Gericht / Entscheidungsdatum: OVG Rheinland-Pfalz, Urt. v. 30.04.2024 - 7 A 10988/23.OVG
Leitsatz des Gerichts:
Zu den Voraussetzungen für die Sicherstellung eines Motorrades, um eine gegenwärtige Gefahr abzuwenden (hier verneint).
In pp.
Auf die Berufung des Klägers wird unter Abänderung des Urteils des Verwaltungsgerichts Neustadt an der Weinstraße vom 14. Februar 2023 der Sicherstellungsbescheid des Beklagten vom 3. Februar 2022 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 29. Juni 2022 aufgehoben und der Beklagte verurteilt, das sichergestellte Motorrad Yamaha RN12, rot, mit dem amtlichen Kennzeichen RP-..., FIN: 1... an den Kläger herauszugeben.
Der Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens beider Rechtszüge.
Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe von 110 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht der Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Der Kläger begehrt die Aufhebung der Sicherstellung seines Motorrads und dessen Herausgabe.
Gegen den am ... 2000 geborenen Kläger wurde am 27. April 2020 ein Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts einer Straftat nach § 315d Abs. 1 Nr. 3 Strafgesetzbuch – StGB – (verbotene Kraftfahrzeugrennen) sowie nach § 2, § 21 Abs. 1 Nr. 1 Straßenverkehrsgesetz – StVG – (vorsätzliches Fahren ohne Fahrerlaubnis) eingeleitet (Az.: 2 Cs 5417 Js 2.../20). Dieses endete mit der Festsetzung einer Geldstrafe in Höhe von 25 Tagessätzen à 25,00 € wegen vorsätzlichen Fahrens ohne Fahrerlaubnis durch Strafbefehl des Amtsgerichts A... vom 19. Juni 2020.
Der streitgegenständlichen Sicherstellung lag folgender Sachverhalt zugrunde: Ausweislich des Einsatzberichts des Polizeipräsidiums Rheinpfalz befuhr ein mit zwei Polizeibeamten besetzter Funkstreifenwagen am 3. Februar 2022 gegen 16:15 Uhr die C...straße aus Fahrtrichtung D...-Straße in Fahrtrichtung E... Straße in B.... Etwa 300 bis 400 m vor der Ampelkreuzung C...straße/E... Straße wurden die Beamten auf lautstarke Motorengeräusche aufmerksam. Lediglich Bruchstücke später, so die Angaben im Einsatzbericht, seien zwei Krafträder auf der Gegenfahrbahn – auf der eine Höchstgeschwindigkeit von 50 km/h erlaubt ist – bei erhöhtem Aufkommen von Kraftfahrzeugen infolge des "Feierabendverkehrs" mit deutlich überhöhter Geschwindigkeit buchstäblich an den Polizeibeamten "vorbeigeschossen". Nach der persönlichen Einschätzung der Polizeibeamten seien die beiden Motorräder mit einer Geschwindigkeit von ca. 80 bis 100 km/h gefahren. Dabei sei ein lautes Motorengeräusch sowie ein schnelles Hochschalten der Gänge zu vernehmen gewesen. Ein Fahrzeugführer sei auf dem linken, der andere Fahrzeugführer auf dem rechten Fahrstreifen gefahren. Die Polizeibeamten wendeten daraufhin ihr Fahrzeug und verfolgten die beiden Motorradfahrer bis zu einer Ampel, wo sie zum Stehen gekommen waren. Dort forderten sie sie auf, sich in eine Seitenstraße zu begeben, um eine anlassbezogene Verkehrskontrolle durchführen zu lassen. Der Fahrzeugführer des Kraftrades des Typs Yamaha RN12 mit dem amtlichen Kennzeichen RP-..., bei dem es sich um den Kläger handelte, folgte den Anweisungen der Polizeibeamten, während der zweite Motorradfahrer flüchtete. Der Kläger wurde durch die Polizeibeamten als Beschuldiger einer Straftat nach § 315d StGB belehrt. Nach den Angaben im Einsatzbericht vom 3. Februar 2022 ergab eine zeitgleiche Recherche im polizeilichen Informationssystem, dass zwei Jahre zuvor der Kläger als Beschuldigter eines Strafverfahrens gemäß § 315d StGB geführt worden sei.
Ausweislich des Einsatzberichtes vom 3. Februar 2022 sowie des dazugehörigen Protokolls wurde sodann das Motorrad des Klägers doppelfunktional sichergestellt, wogegen der Kläger mündlich Widerspruch erhob. Daraufhin wurde die Beschlagnahme des Motorrades (samt Fahrzeugschlüssel), des Führerscheins des Klägers und der Zulassungsbescheinigung I angeordnet. Der Kläger erklärte, er sei mit erhöhter Geschwindigkeit gefahren, weil geringer Verkehr geherrscht habe. Er sei an eine Ampelanlage, die "rot" gezeigt habe, zunächst langsam herangefahren. Der andere Motorradfahrer habe neben ihm auf der zweiten Spur gestanden. Sie hätten dann beide, als die Ampel auf "grün" umgeschaltet habe, die Geschwindigkeit stark erhöht. Eine genauere Geschwindigkeitsangabe könne er nicht machen. Im Hinblick auf den zweiten Fahrer verweigerte der Kläger laut Einsatzbericht die Aussage.
