Gericht / Entscheidungsdatum: GStA Dresden, Entscheidung vom 31.07.2024 - 12 StEs 84/23
Eigener Leitsatz:
1. Entgangene Nutzungsmöglichkeiten sind nach dem StrEG grundsätzlich erstattungsfähig, wenn der Betroffene auf die Nutzung des Gegenstandes für die eigene Lebensführung in dem Sinne angewiesen ist, dass die ständige Verfügbarkeit des Gegenstandes erforderlich ist. Nach den heutigen Lebensumständen zählen insbesondere Tablets/Computer bzw. internetfähige Mobiltelefone zu den Gegenständen, auf die der Betroffene für die eigenwirtschaftliche Nutzung typischerweise angewiesen ist
2. Zur (verneinten) Erforderlichkeit der Beiziehung eines Rechtsanwalts für einen ausländischen Beschuldigten im Entschädigungsverfahren.
Generalstaatsanwaltschaft Dresden
12 StEs 84/23
In der Entschädigungssache
pp.
im Entschädigungsverfahren vertreten durch
Rechtsanwalt
ergeht namens und im Auftrag des Sächsischen Staatsministeriums der Justiz und für Demokratie, Europa und Gleichstellung am 31.07.2024 folgende
Entscheidung:
Dem Antragsteller wird eine Entschädigung in Höhe von 2.842,00 EUR
(i. W. zweitausendachthundertzweiundvierzig und 00/100 Euro) bewilligt. Im Übrigen wird der Antrag vom 2. Juni 2023 zurückgewiesen.
Gründe:
A
Der Antragsteller macht Ansprüche nach dem Gesetz über die Entschädigung für Strafverfolgungsmaßnahmen (StrEG) geltend.
In dem von der Staatsanwaltschaft Leipzig unter dem Az. 806 Js 4902/21 wegen des Verdachts des Missbrauchs von Ausweispapieren geführten Ermittlungsverfahren wurde durch Beschluss des Amtsgerichts Leipzig vom 12. Oktober 2021, Az. 281 Gs 4967/21 die Durchsuchung der Wohnung mit Nebenräumen des Antragstellers in pp. angeordnet.
Bei der am 10. November 2021 erfolgten Durchsuchung wurde u.a. das im Verzeichnis der Gegenstände unter lfd. Nr. 1 genannte IPhone inklusive Ladekabel sichergestellt. Die Rückgabe an den Antragsteller erfolgte am 24. Januar 2023.
Mit Verfügung der Staatsanwaltschaft Leipzig vom 20. Dezember 2022 wurde das Ermittlungsverfahren gemäß § 170 Abs. 2 StPO eingestellt.
Durch Beschluss des Amtsgerichts Leipzig 22. Februar 2023, Az. 208 Gs 58/23 wurde festgestellt, dass der Antragsteller für den durch die Strafverfolgungsmaßnahme der am 10. November 2021 erfolgten Durchsuchung seiner Wohnung in Leipzig und die am 10. November 2021 erfolgte und bis zum 20.12.2022 andauernde Beschlagnahme, erlittenen Schaden dem Grunde nach aus der Staatskasse zu entschädigen ist. Die StrEG-Grundentscheidung ist seit 14. März 2023 rechtskräftig.
Die Belehrung gemäß § 10 Abs. 1 StrEG vom 12. Mai 2023 wurde dem Antragsteller am 22. Mai 2023 zugestellt.
Bereits mit anwaltlichem Schriftsatz vom 2. Juni 2023 hat der Antragsteller seine Entschädigungsansprüche vorgetragen und die Erstattung der Kosten für den Nutzungsausfall aufgrund des beschlagnahmten Mobiltelefons in Höhe von 3.797,31 EUR sowie Rechtsanwaltskosten im Ermittlungsverfahren in Höhe von 453,87 EUR beantragt. Weitere Ansprüche wurden in der Folge nicht geltend gemacht.
Wegen der Einzelheiten wird auf die Antragsschriftsätze Bezug genommen.
