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Entscheidungen

KCanG u.a.

KCanG, Entziehung der Fahrerlaubnis wegen Cannabiskonsums, Auswirkungen des KCanG, anwendbares Recht

Gericht / Entscheidungsdatum: OVG Saarland, Beschl. v. 07.08.2024 – 1 B 80/24

Leitsatz des Gerichts:

Es erscheint nach Inkrafttreten der neuen fahrerlaubnisrechtlichen Regelungen zum Cannabiskonsum nicht (mehr) vertretbar, bei regelmäßigem Konsum allein gestützt auf diesen und auf die bisherige Fassung der Begutachtungsleitlinien für die Kraftfahreignung, also ohne vorherige Begutachtung, auf eine durch Cannabismissbrauch bedingte Fahrungeeignetheit zu schließen.


In pp.

Die Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts des Saarlandes vom 30. April 2024 - 5 L 403/24 - wird zurückgewiesen.
Der Antragsteller trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
Der Streitwert wird auch für das Beschwerdeverfahren auf 7.500,- € festgesetzt.

Gründe

I.

Der Antragsteller ist angestellter Fahrlehrer. Am Vormittag des 19.7.2023 (10.45 Uhr) erfolgte während einer praktischen Fahrstunde, die der Antragsteller - wie dies üblich ist - einem Fahrschüler als Beifahrer erteilte, eine Verkehrskontrolle. Ausweislich des Polizeiberichts gleichen Datums war die Kontrolle durch eine anonyme Mitteilung veranlasst und gab der Antragsteller auf entsprechende Nachfrage an, Betäubungsmittel zu konsumieren. Es wurden verschiedene im Bericht aufgeführte Auffälligkeiten und Ausfallerscheinungen festgestellt; der Antragsteller händigte den Beamten eine Blechdose mit Konsumutensilien und ca. 0,7 g Marihuana aus, die er im Handschuhfach des Fahrzeugs deponiert hatte. Eine auf freiwilliger Basis um 11.30 Uhr durchgeführte Blutentnahme wurde im Institut für Rechtsmedizin der Universität des Saarlandes untersucht; dabei ergaben sich folgende Werte: 11 ng/ml Tetrahydrocannabinol (THC) im Blutserum, 5,6 ng/ml Hydroxy-Tetrahydrocannabinol (THC-OH) und ca. 200 ng/ml Tetrahydrocannabinol-Carbonsäure (THC-COOH). Nach der Beurteilung des Instituts für Rechtsmedizin vom 30.11.2023 spricht das THC-Ergebnis dafür, dass der Antragsteller in einem sehr engen zeitlichen Zusammenhang mit der Blutentnahme Cannabis konsumiert hatte, und lag die festgestellte Konzentration von THC-Carbonsäure deutlich in dem Bereich, der üblicherweise bei regelmäßigem bzw. chronischem Konsum vorgefunden wird. Aus forensisch toxikologischer und rechtsmedizinischer Sicht sei von drogenbedingter Fahruntüchtigkeit zum Vorfallzeitpunkt auszugehen.

Mit - nach Aktenlage formlos übersandtem - Schreiben vom 4.1.2024 wurde der Antragsteller zum Entzug seiner Fahrerlaubnis angehört; ausweislich der festgestellten Blutwerte konsumiere er regelmäßig Cannabis und habe sich dadurch gemäß § 11 Abs. 1 FeV i.Vm. Ziff. 9.2.1 der Anlage 4 zur Fahrerlaubnisverordnung als ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen erwiesen. Seine Fahrerlaubnis sei daher zu entziehen. Eine Reaktion hierauf erfolgte nicht.

Unter dem 23.2.2024 teilte die Staatsanwaltschaft Saarbrücken dem Antragsgegner mit, dass das Ermittlungsverfahren wegen Trunkenheit im Verkehr eingestellt worden sei, da der Antragsteller nach Aussage der beiden im Fahrzeug befindlichen Fahrschüler während der Fahrstunde nur mündliche Anweisungen erteilt und nicht aktiv in den Fahrvorgang eingegriffen, mithin das Fahrzeug nicht im Sinn des § 316 Abs. 1 StGB geführt habe.

Mit der verfahrensgegenständlichen Verfügung vom 4.3.2024 hat der Antragsgegner dem Antragsteller die Fahrerlaubnis wegen regelmäßigen Cannabiskonsums unter Anordnung der sofortigen Vollziehung entzogen.

