Gericht / Entscheidungsdatum: LG Neuruppin, Beschl. v. 23.07.2024 – 12 Qs 7/24 jug.
Eigener Leitsatz:
1. Der Verteidiger kann gegen die Ablehnung seiner Bestellung als Pflichtverteidiger nicht im eigenen Namen sofortige Beschwerde ein legen, weil er nicht in eigenen Rechten verletzt ist.
2. Eine rückwirkende nachträgliche Bestellung eines Rechtsanwalts zum Pflichtverteidiger kommt nicht in Betracht (Aufgabe der bisherigen Rechtsprechung).
12 Qs 7/24 jug,
Landgericht Neuruppin
Beschluss
In dem Strafverfahren
gegen pp.
Verteidiger:
Rechtsanwalt
wegen gefährlicher Körperverletzung,
hat das Landgericht Neuruppin - 2. Strafkammer - durch den Vorsitzenden Richter am Landgericht, die Richterin am Landgericht und die Richterin am Landgericht am 23. Juli 2024 beschlossen:
1. Die sofortige Beschwerde des Verteidigers gegen die Ablehnung der Pflichtverteidigerbestellung durch das Amtsgericht Neuruppin wird als unzulässig verworfen.
2. Der Verteidiger hat die Kosten des Rechtsmittels zu tragen.
Gründe:
Nach dem Anklagevorwurf vom 13.09.2022 soll der ehemalige Angeschuldigte am 06.01.2022 eine gefährliche Körperverletzung, gemäß §§ 223 Abs. 1, 224 Abs. 1 Nr. 2 StGB verwirklicht haben.
Rechtsanwalt Pp. zeigte mit Schriftsatz vom 26.05.2023, bei Gericht eingegangen am 30.05.2023, an, dass er die Verteidigung des damaligen Angeschuldigten übernommen habe und beantragte zugleich, dem damaligen Angeschuldigten als notwendiger Verteidiger gemäß § 140 Abs. 2 StPO beigeordnet zu werden, da sich dieser in umfassender rechtlicher Betreuung befinde und sich nicht ausreichend selber verteidigen könne (BI. 55 d.A.).
Mit undatierter Verfügung, ausgeführt am 18.07.2023, wurde die Akte mit der Bitte um Erteilung der Zustimmung gemäß § 154 StPO an die Staatsanwaltschaft Neuruppin versandt (BI 55 R d.A.).
Mit Beschluss vom 05.02.2024 stellte das Amtsgericht Neuruppin das Verfahren sodann auf Antrag der Staatsanwaltschaft im Hinblick auf eine zu erwartende Verurteilung des Angeschuldigten in dem Verfahren 811 Ds 19/23, neben welcher die im hiesigen Verfahren zu erwartende Ahndung nicht beträchtlich ins Gewicht falle, ein (BI. 64 d.A.). Der ehemalige Angeschuldigte und der Verteidiger wurden über die Einstellung informiert.
Mit Schreiben vom 20.02.2024 erinnerte der Verteidiger an seinen Beiordnungsantrag (BI. 68 d.A.).
Mit Verfügung vom 26.04.2024 (BI. 68 R d.A.) hat das Amtsgericht dem Verteidiger mitgeteilt, dass eine nachträgliche Bestellung nach gängiger Rechtsprechung nicht in Betracht komme, da dass Verfahren durch Beschluss vom 05.02.2024 eingestellt worden sei. Gegen die - bei dem Verteidiger am 08.05.2024 eingegangene - Mitteilung wendet sich der Verteidiger des ehemaligen Angeschuldigten mit der beim Amtsgericht Neuruppin am 10.05.2024 eingegangen sofortigen Beschwerde vom selben Tag.
Das Amtsgericht hat die Sache über die Staatsanwaltschaft Neuruppin der Beschwerdekammer vorgelegt.
1. Die sofortige Beschwerde gegen die Ablehnung der Bestellung ist bereits unzulässig, weil sie vom Verteidiger im eigenen Namen eingelegt wurde, er dadurch jedoch nicht in eigenen Rechten verletzt ist (vgl. vgl. Meyer-Goßner/Schmitt, StPO 60. Aufl. § 142 Rn. 19 m.w.N.).