Mit Strafbefehl vom 2. Januar 2023 legte das Amtsgericht B... dem Kläger zur Last, gemeinschaftlich handelnd als Kraftfahrzeugführer an einem nicht erlaubten Kraftfahrzeugrennen teilgenommen zu haben (§ 315d Abs. 1 Nr. 2, § 25 Abs. 2 StGB) und setzte hierfür eine Geldstrafe in Höhe von 60 Tagessätzen à 25,00 € fest (Az.: 4d Cs 5316 Js 3.../22).
Zuvor wurde der gegen den Sicherstellungsbescheid vom 3. Februar 2022 erhobene Widerspruch des Klägers mit Widerspruchsbescheid vom 29. Juni 2022 zurückgewiesen.
Mit seiner Klage hat der Kläger geltend gemacht, die Sicherstellung sei rechtswidrig erfolgt, da keine gegenwärtige Gefahr vorgelegen habe. Er habe weder am 3. Februar 2022 noch jemals zuvor an einem illegalen Kraftfahrzeugrennen teilgenommen. Wie auf dem von der Dashcam des Einsatzwagens aufgenommenen und in der Ermittlungsakte befindlichen Video vom 3. Februar 2022 erkennbar sei und sich darüber hinaus aus Berechnungen ergebe, könne die von den Polizeibeamten angenommene Geschwindigkeit nicht vorgelegen haben. Zum Zeitpunkt der Kontrolle habe überdies dichter Verkehr geherrscht, sodass auch aus diesem Grund das Fahren mit hoher Geschwindigkeit gar nicht möglich gewesen sei.
Das Verwaltungsgericht Neustadt an der Weinstraße hat die Klage mit Urteil vom 14. Februar 2023 abgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, die Sicherstellung sei rechtmäßig, da zum entscheidungserheblichen Zeitpunkt am 3. Februar 2022 eine gegenwärtige Gefahr vorgelegen habe. Diese habe darin bestanden, dass der Kläger mit seinem Motorrad erneut Straftaten im Straßenverkehr begehen würde, insbesondere seien weitere illegale Straßenrennen zu befürchten gewesen. So hätten die Beamten aufgrund ihrer Beobachtungen und den Einlassungen des Klägers vor Ort bzw. seiner Aussageverweigerung hinsichtlich des weiteren Motorradfahrers davon ausgehen dürfen, dass der Kläger am 3. Februar 2022 vor der streitgegenständlichen Sicherstellung an einem illegalen Straßenrennen teilgenommen habe. Die Polizeibeamten hätten sich durch das Verhalten des Klägers sogar dazu veranlasst gesehen, ihren laufenden Einsatz abzubrechen. Hinzu komme, dass gegen den Kläger bereits im Jahre 2020 ein Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts seiner Teilnahme an einem illegalen Straßenrennen geführt worden sei. Ferner sei das Motorrad des Klägers angesichts der Hubraumgröße und der maximalen Höchstgeschwindigkeit für eine Nutzung im Straßenverkehr vollkommen übermotorisiert. Daher habe die Polizei davon ausgehen dürfen, dass die Maschine den Kläger zu weiteren entsprechenden Delikten geradezu einlade. Die Tatsache, dass der Kläger innerhalb eines Zeitraums von nur ca. anderthalb Jahren zweimal massiv die Rechtsordnung im Bereich des Straßenverkehrs missachtet habe, lasse darauf schließen, dass er nicht bereit sei, sich an geltendes Recht zu halten. Der Kläger könne einen Anspruch auf Herausgabe des Fahrzeugs auch nicht auf § 25 Abs. 1 POG stützen, da bei Herausgabe des Motorrades die Voraussetzungen der Sicherstellung erneut einträten. Für ein Umdenken des Klägers seien keine Anhaltspunkte ersichtlich.
Am 4. April 2023 hat das Amtsgericht B... das gegen den Kläger geführte Strafverfahren (Az.: 4d Cs 5316 Js 3.../22) in der Hauptverhandlung nach § 153 Abs. 2 Strafprozessordnung – StPO – eingestellt.
