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Entscheidungen

KCanG u.a.

KCanG, Strafzumessung, Gesamtmenge, Menge des Eigenkonsums, Herausrechnung

Gericht / Entscheidungsdatum: OLG Hamm, Beschl. v. 22.08.2024 – III-3 ORs 49/24

Leitsatz des Gerichts:

1. Durch die Beschränkung des Angriffsziels in der Revisionsgründung wird lediglich das Ziel einer (ursprünglich unbeschränkt eingelegten) Revision konkretisiert, so dass es - mangels Teilrücknahme - der ausdrücklichen Ermächtigung i. S. v. § 302 Abs. 2 StPO nicht bedurfte.
2. Bei der konkreten Strafzumessung darf nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung die Gesamtmenge des besessenen Cannabis (und dementsprechend auch nicht die Gesamtwirkstoffmenge) ohne Abzug der zum Eigenkonsum erlaubten Menge nicht zu Lasten des Angeklagten berücksichtigt werden.
3. Es bestehen Bedenken gegen die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs bzgl. des Abzugs der erlaubterweise besitzbaren Cannabismenge von der Gesamtmenge bei der Beurteilung, ob ein besonders schwerer Fall i. S. v. § 34 Abs. 3 Nr. 4 KCanG vorliegt, weil sie sich nicht verwerfungsfrei in die weitere Rechtsprechung zum Grenzwert für die nicht geringe Menge von Cannabis und zur Einziehung von Cannabis einreiht.


In pp.

Das angefochtene Urteil wird im Strafausspruch mit den diesem zu Grunde liegenden Feststellungen aufgehoben.
Die Sache wird im Umfang der Aufhebung zu neuer Verhandlung und Entscheidung - auch über die Kosten des Rechtsmittels - an eine andere kleine Strafkammer des Landgerichts Bielefeld zurückverwiesen.

Gründe

I.

Das Amtsgericht hatte den Angeklagten am 16.02.2024 wegen unerlaubten Besitzes von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge zu einer Freiheitsstrafe von acht Monaten verurteilt, die Vollstreckung der Strafe zur Bewährung ausgesetzt und "sichergestelltes Betäubungsmittel" eingezogen.

Auf die gegen dieses Urteil vom Angeklagten eingelegte Berufung hat das Landgericht Bielefeld mit dem angefochtenen Urteil den Angeklagten wegen unerlaubten Besitzes von Cannabis zu einer Freiheitsstrafe von sechs Monaten verurteilt, die Vollstreckung derselben zur Bewährung ausgesetzt und "die sichergestellten Cannabisblüten" eingezogen. Die weitergehende Berufung hat es verworfen.

Nach den Feststellungen des Landgerichts verwahrte der - die Tat bestreitende - Angeklagte am 18.04.2023 in seinem abgeschlossenen Zimmer in der kommunalen Asylbewerberunterkunft O.-straße ... in W. in einem Spind 71,78 gr getrocknete Cannabisblüten mit einem Wirkstoffgehalt von 20,2% (14,5 gr) THC in einer Plastiktüte auf. Er hielt sich zu diesem Zeitpunkt vorübergehend nicht an dem besagten Ort auf. Das Cannabis wurde im Rahmen einer aus anderem Anlass durchgeführten Durchsuchung aufgefunden.
Gegen das Urteil wendet sich der Angeklagte mit der Revision, mit der er eine Verletzung materiellen Rechts rügt, wobei er lediglich Rechtsfehler in der Strafzumessung geltend macht.
Die Generalstaatsanwaltschaft hat beantragt, die Revision als offensichtlich unbegründet zu verwerfen.

II.

Die zulässige Revision des Angeklagten hat - soweit das Berufungsurteil angefochten wird (s.u.) - Erfolg und führt auf die Sachrüge hin zur Aufhebung des angefochtenen Urteils im Strafausspruch mit den insoweit zu Grunde liegenden Feststellungen und zur Zurückverweisung der Sache im Umfang der Aufhebung an eine andere kleine Strafkammer des Landgericht Bielefeld (§§ 349 Abs. 4, 353, 354 Abs. 2 StPO).

