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Entscheidungen

KCanG u.a.

KCanG, Neufestsetzung von Strafen, Strafaussetzung zur Bewährung

Gericht / Entscheidungsdatum: OLG Saarbrücken, Beschl. v. 08.08.2024 - 1 Ws 101/24

Leitsatz des Gerichts:

Eine nach Art. 316p i.V.m. Art. 313 Abs. 4 Satz 1 EGStGB veranlasste Neufestsetzung der Strafe erfordert bei Festsetzung einer aussetzungsfähigen Strafe auch eine neue Entscheidung über eine Strafaussetzung zur Bewährung.




In pp.

Auf die Beschwerde der Staatsanwaltschaft wird die Sache zur Entscheidung über die Aussetzung der Vollstreckung der mit Beschluss des Landgerichts Saarbrücken vom 10. Mai 2024 (Az.: S III StVK 430/24) festgesetzten Strafe zur Bewährung sowie über die Kosten des Beschwerdeverfahrens an das Amtsgericht Saarbrücken verwiesen.

Gründe

I.

Das Amtsgericht Saarbrücken erkannte mit Urteil vom 11. Februar 2020 (Az.: 130 Ds 589/19) gegen den Verurteilten wegen „Veräußerung von Betäubungsmitteln in Tatmehrheit mit Besitz von Betäubungsmitteln“ (0,3 Gramm Tabak-Marihuana-Gemisch) auf eine aus Einzelstrafen von zwei Monaten und zwei Wochen sowie einem Monat zurückgeführte Gesamtfreiheitsstrafe von drei Monaten, deren Vollstreckung gemeinsam mit der Vollstreckung weiterer Strafen durch Beschluss des Landgerichts Saarbrücken vom 12. Oktober 2021 (Az.: S II StVK 1019-1021/21) nach Verbüßung von Zweidritteln mit Wirkung vom 8. November 2021 für die Dauer von drei Jahren zur Bewährung ausgesetzt wurde.

Nachdem gemäß dem durch das am 1. April 2024 in Kraft getretene Gesetz zum kontrollierten Umgang mit Cannabis und zur Änderung weiterer Vorschriften (Cannabisgesetz – CanG) vom 27. März 2024 (BGBl. I Nr. 109) eingeführten Art. 316p EGStGB i.V.m. Art. 313 Abs. 1 Satz 1 EGStGB hinsichtlich der Strafe für den abgeurteilten Besitz von Betäubungsmitteln Erlass eingetreten war, beantragte die Staatsanwaltschaft am 16. April 2024, eine neue Strafe in Höhe der verbliebenen Einzelstrafe von zwei Monaten und zwei Wochen festzusetzen, diese zur Bewährung auszusetzen und die mit Beschluss des Landgerichts vom 12. Oktober 2021 (Az.: S II StVK 1019-1021/21) getroffenen Bewährungsauflagen und Weisungen aufrechtzuerhalten.

Die Strafvollstreckungskammer III des Landgerichts Saarbrücken hat hierauf mit Beschluss vom 10. Mai 2024 unter Auflösung der im Urteil des Amtsgerichts Saarbrücken vom 11. Februar 2020 (Az.: 130 Ds 589/19) verhängten Gesamtfreiheitsstrafe festgestellt, dass es bei der dort wegen der „Veräußerung von Betäubungsmitteln“ verhängten (Einzel-)Freiheitsstrafe von zwei Monaten und zwei Wochen verbleibt. Eine Entscheidung zur Strafaussetzung hat sie nicht getroffen.

Gegen diese der Staatsanwaltschaft am 14. Mai 2024 zugestellte Entscheidung hat diese am 22. Mai 2024 sofortige Beschwerde eingelegt, mit der sie um Nachholung der vom Landgericht unterlassenen Entscheidung über die Aussetzung der Vollstreckung der für die verbliebene Verurteilung wegen „Veräußerung von Betäubungsmitteln“ aufrechterhaltenen Strafe ersucht.

II.

Die Sache war auf das gemäß § 300 StPO als Beschwerde auszulegende Rechtsmittel der Staatsanwaltschaft an das Amtsgericht Saarbrücken zur Nachholung der bislang unterbliebenen Entscheidung über die Aussetzung der Vollstreckung der mit Beschluss des Landgerichts Saarbrücken vom 10. Mai 2024 gemäß Art. 316p i.V.m. Art. 313 Abs. 4 Satz 1 EGStGB festgesetzten Strafe zu verweisen.