Mit der vom Senat zugelassenen Berufung wiederholt und vertieft der Kläger sein bisheriges Vorbringen und macht darüber hinaus zur Begründung geltend, die Prognose einer gegenwärtigen Gefahr sei schon deshalb nicht begründet gewesen, weil entgegen der Annahme des Verwaltungsgerichts nicht feststehe, dass er in der Vergangenheit überhaupt an illegalen Straßenrennen teilgenommen habe. Eine solche Schlussfolgerung hätte nicht aus dem bloßen Umstand gezogen werden können, dass gegen ihn in der Vergangenheit ein Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts einer Straftat nach § 315d StGB geführt worden sei, zumal der Sachverhalt für diese Ermittlungen den Polizeibeamten zum Zeitpunkt der Kontrolle am 3. Februar 2022 völlig unbekannt gewesen sei. Im Übrigen lasse das Fahren mit erhöhter Geschwindigkeit am 3. Februar 2022 bzw. eine starke Erhöhung der Geschwindigkeit nach einem Anfahren an einer roten Ampel nicht zwingend den Schluss auf die Teilnahme an einem Kraftfahrzeugrennen zu. In tatsächlicher Hinsicht unzutreffend sei auch die Annahme des Verwaltungsgerichts, dass die Polizeibeamten am 3. Februar 2022 aufgrund des Verhaltens des Klägers und des weiteren Motorradfahrers ihren anderweitig laufenden Einsatz abgebrochen hätten. Vielmehr seien die Beamten, wie der Polizeibeamte in der Hauptverhandlung vor dem Amtsgericht B... als Zeuge bekundet habe und sich überdies schon aus den Angaben im Einsatzbericht vom 3. Februar 2022 ergebe, auf dem Rückweg von einem Einsatz gewesen. Zu berücksichtigen sei ferner, dass die Staatsanwaltschaft unverzüglich nach Erhalt der Akte die Freigabe des beschlagnahmten Motorrads angeordnet habe und das Strafverfahren ohne jede Auflage eingestellt worden sei. Schließlich habe er auch einen Anspruch auf Herausgabe des Fahrzeugs. Da ihm kein Fehlverhalten vorzuwerfen sei, liege die Argumentation des Verwaltungsgerichts, wonach er sich mit seinem Fehlverhalten in der Vergangenheit nicht auseinandergesetzt habe, neben der Sache.
Der Kläger beantragt,
unter Abänderung des Urteils des Verwaltungsgerichts Neustadt an der Weinstraße vom 14. Februar 2023 den Sicherstellungsbescheid des Beklagten vom 3. Februar 2022 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 29. Juni 2022 aufzuheben und den Beklagten zu verurteilen, das sichergestellte Motorrad Yamaha RN12, rot, mit dem amtlichen Kennzeichen RP-..., FIN: 1... an ihn herauszugeben.
Der Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Er ist der Ansicht, angesichts der Umstände vom 3. Februar 2022, der Vorerkenntnisse der Polizeibeamten sowie der Besonderheiten des sichergestellten Fahrzeugs sei vorliegend eine zutreffende Gefahrenprognose erstellt worden. Entgegen der Annahme des Klägers habe hinsichtlich des Vorfalls am 3. Februar 2022 der Anfangsverdacht eines illegalen Straßenrennens nach § 315d Abs. 1 Nr. 1, 2 oder 3 StGB bestanden. Unabhängig hiervon bleibe immer noch Raum für eine Straßenverkehrsgefährdung im Sinne des § 315c StGB. Daher seien die Beamten vor Ort zu Recht von einer gegenwärtigen Gefahr ausgegangen. Sofern der Kläger meine, dass vorliegend nur strafrechtliche Verurteilungen Berücksichtigung finden dürften, verkenne er den Unterschied zwischen einer strafrechtlichen Verurteilung auf der einen Seite und einer präventiv-polizeilichen Maßnahme, wie sie hier vorliege, auf der anderen Seite. Anerkannt sei, dass auch Erkenntnisse aus einem nach §§ 153 ff. oder § 170 Abs. 2 StPO eingestellten Ermittlungsverfahren Grundlage der Prognose der künftigen Begehung von Straftaten sein können. Dies sei nur dann nicht der Fall, wie sich aus der Rechtsprechung zur Anordnung einer erkennungsdienstlichen Maßnahme ergebe, wenn die Verdachtsmomente gegen den Betroffenen vollständig ausgeräumt seien oder sich der festgestellte Sachverhalt unter keinen Tatbestand einer Strafrechtsnorm subsumieren ließe. Hiervon könne vorliegend keine Rede sein.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die zwischen den Beteiligten zur Gerichtsakte gewechselten Schriftsätze, den sonstigen Inhalt der Gerichtsakte sowie die beigezogenen Verwaltungs-, Widerspruchs- und Strafakten verwiesen, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind.
Gründe
Die Berufung hat Erfolg.
I. Sie ist zulässig und begründet. Das Verwaltungsgericht hätte der Klage stattgeben müssen. Der Sicherstellungsbescheid des Beklagten vom 3. Februar 2022 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 29. Juni 2022 ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 Verwaltungsgerichtsordnung – VwGO –).
Zwar kann, wie hier geschehen, eine präventiven Zwecken dienende Sicherstellung nach § 22 Nr. 1 Polizei- und Ordnungsbehördengesetz – POG – grundsätzlich neben einer Sicherstellung bzw. Beschlagnahme nach den Vorschriften der Strafprozessordnung (sog. doppelfunktionale Maßnahme) angeordnet werden (vgl. hierzu BGH, Beschluss vom 26. April 2017 – 2 StR 247/16 –, juris Rn. 21, 25 ff.; OVG RP, Beschluss vom 20. April 2022 – 7 B 10279/22.OVG –, n.v.).
Die Voraussetzungen für eine präventive Sicherstellung des Motorrades des Klägers lagen hier indes nicht vor.