B
Gemäß der Verwaltungsvorschrift des Sächsischen Staatsministeriums der Justiz über Ausführungsvorschriften zum Gesetz über die Entschädigung für Strafverfolgungsmaß-nahmen vom 26. Februar 2015 ist der Generalstaatsanwalt des Freistaates Sachsen mit der Entscheidung über den Antrag auf Entschädigung beauftragt.
Der Antrag ist zulässig, insbesondere gemäß §§ 10 Abs. 1, 12 StrEG fristgerecht gestellt, jedoch nur teilweise begründet.
Grundsätzlich sind die Durchsuchung und die Sicherstellung bzw. Beschlagnahme entschädigungsfähige Maßnahmen im Sinne von § 2 Abs. 2 Nr. 4 StrEG. Eine Entschädigung steht dem Antragsteller gemäß § 7 StrEG jedoch nur insoweit zu, als ihm tatsächlich finanzielle Mehraufwendungen oder sonstige wirtschaftliche Nachteile entstanden sind (BGHZ 65, 170, 172).
Zu den geltend gemachten Positionen im Einzelnen:
1. Materielle Entschädigung für die erlittene Durchsuchung/Sicherstellung
Nach der den Umfang des Entschädigungsanspruchs regelnden Vorschrift des § 7 StrEG ist jeder durch die Strafverfolgungsmaßnahme in zurechenbarer Weise verursachte Vermögensschaden zu ersetzen. Der Begriff und Umfang des Vermögensschadens ist nach den §§ 249 ff. BGB zu bestimmen, soweit sich aus dem Sinn des StrEG nicht ausdrücklich Abweichungen ergeben (Dieter Meyer, StrEG-Kommentar, 10. Aufl., § 7 Rz. 5, 11). Demnach ist ein Vermögensschaden jede in Geld bewertbare Einbuße, die der Berechtigte an seinem Vermögen oder an seinen sonstigen rechtlich geschützten Gütern erleidet und ihm hierdurch tatsächliche wirtschaftliche Nachteile entstanden sind (BGH, BGHZ 65, 170, 172).
Den Eintritt des Schadens sowie sämtliche Tatsachen, die die haftungsausfüllende Kausalität begründen, hat der Berechtigte darzulegen und nachzuweisen. Insoweit gelten die Darlegungs- und Beweispflichten des Zivil- und Zivilverfahrensrechts (Dieter Meyer, a. a. 0., § 7 Rz. 55, 57; BGH, BGHZ 103, 113).
Nutzungsausfall für beschlagnahmte Mobiltelefone
Der Antragsteller macht eine Entschädigung für die Beschlagnahme des Mobiltelefons IPhone 7 im Umfang von 407 Tagen x 9,33 EUR, mithin in Höhe von 3.797,31 EUR geltend. Hinsichtlich der Höhe der Entschädigung sei eine Orientierung am marktüblichen Mietpreis vergleichbarer Geräte geboten.
Entgangene Nutzungsmöglichkeiten sind nach dem StrEG grundsätzlich erstattungsfähig, wenn der Betroffene auf die Nutzung des Gegenstandes für die eigene Lebensführung in dem Sinne angewiesen ist, dass die ständige Verfügbarkeit des Gegenstandes erforderlich ist. Nach den heutigen Lebensumständen zählen insbesondere Tablets/Computer bzw. internetfähige Mobiltelefone zu den Gegenständen, auf die der Betroffene für die eigenwirtschaftliche Nutzung typischerweise angewiesen ist (Meyer, Strafrechtsentschädigung, 11. Auflage, § 7 Rz. 30).
Das ist demnach bei dem im Ermittlungsverfahren beschlagnahmten Mobiltelefon IPhone 7 der Fall. Nach den heutigen Lebensumständen ist die Nutzung eines internet-fähigen Smartphones wesentlicher Bestandteil der eigenwirtschaftlichen Lebenshaltung. Zudem ist der Ermittlungsakte nicht zu entnehmen, dass dem Antragsteller im entschädigungspflichtigen Zeitraum ein internetfähiges Zweitgerät zur Verfügung stand. Der Entschädigungsanspruch ist daher grundsätzlich gegeben.
