Gericht / Entscheidungsdatum: KG, Beschl. v. 17.05.2024 - 3 ORs 32/24
Leitsatz des Gerichts:
1. Im Verhältnis zu § 29 Abs. 3 BtMG ist § 34 Abs. 3 BtMG das mildere Gesetz im Sinne von § 2 Abs. 3 StGB.
2. Eine Gesetzesänderung ist in jeder Lage des Verfahrens - vom Revisionsgericht jedenfalls auf die allgemeine Sachrüge - zu berücksichtigen.
3. Ist eine den Angeklagten im anzuwendenden Strafrahmen begünstigende Rechtsänderung nach Erlass des Berufungsurteils eingetreten, führt dies zur Aufhebung der Rechtsfolgenentscheidung.
4. Da das mildere Gesetz als Ganzes anzuwenden ist, führt dies – auch im Falle einer an sich nach § 318 StPO wirksamen Beschränkung der Berufung – zur Aufhebung Schuldspruchs.
5. Im Falle einer wirksamen Berufungsbeschränkung kann der Schuldspruch durch das Revisionsgericht neu gefasst werden.
3 ORs 32/24 – 161 SRs 32/24
In der Strafsache
gegen pp.
wegen Verstoßes gegen das Gesetz zum Umgang mit Konsumcannabis (KCanG)
hat der 3. Strafsenat des Kammergerichts am 17. Mai 2024 einstimmig gemäß 349 Abs. 4 StPO beschlossen:
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das angefochtene Urteil
a) im Schuldspruch dahingehend neu gefasst, dass der Angeklagte wegen unerlaubten Handeltreibens mit Cannabis in zwei Fällen (§§ 34 Abs. 1 Nr. 4 KCanG, 53 StGB) verurteilt ist, und
b) im Strafausspruch aufgehoben.
2. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung – auch über die Kosten der Revision – an eine andere Strafkammer des Landgerichts Berlin I zurückverwiesen.
Gründe:
I.
Das Amtsgericht Tiergarten hat den Angeklagten mit Urteil vom 30. November 2022 unter Freispruch im Übrigen wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in zwei Fällen gemäß §§ 1 Abs. 3, 29 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 3 Nr. 1 BtMG, 53 StGB zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr und zwei Monaten verurteilt und deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt. Auf die vom Angeklagten eingelegte und auf den Rechtsfolgenausspruch beschränkte Berufung hat das Landgericht Berlin I das Urteil des Amtsgerichts durch Urteil vom 28. August 2023 im Rechtsfolgenausspruch dahingehend abgeändert, dass der Angeklagte pp. zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr und einem Monat verurteilt wird, deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt wird.
Gegen dieses Urteil wendet sich der Angeklagte mit seiner auf die allgemeine Sachrüge gestützten Revision.
II.
1. Die zulässige Revision ist begründet. Dazu hat die Generalstaatsanwaltschaft in ihrer Stellungnahme vom 9. April 2024 ausgeführt:
„1. Der Schuldspruch wegen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln nach dem BtmG konnte in der Berufungsinstanz (zunächst) Bestand haben, obgleich das Amtsgericht keine Feststellungen zum Wirkstoffgehalt des tatgegenständlichen Cannabisgemisches getroffen hat. Denn es ist nicht zu besorgen, dass die tatbestandlichen Voraussetzungen in Frage stehen könnten. Einerseits setzt die Verwirklichung des Tatbestandes des § 29 Abs. 1 Nr. 1 BtMG nicht voraus, dass sich das Handeltreiben mit Betäubungsmitteln auf eine bestimmte Mindestmenge bezieht. Es reicht für die Tatbestandserfüllung insoweit aus, dass der Täter überhaupt Betäubungsmittel der in einer der Anlagen zu § 1 Abs. 1 BtMG genannten Art in gewinnbringender Weise veräußern will, ohne zugleich über eine schriftliche Erlaubnis für den Umgang mit denselben zu verfügen. Nach den - insgesamt knappen - Feststellungen des angefochtenen Urteils handelte es sich bei den von dem Angeklagten am Tattag mitgeführten Substanzen um Blütenstände von Cannabis (Marihuana), dessen Wirkstoff (Tetrahydrocannabinol [THC]) im Zeitpunkt der Tat und der amts- und landgerichtlichen Hauptverhandlung in der Anlage I zu § 1 Abs. 1 BtMG als nicht verkehrsfähiges Betäubungsmittel aufgeführt war. Andererseits ist angesichts des jeweils für die Taten festgestellten Gewichts der mitgeführten sichergestellten Mengen an Cannabiskraut (ca. 21,583 g im Fall 1 und ca. 10,78 Gramm im Fall 2) ausgeschlossen, dass ein Besitz in nicht geringer Menge gemäß § 29a Abs. 1 Nr. 2 BtMG vorgelegen haben könnte, da der hierfür maßgebliche Grenzwert für Cannabis bei einem Wirkstoffgehalt von 7,5 Gramm THC liegt (vgl. zum Ganzen für „Besitz“ im Sinne des § 29 Abs. 1 Nr. 3 BtmG KG, Beschluss vom 29. Juli 2013 - (4) 161 Ss 127/13 (138/13) -).
