Gericht / Entscheidungsdatum: OLG Rostock, Beschl. v. 23.07.2024 - 1 Ss 35/24
Eigener Leitsatz:
Der Umstand, dass der Angeklagte die abgeurteilte Tat während laufender Bewährung, die eine nicht einschlägige Straftat betraf, begangen hat, steht einer günstigen Sozialprognose nicht ohne Weiteres entgegen.
Oberlandesgericht Rostock
Beschluss
In dem Strafverfahren
gegen pp.
Verteidiger:
Rechtsanwalt ,
wegen vorsätzlicher Körperverletzung u.a.
hat das Oberlandesgericht Rostock - 1. Strafsenat - durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht, den Richter am Oberlandesgericht und die Richterin am Landgericht am 23.07.2024 beschlossen:
I. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Rostock vom 05.03.2024 - 14 NBs 186/23 (2) - mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben, soweit die Aussetzung der Vollstreckung der verhängten Freiheitsstrafe zur Bewährung abgelehnt worden ist; die weitergehende Revision wird verworfen.
II. Die Sache wird im Umfang der Aufhebung zur erneuten Verhandlung und Entscheidung, sowie über die Kosten der Revision, an eine andere Berufungskammer des Landgerichts Rostock zurückverwiesen.
Gründe:
I.
Die Revision wendet sich gegen das Urteil des Landgerichts Rostock vom 05.03.2024 - 14 NBs 186/23 (2) -, mit welchem die Berufung des Angeklagten gegen das Urteil des Amtsgerichts Rostock vom 26.07.2023 - 28 Ds 542/22 - verworfen wurde.
Dem liegt folgender Verfahrensgang zugrunde:
Mit o.g. Urteil des Amtsgerichts Rostock wurde der Angeklagte wegen vorsätzlicher Körperverletzung unter Freispruch im Übrigen zu einer Freiheitsstrafe von sechs Monaten verurteilt.
Gegen dieses Urteil hat der Angeklagte über seinen Verteidiger form- und fristgerecht Berufung eingelegt.
Die 4. Kleine Strafkammer des Landgerichts Rostock hat mit dem hier angefochtenen Urteil die Berufung des Angeklagten gegen das Urteil des Amtsgerichts Rostock als unbegründet verworfen.
Gegen dieses Urteil hat der Angeklagte über seinen Verteidiger mit Schriftsatz vom 12.03.2024 - Eingang bei Gericht am selben Tag - Revision eingelegt. Nach Urteilszustellung am 26.03.2024 begründete der Verteidiger die Revision mit Schriftsatz vom 26.04.2024 - Eingang bei Gericht am selben Tag - und erhob die Sachrüge.
Die Generalstaatsanwaltschaft hat mit Stellungnahme vom 04.06.2024 beantragt, die Revision als unbegründet zu verwerfen.
Eine Gegenerklärung ist nicht eingegangen.
II.
1. Die statthafte (§ 333 StPO), fristgerecht erhobene (§ 341 StPO) und fristgerecht begründete (§ 345 StPO) Revision des Angeklagten ist zulässig und mit der allgemeinen Sachrüge ausreichend begründet.
2. Auf die Sachrüge hat das Rechtsmittel des Angeklagten den aus der Entscheidungsformel ersichtlichen Teilerfolg; im Übrigen ist es unbegründet im Sinne von § 349 Abs. 2 StPO.
Die rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen, die ebenso wie die Beweiswürdigung weder Lücken, Widersprüche noch Verstöße gegen Denkgesetze oder Erfahrungen aufweisen, tragen die Verurteilung des Angeklagten wegen einer vorsätzlichen Körperverletzung gern. § 223 Abs. 1 StGB.
Auch die Entscheidung der Berufungskammer hinsichtlich der konkreten Strafzumessung hält revisionsrechtlicher Überprüfung stand.