1. Nach § 22 Nr. 1 POG können die allgemeinen Ordnungsbehörden und die Polizei eine Sache sicherstellen, um eine gegenwärtige Gefahr abzuwenden. Unter einer polizeilichen Gefahr ist eine Lage zu verstehen, in der bei ungehindertem Ablauf des Geschehens ein Zustand oder ein Verhalten mit hinreichender Wahrscheinlichkeit zu einem Schaden für die Schutzgüter der öffentlichen Sicherheit oder öffentlichen Ordnung führen würde. Dabei sind vom Schutzgut der öffentlichen Sicherheit nicht nur die Individualrechtsgüter, wie Leib, Leben und Eigentum anderer erfasst, sondern auch die Unverletzlichkeit der Rechtsordnung (vgl. BVerwG, Urteil vom 25. Juni 2008 – 6 C 21/07 –, juris Rn. 13; OVG RP, Urteil vom 10. Februar 2010 – 7 A 11095/09 –, juris Rn. 27; Rühle, Polizei- und Ordnungsrecht Rheinland-Pfalz, 9. Aufl. 2023, § 3 Rn. 2 ff.). § 22 Nr. 1 POG enthält mit dem Erfordernis einer gegenwärtigen Gefahr eine zusätzliche Qualifizierung der Eingriffsvoraussetzungen. Der Begriff der gegenwärtigen Gefahr stellt strengere Anforderungen an die zeitliche Nähe und den Wahrscheinlichkeitsgrad des Schadenseintritts (vgl. BVerwG, Urteil vom 26. Februar 1974 – I C 31/72 –, juris Rn. 32; OVG NRW, Beschluss vom 2. März 2021 – 5 A 942/19 –, juris Rn. 40; Beschluss vom 24. März 2021 – 5 B 1884/20 –, juris Rn. 9; VGH BW, Urteil vom 25. Oktober 2012 – 1 S 1401/11 –, juris Rn. 58). Gegenwärtig ist eine Gefahr dann, wenn die Einwirkung des schädigenden Ereignisses bereits begonnen hat oder unmittelbar bzw. in allernächster Zeit mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit bevorsteht (vgl. OVG RP, Beschluss vom 25. März 2009 – 1 A 10632/08.OVG –, juris Rn. 26; Beschluss vom 30. Oktober 2009 – 7 A 10723/09.OVG –, juris Rn. 28; Beschluss vom 26. August 2011 – 7 E 10858/11.OVG –, ESOVGRP; Beschluss vom 8. Mai 2015 – 7 B 10383/15 –, juris Rn. 11; OVG NRW, Beschluss vom 2. März 2021 – 5 A 942/19 –, juris Rn. 40 f. m.w.N.; BayVGH, Beschluss vom 17. September 2015 – 10 CS 15.1435 u.a. –, juris Rn. 21; OVG Bremen, Urteil vom 24. Juni 2014 – 1 A 255/12 –, juris Rn. 25). An die Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts sind dabei umso geringere Anforderungen zu stellen, je größer und folgenschwerer der möglicherweise eintretende Schaden ist (vgl. BVerwG, Urteil vom 26. Februar 1974 – I C 31/72 –, juris Rn. 41).
Die polizeiliche Gefahr ist eine auf Tatsachen gegründete prognostische Einschätzung über einen künftigen Geschehensverlauf, wobei die Tatsachen pflichtgemäß aufzuklären sind. Bloße Verdachtsmomente oder Vermutungen reichen hierzu nicht aus (vgl. BVerwG, Urteil vom 26. Februar 1974 – I C 31/72 –, juris Rn. 33; OVG RP, Urteil vom 10. Februar 2010 – 7 A 11095/09 –, juris Rn. 35; OVG Nds., Urteil vom 25. Juni 2015 – 11 LB 34/14 –, juris Rn. 34). Die Gefahr muss im Zeitpunkt der Entscheidung über die zu ergreifende polizeiliche Maßnahme vorliegen; es ist also beim polizeilichen Eingriff grundsätzlich die ex-ante-Sicht entscheidend (vgl. etwa VGH BW, Urteil vom 25. Oktober 2012 – 1 S 1401/11 –, juris Rn. 59). Auch für die der Beurteilung der Rechtmäßigkeit der Sicherstellungsanordnung zugrunde zu legende Sach- und Rechtslage ist maßgeblicher Zeitpunkt der bei Vornahme der Sicherstellungsanordnung (stRspr. des Senats, vgl. etwa Beschluss vom 4. September 2018 – 7 B 10912/18.OVG –, ESOVGRP; so auch OVG NRW, Beschluss vom 12. Februar 2007 – 5 A 1056/06 –, juris Rn. 2 ff.; BayVGH, Urteil vom 23. Februar 2016 – 10 BV 14/2353 –, juris Rn. 16; HessVGH, Beschluss vom 25. April 2018 – 8 B 538/18 –, juris Rn. 21; OVG Bremen, Beschluss vom 4. Juni 2019 – 1 LB 225/18 –, juris Rn. 40).