1. Das Rechtsmittel der Staatsanwaltschaft beschränkt sich auf das Begehren, einen von ihr beantragten, bislang aber unterbliebenen Ausspruch über die Aussetzung der Vollstreckung der mit Beschluss des Landgerichts vom 10. Mai 2024 unter Auflösung der im Urteil des Amtsgerichts Saarbrücken vom 11. Februar 2020 (Az.: 130 Ds 589/19) verhängten Gesamtfreiheitsstrafe festgesetzten Strafe von zwei Monaten und zwei Wochen zur Bewährung nachzuholen, und ist mit diesem Rechtsschutzziel als (einfache) Beschwerde gemäß § 304 Abs. 1 StPO zulässig.

a) Die Staatsanwaltschaft wendet sich nicht gegen die mit Beschluss des Landgerichts vom 10. Mai 2024 unter Auflösung der im Urteil des Amtsgerichts Saarbrücken vom 11. Februar 2020 (Az.: 130 Ds 589/19) erkannten Gesamtfreiheitsstrafe getroffene Feststellung, „dass es bei der im Urteil hinsichtlich der Tat Ziff. 1 verhängten Freiheitsstrafe in Höhe von zwei Monaten und zwei Wochen verbleibt“. Sie beanstandet ausschließlich, dass das Landgericht keine Entscheidung über die Aussetzung der Vollstreckung dieser Strafe zur Bewährung getroffen hat. Das Fehlen einer von Rechts wegen veranlassten Sachentscheidung ist mit dem Rechtsmittel der (einfachen) Beschwerde geltend zu machen (vgl. Thüringer Oberlandesgericht, Beschluss vom 17. Juni 2024 – 1 Ws 190/24 –, juris Rn. 2; OLG Düsseldorf, Beschluss vom 3. Juli 1992 – 1 Ws 582-583/92 –; Meyer-Goßner/Schmitt, 67. Aufl., § 462 Rn. 5; KK-StPO/Zabeck, 9. Aufl., § 304 Rn. 3).

b) Die Teilanfechtung ausschließlich der unterbliebenen Entscheidung über die Aussetzung der Vollstreckung der im Beschluss des Landgerichts vom 10. Mai 2024 festgesetzten Strafe ist auch wirksam, weil die Frage der Strafaussetzung im Einzelfall eigenständig und unabhängig von der Straffestsetzung als Zumessungsakt i.e.S. geprüft und entschieden werden kann. Zwar kann die Frage der Strafaussetzung zur Bewährung mit der gesamten Straffrage in einer inneren Abhängigkeit stehen, die die isolierte Anfechtung ausschließt (vgl. BGHSt 24, 164, BGH, NJW 1983, 1624; NStZ 1982, 285, 286; Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 67. Aufl., § 318 Rn. 20a m.w.N.). Ein solcher Zusammenhang ist vorliegend aber ausgeschlossen, nachdem die gemäß Art. 313 Abs. 4 Satz 1 i.V.m. Art. 316p EGStGB neu festzusetzende Strafe zwingend in Höhe der einzig verbliebenen, im Urteil des Amtsgerichts Saarbrücken vom 11. Februar 2020 (Az.: 130 Ds 589/19) für die dortige Tat zu Ziff. 1 („Veräußerung von Betäubungsmitteln“) verhängte (Einzel-)Strafe von zwei Monaten und zwei Wochen zu bemessen war. Denn Art. 313 Abs. 4 Satz 1 EGStGB erlaubt ausschließlich eine beschränkte Durchbrechung der Rechtskraft bezogen auf eine von einem Straferlass nach Art. 313 Abs. 1 Satz 1 EGStGB betroffene Gesamtstrafe, nicht aber eine Neubemessung auch der in die Gesamtstrafe eingeflossenen Einzelstrafen, die vom Straferlass unberührt sind.

