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Entscheidungen

StPO

Rechtsmittelverzicht, Wirksamkeit, Rechtsmitteleinlegung, entgegenstehender Wille des Mandanten

Gericht / Entscheidungsdatum: OLG Zweibrücken, Beschl. v. 17.07.2024 – 1 Ws 168/24

Leitsatz des Gerichts:

Nach § 297 StPO kann der Pflichtverteidiger für seinen Mandanten nicht gegen dessen ausdrücklichen Willen Rechtsmittel einlegen.


In pp.

1. Die sofortige Beschwerde des Untergebrachten gegen den Beschluss der Großen Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Landau in der Pfalz vom 15.04.2024 wird als unzulässig verworfen.
2. Der Untergebrachte hat die Kosten des Rechtsmittels zu tragen.

Gründe

1. Mit Beschluss vom 15.04.2024 hat die Große Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Landau in der Pfalz die Fortdauer der Unterbringung des Untergebrachten in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet und bestimmt, dass die nächste Überprüfung gemäß § 67e StGB bis spätestens 01.03.2025 erfolgen soll. Die Entscheidung ist dem Verteidiger des Untergebrachten am 24.05.2024 förmlich zugestellt worden. Mit am 30.05.2022 beim Landgericht eingegangenen und auf den 29.05.2024 datierten Faxschreiben hat Verteidiger sofortige Beschwerde gegen die vorbezeichnete Entscheidung des Landgerichts eingelegt. Mit ebenfalls am 30.05.2024 beim Landgericht eingegangenen und auf den 30.05.2024 datierten Faxschreiben hat der Verteidiger mitgeteilt, der Untergebrachte habe ihm telefonisch mitgeteilt, er habe Rechtsmittelverzicht erklärt, wobei der Rechtsmittelverzicht auch von seinem Verteidiger innerhalb der Rechtsmittelfrist abgegebene strafprozessuale Erklärungen umfassen solle. In diesem Schriftsatz hat der Verteidiger die Auffassung vertreten, ein Rechtsmittelverzicht des Untergebrachten, der auch ein von seinem Verteidiger eingelegtes Rechtsmittel erfasse, sei nicht wirksam, wenn der Verteidiger der Rücknahme seines Rechtsmittels innerhalb der Rechtsmittelfrist widerspreche; wenn dem Verteidiger das Rechtsmittel im Sinne seines Mandanten geboten erscheine, könne es der Untergebrachte nicht einseitig zurücknehmen. Mit auf den 28.05.2024 datierten und am 03.06.2024 bei Gericht eingegangenen Schreiben hat der Untergebrachte auf Rechtsmittel gegen den Beschluss des Landgerichts vom 28.05.2024 verzichtet und seine Verzichtserklärung auf eventuelle Rechtsmittel seines Verteidigers erstreckt. Mit Schriftsatz vom 12.07.2024 hat der Verteidiger die Begründung seiner Auffassung dahingehend ergänzt, dass der Rechtsmittelverzicht bzw. die Rechtsmittelrücknahme des Untergebrachten auch vor dem Hintergrund der vom Verteidiger mit der sofortigen Beschwerde vom 29.05.2024 erhobenen Verzögerungsrüge nach § 198 GVG unbeachtlich sei, da die damit verbundene (finanzielle) Besserstellung dem wohlverstandenen Interesse des Untergebrachten entspreche. Das Landgericht hat sodann die Sache dem Senat zur Entscheidung über die sofortige Beschwerde vorgelegt.

2. Der Untergebrachte hat mit seinem Schreiben vom 28.05.2024 (Blatt 1694 V-Heft) nach § 302 Abs. 1 Satz 1 StPO wirksam auf die Einlegung eines Rechtsmittels gegen Beschluss der Großen Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Landau in der Pfalz vom 15.04.2024 verzichtet.

a) In dem vorgenannten Schreiben kommt der Wille des Untergebrachten, auf Rechtsmittel gegen den vorbezeichneten Beschluss zu verzichten, eindeutig zum Ausdruck; er erstreckt seine Verzichtserklärung auch auf „eventuell eingelegte Rechtsmittel“ seines Verteidigers.