1. Der Angeklagte hat seine Revision zulässigerweise auf den Strafausspruch beschränkt. Dies ergibt sich aus der Formulierung in dem Revisionsbegründungsschriftsatz vom 04.07.2024, dass das Landgericht die "mit der Revision nicht mehr anzugreifende Tatsachenfeststellung getroffen" habe, "dass das aufgefundene Cannabis dem Angeklagten zuzuordnen" sei, sowie daraus, dass in der Revisionsbegründung "unter Anwendung des Strafrahmens von bis zu 3 Jahren oder Geldstrafe die Verjährung [Anm. des Senats: gemeint sein dürfte: "Verhängung"] letzterer, was unter - erneuter - Abänderung des erst- und zweitinstanzlichen Urteils beantragt wird. Die Ausführungen in der Revisionsbegründung (im Übrigen auch die im Schriftsatz vom 24.07.2024, mit dem die Revisionsbegründung "ergänzt" wird) lassen weder einen Angriff gegen den Schuldspruch noch gegen die Einziehungsentscheidung erkennen. Durch die Beschränkung des Angriffsziels in der Revisionsgründung wurde lediglich das Ziel der (ursprünglich unbeschränkt eingelegten) Revision konkretisiert (vgl. Wiedner in: Graf, StPO, 4. Aufl., § 344 Rdn. 8 m.w.N.), so dass es - mangels Teilrücknahme - der ausdrücklichen Ermächtigung i.S.v. § 302 Abs. 2 StPO nicht bedurfte.

Damit sind der Schuldspruch und die Einziehungsentscheidung vom Revisionsangriff ausgenommen.

2. Die Strafzumessung des angefochtenen Urteils weist einen durchgreifenden Rechtsfehler zu Lasten des Angeklagten auf.

Die Strafzumessung ist grundsätzlich Sache des Tatgerichts. Es ist seine Aufgabe, auf der Grundlage des umfassenden Eindrucks, den es in der Hauptverhandlung von der Tat und der Persönlichkeit des Täters gewonnen hat, die wesentlichen entlastenden und belastenden Umstände festzustellen, zu bewerten und gegeneinander abzuwägen. Ein Eingriff des Revisionsgerichts in die Einzelakte der Strafzumessung kommt nur in Betracht, wenn die Zumessungserwägungen in sich fehlerhaft oder lückenhaft sind, wenn das Tatgericht gegen rechtlich anerkannte Strafzwecke verstößt oder wenn sich die verhängte Strafe nach oben oder unten von ihrer Bestimmung löst, gerechter Schuldausgleich zu sein. Eine ins Einzelne gehende Richtigkeitskontrolle ist demgegenüber ausgeschlossen (vgl. nur: BGH, Urt. v. 17.08.2023 - 4 StR 125/23 -juris m.w.N.).

Daran gemessen ist die Strafzumessung des Landgerichts insoweit rechtsfehlerhaft, als es bei der Strafzumessung im Konkreten (§ 46 StGB) "insbesondere aufgrund der Menge der in seinem Besitz aufgefundenen getrockneten Cannabisblüten mit einem Wirkstoffgehalt von insgesamt 14,5 g THC und einem getrockneten Nettogehalt von 71,78 g [...] eine Freiheitsstrafe von 6 Monaten für tat- und schuldangemessen erachtet."

a) Das Landgericht hat zunächst den Strafrahmen eines besonders schweren Falles nach § 34 Abs. 3 Nr. 4 KCanG verneint.