2. In der Sache führt die Beschwerde zur Verweisung an das für die begehrte Entscheidung zuständige Amtsgericht Saarbrücken. Es fehlt bislang an einer Entscheidung über die Aussetzung der Vollstreckung der mit Beschluss des Landgerichts vom 10. Mai 2024 aufrechterhaltenen Strafe von zwei Monaten und zwei Wochen zur Bewährung. Dazu, diese Entscheidung nachzuholen, ist indes nicht der Senat berufen, sondern das Amtsgericht Saarbrücken.

a) Gemäß dem durch Art. 13 des Gesetzes zum kontrollierten Umgang mit Cannabis und zur Änderung weiterer Vorschriften (Cannabisgesetz – CanG) vom 27. März 2024 (BGBl. I Nr. 109) mit Wirkung vom 1. April 2024 eingeführten Art. 316p EGStGB ist in Verbindung mit Art. 313 Abs. 1 Satz 1 EGStGB im Hinblick auf vor dem 1. April 2024 rechtskräftig verhängte Strafen nach dem Betäubungsmittelgesetz, die nach dem Konsumcannabisgesetz (KCanG) oder dem Medizinal-Cannabisgesetz (MedCanG) nicht mehr strafbar und auch nicht mit Geldbuße bedroht sind, kraft Gesetzes Straferlass eingetreten, soweit sie noch nicht vollstreckt sind. Ist eine solche erlassene Strafe in einer Gesamtstrafe aufgegangen, ist diese gemäß Art. 313 Abs. 4 Satz 1 EGStGB unter Außerachtlassung der erlassenen Einzelstrafe neu festzusetzen.
Randnummer11

In Anwendung dessen hat die Strafvollstreckungskammer des Landgerichts festgestellt, dass es bei der im Urteil des Amtsgerichts Saarbrücken vom 11. Februar 2020 (Az.: 130 Ds 589/19) für die dortige Tat Ziff. 1 („Veräußerung von Betäubungsmitteln“) verhängten Freiheitsstrafe in Höhe von zwei Monaten und zwei Wochen verbleibt, nachdem hinsichtlich der weiteren im Urteil vom 11. Februar 2020 (Az.: 130 Ds 589/19) wegen des seit dem 1. April 2024 nach § 3 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 CanKG erlaubten Besitzes von Cannabis verhängten Einzelstrafe gemäß Art. 313 Abs. 1 Satz 1 EGStGB Straferlass eingetreten ist. Diese Entscheidung ist, da dem Beschwerdevorbringen der Staatsanwaltschaft ein dahingehendes Anfechtungsbegehren nicht entnommen werden kann (siehe bereits unter 1.) und die Frist zur Einlegung des insoweit gemäß § 313 Abs. 5 EGStGB i.V.m. § 462 Abs. 3 Satz 1 StPO statthaften Rechtsmittels der sofortigen Beschwerde (§ 311 Abs. 2 StPO) abgelaufen ist, in Rechtskraft erwachsen. Ihr Bestand bleibt daher auch davon unberührt, dass die Strafvollstreckungskammer des Landgerichts für die Entscheidung über die erforderliche Neufestsetzung der Strafe nach Art. 316p i.V.m. Art. 313 Abs. 3 Satz 2 EGStGB nicht zuständig war (vgl. OLG Stuttgart, Beschluss vom 6. Juni 2024 – 4 Ws 167/24 –, juris Rn. 10 ff.; OLG Köln, Beschluss vom 18. Juni 2024 – 2 Ws 319/24 –, juris Rn. 9 ff.; Thüringer Oberlandesgericht, Beschluss vom 25. Juni 2024 – 1 Ws 204/24 –, juris Rn. 6 ff.; OLG Nürnberg, Beschluss vom 26. Juni 2024 – Ws 420/24 –, juris Rn. 11 ff.; Senatsbeschlüsse vom 2. Juli 2024 – 1 Ws 96/24 – und 1 Ws 98/24, 1 Ws 99/24 – sowie vom 11. Juli 2024 – 1 Ws 121/24 –).

b) Mit einer nach Art. 316p i.V.m. Art. 313 Abs. 4 Satz 1 EGStGB veranlassten Strafneufestsetzung ist grundsätzlich zugleich über die Aussetzung der Vollstreckung der neu festgesetzten Strafe zu entscheiden, wenn diese ihrer Höhe nach im gemäß § 56 StGB aussetzungsfähigen Bereich von bis zu zwei Jahren liegt.