An der Wirksamkeit des Verzichts des Untergebrachten auf die Einlegung von Rechtsmittel bestehen keine Zweifel. Der Untergebrachte muss bei Abgabe einer Rechtsmittelverzichtserklärung dazu in der Lage sein, seine Interessen vernünftig wahrzunehmen und bei hinreichender Freiheit der Willensentschließung und Willensbetätigung die Bedeutung seiner Erklärung erkennen. Dies wird selbst durch eine - hier allerdings nicht vorliegende - Geschäfts- oder Schuldunfähigkeit nicht notwendig ausgeschlossen. Vielmehr ist von einer Unwirksamkeit der Verzichtserklärung erst auszugehen, wenn hinreichende Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass der Untergebrachte nicht dazu in der Lage war, die Bedeutung der von ihm abgegebenen Erklärung zu erfassen (BGH, Beschluss vom 20.02.2017 − 1 StR 552/16, NStZ 2017, 487; zur Rechtsmittelrücknahme: Senat, Beschluss vom 24.05.2022 – 1 Ws 83/22, BeckRS 2022, 12794). Dies ist vorliegend jedoch nicht der Fall. Es sind vielmehr keine Anhaltspunkte dafür ersichtlich, dass dem Verurteilten im Hinblick auf seinen geistigen Zustand die genügende Einsichtsfähigkeit für seine Prozesserklärung und deren Tragweite gefehlt hätte. Vielmehr belegen seine auch in der Vergangenheit gestellten Eingaben, dass der Untergebrachte sehr wohl in der Lage ist, für seine Interessen einzutreten und dabei die Bedeutungen seiner Erklärungen zu erkennen. Auch das am 03.06.2024 bei der Staatsanwaltschaft Landau in der Pfalz eingegangene Schreiben der Untergebrachten zeigt, dass er über die genügende Einsichtsfähigkeit in die von ihm abgegebenen Prozesserklärungen verfügt. Mit diesem Schreiben schildert der Untergebrachte in sachlicher Weise ihm in der Vergangenheit gewährte Lockerungen und regte dann mit verständlicher Begründung erneut die Gewährung von Vollzugslockerungen an (Blatt 1697 bis Blatt 1704 V-Heft). Auch die Ausprägung der Anlasserkrankung des Untergebrachten - eine mit einer Alkoholabhängigkeit (ICD-10: F10.2) kombinierte Persönlichkeitsstörung mit narzisstischen, antisozialen und schizoiden Persönlichkeitsanteilen (ICD-10: F61.1) - lässt nicht den Schluss zu, dass er nicht in der Lage ist, die Bedeutung seiner Prozesserklärungen zu erfassen.

Danach ist der vom Untergebrachten erklärte Verzicht auf die Einlegung der sofortigen Beschwerde bindend. Der Rechtsmittelverzicht ist als Prozesserklärung grundsätzlich unwiderruflich und unanfechtbar und führt zum Verlust des Rechtsmittels.

b) Dem steht nicht entgegen, dass der Verteidiger an der durch ihn gegen den Beschluss des Landgerichts eingelegten sofortigen Beschwerde festhält.

