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Entscheidungen

Gebühren/Kosten/Auslagen

"Vernehmungsterminsgebühr", einstweilige Unterbringung, Begriff, analoge Anwendung

Gericht / Entscheidungsdatum: LG Potsdam, Beschl. v. 12.08.2024 - 25 KLs 5/23

Leitsatz des Gerichts:

Der Ausnahme-Gebührentatbestand der „einstweiligen Unterbringung“ im Sinne von Nr. 4102 Satz 1 Nr. 3 VV RVG erfasst lediglich eine freiheitsentziehende Maßnahme gemäß § 126a StPO, nicht jedoch die Unterbringung zur Begutachtung gemäß § 81 StPO.


Landgericht Potsdam

Beschluss

In dem Strafverfahren
gegen pp.

wegen schweren Raubes u.a.

hat das Landgericht Potsdam - 5. Strafkammer - durch den Vorsitzenden Richter am Landgericht, die Richterin am Landgericht die Richterin am 12. August 2024 beschlossen:

1. Die Zuständigkeit zur Entscheidung über die Kostenerinnerung des Verteidigers gegen die mit Beschluss vom 25. Juni 2024 erfolgte Gebührenabsetzung wird vom Einzelrichter auf die Kammer übertragen.
2. Die Kostenerinnerung des Verteidigers gegen die mit Beschluss vom 25. Juni 2024 erfolgte Absetzung der Gebühr für den Anhörungstermin am 29. August 2023 wird von der Kammer zurückgewiesen.
3. Die Beschwerde gegen diese Entscheidung wird zugelassen.
4. Die Entscheidung ergeht gebührenfrei. Kosten werden nicht erstattet.

Gründe:

I.
Zugleich mit der Eröffnung des Verfahrens hat die Kammer am 30. März 2023 die psychologische Begutachtung des - mittlerweile rechtskräftig verurteilten - Angeklagten angeordnet. Da der Angeklagte mehrfach nicht zu Explorationsterminen beim Sachverständigen erschienen ist, hat die Kammer seine vorübergehende Unterbringung zur Vorbereitung des Gutachtens gemäß § 81 StPO erwogen und ihn hierzu mündlich angehört. Zu dem Anhörungstermin am 29. August 2023 hat die Kammer auch den Pflichtverteidiger geladen. Die vorübergehende Unterbringung des Angeklagten ist nicht erfolgt, da der Angeklagte in dem Anhörungstermin mit dem ebenfalls anwesenden Sachverständigen Explorationstermine vereinbart hat, die er auch einhielt.

In seinem Kostenerstattungsantrag vom 19. Februar 2024 hat der Pflichtverteidiger die Wahrnehmung des Anhörungstermins gemäß Nr. 4102 Nr. 3 VV RVG mit 150,00 Euro berechnet. Mit dem angefochtenen Festsetzungsbeschluss hat die Rechtspflegerin diese Gebühren abgesetzt und darauf verwiesen, dass die Wahrnehmung des Anhörungstermins durch die allgemeine Verfahrensgebühr gemäß Nr. 4112 VV RVG abgegolten sei.

Zu der hiergegen gerichteten Erinnerung des Verteidigers hat die Bezirksrevisorin bei dem Landgericht Potsdam ablehnend Stellung genommen. Mit Schriftsatz vom 31. Juli 2024 hat der Verteidiger das von ihm eingelegte Rechtsmittel aufrechterhalten und vertiefend begründet. Mit Beschluss vom 2. August 2024 hat die Rechtspflegerin der Erinnerung nicht abgeholfen und diese der Kammer zur Entscheidung vorgelegt.

II.