Zwar ordnet der durch Art. 316p EGStGB für anwendbar erklärte Art. 313 Abs. 4 Satz 1 EGStGB seinem Wortlaut nach lediglich an, dass dann, wenn eine Gesamtstrafe nach Art. 313 Abs. 1 Satz 1 EGStGB erlassene Einzelstrafen und andere Einzelstrafen enthält, die Strafe neu festzusetzen ist. Der Begriff der (Neu-)Festsetzung ist weder gesetzlich definiert noch historisch eindeutig bestimmt. Auch die Materialien zum Gesetz zum kontrollierten Umgang mit Cannabis und zur Änderung weiterer Vorschriften (Cannabisgesetz – CanG) vom 27. März 2024 (BGBl. I Nr. 109), durch das der Anwendungsbefehl des Art. 316p EGStGB eingeführt worden ist, verhalten sich zum Inhalt und zum Umfang der bei einer Neufestsetzung nach Art. 313 Abs. 4 Satz 1 EGStGB veranlassten gerichtlichen Entscheidung ebenso wenig wie die gesetzgeberischen Motive zur ursprünglichen Einführung des Art. 313 Abs. 4 EGStGB. Dort wird lediglich ausgeführt, dass die Regelung über noch nicht vollstreckte Strafen Art. 97 des Ersten Gesetzes zur Reform des Strafrechts (1. StrRG) vom 25. Juni 1969 (BGBl. I 645) sowie Art. 6 des Entwurfs eines Vierten Gesetzes zur Reform des Strafrechts (BT-Drucks. VI/3521) entspreche (vgl. BT-Drucks. 7/550, 464). Dort wiederum wird auf das Gesetz über Straffreiheit vom 9. Juli 1968 (BGBl. I 773, 774) Bezug genommen (vgl. insbesondere BT-Drucks. VI/1552, 38), dessen Motive sich zum Umfang der nach § 6 dieses Gesetzes bei Zusammentreffen von erlassenen und nicht erlassenen Einzelstrafen vorgeschriebenen Neufestsetzung der aus diesen Strafen ursprünglich gebildeten Gesamtstrafe ebenfalls ausschweigen (ebenso bereits BT-Drucks. II/215, 17 ff. noch zu § 12 Straffreiheitsgesetz 1954-E).