2. Ausgehend von diesen Grundsätzen war die zum Zeitpunkt der Sicherstellung des Motorrades des Klägers getroffene Gefahrenprognose der Polizeibeamten nicht gerechtfertigt.
Dabei kann dahingestellt bleiben, ob das Verhalten des Klägers vom 3. Februar 2022 überhaupt als Straftat nach § 315d StGB gewertet werden kann. Hierfür dürfte zum Zeitpunkt der Sicherstellung aus der Sicht der handelnden Polizeibeamten lediglich ein Anfangsverdacht im Sinne des § 152 Abs. 2 StPO bestanden haben. Selbst wenn die Polizeibeamten jedoch das Verhalten des Klägers als strafbar gemäß § 315d StGB hätten bewerten dürfen, so trägt dieser Umstand nicht die Prognose einer gegenwärtigen Gefahr.
a) Zunächst ist festzuhalten, dass allein die Annahme des Beklagten – wie sie in seinem Schreiben vom 11. Mai 2022 an den Kläger zum Ausdruck kommt –, es könne "nicht ausgeschlossen werden", dass das Fahrzeug erneut zur Durchführung von verbotenen Kraftfahrzeugrennen verwendet wird, die Voraussetzungen einer gegenwärtigen Gefahr nach den dargelegten Maßstäben nicht erfüllt.
Sofern der Beklagte darüber hinaus womöglich der Ansicht ist, dass die von § 22 Nr. 1 POG für die Sicherstellung einer Sache erforderliche gegenwärtige Gefahr hier schon deswegen angenommen werden konnte, weil es mit der Erfüllung des Straftatbestandes nach § 315d StGB bereits zum Eintritt eines Schadens für die öffentliche Sicherheit, nämlich in Form eines Verstoßes gegen die Rechtsordnung gekommen sei, vermag er damit nicht durchzudringen. Mit dem Anhalten des Klägers im Rahmen der anlassbezogenen Verkehrskontrolle war das hier unterstellte, nach § 315d StGB strafbare illegale Kraftfahrzeugrennen des Klägers beendet. Eine in ihrer Wirkung noch andauernde Störung, die eine gegenwärtige Gefahr begründet hätte (vgl. hierzu OVG Nds., Urteile vom 2. Juli 2009 – 11 LC 4/08 –, juris Rn. 38 und vom 25. Juni 2015 – 11 LB 34/34 –, BeckRS 2015, 48112 Rn. 29) lag damit nicht mehr vor. Die anschließende Sicherstellung erfolgte demgemäß auch nicht zu dem Zweck, das von den Beamten als Kraftfahrzeugrennen eingestufte Verhalten zu stoppen, sondern das Begehen künftiger Verkehrsstraftaten zu verhindern.
b) Nach den für die Polizeibeamten zu diesem Zeitpunkt zur Verfügung stehenden Informationen bestanden keine ausreichenden tatsächlichen Anhaltspunkte dafür, dass der Kläger unmittelbar nach der Verkehrskontrolle oder zumindest in allernächster Zeit danach mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit oder auch nur mit – etwa im Hinblick auf eine Gefährdung des Lebens anderer Verkehrsteilnehmer – hoher Wahrscheinlichkeit mit seinem Motorrad an einem (weiteren) illegalen Straßenrennen nach § 315d StGB teilgenommen oder sonstige Straftaten im Straßenverkehr begangen hätte.
aa) Dabei ist zu berücksichtigen, dass es keinen Erfahrungssatz gibt, wonach ein von der Polizei ertappter "Verkehrssünder" sich generell unbelehrbar zeigt und von dem ihm angedrohten oder gegen ihn verhängten Bußgeldern, Fahrverboten oder gar – wie hier – gegen ihn eingeleiteten strafrechtlichen Ermittlungsverfahren unbeeindruckt bleibt. Vielmehr muss im Regelfall davon ausgegangen werden, dass diese Mittel und Sanktionen den durchschnittlichen Verkehrsteilnehmer so nachhaltig beeindrucken, dass er von der umgehenden Begehung erneuter Verkehrsverstöße bzw. Straßenverkehrsdelikte absieht (vgl. BayVGH, Urteil vom 26. Januar 2009 – 10 BV 08.1422 –, juris Rn. 25 f.; OVG RP, Beschluss vom 29. August 2023 – 7 B 10593/23.OVG –, juris Rn. 6; VG Magdeburg, Urteil vom 27. Juli 2012 – 1 A 34/11 –, juris Rn. 17). Die gegenteilige Annahme widerspräche nicht nur der allgemeinen Lebenserfahrung, sondern auch den grundlegenden Wertungen des Straßenverkehrsgesetzes (vgl. BayVGH, Urteil vom 26. Januar 2009 – 10 BV 08.1422 –, juris Rn. 25 f.).