Unter dem 4.4.2024 hat der Antragsteller hiergegen Widerspruch eingelegt und beim Verwaltungsgericht die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes beantragt. Seinerseits finde weder ein regelmäßiger Cannabiskonsum noch ein Cannabismissbrauch statt, er werde ausweislich beigefügter ärztlicher Untersuchungen vom 20.10.2023 den in körperlicher und geistiger Hinsicht bestehenden Leistungsanforderungen, die von jedem Verkehrsteilnehmer und darüber hinaus von Inhabern einer Fahrerlaubnis zur Fahrgastbeförderung erwartet würden, in vollem Umfang gerecht und die Anordnung des Sofortvollzugs stelle sich für ihn angesichts seiner beruflichen Tätigkeit als Fahrlehrer als gravierende Härte dar. Das im Bescheid zitierte Gutachten zum angeblich regelmäßigen Konsum sei ihm nicht zugänglich. Im Rahmen der Entscheidung über seinen Widerspruch gelte die neue Rechtslage, nach der selbst ein nachgewiesener regelmäßiger Konsum von Cannabis die Fahreignung nicht mehr ausschließe.

Der Antragsgegner hat erwidert, die Entziehung der Fahrerlaubnis sei auch unter der Geltung des zum 1.4.2024 in Kraft getretenen neuen Rechts rechtmäßig, denn der Tatbestand des Cannabismissbrauchs der neu gefassten Ziff. 9.2.1 der Anlage 4 sei erfüllt; dies habe - wozu näher ausgeführt wird - nach § 13 a FeV zur Folge, dass die Fahreignung durch eine medizinisch-psychologische Untersuchung zu überprüfen sei, die der Antragsteller aber zum jetzigen Zeitpunkt infolge seines durch das rechtsmedizinische Gutachten erwiesenen regelmäßigen Konsums nicht erfolgreich absolvieren könne; nach Nr. 3.14.1 der Begutachtungsleitlinien zur Kraftfahrereignung (Stand 1. Februar 2000) sei bei regelmäßigem Konsum in der Regel von einer Kraftfahrerungeeignetheit auszugehen. Gründe, die ausnahmsweise für eine hohe Wahrscheinlichkeit, dass der Antragsteller künftig zwischen Konsum und Fahren trennen werde, sprechen könnten, seien nicht ersichtlich, so dass er noch keinen ausreichenden Einstellungswandel nachweisen könne, was die direkte Entziehung der Fahrerlaubnis rechtfertige.