Zutreffend geht es dabei davon aus, dass die Grenze zur "nicht geringen Menge" bei Cannabis (nach wie vor) bei 7,5 gr THC Wirkstoffgehalt liegt (vgl. nur: BGH, Beschl, v. 18.04.2024 - 1 StR 106/24 - juris; BGH, Beschl. v. 06.05.2024 - 2 StR 480/23 - juris). Es hat dann aber Umstände als gegeben angesehen, die ein Absehen von der Anwendung des Regelstrafrahmens rechtfertigen sollen: Eine strafrechtliche Pönalisierung beginne erst bei Cannabismengen von über 60gr. In der Praxis wäre dann aber regelmäßig bereits ein besonders schwerer Fall nach § 34 Abs. 3 Nr. 4 KCanG anzunehmen, so dass der Grundtatbestand leer liefe. Dieser käme nur bei Wirkstoffgehalten von unter 12,5 % in Betracht. Dies könne gesetzgeberisch so nicht gewollt sei. Das Landgericht befindet sich damit - jedenfalls im Ergebnis - in Übereinstimmung mit der Rechtsprechung einiger Senate des Bundesgerichtshofs, welche - allerdings nicht tragend - angemerkt haben, dass im Rahmen der Prüfung des § 34 Abs. 3 Nr. 4 KCanG für die Bestimmung der Cannabismenge die Menge in dem Umfang außer Acht zu lassen ist, in dem der Besitz von Cannabis nicht strafbar ist (BGH, Beschl. v. 30.04.2024 - 6 StR 536/23 - juris Rdn. 27; BGH, Beschl. v. 12.06.2024 - 1 StR 105/24 - juris Rdn. 26; BGH, Beschl. v. 26.06.2024 - 6 StR 113/24 - juris), wobei diese Rechtsprechung nur für die Tatvarianten des Besitzes und des Erwerbes, nicht auch des Handeltreibens gelten sollen (BGH, Beschl. v. 30.04.2024 a.a.O. Rdn. 21; BGH, Beschl. v. 12.06.2024 a.a.O. Rdn. 26). Begründet wird dies damit, dass anderenfalls bereits mit dem Erreichen der strafbaren Umgangsmenge oftmals die (weiterhin) maßgebliche Grenze zur nicht geringen Menge von 7,5 gr überschritten und "damit stets der Anwendungsbereich von § 34 Abs. 3 S. 2 Nr. 4 KCanG eröffnet" sei (BGH, Beschl. v. 30.04.2024 a.a.O. Rdn. 29).

Das Landgericht verkennt aber sodann bei der konkreten Strafzumessung, dass es vor dem Hintergrund dieser Rechtsprechung auch nicht die Gesamtmenge Cannabis (und dementsprechend auch nicht die Gesamtwirkstoffmenge) ohne Abzug der zum Eigenkonsum erlaubten Menge zu Lasten des Angeklagten hätte berücksichtigen dürfen. Die o.g. Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs gilt nicht nur bei der Bestimmung der Grenzwerte für einen besonders schweren Fall, sondern generell für die Strafzumessung (BGH, Beschl. v. 12.06.2024 - 1 StR 105/24 - juris Rdn.. 25: "Die in § 34 Abs. 1 Nr. 1, 2 und 12 KCanG genannten Freigrenzen sind daher innerhalb der Straftatbestände des Besitzes, Anbaus und Erwerbs von Cannabis [...] bei der Bemessung der Strafe zu berücksichtigen (§ 267 Abs. 3 S. 1 StPO)"). Der Senat kann nicht ausschließen, dass bei Berücksichtigung dieser Rechtsprechung die Strafe niedriger ausgefallen wäre.

Der Senat hat zwar Bedenken gegen die Rechtsprechung des Bundesgerichtshof bzgl. des Außerachtlassens der erlaubten Besitzmengen. Sie steht in gewissem Widerspruch zur Argumentation in der Eingangs zitierten Rechtsprechung, mit der der für das Vorliegen einer nicht geringen Menge erforderlichen Wirkstoffgehalt auf 7,5 gr THC bestimmt worden ist. In der Begründung zu dieser wurde ausdrücklich ausgeführt, dass "in Anbetracht - praktisch ebenfalls relevanter - Wirkstoffgehalte" ein Anwendungsraum für eine Strafbarkeit nach dem Grundtatbestand verbleibe (BGH, Beschl. v. 18.04.2024 - 1 StR 106/24 - juris Rdn. 19). Es besteht auch ein Widerspruch zur Rechtsprechung, nach der bei der Einziehungsentscheidung nach §§ 37 KCanG, 74 StGB die gesamte Menge an Cannabis einzuziehen ist und nicht etwa nur eine Teilmenge unter Abzug der Freigrenzen (BGH, Beschl. v. 12.06.2024 a.a.O. Rdn. 22). Zur Begründung dieser Auffassung wird argumentiert, dass sich aus dem Wortlaut des § 34 Abs. 1 Nr. 1, 2 und 12 KCanG nicht ergebe, dass die "erlaubten" Mengen in jedem Falle aus der Strafbarkeit auszunehmen seien. Es fragt sich dann, warum sie aus der für die nicht geringe Menge relevanten Menge auszunehmen sein sollen. Der Gesetzgeber habe größere Mengen als die erlaubten grundsätzlich als gefährlich angesehen und daher verboten (BGH a.a.O. Rdn. 24). In dieser Entscheidung begründet der Bundesgerichtshof seine Auffassung, dass die erlaubten Mengen bei der Bewertung des besonders schweren Falles gleichwohl in Abzug zu bringen seien damit, dass sich "die Wertung des Normgebers, den Besitz von Cannabis zum Eigenkonsum in bestimmten Mengen zu erlauben und damit einhergehend den Besitz, Anbau und Erwerb zum Eigenkonsum nur bei Überschreitung bestimmter Grenzen und Strafe zu stellen, [...] sich auf den Schuldumfang aus[wirke]". Dies sei bei der Strafzumessung zu berücksichtigen. Da der Gesetzgeber aber auch die Möglichkeit geschaffen hat, wegen der besonderen Gefährlichkeit einer nicht geringe Menge deren Besitz schärfer zu bestrafen, wäre insoweit nicht ein Ausblenden der legal besitzbaren Menge, sondern eine Betrachtung des Einzelfalls im Rahmen einer Gesamtabwägung (wie auch sonst bei besonders schweren Fällen, vgl. etwa: BGH, Beschl. v. 22.03.2018 - 3 StR 625/17 - juris) angezeigt, bei der dann womöglich zur Widerlegung der Regelbeispielswirkung (ggf. in Zusammenschau mit anderen Umständen) führen mag, dass etwa sowohl die Menge des erlaubten Besitzes wie auch des Grenzwertes für einen besonders schweren Fall nur leicht überschritten wurde etc.