Etwas Anderes kann nur in Ausnahmefällen gelten (vgl. BayVGH, Urteil vom 26. Januar 2009 – 10 BV 08.1422 –, juris Rn. 25 f.; OVG RP, Beschluss vom 29. August 2023 – 7 B 10593/23.OVG –, juris Rn. 6; VG Magdeburg, Urteil vom 27. Juli 2012 – 1 A 34/11 –, juris Rn. 17). Ein solcher Ausnahmefall kann beispielsweise dann vorliegen, wenn der Fahrzeugführer infolge von Alkohol- oder Drogenkonsum enthemmt ist (vgl. hierzu auch OVG RP, Beschluss vom 20. April 2022 – 7 B 10279/22.OVG –, n.v.), wenn er weitere Verkehrsverstöße ausdrücklich ankündigt oder wenn er sich auf dem Weg zu einem unerlaubten Wettrennen befindet (vgl. BayVGH, Urteil vom 26. Januar 2009 – 10 BV 08.1422 –, juris Rn. 25 f.). Überdies können auch ungewöhnlich viele Verkehrsverstöße in der Vergangenheit oder ein wiederholtes Fahren ohne Fahrerlaubnis (zu letzterer Konstellation vgl. Beschluss des Senats vom 30. Mai 2022 – 7 B 10369/22.OVG –, n.v.; VG Köln, Beschluss vom 6. Februar 2017 – 20 L 3178/16 –, juris Rn. 21 ff.) auf eine Unbelehrbarkeit des Fahrzeugführers hindeuten. Die Gefahrenprognose ist allerdings stets unter Berücksichtigung sämtlicher Gegebenheiten und Besonderheiten des Einzelfalls zu treffen (vgl. OVG RP, Beschluss vom 29. August 2023 – 7 B 10593/23.OVG –, juris Rn. 6).
bb) Daran gemessen lag hier keine gegenwärtige Gefahr im Sinne des § 22 Nr. 1 POG vor. Denn es bestanden keine ausreichenden Anhaltspunkte dafür, dass der Kläger mit seinem Motorrad in allernächster Zukunft mit an Sicherheit grenzender oder hoher Wahrscheinlichkeit (weitere) Straßenverkehrsdelikte begangen hätte. Allein ein strafbares Verhalten gemäß § 315d StGB am 3. Februar 2022 oder gar ein diesbezüglicher Anfangsverdacht reicht hierfür nach dem oben Gesagten nicht aus. Etwas Anderes ergibt sich vorliegend auch nicht aus den sonstigen Umständen.
(1) Das Verhalten des Klägers während der Verkehrskontrolle am 3. Februar 2022 gab für die Annahme einer gegenwärtigen Gefahr keinen Anlass. Anders als der weitere, geflüchtete Motorradfahrer hatte der Kläger den Anweisungen der Dienst habenden Polizeibeamten Folge geleistet und sich der Verkehrskontrolle unterzogen. Zudem wies ein freiwilliger Atemalkoholtest ein Ergebnis von 0,00 ‰ aus. Dass der Kläger die Aussage zum zweiten Motorradfahrer ausweislich des Einsatzberichtes verweigert hatte, könnte – wovon offenbar auch die Vorinstanz ausgegangen ist – allenfalls auf eine Täterschaft des Klägers hinsichtlich des Vorfalls am 3. Februar 2022 hindeuten, lässt aber objektiv betrachtet keine Prognose auf das zukünftige Verhalten des Klägers im Straßenverkehr zu. Dass der Kläger während der Verkehrskontrolle ein außerordentlich unbelehrbares Verhalten an den Tag gelegt hätte, das den Schluss auf die zeitnahe Begehung (weiterer) Straßenverkehrsdelikte erlauben könnte, ergibt sich aus dem Einsatzprotokoll nicht und wird auch sonst vom Beklagten nicht behauptet.
(2) Der Senat vermag zudem nicht der Argumentation des Verwaltungsgerichts zu folgen, wonach die Polizeibeamten aufgrund der Konstruktion des klägerischen Kraftrades für Motorradrennen und dessen Motorisierung mit 998 ccm Hubraum und einer Höchstgeschwindigkeit von 285 km/h davon ausgehen durften, dass die Maschine den Kläger zu weiteren Delikten geradezu einlade. Auch wenn das Motorrad durchaus hochmotorisiert ist, ist zum einen zu bedenken, dass es über eine Straßenzulassung verfügt. Zum anderen fällt das Motorrad des Klägers im Vergleich zur Motorisierung sonstiger, ebenfalls über eine Straßenzulassung verfügender Serienmodelle anderer Hersteller in der gleichen Fahrzeugkategorie nicht derart aus dem Rahmen, dass der Schluss gerechtfertigt wäre, es komme bei Nutzung eines solchen Motorrades höchstwahrscheinlich zur Begehung von Straßenverkehrsdelikten.