Das Verwaltungsgericht hat den Eilrechtsschutzantrag durch Beschluss vom 30.4.2024 zurückgewiesen. Der Bescheid genüge den formalen Anforderungen und sei bei summarischer Prüfung der Sach- und Rechtslage offensichtlich rechtmäßig, so dass die privaten Interessen des Antragstellers zurücktreten müssten. Der Antragsgegner habe nach alter Rechtslage infolge durch das Ergebnis der Blutuntersuchung belegten regelmäßigen Konsums von der Ungeeignetheit des Antragstellers zum Führen von Kraftfahrzeugen ausgehen dürfen und nach neuem Recht gelte im Ergebnis nichts Anderes. Nach Ziff. 9.2.1 n.F. der Anlage 4 zur Fahrerlaubnisverordnung i.V.m. der Vorbemerkung 3 zur Anlage 4 sei bei Missbrauch von Cannabis, der vorliege, wenn das Führen von Fahrzeugen und ein die Fahrsicherheit beeinträchtigender Cannabiskonsum nicht hinreichend sicher getrennt werden könnten, im Regelfall, so auch hier, davon auszugehen, dass die Eignung zum Führen von Kraftfahrzeugen nicht besteht. Zwar gehe aus der (wörtlich wiedergegebenen) Gesetzesbegründung zu der neu eingeführten Regelung des § 13 a FeV nicht hervor, unter welchen Voraussetzungen der Betroffene das nötige Trennungsvermögen nicht besitzt. Allerdings habe der Gesetzgeber die fahrerlaubnisrechtlichen Regelungen des Cannabiskonsums weitestgehend an die für Alkohol geltenden Vorschriften angleichen wollen; nunmehr bedürfe es bei Cannabismissbrauch ebenso wie bei Alkoholmissbrauch einer Prognose zum künftigen Trennungsverhalten, die in der Regel nach § 13 bzw. § 13 a FeV die Einholung eines medizinisch-psychologischen Gutachtens voraussetze. Vorliegend sei eine solche Begutachtung nicht erforderlich, da für den Antragsgegner und die Kammer feststehe, dass dem Antragsteller die Kraftfahreignung wegen Cannabismissbrauchs fehle. Die Fahrerlaubnis dürfe nach § 11 Abs. 7 FeV ohne vorherige Anordnung einer ärztlichen oder medizinisch-psychologischen Begutachtung entzogen werden. Auszugehen sei von Nr. 3.14.1 der Begutachtungsleitlinien zur Kraftfahreignung (Stand: 1. Februar 2000); hiernach besitze jemand, der regelmäßig (täglich oder gewohnheitsmäßig) Cannabis konsumiere, die Kraftfahreignung nur ganz ausnahmsweise, wenn eine hohe Wahrscheinlichkeit für ein Trennungsvermögen gegeben sei und keine Leistungsmängel vorlägen. Die den noch nicht angepassten Leitlinien zugrundeliegenden wissenschaftlichen Erkenntnisse seien nach Ansicht der Kammer durch die gesetzlichen Änderungen nicht obsolet geworden. Nach der aktuellen Fassung der Ziff. 9.2.1 der Anlage 4 sei die Trennung von Konsum und Fahren bei der Beurteilung der Kraftfahreignung das maßgebliche Kriterium. Weder aus den gesetzlichen Regelungen noch aus der Gesetzesbegründung gehe deutlich hervor, dass „die bisherige Handhabung von regelmäßigen Cannabiskonsumenten“ aufgegeben bzw. nicht als Missbrauch angesehen werden solle, insbesondere wenn es an der Trennung zwischen Konsum und Fahren fehle. Anlässlich der Verkehrskontrolle sei ein THC-Wert im Blutserum des Antragstellers festgestellt worden, der mit 11 ng/ml sowohl den bisher nach ganz überwiegender Meinung die Annahme fehlender Trennung rechtfertigenden Wert von 1 ng/ml als auch den für die Zukunft diskutierten Wert von 3,5 ng/ml bei weitem überschreite und die mangelnde Trennung zur Zeit der Kontrolle belege. Aufgrund des regelmäßigen Konsums könne auch in Zukunft nicht von einer Trennung zwischen Konsum und Führen eines Fahrzeugs ausgegangen werden. Zudem gelte ein Fahrlehrer nach Maßgabe des § 2 Abs. 15 StVG als Führer des Kraftfahrzeugs; es sei mithin davon auszugehen, dass der Antragsteller werktäglich in Ausübung seines Berufs ein Kraftfahrzeug führe. Gründe, die ausnahmsweise für eine hohe Wahrscheinlichkeit eines künftigen Trennens sprächen, seien nicht ersichtlich. Nach den seitens des Antragsgegners zitierten Studien nähmen häufiger Konsumierende deutlich häufiger unter Cannabiseinfluss am Straßenverkehr teil und objektiv messbare Leistungseinschränkungen infolge des Konsums dauerten länger an als die subjektive Wahrnehmung der Betroffenen. Bei Erteilung von Fahrunterricht könnten kritische Situationen, die ein sofortiges Einschreiten des Fahrlehrers notwendig machen, auch bei Fahrschülern mit fortgeschrittenem Ausbildungsstand nicht ausgeschlossen werden, was zeige, dass dem Antragsteller ein sicheres Trennen zwischen Konsum und Fahren nicht möglich sei. Schließlich sei dem Antragsgegner darin zuzustimmen, dass der Antragsteller zum jetzigen Zeitpunkt eine medizinisch-psychologische Untersuchung nicht erfolgreich absolvieren könnte, da jegliche Anhaltspunkte für eine gefestigte Änderung des Konsumverhaltens fehlten. Ungeachtet der mithin offensichtlichen Rechtmäßigkeit der Entziehung müsse die Interessenabwägung selbst bei Annahme offener Erfolgsaussichten zu Lasten des Antragstellers ausgehen, denn sein durch Art. 12 GG geschütztes Interesse am Fortbestand seiner Fahrerlaubnis zur Ausübung seiner Berufstätigkeit sei nicht höher zu bewerten als das Allgemeininteresse an der Abwehr der Gefährdung von Leben, Gesundheit und Vermögen anderer Verkehrsteilnehmer.