Nach ihrem Sinn und Zweck weist die Regelung dem zuständigen Gericht mit der Neufestsetzung einer Strafe nach Artikel 313 Absatz 4 Satz 1 EGStGB aber – von den Grenzen des Wortlauts gedeckt – den gesamten Akt der Strafzumessung im Sinne der §§ 46 ff. StGB zu (so auch Thüringer Oberlandesgericht, Beschluss vom 17. Juni 2024 – 1 Ws 190/24 –, juris Rn. 14; LG Aachen, Beschluss vom 29. April 2024 – 69 KLs 17/19 –, juris Rn. 47). Die gesetzlich angeordnete Neufestsetzung verfolgt den Zweck, die einem Verurteilten gemäß Art. 313 Abs. 1 Satz 1 EGStGB gewährte Amnestie umzusetzen. Die damit verbundene Begünstigung liefe in maßgeblichen Bereichen leer, wenn eine Entscheidung über die Aussetzung der Vollstreckung der neu festgesetzten Strafe unzulässig wäre. So bestünde etwa auch für diejenigen Verurteilten keine Möglichkeit, in den Genuss der Strafaussetzung zu gelangen, bei denen die neu festgesetzte Strafe erstmals zwei Jahre nicht übersteigt und damit erstmals im aussetzungsfähigen Bereich liegt oder aber höchstens ein Jahr erreicht, was für eine Aussetzung der Vollstreckung besondere Umstände in Tat und Persönlichkeit des Täters entbehrlich macht (vgl. Thüringer Oberlandesgericht, Beschluss vom 17. Juni 2024 – 1 Ws 190/24 –, juris Rn. 16). Eine Beschränkung der Notwendigkeit zur Entscheidung über die Aussetzung der (neu) festgesetzten Strafe auf diese Fallkonstellationen ist von Rechts wegen ausgeschlossen, weil sie im Gesetz keinen Anklang findet, und in der Sache auch nicht ausreichend. Auch jenseits der von den für die Strafaussetzung maßgeblichen gesetzlichen Grenzen des § 56 StGB geprägten Fallkonstellationen gebietet es der Zweck einer gesetzlichen Amnestie, die Aussetzung der Vollstreckung der neu festgesetzten Strafe eigenständig ohne Bindung an Vorentscheidungen nach der Sachlage zum Zeitpunkt der Beschlussfassung zu prüfen, etwa weil die Amnestie eine Tat betreffen kann, die aufgrund einschlägiger Vorstrafen maßgeblich zur bisherigen Versagung einer positiven Legalprognose beigetragen hat (zur Frage der Verwertbarkeit von im BZR eingetragenen Verurteilungen bei der Strafzumessung, die ab 1. April 2024 nach § 3 Abs. 1, § 34 Abs. 1 Nr. 1 und 12 KCanG straflose und auch nicht nach § 36 Abs. 1 Nr. 1 KCanG bußgeldbewehrte Handlungen betreffen und die weder getilgt noch tilgungsfähig sind, vgl. BayObLG, Beschluss vom 27. Juni 2024 - 204 StRR 205/24 -, juris). Systematisch findet dies Bestätigung in der Anlehnung der Strafneufestsetzung an den Akt der nachträglichen Gesamtstrafenbildung nach § 460 StPO (vgl. dazu bereits Senatsbeschlüsse vom 2. Juli 2024 – 1 Ws 96/24 – und 1 Ws 98 u. 99/24 – sowie vom 11. Juli 2024 – 1 Ws 121/24 – m.w.N.). In beiden Fällen erfolgt zugunsten des Verurteilten eine Durchbrechung der Rechtskraft eines Straferkenntnisses mit der Folge eines vom Gericht neu vorzunehmenden eigenständigen Strafzumessungsaktes. Lediglich der Anlass ist ein anderer. Geht es bei der nachträglichen Gesamtstrafenbildung darum, den Angeklagten zu seinen Gunsten so zu stellen, wie er stünde, wenn er bei gemeinsamer Aburteilung aller Taten in einem Verfahren zu einer Gesamtstrafe nach § 54 verurteilt worden wäre (vgl. BGHSt 7 180, 181; 15, 66, 69; 17, 173, 175; 32, 190, 193; 33, 131, 132; 35, 208, 211; Rissing-van Saan/Scholze in: LK-StGB, 13. Aufl., § 55 Rn. 2 m.w.N.), dient die Strafneufestsetzung nach Art. 313 Abs. 4 EGStGB (hier i.V.m. Art. 316p EGStGB) der Umsetzung gesetzlich angeordneter Amnestie. Für die nachträgliche Gesamtstrafenbildung ist allgemein anerkannt, dass mit ihr eine Strafaussetzung zur Bewährung, die für eine oder mehrere der einbezogenen Strafen gewährt worden war, hinfällig wird und die Aussetzung der Vollstreckung der neu gebildeten Gesamtstrafe eigenständig ohne Bindung an Vorentscheidungen nach der Sachlage zum Zeitpunkt der Beschlussfassung über die nachträglich zu bildende Gesamtstrafe zu prüfen ist (vgl. BGH, StraFo 2004, 430; NJW 2003, 2841; NStZ-RR 2020, 7; Ceffinato in: LK-StGB, 13. Aufl., § 58 Rn. 5; KK-StPO/Appl, 9. Aufl., § 460 Rn. 25; Nestler in: MüKo-StPO, 1. Aufl., § 460 Rn. 39, jew. m.w.N.). Dies findet gesetzliche Bestätigung in § 58 Abs. 2 StGB, der eine Entscheidung über die Aussetzung der nachträglich gebildeten Gesamtstrafe voraussetzt. Soweit dem Verurteilten dadurch die Begünstigung einer ursprünglich gewährten Strafaussetzung oder eine zwischenzeitlich gewährte Strafrestaussetzung verloren gehen kann, liegt darin weder ein Widerruf der Strafaussetzung nach 56f StGB noch ein Widerruf der Aussetzung des Strafrestes nach § 57 Abs. 5 Satz 1 i.V.m. § 56f StGB. Der Wegfall der genannten Vergünstigungen ist vielmehr eine gesetzliche Folge der nachträglichen Gesamtstrafenbildung, die es dem mit der Sache befassten Gericht ermöglicht, ohne Bindung an Vorentscheidungen neu und selbständig über die Strafaussetzung zu befinden (BGHSt 7, 180, 182, 185; 9, 370, 385; 19, 362; 30, 168 Rn. 5; BGH, NJW 1955, 1485 f.; 1956, 1567 f.). Für die Neufestsetzung einer Strafe nach Art. 313 Abs. 4 EGStGB (hier i.V.m. Art. 316p EGStGB) kann nichts anderes gelten. Denn auch sie hat zur Folge, dass eine neue eigenständige Strafe festgesetzt wird. Die zuvor bestehende, unter Einbeziehung einer oder mehrerer nach Art. 313 Abs. 1 Satz 1 EGStGB erlassener Einzelstrafen gebildete Gesamtstrafe wird im Zuge der Neufestsetzung aufgelöst. Sie existiert in der Folge nicht mehr, so dass auf sie bezogene Aussetzungsentscheidungen ebenfalls gegenstandslos werden. Dass hierdurch zum Nachteil des Verurteilten von Neuem beginnende Mindestbewährungszeiten anzuwenden sein können, ist dem Strafgesetzbuch, etwa in § 58 Abs. 2 StGB nicht fremd (vgl. Thüringer Oberlandesgericht, Beschluss vom 17. Juni 2024 – 1 Ws 190/24 –, juris Rn. 15) und als Folge dessen, dass der Gesetzgeber insoweit eine ausgleichende Regelung weder im Allgemeinen noch im Zuge des Gesetzes zum kontrollierten Umgang mit Cannabis und zur Änderung weiterer Vorschriften (Cannabisgesetz – CanG) vom 27. März 2024 (BGBl. I Nr. 109) geschaffen hat, hinzunehmen.