(3) Hinzu tritt vorliegend, dass der Führerschein des Klägers während der Verkehrskontrolle am 3. Februar 2022 gemäß § 98 StPO beschlagnahmt worden war. Dies hat zur Folge, dass der Kläger zunächst kein Kraftfahrzeug im Straßenverkehr führen durfte. Andernfalls hätte er sich gemäß § 21 Abs. 2 Nr. 2 StVG strafbar gemacht. Soweit der Beklagte in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat geltend gemacht hat, dass es – wie auch im vorliegenden Fall – regelmäßig zu einer Freigabe des von den Polizeibeamten beschlagnahmten Führerscheins durch die Staatsanwaltschaft nach wenigen Tagen komme, so ändert dies nichts an dem Umstand, dass davon auszugehen war, dass der Kläger jedenfalls bis zur Entscheidung über die Beschlagnahme durch die Staatsanwaltschaft bzw. das Gericht kein Kraftfahrzeug fahren würde. Anhaltspunkte dafür, dass sich der Kläger über dieses Fahrverbot hinwegsetzen würde, bestanden augenscheinlich nicht.
(4) Eine andere Beurteilung ist entgegen der Annahme des Beklagten und des Verwaltungsgerichts auch nicht deswegen gerechtfertigt, weil den Polizeibeamten zum Zeitpunkt der Sicherstellung bekannt war, dass bereits im Jahre 2020 gegen den Kläger ein Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts des vorsätzlichen Fahrens ohne Fahrerlaubnis sowie eines illegalen Straßenrennens geführt worden war. Ein erneutes vorsätzliches Fahren ohne Fahrerlaubnis gemäß § 21 Abs. 1 Nr. 1 StVG ist dem Kläger am 3. Februar 2022 nicht vorgeworfen worden und stand daher auch in allernächster Zukunft nicht zu befürchten. Von etwas Anderem sind offensichtlich auch die Dienst habenden Polizeibeamten nicht ausgegangen (vgl. hierzu auch S. 7 des Widerspruchsbescheides vom 29. Juni 2022).
Der bloße Umstand, dass gegen den Kläger ein Ermittlungsverfahren im Jahre 2020 wegen des Verdachts einer Strafbarkeit nach § 315d StGB geführt worden war, reicht – auch im Zusammenhang mit dem Vorfall am 3. Februar 2022 – für die erforderliche Prognose einer gegenwärtigen Gefahr ebenfalls nicht aus. Die Argumentation des Beklagten, wonach im vorliegenden Fall ein nicht völlig ausgeräumter Tatverdacht, mithin ein Restverdacht gegeben sei, überzeugt nicht. Anders als der Beklagte meint, kann insoweit nicht auf die höchstrichterliche und obergerichtliche Rechtsprechung zu den Voraussetzungen für eine Maßnahme nach § 81b Abs. 1 Alt. 2 StPO zurückgegriffen werden. Dies würde die unterschiedlichen Voraussetzungen für die Anordnung einer erkennungsdienstlichen Behandlung einerseits und einer Sicherstellung nach § 22 Nr. 1 POG andererseits sowie deren unterschiedliche Zweckrichtung unberücksichtigt lassen.
Die Datenerhebung und -speicherung nach § 81b Abs. 1 Alt. 2 StPO dient der Strafverfolgungsvorsorge, indem sie der Kriminalpolizei sächliche Hilfsmittel für die Erforschung und Aufklärung künftiger Straftaten zur Verfügung stellt (BVerwG, Urteil vom 19. Oktober 1982 – 1 C 29/79 –, juris Rn. 28; Beschluss vom 25. März 2019 – 6 B 163/18 u.a. –, juris Rn. 10). Die nach § 81b Abs. 1 Alt. 2 StPO erforderliche Prognose setzt daher lediglich voraus, dass angesichts aller Umstände des Einzelfalls tatsächliche Anhaltspunkte die Annahme rechtfertigen, der Beschuldigte könne auch künftig als Verdächtiger einer Straftat in Betracht kommen (stRspr. vgl. BVerwG, Urteil vom 19. Oktober 1982 – 1 C 29/79 –, juris Rn. 33; Beschluss vom 25. März 2019 – 6 B 163/18 u.a. –, juris Rn. 10 m.w.N.; OVG RP, Beschluss vom 4. Dezember 2015 – 7 A 10187/15.OVG –, n.v.; Urteil vom 24. September 2018 – 7 A 10256/18.OVG –, juris Rn. 35). Soweit nach der Rechtsprechung des Senats und anderer Obergerichte für die Anordnung von Maßnahmen nach § 81b Abs. 1 Alt. 2 StPO ein auf tatsächliche Anhaltspunkte gestützter und mit einem Anfangsverdacht im Sinne des § 152 Abs. 2 StPO vergleichbarer (Rest-)Verdacht ausreichend sein kann (vgl. OVG RP, Beschluss vom 4. Dezember 2015 – 7 A 10187/15.OVG –, n.v.; Urteil vom 24. September 2018 – 7 A 10256/18.OVG –, juris Rn. 35; BayVGH, Beschluss vom 5. Januar 2017 – 10 ZB 14.2603 –, BeckRS 2017, 100320 Rn. 9; OVG Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 22. April 2020 – 3 O 27/20 –, juris Rn. 7; OVG Mecklenburg-Vorpommern, Urteil vom 25. November 2015 – 3 L 146713 –, juris Rn. 53), bezieht sich diese Rechtsprechung allein auf die zu erstellende Prognose, dass der Betroffene auch zukünftig Anlass zu polizeilichen Ermittlungen geben kann. Auf andere (Gefahren-)Prognosen ist diese Rechtsprechung nicht ohne Weiteres übertragbar.
