Gericht / Entscheidungsdatum: BayObLG, Beschl. v. 12.03.2024 - 203 StRR 73/24
Leitsatz des Gerichts:
1. Nothilfe ist nichts anderes als Notwehr zu Gunsten eines Dritten. Besteht eine zur Nothilfe berechtigende Sachlage, so ist die Nothilfehandlung eines Dritten gerechtfertigt, wenn sie zu einer sofortigen und endgültigen Abwehr des Angriffs führt und es sich bei ihr um das mildeste Abwehrmittel handelt, das in der konkreten Situation zur Verfügung steht.
2. Die Pflicht, den Angreifer so weit zu schonen, wie dies im Rahmen einer effektiven Verteidigung möglich ist, ist nicht nur bei der Wahl des Mittels als solchem zu beachten, sondern auch bei der konkreten Ausgestaltung des Einsatzes des Mittels einschließlich dessen Intensität und Dauer.
3. Maßgeblich ist die konkrete Kampflage. Der Rahmen erforderlicher Verteidigung wird durch die gesamten Umstände bestimmt, unter welchen Angriff und Abwehr sich abspielten, insbesondere durch die Stärke und die Gefährlichkeit des Angreifers und durch die Verteidigungsmöglichkeiten des Angegriffenen.
Bayerisches Oberstes Landesgericht
203 StRR 73/24
In dem Strafverfahren
gegen pp.
wegen gefährlicher Körperverletzung
erlässt das Bayerische Oberste Landesgericht - 3. Strafsenat - durch die unterzeichnenden Richter am 12. März 2024 folgenden
Beschluss
I. Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Nürnberg-Fürth vom 19. Oktober 2023 wird als unbegründet verworfen.
II. Der Angeklagte hat die Kosten des Rechtsmittels zu tragen.
Gründe:
Die Nachprüfung des Urteils aufgrund der Revision hat auch unter Berücksichtigung des Vortrags des Angeklagten keinen Rechtsfehler zu seinem Nachteil ergeben (§ 349 Abs. 2 StPO). Die Urteilsfeststellungen beruhen auf einer rechtsfehlerfreien Beweiswürdigung und tragen den Schuldspruch. Auch der Strafausspruch ist nicht zu beanstanden.
1. Entgegen der Beurteilung der Revision erweist sich die Beweiswürdigung der Strafkammer nicht als widersprüchlich. Nach der Aussage des Geschädigten hatte ihn der Zeuge T. vor dem Vorfall gegen eine Wand gedrückt. Danach könne er sich an nichts mehr erinnern, weder an andere Personen noch an denjenigen, der den Schlag gegen ihn geführt hätte. Die Aussage des Opfers, das sich an den unmittelbaren Tathergang nicht erinnert, schließt somit die Version des Angeklagten, der von einem hin und her im Vorfeld seines Einschreitens berichtet hat, nicht aus.
2. Die Tat war, auch wenn der Angeklagte von einem rechtswidrigen Angriff des Opfers auf den Zeugen T. ausgegangen sein sollte und diesem helfen wollte, nicht durch Nothilfe gerechtfertigt.
a) Eine in einer objektiven Notwehrlage verübte Tat ist nach § 32 Abs. 2 StGB gerechtfertigt, wenn sie zu einer sofortigen und endgültigen Abwehr des Angriffs führt und es sich bei ihr um das mildeste Abwehrmittel handelt, das dem Angegriffenen in der konkreten Situation zur Verfügung steht (st. Rspr.; vgl. BGH, Urteile vom 21. März 1996 – 5 StR 432/95-, BGHSt 42, 97, 100 und vom 19. Dezember 2013 – 4 StR 347/13-, juris Rn. 21; Rönnau/Hohn in: Leipziger Kommentar zum StGB, 13. Auflage, § 32 StGB Rn. 175; Erb in MüKo-StGB, 4. Aufl., § 32 Rn. 158; Perron/Eisele in Schönke/Schröder, StGB, 30. Aufl., § 32 Rn. 34). Das Erfordernis des relativ mildesten Mittels bedeutet, dass der Verteidiger unter mehreren ihm zur Verfügung stehenden gleich effektiven Mitteln dasjenige wählen muss, das den Angreifer am wenigsten schädigt (st. Rspr. vgl. BGHSt 42, 97, 100; Engländer in: Hilgendorf/Kudlich/Valerius, Handbuch des Strafrechts Band 2, 1. Aufl. 2020, II. § 38 Notwehr C II Rn. 35, 37; Erb a.a.O. § 32 Rn. 158). Die Pflicht, den Angreifer so weit zu schonen, wie dies im Rahmen einer effektiven Verteidigung möglich ist, ist nicht nur bei der Wahl des Mittels als solchem zu beachten, sondern auch bei der konkreten Ausgestaltung des Einsatzes des Mittels einschließlich dessen Intensität und Dauer (Erb a.a.O. Rn. 158; Rönnau/Hohn a.a.O. Rn. 178).