II.

Die zulässige Beschwerde gegen die erstinstanzliche Entscheidung ist unbegründet.

1. Der streitgegenständliche Sachverhalt zeichnet sich dadurch aus, dass die angegriffene Verfügung vom 4.3.2024 auf der Grundlage des bis zum 1.3.2024 geltenden (alten) Fahrerlaubnisrechts ergangen ist, der Widerspruch und der Antrag auf vorläufigen Rechtsschutz unter dem Datum 4.4.2024, also nach Inkrafttreten der teilweise, nämlich in Bezug auf den Umgang mit Cannabis, geänderten Fahrerlaubnisverordnung1 datieren und die Widerspruchsentscheidung - soweit ersichtlich - noch aussteht.

Maßgeblich für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit der Fahrerlaubnisentziehung durch den Senat ist die Sach- und Rechtslage zum Zeitpunkt der letzten Verwaltungsentscheidung.2 Dies ist derzeit die behördliche Entziehungsverfügung, die Widerspruchsbehörde wird ihrer Entscheidung das am 1.4.2024 in Kraft getretene neue Recht zugrunde legen müssen. Nach § 68 Abs. 1 Satz 1 VwGO hat sie, da kein Fall des § 8 Abs. 2 AGVwGO SL (Beschränkung der Nachprüfung auf die Rechtmäßigkeit) vorliegt, die Recht- und Zweckmäßigkeit der Entziehungsverfügung zu überprüfen. Ihr steht, da sie insoweit an die Stelle der Ausgangsbehörde tritt, dieselbe Prüfungskompetenz (mit der damit einhergehenden Prüfungspflicht) wie der Ausgangsbehörde zu. Ausgehend von dem Zweck des Widerspruchsverfahrens, der Verwaltung eine Selbstkontrolle zu ermöglichen, hat die Widerspruchsbehörde den angefochtenen Verwaltungsakt, soweit - wie hier - gesetzlich nichts anderes bestimmt ist, in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht einer uneingeschränkten Überprüfung zu unterziehen, welche mit der durch den Devolutiveffekt der Nichtabhilfeentscheidung nach § 72 VwGO begründeten umfassenden Sachentscheidungsbefugnis verbunden ist, den Ursprungsbescheid zu ändern, zu ergänzen, aufzuheben oder zu ersetzen. Ihre Entscheidung bildet den nach § 79 Abs. 1 Nr. 1 VwGO für eine spätere verwaltungsgerichtliche Überprüfung im Hauptsacheverfahren maßgeblichen Abschluss des Verfahrens der Exekutive. Aus alldem ergibt sich zwingend, dass die Widerspruchsbehörde eigenständig zu prüfen hat, ob zum maßgeblichen Zeitpunkt ihrer Entscheidung die rechtlichen und tatsächlichen Voraussetzungen für die im angefochtenen Ausgangsbescheid ausgesprochene Rechtsfolge vorliegen, und dass sie - bei bestehenden Unklarheiten - eine für die Entscheidung hierüber noch erforderliche Sachverhaltsaufklärung betreiben muss.3

Diese abschließende Entscheidung der Exekutive darüber, ob der verfahrensgegenständliche Sach- und Streitstand gemessen an dem seit dem 1.4.2024 geltenden Fahrerlaubnisrecht in Anwendung von § 13 a Nr. 1 oder Nr. 2 lit. a Alt. 2 FeV n.F. Veranlassung zur Anordnung der Beibringung eines ärztlichen oder medizinisch-psychologischen Gutachtens gibt, gegebenenfalls ob eine solche Anordnung ausnahmsweise - so der Antragsgegner - mangels Aussicht auf eine erfolgreiche Untersuchung unterbleiben kann, oder etwa ob - so das Verwaltungsgericht - gemäß § 11 Abs. 7 FeV die Nichteignung ohne vorherige Untersuchungsanordnung als feststehend anzusehen ist, steht vorliegend noch aus.