Dies gilt jedenfalls im Rahmen der präventiven Sicherstellung einer Sache nach § 22 Nr. 1 POG. Die danach erforderliche Prognose unterscheidet sich von der nach § 81b Abs. 1 Alt. 2 StPO zu erstellenden erheblich. Sie verlangt nicht lediglich die Möglichkeit eines weiteren gegen den Betroffenen gerichteten Ermittlungsverfahrens, sondern die Annahme, dass es in allernächster Zeit ohne die Sicherstellung mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit zu einem Schaden für die die öffentliche Sicherheit oder Ordnung kommt. Für diese, auf Tatsachen zu stützende Prognose reicht der Umstand, dass der Betroffene in der Vergangenheit als Beschuldigter eines Ermittlungsverfahrens geführt wurde und dementsprechend der Anfangsverdacht einer Straftat bestand, in der Regel nicht aus. Dies gilt umso mehr, wenn den handelnden Polizeibeamten der dem Tatvorwurf zugrundeliegende tatsächliche Sachverhalt zum Zeitpunkt der Sicherstellung nicht bekannt ist. So liegt der Fall auch hier. Ausweislich des Einsatzberichtes vom 3. Februar 2022 ergab sich vorliegend nach den Recherchen im polizeilichen Informationssystem lediglich, dass der Kläger einen Alleinunfall mit einem Kraftrad, für welches er die erforderliche Fahrerlaubnis der Klasse A nicht besaß, verursacht hatte. Weitere Einzelheiten, insbesondere zum Vorwurf der Teilnahme an einem illegalen Kraftfahrzeugrennen nach § 315d StGB waren den Polizeibeamten nicht bekannt und konnten dementsprechend in die zu erstellenden Gefahrenprognose auch nicht einbezogen, geschweige denn bewertet werden. Zum Zeitpunkt der Sicherstellung konnte aus dem Umstand, dass gegen den Kläger ein Ermittlungsverfahren geführt worden war, lediglich geschlussfolgert werden, dass der gemäß § 152 Abs. 2 StPO für die Einleitung eines Ermittlungsverfahrens vorausgesetzte Anfangsverdacht, d.h. die aufgrund tatsächlicher Anhaltspunkte und nach kriminalistischer Erfahrung bestehende Möglichkeit eines verfolgbaren strafbaren Verhaltens (vgl. hierzu etwa BGH, Urteil vom 21. April 1988 – III ZR 255/86 –, NJW 1989, 96 [97]; Diemer, in: Karlsruher Kommentar zur Strafprozessordnung, 9. Auflage 2023, § 152 Rn. 7, m.w.N.), nach § 315d StGB bestand. Dies allein reicht jedoch für die Annahme, dass es ohne die Sicherstellung in allernächster Zeit mit an Sicherheit grenzender oder hoher Wahrscheinlichkeit zu weiteren illegalen Straßenrennen oder sonstigen Straßenverkehrsdelikten kommt, nicht aus. Die Sicherstellung nach § 22 Nr. 1 POG ist weder ein Mittel der – im Vorfeld einer (gegenwärtigen) Gefahr liegenden – Gefahrenvorsorge, noch ermächtigt sie zur repressiven, der Sanktionierung des Beschuldigten eines Straßenverkehrsdelikts dienenden Wegnahme von Fahrzeugen (vgl. BayVGH, Urteil vom 26. Januar 2009 – 10 BV 08.1422 –, juris Rn. 22).
II. Ist der Sicherstellungsbescheid vom 3. Februar 2022 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 29. Juni 2022 somit von Anfang an rechtswidrig gewesen und ist infolgedessen das Motorrad gemäß § 113 Abs. 1 Satz 2 VwGO an den Kläger herauszugeben, bedarf es keiner Prüfung mehr, ob die Anspruchsvoraussetzungen des § 25 Abs. 1 POG erfüllt sind.
III.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO, § 708 Nr. 10 Satz 1, § 711 Zivilprozessordnung – ZPO – (zur vorläufigen Vollstreckbarkeit des Urteils nur wegen der Kosten auch hinsichtlich des Leistungsausspruchs vgl. HessVGH, Urteil vom 5. November 1986 – 1 UE 700/85 –, NVwZ 1987, 517 [517]; OVG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 15. Juli 2015 – OVG 6 B 61/15 –, NVwZ-RR 2015, 804 [804 f.]; Kopp/Schenke, VwGO, 29. Aufl. 2023, § 167 Rn. 11). Gründe, die Revision gemäß § 132 Abs. 1 VwGO zuzulassen, liegen nicht vor.
Beschluss:
Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Berufungsverfahren auf 5.000,00 € festgesetzt (§ 47 Abs. 1 und Abs. 2, § 52 Abs. 2 Gerichtskostengesetz – GKG –, Nr. 35.1 des Streitwertkataloges für die Verwaltungsgerichtsbarkeit 2013 [LKRZ 2013, 169]).
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