b) Ob dies der Fall ist, muss auf der Grundlage einer objektiven Betrachtung ex ante der tatsächlichen Verhältnisse im Zeitpunkt der Verteidigungshandlung beurteilt werden (st. Rspr., vgl. BGH, Beschluss vom 22. Juni 2016 – 5 StR 138/16 –, juris Rn. 8 m.w.N.). Maßgeblich ist die konkrete Kampflage (Engländer a.a.O. § 38 Notwehr C II Rn. 38; Erb a.a.O. Rn. 164). Der Rahmen erforderlicher Verteidigung wird durch die gesamten Umstände bestimmt, unter welchen Angriff und Abwehr sich abspielten, insbesondere durch die Stärke und die Gefährlichkeit des Angreifers und durch die Verteidigungsmöglichkeiten des Angegriffenen (BGH, Urteil vom 25. November 1980 – 1 StR 563/80 –, juris; BGH, Urteil vom 11. September 1995 – 4 StR 294/95 –, juris).
c) Nothilfe ist nichts anderes als Notwehr zu Gunsten eines Dritten. Was für die Voraussetzungen und Wirkungen der Angriffsabwehr durch den Rechtsgutträger selbst gilt, trifft auch für die Nothilfe zu (BGH, Urteil vom 15. Mai 1979 – 1 StR 749/78 –, juris). Besteht eine zur Nothilfe berechtigende Sachlage, so ist die Nothilfehandlung eines Dritten gerechtfertigt, soweit sie nach den oben dargestellten Vorgaben erforderlich ist.
d) Nach den Feststellungen der Strafkammer setzte der Angeklagte den heftigen unangekündigten Faustschlag, der beim Geschädigten eine Jochbeinfraktur, eine Orbitabodenfraktur und eine Kieferhöhlenwandfraktur zur Folge hatte, unter dem Eindruck ein, dass der Geschädigte auf den Zeugen T. im Verlaufe einer Diskussion innerhalb einer größeren Gruppe losginge. Danach standen dem Angeklagten zum Zeitpunkt seines wuchtigen Schlages gegen den Kopf des Opfers in der konkreten Situation schonendere Mittel zur Verfügung, um den drohenden Angriff des nach den Feststellungen alleine agierenden Geschädigten abzuwehren, etwa die Androhung eines Einschreitens zur Unterstützung des Zeugen T., ein Dazwischentreten oder auch ein weniger heftig geführter Schlag.
e) Nach den Feststellungen der Strafkammer liegen die Voraussetzungen eines Erlaubnistatbestandsirrtums mangels einer Fehlvorstellung des Täters nicht vor. Eine Aufklärungsrüge hat der Angeklagte insoweit nicht erhoben.
3. Mit seinem Vortrag gegen die Verurteilung nach § 224 Abs. 1 Nr. 5 StGB unter dem Aspekt der Alkoholisierung zeigt der Angeklagte ebenfalls keinen durchgreifenden Rechtsfehler auf.
a) Heftige Schläge gegen den Kopf des Opfers können eine das Leben gefährdende Behandlung sein, wenn sie nach der Art der Ausführung der Verletzungshandlungen im Einzelfall zu lebensgefährlichen Verletzungen führen können (st. Rspr., vgl. etwa BGH, Urteil vom 25. Januar 2024 – 3 StR 157/23 –, juris Rn. 17 m.w.N.). Insbesondere ein wuchtiger Fausthieb gegen die Schläfenregion stellt sich in der Regel als eine objektiv lebensgefährdende Behandlung dar (vgl. BGH a.a.O. Rn. 15 ff.).
b). Für den Körperverletzungsvorsatz im Sinne von § 224 Abs. 1 Nr. 5 StGB ist es neben einem bedingten Verletzungsvorsatz erforderlich, dass der Täter die Umstände erkennt, aus denen sich die allgemeine Gefährlichkeit des Tuns in der konkreten Situation für das Leben des Opfers ergibt. Der Täter muss sie nicht als solche bewerten, seiner Vorstellung nach muss sein Handeln aber auf Lebensgefährdung angelegt sein (vgl. BGH, Beschluss vom 24. März 2020 – 4 StR 646/19-, juris; BGH, Beschluss vom 15. Februar 2023 – 4 StR 300/22 –, juris Rn. 10; Grünewald in: Leipziger Kommentar zum StGB, 13. Auflage, § 224 StGB Rn. 39).
c). Dass diese Voraussetzungen ungeachtet der Alkoholisierung des an erhebliche Mengen von Alkohol gewöhnten Angeklagten vorliegen, lässt sich dem Gesamtzusammenhang des Urteils entnehmen. Nach den Feststellungen des Landgerichts hatte der Angeklagte bereits im Jahr 2015 einem Geschädigten mit einem schwungvoll geführten Faustschlag den Kiefer gebrochen. Der Senat hat daher keine Zweifel, dass der Angeklagte auch im enthemmten Zustand um die Wucht seiner Schläge und seine Technik, mittels Körperkraft Frakturen im Gesichtsbereich herbeizuführen, wusste. Dass der Schlag gezielt gegen die linke Gesichtshälfte im Bereich des Jochbeins ansetzte und so heftig erfolgte, dass er zu gleich mehreren Frakturen führte, hat die Strafkammer ebenfalls festgestellt.
4. Im übrigen nimmt der Senat Bezug auf die zutreffenden Ausführungen der Generalstaatsanwaltschaft.
5. Die Kostenentscheidung beruht auf § 473 Abs. 1 Satz 1 StPO.-
Einsender: 3. Strafsenat des BayObLG
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