1. Die Erinnerung ist zulässig erhoben, § 56 Abs. 2 Satz 1 in Verbindung mit § 33 Abs. 4 RVG. Zur Entscheidung über das Rechtsmittel ist der Einzelrichter berufen, § 56 Abs. 2 Satz 1 in Verbindung mit § 33 Abs. 8 RVG. Dieser hat mit Nr. 1 des Entscheidungsausspruchs die Entscheidung auf die Kammer übertragen, da die Sache grundsätzliche Bedeutung hat. Über die Frage, ob der Ausnahme-Gebührentatbestand der „einstweiligen Unterbringung“ im Sinne von Nr. 4102 Satz 1 Nr. 3 VV RVG lediglich eine freiheitsentziehende Maßnahme gemäß § 126a StPO oder auch die Unterbringung zur Begutachtung gemäß § 81 StPO umfasst, ist bislang nicht entschieden worden.

2. In der Sache hat die Erinnerung keinen Erfolg. Dem Verteidiger steht für die Wahrnehmung des Anhörungstermins vom 29. August 2023 keine Gebühr gemäß Nr. 4102 Satz 1 Nr. 3 VV RVG zu.

a) Nach dieser Vorschrift kann der Verteidiger die Vergütung seiner Teilnahme an einem Termin außerhalb der Hauptverhandlung verlangen, in dem „über die Anordnung oder Fortdauer der Untersuchungshaft oder der einstweiligen Unterbringung" verhandelt wird. Nach dem Wortlaut der Regelung ist mit der "einstweiligen Unterbringung" nur die - grundsätzlich bis auf Weiteres - angeordnete Freiheitsentziehung gemäß § 126a StPO gemeint und nicht die - auf die Dauer der Untersuchung, längstens jedoch auf sechs Wochen befristete - vorläufige Unterbringung zur Begutachtung gemäß § 81 StPO. Dies ergibt sich bereits aus dem Wortlaut der Regelung, die ausdrücklich die "einstweilige Unterbringung“, und damit die amtliche Überschrift von § 126a StPO, in Bezug nimmt. Hinzu kommt, dass die Vergütungsvorschrift die „einstweilige Unterbringung“ neben dem Haftbefehl aufführt, was ebenfalls - nur - auf § 126a StPO hinweist, da die einstweilige Unterbringung gemäß § 126a StPO das Pendant zum Haftbefehl darstellt, wie die vielfältigen Verweise in § 126a Abs. 2 StPO auf das Haftbefehlsrecht belegen. Abgesehen hiervon erfordert die Unterbringung zur Begutachtung gemäß § 81 StPO nicht zwingend eine Anhörung oder gar die Verkündung einer Entscheidung. Vor diesem Hintergrund wird in der Literatur – ganz selbstverständlich – davon ausgegangen, dass die Vergütungsregel in Nr. 4102 Satz 1 Nr. 3 VV RVG nur die Verkündungs- und Vorführungstermine gemäß § 126a Abs. 2 in Verbindung mit §§ 115, 118 StPO erfassen, nicht jedoch Anhörungstermine im Vorfeld einer Entscheidung gemäß § 81 StPO oder ähnliche Anhörungen (vgl. etwa Felix in: Toussaint, Kostenrecht, 54. Aufl., RVG VV 4102, Rn. 11; Burhoff, RVG Straf- und Bußgeldsachen, 6. Aufl., Nr. 4102 VV, Rn. 25; Knaudt in: BeckOK RVG, 64. Ed., VV 4102, Rn. 8). Soweit dies ersichtlich ist, ist diese Frage in der Rechtsprechung und der Literatur jedoch nicht - jedenfalls nicht tragend - entschieden worden, sodass der hier zu treffenden Entscheidung eine gewisse grundsätzliche Bedeutung beikommt. Im Falle seiner Anwendbarkeit lägen nämlich die kostenrechtlichen Voraussetzungen der Nr. 4102 Satz 1 Nr. 3 VV RVG vor, da der Verteidiger in dem Anhörungstermin verhandelt hat, indem er Erklärungen und Stellungnahmen abgegeben hat, auch wenn dies aus dem Terminsprotokoll nicht ersichtlich ist, da sich dieses auf die Erklärungen des Angeklagten konzentriert. So hat der Verteidiger die Frage der Verhältnismäßigkeit einer Unterbringung zur Gutachtenvorbereitung aufgeworfen und im Übrigen den Sinn der Maßnahme bezweifelt, da eine gegen ihren Willen zwangsweise untergebrachte Person sich kaum für ein zielführendes Explorationsgespräch öffnen dürfte; hierbei hat der Verteidiger die besonderen Persönlichkeitsvariablen des Angeklagten dargelegt, der Probleme im Umgang mit fremdbestimmten Situationen habe.