Mit Wirksamwerden des Rechtsmittelverzichts durch Eingang der Erklärung beim zuständigen Gericht kann der Verteidiger kein Rechtsmittel mehr einlegen (BGH, Beschluss vom 09.09.1977 – 3 StR 454/77 –, Rn. 2-3, juris); ein vom Verteidiger schon vorher eingelegtes Rechtsmittel wird wirkungslos (BGH NJW 1960, 2202, 2203; BGH, GA 1973, 47; OLG Düsseldorf, Beschluss vom 16. Dezember 1982 – 1 Ws 999/82 –, juris). Dass das Rechtsmittel vom Verteidiger eingelegt und begründet worden war, ist insoweit ohne Belang (BGH, Beschluss vom 13. 06. 2006 - 4 StR 182/06, NStZ-RR 2007, 210). Zwar kann die Verteidigung aus eigenem Recht und im eigenen Namen Rechtsmittel einlegen und zurücknehmen. Allerdings folgt aus § 297 StPO, dass es sich bei dem Rechtsmittel um ein solches des Beschuldigten bzw. Untergebrachten handelt (BGH, Beschluss vom 10.07.2019 - 2 StR 181/19 -, Rn. 10, juris). Nach dieser Vorschrift kann der Verteidiger für den Untergebrachten, jedoch nicht gegen dessen ausdrücklichen Willen, Rechtsmittel einlegen. Allein maßgebend ist der Wille des Untergebrachten. Ein Rechtsmittel darf deshalb nie gegen den Willen des Untergebrachten ausgeübt werden. Bei unterschiedlicher Auffassung und Anfechtung ist jene des Untergebrachten und nicht die seiner Verteidigung maßgeblich. Der erklärte Wille des Untergebrachten geht vor und kann die in § 297 StPO enthaltene Vermutung, dass ein Rechtsmittel der Verteidigung in seinem Auftrag und Willen eingelegt wurde (KG, Beschluss vom 12.01.2022 – 4 Ws 4/22, BeckRS 2022, 911, Rn. 7), widerlegen. Hieraus folgt, dass der Rechtsmittelverzicht des Untergebrachten auch für das vom Verteidiger eingelegte Rechtsmittel gilt und selbst dann wirksam ist, wenn der Verteidiger das von ihm zugunsten seines Mandanten eingelegte Rechtsmittel durchgeführt wissen will (BGH NStZ-RR 2007, 210). Auch eine im „wohlverstandenen Interesse“ des Untergebrachten nach § 198 GVG eingelegte Verzögerungsrüge erlaubt es nicht, den ausdrücklich erklärten Willen des Untergebrachten außer Acht zu lassen. Danach ist die vom Verteidiger am 30.05.2024 eingelegte sofortige Beschwerde mit dem Rechtsmittelverzicht des Untergebrachten wirkungslos geworden.

3. Der Untergebrachte hat die Kosten des Rechtsmittels nach § 473 Abs. 1 Satz 1 StPO zu tragen. Da die Einlegung des Rechtsmittels durch den Verteidiger für den Untergebrachten erfolgt, hat dieser grundsätzlich die Kosten zu tragen, wenn es erfolglos bleibt. Diese Zurechnung an den Untergebrachten unterbleibt aber und der Verteidiger hat als Veranlasser die Kosten des unzulässigen Rechtsmittels selbst zu tragen, wenn er ohne Bevollmächtigung des Untergebrachten oder gegen dessen Willen Rechtsmittel eingelegt hat (OLG Celle StraFo 1998, 31; OLG Hamm NJW 2008, 3799; MüKoStPO/Allgayer, 2. Aufl. 2024, StPO § 297, Rn. 16).

Dem Akteninhalt kann aber nicht entnommen werden, dass der Verteidiger im maßgeblichen Zeitpunkt der Einlegung der sofortigen Beschwerde gegen den ausdrücklichen Willen des Untergebrachten gehandelt hätte. Die am 30.05.2024 beim Landgericht eingegangene sofortige Beschwerde erfolgte zunächst fristwahrend. Aus dem weiteren Schriftsatz vom 30.05.2024 geht hervor, dass der Verteidiger erst nach Einlegung des Rechtsmittels in einer Rücksprache mit dem Untergebrachten von dessen einer Rechtsmitteleinlegung entgegenstehenden Willen erfahren hat. Anhaltspunkte für eine frühere Kenntnis des Verteidigers von dem entgegenstehenden Willen des Untergebrachten sind nicht ersichtlich. Angesichts der mit der Unterbringung einhergehenden Schwierigkeiten, einen kurzfristigen Besprechungstermin durchzuführen, ist die fristwahrende Einlegung der sofortigen Beschwerde ohne vorherige Rücksprache mit dem Untergebrachten auch nicht ungewöhnlich.


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