Betroffene mit der Rechtsbeschwerde, mit der er die Verletzung formellen und materiellen Rechts rügt. Er trägt im Wesentlichen vor, das Gericht sei seiner Aufklärungspflicht in Bezug auf die Überprüfung der Richtigkeit des Messverfahrens nicht nachgekommen, es hätte insbesondere das Gutachten des Sachverständigen S. heranziehen und den Sachverständigen hören müssen. Zudem hätten die Messunterlagen nicht verwertet werden dürfen, der Verwertung sei widersprochen worden. Auch sei das Gericht fehlerhaft davon ausgegangen, dass der Betroffene das Fahrzeug geführt habe. Darüber hinaus sei die Vorsatzverurteilung nicht ausreichend begründet und es fehle eine Entscheidung über die Gewährung von Zahlungserleichterungen.
Die Generalstaatsanwaltschaft Berlin hat beantragt, die Rechtsbeschwerde gem. § 79 Abs. 3 Satz 1 OWiG i.V.m. § 349 Abs. 2 StPO als offensichtlich unbegründet zu verwerfen.
II.
Die gem. § 79 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, Nr. 2 OWiG statthafte Rechtsbeschwerde des Betroffenen hat in der Sache keinen Erfolg.
1. Die Verfahrensrüge ist unzulässig, soweit ein Verstoß gegen die Aufklärungspflicht gerügt wird.
Im Ordnungswidrigkeitenverfahren ist das Gericht gemäß § 77 Abs.1 Satz 1 OWiG von Amts wegen zur Erforschung der Wahrheit verpflichtet; es bestimmt dabei den Umfang der Beweisaufnahme unter Berücksichtigung der Bedeutung der Sache (§ 77 Abs. 1 Satz 2 OWiG). Eine Verletzung der Aufklärungspflicht ist auch im Bußgeldverfahren gegeben, wenn das Gericht – unabhängig davon, ob ein Beweisantrag gestellt ist – davon absieht, Beweise zu erheben, deren Benutzung sich nach der Sachlage aufdrängt oder zumindest naheliegt (Bauer in Göhler, OWiG 19. Auflage, § 77 Rn. 7).
Hier fehlt es bereits an einem ausreichenden Vortrag, aufgrund welcher Tatsachen sich das Amtsgericht zu einer weiteren Beweiserhebung hätte gedrängt sehen müssen. Nach § 344 Abs. 2 StPO (i.V.m. § 79 Abs. 3 Satz 1 OWiG) müssen die den Verfahrensmangel begründenden Tatsachen so genau und vollständig angegeben werden, dass das Beschwerdegericht allein aufgrund des Rügevorbringens prüfen kann, ob der Verfahrensmangel vorliegt, wenn die behaupteten Tatsachen zutreffen (vgl. OLG Hamm, Beschluss vom 25. Oktober 2016 - III-3 RVs 72/16 -, juris).
Der über 70 Seiten lange unstrukturierte Rechtsbeschwerdevortrag genügt diesen Anforderungen nicht. Es ist nicht Aufgabe des Rechtsbeschwerdegerichts, sich aus einem umfangreichen Konvolut von Unterlagen das für die jeweilige Rüge Passende herauszusuchen und dabei den Sachzusammenhang selbst herzustellen; stattdessen ist es erforderlich, bezogen auf jede konkrete Rüge (lediglich) den insoweit relevanten Verfahrensstoff mitzuteilen (vgl. BGH, Beschluss vom 24. Oktober 2022 - 5 StR 184/22 -, beck-online). Das Rechtsbeschwerdevorbringen besteht u.a. aus Ablichtungen des Bußgeldbescheides, Ablichtungen aus dem amtsgerichtlichen Sitzungsprotokoll, Gesetzeszitaten, 26 Seiten Ablichtungen aus dem privaten Sachverständigengutachten sowie Schreiben des Verteidigers an das Gericht. Aufgrund welcher Tatsachen konkret das Gericht sich zu weiteren Beweiserhebungen hätte gedrängt habe sehen sollen, ergibt sich aus dem unübersichtlichen Beschwerdevortrag nicht. Dabei ist anzumerken, dass schon das im Vortrag zitierte Sachverständigengutachten unkonkret bleibt und hauptsächlich Vermutungen aufstellt, was an Formulierungen wie „Messfehler ist denkbar“, „Bedienfehler sind nicht ausgeschlossen“, „ggf. nicht ordnungsgemäß vermessen“, „nicht sicher bewertbar“, „Messserie ggf. nicht verwertbar“, „kann nicht ausgeschlossen werden“, „ggf. wäre der Messposten zu befragen“ und „stellt sich die Frage“, zu sehen ist.