b) Eine entsprechende Anwendung der Nr. 4102 VV RVG auf weitere, dort nicht bezeichneten Tätigkeiten des Rechtsanwalts außerhalb der Hauptverhandlung kommt nicht in Betracht. Bei der genannten Regelung handelt es sich nämlich um eine Ausnahmeregelung, die eng auszulegen und eine Analogie nicht zugänglich ist. Der Gesetzgeber hat dem Verteidiger enumerativ nur in den dort genannten Fallgestaltungen einen Vergütungsanspruch für Termine außerhalb der Hauptverhandlung zugesprochen. Dies ist die allgemeine Meinung in der Literatur (vgl. Kapischke in: Ahlmann/Kapischke/Pankaz/Rech/Schneider/Schütz, RVG, 11. Aufl., VV 4102, Rn. 22; Burhoff, a.a.O., VV 4102 Rn.47 f.; ders. in: Gerold/Schmidt, RVG, 26. Aufl., VV 4102, Rn. 5; Felix in Toussaint, a.a.O., VV RVG Nr. 4102, Rn. 3; Knaudt, a.a.O., VV 4102, Rn. 11), während in der Rechtsprechung bisweilen trotzdem Analogien gezogen worden sind (etwa LG Hamburg, Beschluss vom 19.10.2020, 601 Qs 28/20; vgl. auch die Nachweise bei Knaudt, a.a.O., VV 4102, Rn. 11.1). Diese ausnahmsweise vorgenommenen Analogien sind jedoch systemwidrig, da Nr. 4102 VV RVG selber eine Ausnahmeregelung ist, die abschließend auflistet, für welche Termine außerhalb der Hauptverhandlung der Rechtsanwalt eine Gebühr beanspruchen kann. Abgesehen hiervon fehlt es an einer (zudem: systemwidrigen) Regelungslücke, die durch eine Analogie zu schließen wäre, da sich aus der Vorbemerkung 4.1 Abs. 2 zum vierten Teil VV RVG ergibt, dass durch die im VV geregelten Gebühren die gesamte Tätigkeit des Verteidigers entgolten wird, soweit keine ausdrückliche abweichenden Regelungen erfolgen (vgl. OLG Saarbrücken, Beschluss vom 8.8.2011, 1 Ws 89/11; KG, Beschluss vom 18.11.2011,1 Ws 86/11; OLG Köln, Beschluss vom 23.7.2014, III-2I Ws 416/14 und OLG Brandenburg, Beschluss vom 12.1.2023, 2 WS 156/22 (S); jeweils zitiert nach Juris). Die Tätigkeit des Verteidigers im dem Anhörungstermin vom 29. August 2023 ist durch seine allgemeine Verfahrensgebühr gemäß Nr. 4112 VV RVG abgegolten.

3. Wegen der grundsätzlichen Bedeutung der oben unter 2. a) genannten Frage wird gemäß § 56 Abs. 2 Satz 1 in Verbindung mit § 33 Abs. 3 Satz 2 RVG die Beschwerde zugelassen.

4. Die Kosten- und Auslagenentscheidung beruht auf § 56 Abs. 2 Satz 2 und 3 RVG.


Einsender: VorsRi A. Gerlach, Potsdam

Anmerkung:


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