Der Antragsgegner hat sich im erstinstanzlichen und im Beschwerdeverfahren dahin positioniert, dass seine Verfügung mit anderer - an der neuen Konzeption der Fahrerlaubnisverordnung ausgerichteter - Begründung (Cannabismissbrauch) keinen Rechtmäßigkeitsbedenken unterliege. Er ist als Ausgangsbehörde gemäß § 72 VwGO zur Selbstkontrolle verpflichtet und von daher zu einer Nachbesserung der Begründung seiner Verfügung befugt4; nach Eintritt des Devolutiveffekts5 wird die Widerspruchsbehörde - das behördliche Verfahren abschließend - über das Vorliegen der Voraussetzungen der geänderten Vorgaben des Fahrerlaubnisrechts zu entscheiden haben.6

Da die Einführung neuen Rechts typischerweise mit Auslegungs- und Anwendungsproblemen einhergeht, erscheint an dieser Stelle ein Blick auf die Rechts-änderung und das neue Normgefüge angezeigt.

Nach alter Rechtslage war die Fahrerlaubnis bei regelmäßigem Cannabiskonsum zu entziehen und bei gelegentlichem Konsum war entscheidend, ob ein hinlängliches Trennungsvermögen besteht, was nach Maßgabe des § 14 Abs. 1 Satz 3 FeV a.F. durch Anordnung einer medizinisch-psychologischen Untersuchung abgeklärt werden konnte. Das neue Recht unterscheidet zwischen Cannabisabhängigkeit, Cannabismissbrauch und einem fahrerlaubnisrechtlich unbedenklichen Cannabiskonsum, der nach Vorstellung des Normgebers gelegentlich oder regelmäßig erfolgen kann. Der Normgeber hat damit Neuland betreten, was sich für die Fahrerlaubnisbehörden, die Gerichte und die Begutachtungsstellen durchaus als Herausforderung darstellt7, zumal eine Anpassung der Beurteilungsleitlinien an die neuen Vorgaben (noch) nicht erfolgt ist.8

Mit der Neuregelung hat der Normgeber seine bisherige Annahme, dass mit einem regelmäßigen Konsum im Regelfall mangelnde Kraftfahreignung einhergeht, aufgegeben. Der bisherigen Regelvermutung der Ungeeignetheit gemäß Nr. 3.14.1 der Begutachtungsleitlinien ist damit jedenfalls in ihrer bisherigen Ausgestaltung die Grundlage entzogen. Zutreffend stellt das Verwaltungsgericht fest, dass aus der Gesetzesbegründung nicht hervorgeht, unter welchen Voraussetzungen der Betroffene nicht hinreichend sicher zwischen dem Führen eines Kraftfahrzeugs und einem die Fahrsicherheit beeinträchtigenden Konsum trennt. Insoweit drängt sich auf, dass bei regelmäßigem Konsum nunmehr die Umstände des Einzelfalls von zentraler Bedeutung sind und anhand ihrer zu beurteilen ist, ob der Tatbestand des Missbrauchs bzw. der Abhängigkeit erfüllt ist oder ein fahrerlaubnisrechtlich unbedenkliches Konsumverhalten vorliegt. Das auf die alten Beurteilungsleitlinien gestützte Argument, bei regelmäßigem Cannabiskonsum liege im Regelfall Cannabismissbrauch vor, hat demgegenüber das Potential, den Willen des Normgebers zu konterkarieren.

Bei alldem ist zudem zu sehen, dass die Beibringung eines Gutachtens nach alter wie nach neuer Rechtslage nicht auferlegt werden durfte bzw. darf, wenn ohnehin bereits feststeht, dass Kraftfahrungeeignetheit gegeben ist, um den Betroffenen nicht zusätzlich in seinem Persönlichkeitsrecht zu belasten, es ihn aber andererseits in seinen Rechten verletzen würde, wenn die Fahrerlaubnis zu Unrecht entzogen wird, weil die Behörde ihre Überzeugung aufgrund unzutreffender Maßstäbe getroffen hat.

Hieraus ist zu schlussfolgern, dass die Überzeugung mangelnden Trennungsvermögens anhand objektiv nachvollziehbarer und wissenschaftlich gesicherter Kriterien gewonnen werden muss. Es bedarf handhabbarer Kriterien für die erforderliche Abschichtung und die Prognose künftig bestehenden oder fehlenden Trennungsvermögens; die Erarbeitung dieser Kriterien und Leitlinien setzt die Auswertung naturwissenschaftlicher Erkenntnisse und entsprechenden Sachverstand, insbesondere medizinisches und psychologisches Wissen, voraus und insoweit kommen die Behörden und Gerichte schwerlich als Vorreiter in Frage. Unter welchen Voraussetzungen die Fahrerlaubnisbehörde im Sinne des § 11 Abs. 7 FeV zu der Überzeugung gelangen kann, dass die Nichteignung ohne vorherige Begutachtung feststeht, kann nicht losgelöst von alldem beurteilt werden.