Die Strafzumessung ist grundsätzlich Sache des Tatgerichts. Ein Eingriff des Revisionsgerichts ist nur möglich, wenn die Zumessungserwägungen in sich fehlerhaft sind, von unzutreffenden Tatsachen ausgehen, das Tatgericht gegen rechtlich anerkannte Strafzwecke verstößt oder wenn sich die verhängte Strafe nach oben oder unten von ihrer Bestimmung, gerechter Schuldausgleich zu sein, so weit löst, dass sie nicht mehr innerhalb des dem Tatgericht eingeräumten Spielraums liegt (BGH, Urteil vom 24. Juni 2021 — 5 StR 545/20 —, juris). Eine ins Einzelne gehende Richtigkeitskontrolle ist ausgeschlossen. In Zweifelsfällen muss das Revisionsgericht die vom Tatgericht vorgenommene Bewertung bis an die Grenze des Vertretbaren hinnehmen (BGH, a.a.O., m.w.N., Rn. 7). Das Tatgericht ist lediglich verpflichtet, in den Urteilsgründen die für die Strafzumessung bestimmenden Umstände darzulegen (§ 267 Abs. 3 Satz 1 StPO); eine erschöpfende Aufzählung aller Strafzumessungserwägungen ist weder vorgeschrieben noch möglich. Die Bewertungsrichtung und das Gewicht der Strafzumessungstatsachen bestimmt in erster Linie das Tatgericht, dem hierbei von Rechts wegen ein weiter Entscheidungs- und Wertungsspielraum eröffnet ist (BGH, Urteil vom 14. März 2018 — 2 StR 416/16 —, juris m.w.N.).
Danach bemessen zeigt die angegriffene Entscheidung keinen Rechtsfehler auf.
Unter Wahl des Strafrahmens aus § 223 Abs. 1 StGB mit einer Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder Geldstrafe, hat die Kammer zu Gunsten des Angeklagten gewertet, dass er das Tatgeschehen eingeräumt und dieser sich bei dem Geschädigten entschuldigt hat. Zudem wurde berücksichtigt, dass die Tatfolgen nicht schwerwiegend und nachhaltig gewesen sind, der Angeklagte durch den konsumierten Alkohol enthemmt gewesen ist und es sich um eine spontane Tat gehandelt hat. Strafschärfend hat die Kammer berücksichtigt, dass der Angeklagte erheblich - dabei auch mehrfach einschlägig - strafrechtlich in Erscheinung getreten ist, die gegenständliche Tat während laufender Bewährung begangen wurde und die letzte Bewährungszeit wegen einer einschlägigen Tat erst acht Monate vor dieser Tat erlassen worden ist.
Die durch die Berufungskammer im Ergebnis der Abwägung verhängte Freiheitsstrafe hält der revisionsrechtlichen Überprüfung auch der Höhe nach stand. Grundsätzlich obliegt es der Berufungskammer, die einzelnen Strafzumessungskriterien zu gewichten.
Allerdings ist die Entscheidung der Berufungskammer hinsichtlich der Frage der Strafaussetzung zur Bewährung rechtsfehlerhaft ergangen.
Die Begründung der Strafkammer genügt den rechtlichen Anforderungen des § 56 Abs. 1 StGB nicht in vollem Umfang.
Nach § 56 Abs. 1 StGB ist eine Freiheitsstrafe zur Bewährung auszusetzen, wenn zu erwarten ist, dass der Angeklagte sich schon die Verurteilung selbst zur Warnung dienen lassen und auch ohne die Einwirkung des Strafvollzugs keine Straftaten mehr begehen wird. Grundlage der Prognose des Tatgerichts müssen dabei sämtliche Umstände sein, die Rückschlüsse auf die künftige Straflosigkeit des Angeklagten ohne Einwirkung des Strafvollzugs zulassen, insbesondere die in § 56 Abs. 1 Satz 2 StGB „namentlich" aufgeführten. Dabei ist für die günstige Prognose keine sichere Erwartung eines straffreien Lebens erforderlich. Es reicht schon die durch Tatsachen begründete Wahrscheinlichkeit aus, dass der Angeklagte künftig auch ohne die Einwirkung des Strafvollzugs keine Straftaten mehr begehen wird (vgl. OLG Braunschweig, Urteil vom 22. März 2023 —1 Ss 40/22 —, Rn. 39 - 40, m.w.N.- juris).