Auch die Feststellungen im Übrigen tragen den Schuldspruch wegen Handeltreiben mit Betäubungsmitteln.
2. Der Schuldspruch wegen des Handeltreibens mit Cannabis kann jedoch nicht (mehr) auf §§ 1 Abs. 1, 3 Abs. 1, 29 Abs. 1 Nr. 1 i.V.m. Anlage I zu § 1 Abs. 1 BtmG gestützt werden. Zwar hat sich der Angeklagte nach dem zur Tatzeit und auch im Zeitpunkt der Berufungshauptverhandlung geltenden Recht insoweit strafbar gemacht. Zum 1. April 2024 ist jedoch das Gesetz zum kontrollierten Umgang mit Cannabis und zur Änderung weiterer Vorschriften (Cannabisgesetz – CanG) in Kraft getreten, was dem Angeklagten nach § 2 Abs. 3 StGB zugutekommt.
Gemäß § 2 Abs. 3 StGB findet das mildeste Gesetz Anwendung, wenn sich nach Beendigung der Tat durch eine Gesetzesänderung die Strafandrohung ändert. Ob und inwieweit eine relevante Gesetzesänderung vorliegt, ist unter Berücksichtigung des gesamten Rechtszustandes im Bereich des materiellen Rechts festzustellen.
Mit Wirkung des neuen Gesetzes werden Cannabis und nichtsynthetisches THC rechtlich nicht mehr als Betäubungsmittel im Sinne des BtmG eingestuft. Die Erwähnung der Stoffe in der Anlage zum BtmG wurde ersatzlos gestrichen. Nach den Strafvorschriften des neuen Cannabisgesetzes macht sich gem. § 34 Abs. 1 Nr. 4 CanG strafbar, wer entgegen § 2 Abs. 1 Nr. 4, der ein entsprechendes Verbot vorsieht, mit Cannabis Handel treibt, wobei der Strafrahmen zwischen Geldstrafe und drei Jahren Freiheitsstrafe liegt. Gem. § 34 Abs. 3 Nr. 1 CanG kann bei gewerbsmäßigem Handeltreiben ein besonders schwerer Fall vorliegen, für den das Gesetz einen Strafrahmen zwischen drei Monaten bis zu fünf Jahren vorsieht.
Das Landgericht hat ausgehend vom Schuldspruch des Amtsgerichtes wegen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln, für den ein Strafrahmen zwischen Geldstrafe und fünf Jahren Freiheitsstrafe vorgesehen ist, im Rahmen der Strafzumessung die Regelwirkung der Gewerbsmäßigkeit angenommen und ist von einem besonders schweren Fall (§ 29 Abs. 3 Nr. 1 BtmG) und damit einer Mindeststrafe von einem Jahr und einer Höchststrafe von 15 Jahren ausgegangen.
Vor diesem Hintergrund ist § 34 CanG das mildere Gesetz im Sinne des § 2 Abs. 3 StGB. Das mildere von zwei Gesetzen ist dasjenige, welches anhand des konkreten Falls nach einem Gesamtvergleich des früher und des derzeit geltenden Strafrechts das dem Angeklagten günstigere Ergebnis zulässt (vgl. BGH, Urteil vom 8. August 2022 - 5 StR 372/21 -, mwN, zitiert nach beckonline). Beide in Betracht kommende Gesetze sehen für die Handlungen des Angeklagten eine Strafbarkeit vor, wobei die Regelung nach dem CanG die mildere Strafandrohung – sowohl für den Grundtatbestand als auch den besonders schweren Fall – vorsieht.