2. All dies vorausgeschickt gibt die den Umfang der seitens des Senats gemäß § 146 Abs. 4 Sätze 3 und 6 VwGO vorzunehmenden Prüfung festlegende Beschwerdebegründung vom 7.5.2024 auch unter Berücksichtigung der Ausführungen im Schriftsatz vom 21.6.2024, soweit diese lediglich ergänzender Natur sind, keine Veranlassung, die erstinstanzliche Entscheidung abzuändern.

2.1. Zu Recht rügt der Antragsteller, dass ihm die mit Widerspruchseinlegung beantragte Einsicht in die Verwaltungsakte nicht gewährt worden ist. Indes sind ihm die Verwaltungsunterlagen im Verlauf des Beschwerdeverfahrens mit der Möglichkeit einer ergänzenden Stellungnahme elektronisch zugänglich gemacht worden, so dass er Gelegenheit gehabt hat, sich zu deren Inhalt, insbesondere zu den Feststellungen im Gutachten des Instituts für Rechtsmedizin der Universität des Saarlandes, zu äußern.

2.2. Dass der Antragsteller, der anlässlich der Verkehrskontrolle eingeräumt hat, Cannabiskonsument zu sein, pauschal bestreitet, regelmäßig Cannabis zu konsumieren, vermag die Richtigkeit der auf das Gutachten des Instituts für Rechtsmedizin gestützten Annahme des Verwaltungsgerichts, ein regelmäßiger Konsum sei anhand der Blutwerte hinlänglich belegt, nicht in Frage zu stellen.

Im Gutachten ist festgestellt, dass das Tetrahydrocannabinol-Ergebnis dafür spricht, dass in einem sehr engen zeitlichen Zusammenhang mit der Blutentnahme Cannabis konsumiert wurde, die Konzentration von Tetrahydrocannabinol-Carbonsäure (200 ng/ml) habe deutlich in dem Bereich gelegen, der üblicherweise bei regelmäßigem bzw. chronischem Konsum vorgefunden werde9, unter zusätzlicher Berücksichtigung der polizeilichen Feststellungen im Blutentnahmeprotokoll sei zum Vorfallzeitpunkt von drogenbedingter Fahruntüchtigkeit auszugehen.

2.3. Dass der Antragsteller die Formulierung des Verwaltungsgerichts „Weder aus den gesetzlichen Regelungen noch aus der Gesetzesbegründung geht deutlich hervor, dass die bisherige Handhabung von regelmäßigen Cannabiskonsumenten aufgegeben werden soll bzw. nicht als Missbrauch angesehen werden soll“ beanstandet, ist zwar berechtigt; diese Formulierung kann durchaus missverstanden werden und es trifft zu, dass der Gesetzgeber einen regelmäßigen Konsum als zwingendes Ausschlusskriterium für die Fahreignung in Kenntnis der bisherigen Beurteilungsrichtlinien und der bisherigen Rechtsprechung bewusst verworfen hat.

Allerdings erschließt sich aus dem Kontext der zitierten Passage, dass das Verwaltungsgericht im gegebenen Zusammenhang nicht die neue - nicht mehr auf regelmäßigen oder gelegentlichen Konsum, sondern auf Cannabisabhängigkeit bzw. -missbrauch abstellende - Konzeption des Gesetzgebers negieren oder einschränken wollte, sondern nur seinen zuvor aus den alten Begutachtungsleitlinien hergeleiteten Ausgangspunkt, unter der Prämisse eines regelmäßigen Konsums werde das notwendige Trennungsvermögen nur in seltenen Fällen gegeben sein, untermauern wollte. Fallbezogen besteht jedenfalls kein vernünftiger Zweifel daran, dass der Antragsteller zur Zeit der Verkehrskontrolle im Zustand drogenbedingter Fahruntüchtigkeit als Fahrlehrer ein Fahrzeug im fahrerlaubnisrechtlichen Sinne (§ 2 Abs. 15 FeV) geführt hat. Dazu, dass er inzwischen einen (zumal gefestigten) Einstellungswandel vollzogen haben könnte, ist nichts vorgetragen.