Für den vorliegenden Fall kann dies jedoch dahinstehen. Hätte das Landgericht - nach Auffassung des Senats - die Anwendung eines besonders schweren Falles nicht bereits aus grundsätzlichen Erwägungen verneint, so hätte es bei Anwendung des verschärften Strafrahmen des § 34 Abs. 3 KCanG nicht zusätzlich die Höhe der Gesamtmenge (unter Einschluss einer an sich erlaubten Besitzmenge) und des Gesamtwirkstoffgehalts strafschärfend berücksichtigen dürfen, sondern (eher im Gegenteil) die eher geringe Überschreitung der an sich erlaubten Besitzmenge strafmildernd. Auch in diesem Falle hätte der Strafausspruch daher keinen Bestand gehabt, da nicht mit der erforderlichen Sicherheit ausgeschlossen werden kann, dass das Landgericht dann - trotz der höheren Strafuntergrenze - auf eine niedrigere Strafe erkannt hätte.

b) Ergänzend ist anzumerken:

Soweit das Landgericht ausdrücklich eine Vorstrafe wegen unerlaubten Erwerbs von Betäubungsmitteln (20gr Marihuana) nicht und eine weitere Vorstrafe wegen unerlaubten Erwerbs und Besitzes von Betäubungsmitteln nur insoweit strafschärfend berücksichtigt, als es darin um 0,1gr Kokain ging (und insoweit knapp 7gr Marihuana unberücksichtigt ließ), weil die Taten, soweit sie sich auf Cannabis bezogen, heutzutage nicht mehr strafbar seien, ist das zwar in dieser Form rechtsfehlerhaft.

Einer Berücksichtigung dieser Vorahndungen steht derzeit nicht das auf die Sachrüge zu berücksichtigende Verwertungsverbot des § 51 Abs. 1 BZRG entgegen. Denn die einschlägigen Vorahndungen sind noch nicht tilgungsfähig. Die entsprechenden Eintragungen im Bundeszentralregister werden erst nach den am 1. Januar 2025 in Kraft tretenden Vorschriften der §§ 40 bis 42 KCanG (vgl. Art. 15 Abs. 2 CanG) tilgungsfähig (§ 40 Abs. 1 KCanG) und dann nach Feststellung der Tilgungsfähigkeit durch die Staatsanwaltschaft auf Antrag des Angeklagten (§ 41 i.V.m. § 42 Abs. 1 KCanG) und Mitteilung an das Bundeszentralregister zu tilgen sein (§ 42 Abs. 2 KCanG i.V.m. § 48 Satz 3 BZRG), mit der Folge, dass erst ab diesem Zeitpunkt das Verwertungsverbot des § 51 Abs. 1 BZRG eingreift (Bayerisches Oberstes Landesgericht, Beschluss vom 17. Juli 2024 - 204 StRR 215/24 -, Rn. 36, juris).

Die nicht strafschärfende Berücksichtigung der einschlägigen Vorstrafen beschwert den Angeklagten aber nicht.


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