b) Aus denselben Gründen erfüllt auch der Vortrag zur Inbegriffsrüge, zumindest soweit er sich auf eine angeblich fehlerhafte Verwertung der Messunterlagen bezieht, die Anforderungen an einen ordnungsgemäßen Revisionsvortrag nicht. Die Inbegriffsrüge ist insoweit unzulässig.
c) Die Inbegriffsrüge, mit der der Betroffene rügt, seine Fahrereigenschaft habe sich nicht aus dem Inbegriff der Hauptverhandlung ergeben und hätte nicht in die Urteilsfindung einfließen dürfen, ist zulässig, aber unbegründet.
Das Gericht ist zu Recht davon ausgegangen, dass die Fahrereigenschaft des Betroffenen aufgrund seiner Einlassung in der Hauptverhandlung feststeht. Der Betroffene war in der Hauptverhandlung nicht anwesend. Sein Verteidiger überreichte dem Gericht in der Hauptverhandlung eine schriftliche Vollmacht seines Mandanten vom 5. Dezember 2023, die neben der Befugnis zur Beantragung der Entpflichtung nach § 73 Abs. 2 OWiG auch ausdrücklich die Vertretungsbefugnis nach §§ 233 Abs. 1, 234 StPO enthielt. Dies genügt für eine wirksame Vertretung nach § 73 Abs. 3 OWiG (vgl. OLG Brandenburg Beschluss vom 27. Januar 2020 - (1 B) 53 Ss-OWi 14/20 (10/20) -, juris m.w.N.). Der Vortrag des Verteidigers, bei der Erklärung über die Fahrereigenschaft nicht von seiner Vertretungsvollmacht Gebrauch gemacht zu haben, ist widersprüchlich und für Dritte nicht erkennbar. Der nicht erklärte, sondern geheim bleibende Vorbehalt (sog. Mentalreservation), den Betroffenen nicht vertreten zu wollen, ist prozessual ohne Bedeutung (Rechtsgedanke des § 116 Abs. 1 BGB) (vgl. Senat, Beschluss vom 22. Januar 2024 - 3 ORbs 273/23 -).
2. Die auf die allgemeine Sachrüge gebotene umfassende Überprüfung des Urteils zeigt keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Betroffenen auf, der die Aufhebung und Zurückverweisung der Sache an das Amtsgericht gebietet.
a) Die Feststellungen zur Tat lassen Art und Umfang der Schuld in ausreichendem Maße erkennen und bilden eine hinreichend tragfähige Grundlage für den Schuldspruch. Insbesondere tragen sie auch den angenommenen vorsätzlichen Geschwindigkeitsverstoß. Angesichts der Überschreibung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit um über 40 % ist das Gericht zu Recht von einem vorsätzlichen Verstoß ausgegangen. Dies ergibt sich aus den Feststellungen, ohne dass es dazu weiterer Ausführungen bedurft hätte. Jedenfalls bei einer Geschwindigkeitsüberschreitung von 40 % ist von Vorsatz auszugehen, wenn nicht besondere Umstände eine abweichende Wertung veranlassen (vgl. Senat, Beschluss vom 9. Juli 2018 - 3 Ws (B) 154/18 -, juris). Entsprechende Umstände sind weder den Urteilsgründen zu entnehmen, noch hat der Betroffene sie vorgetragen.
b) Auch lässt die Beweiswürdigung keine Rechtsfehler zu Ungunsten des Betroffenen erkennen.