2.4. Der weitere Einwand, nach der ab dem 1.4.2024 geltenden Vorgabe des § 13 a Nr. 2 lit. b FeV begründe erst ein wiederholter Verstoß gegen straßenverkehrsrechtliche Vorschriften einen Verdacht hinsichtlich einer möglichen Fahruntauglichkeit, welcher im Rahmen einer medizinisch-psychologischen Begutachtung ausgeräumt werden könne, verfängt auch vor dem Hintergrund der weiteren Argumentation, er habe derartige Zuwiderhandlungen nicht begangen, nicht.

Die genannte Vorschrift ist nur eine von vier Tatbestandsvarianten, bei deren Vorliegen ein medizinisch-psychologisches Gutachten beizubringen ist; das Nichterfülltsein dieses Tatbestands besagt keineswegs, dass nicht aus anderen in § 13 a Nr. 2 FeV aufgelisteten Gründen Zweifel an der Fahrtauglichkeit bzw. -eignung bestehen können. Das ist hier ausweislich der aktenkundigen Umstände zur Zeit der Kontrolle (insbesondere Weitung der Pupillen, Blutwerte, rechtsmedizinisches Gutachten, Mitführen von Konsumutensilien und Marihuana im Handschuhfach des Fahrschulautos) der Fall.

2.5. Nicht verständlich ist der Vorhalt, das Verwaltungsgericht habe auf Seite 17 f. eine medizinische Definition des Cannabismissbrauchs entwickelt und sich damit im Ergebnis gegen den Willen des Gesetzgebers gestellt.

An fraglicher Stelle hat das Verwaltungsgericht ausgeführt, der Gesetzgeber habe eine weitestgehende Angleichung der fahrerlaubnisrechtlichen Regelungen zum Alkohol- und Cannabiskonsum angestrebt; die Verneinung der Fahreignung setze in der Regel ein medizinisch-psychologisches Gutachten voraus. Gegenstand der Untersuchung sei das voraussichtliche künftige Verhalten des Betroffenen, insbesondere ob zu erwarten sei, dass er nicht oder nicht mehr ein Kraftfahrzeug unter Einfluss von Alkohol oder Betäubungsmitteln/Arzneimitteln führen werde. Abgesehen davon, dass diese Ausführungen keine medizinischen Erwägungen, sondern rechtliche Überlegungen zum Gegenstand haben, erschließt sich nicht, wieso gerade diese Überlegungen den Willen des Gesetzgebers konterkarieren sollten.
8
2.6. Der (mit dem unter Ziffer 2.4 aufgezeigten Vortrag weitgehend übereinstimmende) Einwand, die Regelung des § 13 a Nr. 2 lit. b FeV sei als lex specialis vorrangig zu § 13 a Nr. 2 lit. a Alt. 2 FeV i.V.m. Nr. 9.2.1 der Anlage 4 zur FeV und wäre ohne Anwendungsbereich, wenn schon bei einer einmaligen Fahrt unter Cannabiseinfluss der sofortige Entzug der Fahrerlaubnis drohen würde, verkennt wiederum das Regelungsgefüge der Vorschrift, die zwar - ebenso wie § 13 FeV10 - nicht beziehungslos nebeneinander stehende Einschreitenstatbestände vorgibt; vielmehr ergibt sich aus der Auflistung der einzelnen Tatbestände (insbesondere lit. a und b), dass ein wiederholtes Zuwiderhandeln nicht zwingende Voraussetzung für eine etwaige Annahme von Cannabismissbrauch ist. Insoweit kann fallbezogen auf die bereits aufgezeigten Umstände des Einzelfalls Bezug genommen werden.

2.7. Ferner wendet der Antragsteller sich gegen die Annahme, dass er zum jetzigen Zeitpunkt eine medizinisch-psychologische Untersuchung nicht erfolgreich absolvieren könnte; er sei körperlich und geistig geeignet und lasse dies regelmäßig überprüfen. Diese Frage könne, so der Antragsteller, indes dahinstehen, da der Antragsgegner nach der neuen Gesetzeslage ohnehin keine entsprechende Untersuchung anordnen dürfe.