Im Zuge der Neufestsetzung einer Strafe nach Art. 316p i.V.m. Art. 313 Abs. 4 EGStGB ist daher grundsätzlich auch die Aussetzung der Strafvollstreckung eigenständig ohne Bindung an Vorentscheidungen nach der Sachlage zum Zeitpunkt der Beschlussfassung zu prüfen. Dies hat auch zu gelten, wenn wie hier über die Vollstreckung des Rests einer ursprünglich unbedingt verhängten Gesamtfreiheitsstrafe, die aufgrund Erlasses einzelner ihr zugrundeliegender Einzelstrafen gemäß Art. 313 Abs. 1 Satz 1, Abs. 4 Satz 1 EGStGB (hier i.V.m. Art. 316p EGStGB) neu festzusetzen ist, im Vorfeld der Entscheidung über die Neufestsetzung bereits gemäß § 57 Abs. 1 oder 2 StGB entschieden worden ist (vgl. für den Fall der nachträglichen Gesamtstrafenbildung: BGHSt 30, 168 Rn. 5). Eine solche Entscheidung wird, da auch sie sich auf eine nach Neufestsetzung nicht mehr existente Strafe bezieht, gegenstandslos.

c) Die danach gebotene Entscheidung über die Aussetzung der Vollstreckung der mit Beschluss des Landgerichts vom 10. Mai 2024 festgesetzten Strafe ist dem Senat indes nicht möglich, sondern dem für die Neufestsetzung nach Art. 313 Abs. 4 Satz 1 i.V.m. Art. 316p EGStGB zuständigen Amtsgericht Saarbrücken vorbehalten.