Der Umstand, dass der Angeklagte die abgeurteilte Tat während laufender Bewährung, die eine nicht einschlägige Straftat betraf, begangen hat, steht einer günstigen Sozialprognose nicht ohne Weiteres entgegen. Auch die Tatbegehung während des Laufs einer Bewährungszeit schließt die erneute Strafaussetzung zur Bewährung nicht grundsätzlich aus (BGH, Urteil vom 10. November 2004 -1 StR 339/04, NStZ-RR 2005, 38). Vielmehr ist jedoch bei der zu treffenden Prognoseentscheidung eine Gesamtwürdigung vorzunehmen, bei der namentlich die Persönlichkeit des Täters, sein Vorleben, die Umstände seiner Tat, sein Verhalten nach der Tat, seine Lebensverhältnisse und die Wirkungen zu berücksichtigen sind, die von der Strafaussetzung für ihn zu erwarten sind (§ 56 Abs. 1 Satz 2 StGB; vgl. BGH Beschl. v. 10.7.2014 — 3 StR 232/14, BeckRS 2014, 17004 Rn. 5, 6, beck-online). Dem Urteil kann indes nicht entnommen werden, ob das Landgericht nach der gebotenen Gesamtwürdigung aller wesentlichen negativen sowie positiven Prognosekriterien eine günstige Sozialprognose verneint hat. Den Urteilsgründen lässt sich nicht entnehmen, dass auch die aktuellen Lebensverhältnisse - hierbei insbesondere die Umstände, dass sich der Angeklagte nach dem Tod seiner Mutter um den Haushalt seines Vaters kümmert, in einem Arbeitsverhältnis steht und trotz der Vielzahl der begangenen Straßenverkehrsdelikte nunmehr offenbar wieder über einen Führerschein verfügt - in die Gesamtabwägung Eingang gefunden haben und es diese Umstände bei der getroffenen Prognoseentscheidung berücksichtigt hat. Zudem ist bei der Entscheidung in die Abwägung einzustellen, dass die letzte (nicht einschlägige) Tat des Angeklagten bereits mehr als 4,5 Jahre vor der gegenständlichen Tat begangen wurde und der Angeklagte innerhalb dieser Zeit nicht strafrechtlich in Erscheinung getreten ist.
Auf diesem Rechtsfehler beruht das Urteil auch.
Der Senat konnte über die Strafaussetzung zur Bewährung nicht selbst entscheiden. Hierfür müssen die Feststellungen des angefochtenen Urteils zur Rechtsfolgenseite vollständig sein und ergeben, dass die Voraussetzungen für eine Bewährung zweifelsfrei vorliegen, der Ermessenspielraum des Tatrichters mithin auf die Bewilligung der Strafaussetzung reduziert war (BGH NStZ-RR 2012, 357; StV 1996, 265 (266); 1992, 13; BeckRS 1993, 31105781; Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 67. Aufl. 2024, § 354, Rn. 26d). Zugleich muss es als ausgeschlossen erscheinen, dass bei einer Neuverhandlung Tatsachen festgestellt werden, die eine Versagung der Strafaussetzung zur Bewährung rechtfertigen könnten (vgl. BeckOK StPO/Wiedner, 51. Ed. 1.1.2024, StPO § 354 Rn. 64 m.w.N.). Diese Voraussetzungen sind vorliegend auch aufgrund des Zeitablaufs nicht gegeben.
Die Sache bedarf daher im Umfang der Aufhebung neuer Verhandlung und Entscheidung.
Auf die Revision des Angeklagten hin ist das Urteil daher im Umfang der Aufhebung mit den zugrunde liegenden Feststellungen (§§ 349 Abs. 4, 353 Abs. 1 und Abs. 2 StPO) aufzuheben.
Im Umfang der Aufhebung war die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung - auch über die Kosten des Revisionsverfahrens - an eine andere Strafkammer des Landgerichts Rostock zurückverwiesen (§ 354 Abs. 2 Satz 1 StPO).
Einsender: RA M. Rakow, Rostock
Anmerkung:
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