Insoweit ist zwar zuzugestehen, dass besagte Annahme des Verwaltungsgerichts sich schwerlich von einer unzulässigen vorweggenommenen Beweiswürdigung abheben dürfte, allerdings stellt sie sich innerhalb der an das Vorliegen der Voraussetzungen des § 11 Abs. 7 FeV anknüpfenden Argumentation des Verwaltungsgerichts nicht als tragende Begründung, sondern lediglich als ergänzende/abrundende Erwägung dar, so dass ihr - anders als nach dem Normverständnis des Antragsgegners, der eine Untersuchungsanordnung zwar als geboten, aber fallbezogen aussichtslos zu erachten scheint - keine die erstinstanzliche Entscheidung tragende Bedeutung zukommt.

2.8. Schließlich meint der Antragsteller, es könne dahinstehen, ob häufig Konsumierende deutlich häufiger unter Cannabiseinfluss am Straßenverkehr teilnehmen, da etwaige Fahreignungsmängel stets individuell und unter Hinzuziehung verkehrsmedizinischer und psychologischer Einzelfallbegutachtungen abzuklären seien.

Dem dürfte zwar zuzustimmen sein, es ist aber weder dargetan noch sonst ersichtlich, inwiefern dieser Einwand die Ergebnisrichtigkeit der erstinstanzlichen Entscheidung in Frage stellen könnte. Das Verwaltungsgericht hat sich durchaus und eingehend mit den konkreten Umständen des vorliegenden Sachverhalts auseinandergesetzt.

3. Unterliegt die Beschwerde mithin der Zurückweisung, so beruht die Kostenentscheidung auf § 154 Abs. 2 VwGO.

Hinsichtlich der Festsetzung des Streitwerts folgt der Senat der Argumentation des Verwaltungsgerichts.

Dieser Beschluss ist nicht anfechtbar.

Fußnoten

1)
Gesetz zum kontrollierten Umgang mit Cannabis und zur Änderung weiterer Vorschriften - CanG - vom 27.3.2024, dort Art. 14 und 15 betreffend das Einfügen von § 13 a FeV, die Streichung von § 14 Abs. 1 Satz 3 FeV a.F. und Änderungen der Anlage 4 zur FeV
2)
BVerwG, Urteil vom 7.4.2022 - 3 C 9/21 -, juris Rn. 13 m.w.N.
3)
Beschluss des Senats vom 20.10.2016 - 1 B 243/16 -, juris Rn. 14 ff. m.w.N.; BVerwG, Beschluss vom 10.5.2017 - 2 B 44/16 -, juris Rn. 7
4)
problematisch mag dabei sein, dass eine Anhörung zu der Auswechselung der Bescheidbegründung nicht erfolgt ist
5)
ob eine Nichtabhilfeentscheidung inzwischen ergangen ist, ist der Aktenlage nicht zu entnehmen
6)
Beschluss des Senats vom 26.7.2023 - 1 B 30/23 -, juris Rn. 36; HessVGH, Beschluss vom 26.3.2004 - 8 TG 721/04 -, juris Rn. 42
7)
in Bezug auf den Tatbestand der Cannabisabhängigkeit und die hierzu vorgesehenen ärztlichen Gutachten soll nicht unerwähnt bleiben, dass das Bundesverfassungsgericht (Beschlüsse vom 29.6.2004 - 2 BvL 8/02 -, juris Rn. 42, und vom 9.3.1994 - 2 BvL 43/2 -, juris Rn. 147) die wissenschaftlichen Erkenntnisse in der Vergangenheit dahin ausgewertet hat, dass jedenfalls die Möglichkeit einer körperlichen Abhängigkeit zweifelhaft erscheint; vgl. hierzu auch BayVGH, Beschluss vom 24.7.2015 - 11 CS 15.1203 -, juris Rn. 20
8)
derzeit gelten die Begutachtungsleitlinien in der Fassung vom 1. Juni 2022
9)
gemäß der „Tabelle der Cannabis-Konsumformen nach Daldrup“ belegt ein zeitnah nach Kontrolle THC-COOH-Wert von mehr als 150 ng/ml einen regelmäßigen Konsum; so auch: OVG Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 17.8.2023 - 3 M 57/23 -, juris Rn. 4, und BayVGH, Beschluss vom 24.4.2019 - 11 CS 18.2605 -, Rn. 13
10)
Hentschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht, 47. Aufl. 2023, § 13 FeV Rn. 17 m.w.N.


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