Die Würdigung der Beweise ist grundsätzlich Sache des Tatgerichts. Das Rechtsbeschwerdegericht hat auf die Sachrüge hin alleine zu prüfen, ob dem Tatgericht hierbei Rechtsfehler unterlaufen sind. Rechtsfehlerhaft ist die Beweiswürdigung dann, wenn sie in sich widersprüchlich, unklar oder lückenhaft ist. Dabei brauchen die Schlussfolgerungen des Tatgerichts nicht zwingend zu sein. Es genügt grundsätzlich, dass sie möglich sind und das Tatgericht von ihrer Richtigkeit überzeugt ist. Das Gericht muss jedoch die wissenschaftlichen Erkenntnisse, die Erfahrungssätze des täglichen Lebens und die Gesetze der Logik beachten. Um dem Rechtsbeschwerdegericht diese Nachprüfung zu ermöglichen, müssen die Urteilsgründe erkennen lassen, dass die Beweiswürdigung auf einer tragfähigen, verstandesmäßig einsichtigen Tatsachengrundlage beruht und dass die vom Gericht gezogene Schlussfolgerung nicht etwa lediglich eine Annahme ist oder sich als bloße Vermutung erweist, die letztlich nicht mehr als einen – wenn auch möglicherweise schwerwiegenden – Verdacht zu begründen vermag (Senat, Beschluss vom 2. Juni 2009 - 3 Ws (B) 264/09 -, juris).
Bei dem eingesetzten Geschwindigkeitsmessverfahren POLISCAN FM 1 handelt es sich um ein standardisiertes Messverfahren, so dass sich das Tatgericht in seinen Feststellungen grundsätzlich auf die Mitteilung des verwendeten Messverfahrens, der gefahrenen Geschwindigkeit und der gewährten Toleranz beschränken kann (vgl. Senat, Beschluss vom 5. April 2020 - 3 Ws (B) 64/20 -, juris m.w.N.). Der Tatrichter hat sich lediglich vom ordnungsgemäßen Einsatz des Messgeräts zu überzeugen; eine Überprüfung der Zuverlässigkeit der Messergebnisse ist nur erforderlich, wenn konkrete Anhaltspunkte für Messfehler vorliegen (vgl. BGH, Beschluss vom 19. August 1993 - 4 StR 627/92 -, juris; Senat, Beschluss vom 5. April 2020 a.a.O).
Anhaltspunkte für Fehlerquellen ergeben sich aus dem Urteil nicht. Auch gibt der Vortrag des Betroffenen, dass es eine Fehlpositionierung zwischen Fahrzeugfront und Auswerterahmen von ca. 67 cm gebe, weshalb die Messung nach Auskunft des Messgeräteherstellers nicht gerichtsverwertbar sei, keine Veranlassung, von einem Messfehler auszugehen. Eine entsprechende Erklärung des Messgeräteherstellers wurde nicht vorgelegt, ein konkreter Verstoß gegen Vorgaben der Gebrauchsanweisung nicht einmal vorgetragen.
c) Auch der Rechtsfolgenausspruch ist nicht zu beanstanden. Die Bemessung der Rechtsfolgen liegt grundsätzlich im Ermessen des Tatgerichts, so dass sich die Überprüfung durch das Rechtsbeschwerdegericht darauf beschränkt, ob das Tatgericht von rechtlich zutreffenden Erwägungen ausgegangen ist und von seinem Ermessen rechtsfehlerfrei Gebrauch gemacht hat (vgl. Senat, Beschluss vom 12. März 2019 - 3 Ws (B) 53/19 -, juris m.w.N.).
Bei der Bemessung der Geldbuße hat sich das Amtsgericht an dem Regelsatz von 115,00 Euro der hier einschlägigen Nr. 11.3.4. des Anhangs zu Nummer 11 der Anlage (BKat) zu § 1 Abs. 1 BKatV orientiert. Gegen die Verdoppelung der Regelgeldbuße wegen vorsätzlicher Begehungsweise gemäß § 3 Abs. 4a BKatV auf zunächst 230,00 Euro und sodann tat- und schuldangemessener Erhöhung auf 300,00 Euro ist angesichts der im Urteil rechtsfehlerfrei dargestellten Geschwindigkeitsüberschreitung von mehr als 40 % und der im Urteil angeführten und zum Zeitpunkt der Entscheidungsfindung noch nicht tilgungsreifen drei verkehrsrechtlichen – teils einschlägigen – Vorahndungen nichts zu erinnern.
Anders als der Verteidiger meint, hatte das Gericht auch keine Veranlassung, über Zahlungserleichterungen nach § 18 OWiG zu entscheiden.
Denn Anhaltspunkte dafür, dass es dem im Angestelltenverhältnis arbeitenden Betroffenen nach seinen wirtschaftlichen Verhältnissen nicht zuzumuten ist, die Geldbuße sofort zu bezahlen, ergeben sich aus den Urteilsgründen nicht.
III.
Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 46 Abs. 1 OWiG, 473 Abs. 1 Satz 1 StPO.
Einsender: RiKG U. Sandherr, Berlin
Anmerkung:
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