Gericht / Entscheidungsdatum: KG, Beschl. v. 09.09.2024 – 3 ORbs 136/24 – 122 SsBs 32/24
Leitsatz des Gerichts:
1. Geht die behördliche Einstellung des Verfahrens wegen Abwesenheit des Betroffenen auf den Fehler eines einzelnen Polizeibeamten zurück (hier: fehlende Notierung eines Hausnummernzusatzes bei den Personalien des Betroffenen), so ist dieser der Verwaltungsbehörde grundsätzlich zuzurechnen (nicht tragend).
2. Fällt dem Polizeibeamten ein lässlicher und bei massenhafter Bearbeitung unausweichlich vorkommender Flüchtigkeitsfehler und nicht eine willkürliche Sachbearbeitung im Sinne einer sog. Scheinmaßnahme zur Last, so besteht kein Anlass, die verjährungsunterbrechende Wirkung der vorläufigen Einstellung des Verfahrens wegen Abwesenheit des Betroffenen (§ 33 Abs. 1 Nr. 5 Alt. 1 OWiG) zu suspendieren (entgegen OLG Hamm NZV 2005, 491 und OLG Brandenburg NZV 2006, 100).
3 ORbs 136/24 – 162 SsBs 32/24
In der Bußgeldsache
gegen pp.
wegen einer Verkehrsordnungswidrigkeit
hat der 3. Senat für Bußgeldsachen des Kammergerichts am 9. September 2024 beschlossen:
Die Rechtsbeschwerde des Betroffenen gegen das Urteil des Amtsgerichts Tiergarten vom 14. März 2024 wird nach §§ 79 Abs. 3 Satz 1 OWiG, 349 Abs. 2 StPO als offensichtlich unbegründet verworfen.
Der Erläuterung bedarf lediglich Folgendes:
Die Ordnungswidrigkeit ist aus den im angefochtenen Urteil – überobligatorisch – genannten Gründen nicht verjährt.
Ein Polizeibeamter hat bei der Personalienfeststellung den Hausnummernzusatz „A“ nicht in die Anzeige übernommen, weshalb der Bußgeldbescheid nicht binnen zweier Wochen nach Erlass zugestellt werden konnte und das Verfahren nach §§ 46 Abs. 1 OWiG, 205 StPO für kurze Zeit vorläufig eingestellt worden ist. Diese Einstellung unterbrach nach § 33 Abs. 1 Nr. 5 Alt. 1 OWiG die Verjährung.
Dem Polizeibeamten fiel hier ein geringfügiges Versehen zur Last, das mit einer willkürlichen Sachbearbeitung (sog. „Scheinmaßnahme“ [vgl. BayObLG NStZ 2000, 40; BayObLG VRS 58, 389; OLG Bamberg NStZ 2008, 532; Krenberger zfs 2013, 592]) nichts gemein hat und bereits im Ansatz nicht geeignet ist, die verjährungsunterbrechende Wirkung der vorläufigen Einstellung des Verfahrens wegen Abwesenheit des Betroffenen (§ 33 Abs. 1 Nr. 5 Alt. 1 OWiG) in Frage zu stellen (vgl. ausführlich König NZV 2008, 105).
Dabei teilt der Senat ausdrücklich nicht die Auffassung, der Fehler des einzelnen Polizeibeamten sei der Verwaltungs- und Bußgeldbehörde nicht zuzurechnen (so aber OLG Hamm NZV 2007, 588). Dies stünde in Berlin schon deshalb in Frage, weil die Polizei hier sowohl den Vollzugsdienst stellt (§ 53 Abs. 1 Satz 1 OWiG) als auch die für den Erlass von Bußgeldbescheiden zuständige Verwaltungsbehörde ist (§ 53 Abs. 1 Satz 3 OWiG). Auch darüber hinaus trägt die Vorstellung getrennter Verantwortlichkeitssphären des Vollzugsdienstes und der Verwaltungsbehörde (so aber OLG Brandenburg NZV 2006, 100; OLG Hamm NZV 2005, 491) nicht (vgl. ausf. König NZV 2008, 105). Allerdings steht dem behördlichen Irrtum auf Seiten des Betroffenen keinerlei schutzwürdiger Vertrauenstatbestand gegenüber, der es erlauben oder gar gebieten könnte, wegen eines lässlichen und bei massenhafter Bearbeitung unausweichlich vorkommenden Flüchtigkeitsfehlers die gesetzliche Regelung des § 33 Abs. 1 OWiG zu suspendieren.
Dass dies entgegen der ganz herrschenden Meinung in Literatur und Rechtsprechung in konkreten, vereinzelt gebliebenen Gerichtsentscheidungen anders gewichtet worden ist (vgl. OLG Hamm NZV 2005, 491; OLG Brandenburg NZV 2006, 100), gibt dem Senat keinen Anlass, die Sache dem Bundesgerichtshof zur Entscheidung nach § 121 GVG vorzulegen. Hierzu sind neben der Behördenorganisation insbesondere Art und Ort der vorgekommenen Bearbeitungsfehler in tatsächlicher Hinsicht zu unterschiedlich.
Der Betroffene hat die Kosten seines Rechtsmittels zu tragen (§§ 46 Abs. 1 OWiG, 473 Abs. 1 Satz 1 StPO).
Einsender: RiKG U. Sandherr, Berlin
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