Zwar hat das Beschwerdegericht nach § 309 Abs. 2 StPO im Fall einer begründeten Beschwerde grundsätzlich selbst in der Sache zu entscheiden. Im Fall der Unzuständigkeit des Vordergerichts kann eine eigene Sachentscheidung jedoch nur ergehen, wenn das Beschwerdegericht als gemeinsames Beschwerdegericht auch dann zu einer Entscheidung berufen gewesen wäre, wenn der zuständige Spruchkörper entschieden hätte (vgl. Thüringer Oberlandesgericht, Beschluss vom 25. Juni 2024 – 1 Ws 204/24 –, juris Rn. 9; Senatsbeschlüsse vom 2. Juli 2024 – 1 Ws 96/24 – und 1 Ws 98 u. 99/24 – sowie vom 11. Juli 2024 – 1 Ws 121/24 –). Ein solcher Fall liegt hier jedoch nicht vor. Die Strafvollstreckungskammer des Landgerichts war für die Entscheidung über die erforderliche Neufestsetzung der Strafe nach Art. 316p i.V.m. Art. 313 Abs. 3 Satz 2 EGStGB nicht zuständig (vgl. OLG Stuttgart, Beschluss vom 6. Juni 2024 – 4 Ws 167/24 –, juris Rn. 10 ff.; OLG Köln, Beschluss vom 18. Juni 2024 – 2 Ws 319/24 –, juris Rn. 9 ff.; Thüringer Oberlandesgericht, Beschluss vom 25. Juni 2024 – 1 Ws 204/24 –, juris Rn. 6 ff.; OLG Nürnberg, Beschluss vom 26. Juni 2024 – Ws 420/24 –, juris Rn. 11 ff.; Senatsbeschlüsse vom 2. Juli 2024 – 1 Ws 96/24 – und 1 Ws 98/24, 1 Ws 99/24 – sowie vom 11. Juli 2024 – 1 Ws 121/24 –). Es fehlte ihr demnach auch an einer Zuständigkeit für die im Zuge der Neufestsetzung zu treffende und von der Staatsanwaltschaft beantragte Entscheidung über die Aussetzung der Vollstreckung der Strafe zur Bewährung. War als Vordergericht – wie vorliegend – nicht das die begehrte Sachentscheidung unterlassende Landgericht, sondern das Amtsgericht zuständig, ist die Sache durch das Beschwerdegericht an das zuständige Amtsgericht zu verweisen (vgl. OLG Koblenz VRS 67, 120; OLG Düsseldorf, Beschluss vom 29. Juli 1998 – 1 Ws 332/98 –, juris; vgl. auch Matt in: Löwe-Rosenberg, StPO, 26. Aufl., § 309 Rn. 13 und Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 67. Aufl., § 309 Rn. 6). Soweit der Senat in einer früheren Entscheidung (Beschluss vom 21. Januar 2004 – 1 Ws 2/04 –, NStZ-RR 2004, 112) von einer Verweisung abgesehen hat, lag dem der Sonderfall einer prozessualen Überholung des Antrags der Staatsanwaltschaft zu Grunde, über den das unzuständige Gericht entschieden hatte.

Das Amtsgericht wird demnach auf der Grundlage der vom Landgericht rechtskräftig getroffenen Feststellung, dass es unter Auflösung der im Urteil des Amtsgerichts Saarbrücken vom 11. Februar 2020 (Az.: 130 Ds 589/19) erkannten Gesamtfreiheitsstrafe bei der dort hinsichtlich der Tat Ziff. 1 verhängten Freiheitsstrafe in Höhe von zwei Monaten und zwei Wochen verbleibt, über die Frage der Aussetzung dieser Strafe zur Bewährung einschließlich etwaiger Folgeentscheidungen nach § 56a bis § 56d StGB zu befinden haben. Ob dabei in Fällen wie diesem inhaltlich eine Bindungswirkung an den formal gegenstandslosen Beschluss des Landgerichts Saarbrücken vom 12. Oktober 2021 (Az.: S II StVK 1019-1021/21) über die Aussetzung der Vollstreckung des Rests der ursprünglichen Strafe aus dem Urteil des Amtsgerichts Saarbrücken vom 11. Februar 2020 (Az.: 130 Ds 589/19) besteht, weil dem Verurteilten der dadurch gewährte Vorteil nicht allein deshalb genommen werden darf, weil lediglich eine der Einzelstrafen, die der nach Teilverbüßung ausgesetzten Gesamtfreiheitsstrafe zugrunde liegen, erlassen ist (so OLG Hamm GA 1976, 58, 59 für den Fall einer nachträglich gebildeten Gesamtstrafe, in der nur ein Teil früherer Einzelstrafen, aber keine neuen Strafen zusammengefasst werden), wird dabei dahinstehen können, sollte das Amtsgericht ungeachtet einer etwaigen inhaltlichen Bindung im Einzelfall ohnehin zu der Einschätzung gelangen, dass der Verurteilte unter Berücksichtigung der aktuellen Sachlage auch ohne die Einwirkung des (weiteren) Strafvollzugs keine Straftaten mehr begehen wird (§ 56 Abs. 1 Satz 1 StGB).


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