Der aufgrund der Änderung der Rechtslage nicht vermeidbare Rechtsfehler führt trotz der an sich wirksamen Beschränkung der Berufung des Angeklagten auf die Rechtsfolgenentscheidung zur Aufhebung auch des Schuldspruchs, weil das mildeste Gesetz als Ganzes, also nicht nur der mildere Strafrahmen anzuwenden ist (vgl. BGH, Beschluss vom 25. Juni 2008 - 2 StR 176/08 -, zitiert nach beckonline).
Der Schuldspruch kann jedoch im Rahmen der Revision neu gefasst werden. Die rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen sind vollständig und tragen einen Schuldspruch wegen des unerlaubten Handeltreibens mit Cannabis (vgl. BGH, Beschluss vom 17. August 2023 - 5 StR 349/23 -, zitiert nach beckonline). § 265 StPO steht der Schuldspruchänderung nicht entgegen, da sich der geständige Angeklagte nicht anders als geschehen hätte verteidigen können.
3. Die Änderung des Schuldspruchs führt im Hinblick auf den neu anzuwendenden Strafrahmen des CanG zur Aufhebung des angefochtenen Urteils im Rechtsfolgenausspruch. Im Falle der Änderung des Schuldspruchs kann eine eigene Strafzumessungsentscheidung nach § 354 Abs. 1a Satz 1 StPO im Rahmen der Revision nicht erfolgen, da dieses Vorgehen mit dem Wortlaut der Vorschrift nicht zu vereinbaren ist. Die Bestimmung lässt ihre Anwendung „nur“ bei einer Gesetzesverletzung anlässlich der Zumessung der Rechtsfolgen zu. Dies schließt eine Strafzumessungsentscheidung in der Revisionsinstanz aus, wenn zugleich eine Neuentscheidung über einen - fehlerhaften - Schuldspruch erfolgen muss. Dazu gehört auch die Berichtigung eines Schuldspruchs, wie sie hier zu erfolgen hat (vgl. KG, Beschluss vom 17. Oktober 2007 - (4) 1 Ss 271/07 (160/07) -).“
Diese Ausführungen macht sich der Senat zu Eigen und ergänzt, dass die nach § 2 Abs. 3 StGB bedeutsame Gesetzesänderung in jeder Verfahrenslage - vom Revisionsgericht jedenfalls auf die allgemeine Sachrüge - zu berücksichtigen ist (vgl. BGHSt 20, 121; KG, Beschluss vom 23. April 2024 - 4 ORs 16/24 -; Fischer StGB 71. Aufl., § 2 Rn. 12; Gericke in KK-StPO 9. Aufl., § 354 Rn. 16 m.w.N.). Daher hat der Senat entsprechend § 354 Abs. 1 StPO den Schuldspruch - wie aus dem Tenor ersichtlich - neu gefasst. Dem steht die Teilrechtskraft aufgrund der an sich nach § 318 StPO wirksamen Berufungsbeschränkung und - infolge der Teilrechtskraft - der fehlende ausdrückliche Schuldspruch im Tenor des angegriffenen Urteils nicht entgegen (vgl. OLG Düsseldorf NJW 1991, 710 m.w.N.; Fischer a.a.O.). Denn Gegenstand der revisionsrechtlichen Prüfung ist ausschließlich das Urteil des Landgerichts und aus dem Tenor muss klar und deutlich zum Ausdruck kommen, auf welcher Vorschrift sich der Strafausspruch nunmehr begründet.
2. Auf dem dargelegten Urteil beruht das angefochtene Urteil, weil der Senat nicht ausschließen kann, dass das Landgericht bei Anwendung des Strafrahmens von § 34 Abs. 1 Nr. 4, Abs. 3 Nr. 1 und 4 KCanG eine niedrigere Strafe festgesetzt hätte. Der Senat hebt daher das angefochtene Urteil in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang auf und verweist die Sache nach § 354 Abs. 2 Satz 1 StPO zur neuen Verhandlung und Entscheidung an eine andere Strafkammer des Landgerichts Berlin I zurück.
Einsender: RiKG U. Sandherr, Berlin
Anmerkung:
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