Der Wortlaut der Beschwerdeschrift ist eindeutig und lässt eine Auslegung dahingehend, dass das Rechtsmittel namens und in Vollmacht des ehemaligen Angeschuldigten eingelegt werden sollte, nicht zu. Gerade in Fällen wie dem vorliegenden, wo die Zulässigkeit der Beschwerde von der Person des Rechtsmittelführers abhängt, bedarf es der eindeutigen Erklärung, ob der Verteidiger von dem Rechtsmittel aus eigenem Recht und im eigenen Namen oder im Auftrag des Angeschuldigten und als dessen Vertreter Gebrauch macht. Das ist hier unmissverständlich in der erstgenannten Variante geschehen.
2. Darüber hinaus wäre die sofortige Beschwerde auch unbegründet.
Eine rückwirkende nachträgliche Bestellung eines Rechtsanwalts zum Pflichtverteidiger kommt nach der obergerichtlichen Rechtsprechung nicht in Betracht (vgl. OLG Brandenburg Beschl. v. 9.3.2020 — 1 Ws 19/20, BeckRS 2020, 4944; KG Beschl. v. 5.11.2020 — 5 Ws 217/19 - 161 AR 282/19, BeckRS 2020, 39481; OLG Hamburg Beschl. v. 16.9.2020 — 2 Ws 112/20, BeckRS 2020, 27077; LG Berlin Beschl. v. 20.6.2023 — 534 Qs 97/23, BeckRS 2023, 19955; KK-StPO/VVillnow, 9. Aufl. 2023, StPO § 142 Rn. 16). Die Beiordnung eines Pflichtverteidigers dient der ordnungsgemäßen Verteidigung eines Angeklagten sowie einem ordnungsgemäßen Verfahrensablauf in der Zukunft. Eine Rückwirkung wäre auf etwas Unmögliches gerichtet und würde eine notwendige Verteidigung des Angeklagten in der Vergangenheit nicht gewährleisten. Eine Beiordnung erfolgt insbesondere nicht im Kosteninteresse eines Angeklagten oder um dem Verteidiger einen Vergütungsanspruch gegen die Staatskasse zu verschaffen (vgl. OLG Dresden Beschl. v. 24.2.2023 — 2 Ws 33/23, BeckRS 2023, 30558 Rn. 2; OLG Hamburg Beschl. v. 16.9.2020 — 2 Ws 112/20, a.a.O; OLG Brandenburg Beschl. v. 9.3.2020 — 1 Ws 19/20, a.a.O.).
Die Kammer schließt sich nunmehr — unter Aufgabe ihrer bisherigen Rechtsprechung (u.a. 12 Qs 14/21, zuletzt noch 12 Qs 17/22 jug.) — dieser Auffassung an.
Der konzeptionelle Zweck der Pflichtverteidigung besteht darin, im öffentlichen Interesse dafür zu sorgen, dass der Angeschuldigte in den Fällen des § 140 StPO rechtskundigen Beistand erhält und der ordnungsgemäße Verfahrensablauf gewährleistet wird (BGH, Beschluss vom 18.08.2020, Az. StB 25/20, zitiert nach juris). Dieser Zweck der Verfahrenssicherung kann nach zutreffender Auffassung durch rückwirkende Bestellung nach Abschluss des Verfahrens jedoch nicht mehr erreicht werden. Finanzielle Erwägungen, insbesondere hinsichtlich des Kosteninteresses des Angeschuldigten und damit — indirekt — auch anwaltlicher Vergütungsansprüche, sind dem System der §§ 140 ff. StPO dagegen fremd (BT-Drucksache 19/13829, S. 21). Darüber hinaus ist zu berücksichtigen, dass das Ziel der verfahrenssichernden Verteidigung aufgrund der Mitwirkung eines Wahlverteidigers, der seine Verteidigungsleistung aufgrund des Mandatsverhältnisses bei einem endgültig abgeschlossenen Verfahren bereits abschließend erbracht hat, bereits bewirkt ist, sodass er die mit der Bestellung zum Pflichtverteidiger einsetzende öffentlich-rechtliche Pflicht zum Tätigwerden nicht mehr erfüllen kann. Die Pflichtverteidigerbestellung für ein zurzeit der Bestellung bereits abgeschlossenes Verfahren wäre damit auf eine unmögliche Leistung gerichtet und würde nicht der Gewährleistung einer noch notwendigen ordnungsgemäßen Verteidigung des Angeschuldigten, sondern ausschließlich dem verfahrensfremden Zweck dienen, dem Verteidiger für ein bereits abgeschlossenes Verfahren einen Vergütungsanspruch gegen die Staatskasse zu verschaffen (vgl. OLG Hamm, Beschluss vom 20. Juli 2000 — 1 Ws 206/00 — in juris).
3. Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 473 Abs. 1 S. 1 StPO.
Einsender: RA M.C. Greisner, Berlin
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