Der vom Antragsteller zugrunde gelegte Sicherstellungszeitraum kann jedoch nicht vollumfänglich anerkannt werden. Ausweislich der vorliegenden Akten ist die Beschlagnahme des Mobiltelefons am 10. November 2021 und die Rückgabe am 20. Dezember 2022 erfolgt. Der laut der StrEG-Grundentscheidung des Amtsgerichts Leipzig vom 22. Februar 2022 festgelegte Beschlagnahmezeitraum umfasst den Zeitraum vom 10. November 2021 bis 20. Dezember 2022, mithin 406 Tage.
Hinsichtlich der Höhe der vom Antragsteller angenommenen Entschädigungspauschale von 9,33 EUR/Tag ist nach einem Urteil des Landgerichts Stuttgarts vom 26.05.2009 (Landgericht Stuttgart, 26.05.2009, Az. 0 306/08, BeckRS 2010, 1167, beck-online) ein Abschlag, für den im Mietpreis enthaltenen -nicht erstattungsfähigen- Gewinn der Vermieter in Ansatz zu bringen.
Mangels vorliegender Zahlen zu den konkreten Gewinnspannen der Vermieter, erscheint ein Abschlag von fast 20 % auf 7,00 EUR/Tag als angemessen.
Der Antragsteller ist demnach wie folgt zu entschädigen:
406 Tage x 7,00 EUR/Tag = 2.842,00 EUR.
Darüber hinaus ist der Anspruch zurückzuweisen.
2. Rechtsanwaltskosten im Entschädigungsverfahren
Weiterhin macht der Antragsteller die Erstattung der Kosten für die anwaltliche Inanspruchnahme im Entschädigungsverfahren in Höhe von 453,87 EUR im Entschädigungsverfahren geltend.
Soweit sich der Antragsteller im Entschädigungsverfahren der Hilfe eines Rechtsanwaltes bedient, sind die Kosten hierfür Teil des angemeldeten Schadens, sofern die anwaltliche Inanspruchnahme notwendig ist (Meyer, Strafrechtsentschädigung, 11. Auflage, § 7 Rz. 17). Die Ersatzfähigkeit ist vorliegend nicht gegeben, da es dem Antragsteller objektiv ohne weiteres zumutbar war, die beantragte Entschädigung ohne anwaltliche Hilfe selbst einzufordern.
Der Antrag betrifft lediglich eine Schadensposition, nämlich den zu 1. behandelten Nutzungsausfall zu einem elektronischen Gerät, hier Mobiltelefon. Der zugrunde zu legende Zeitraum hinsichtlich der Dauer des Nutzungsausfalls kann der StrEG-Grundentscheidung des Amtsgericht Leipzig vom 22. Februar 2023 entnommen werden. Eine Recherche zu den aktuellen Mietpreisen eines IPhone 7 ist ebenfalls zumutbar, bedarf jedenfalls nicht der Hilfe eines Rechtsanwalts.
Zwar wurde dem Berechtigten im Zusammenhang mit der Wohnungsdurchsuchung ein Dolmetscher für die arabische Sprache zur Seite gestellt, sodass anzunehmen ist, dass der Antragsteller der deutschen Sprache in Wort und Schrift nicht ausreichend mächtig ist. Indes bestand unter Hinweis auf die nachfolgenden Ausführungen gleichwohl keine Notwendigkeit einen Rechtsanwalt mit der Durchsetzung der Ansprüche zu beauftragen, wenngleich seinerzeit die StrEG-Grundentscheidung nicht übersetzt worden ist.
Eine Notwendigkeit zur Beauftragung von Rechtsanwalt pp. ergibt sich auch nicht, wenn der Antragsteller der deutschen Sprache in Wort und Schrift nicht ausreichend mächtig ist. Den Anforderungen des § 187 Abs. 2 GVG und dem Gebot des fairen Ver-fahrens wird bei einem verteidigten Angeklagten, der der deutschen Sprache nicht mächtig ist, regelmäßig dadurch genügt, dass ihm die mündliche Urteilsbegründung durch einen Dolmetscher übersetzt wird und er die Möglichkeit hat, das abgesetzte schriftliche Urteil zusammen mit seinem Verteidiger unter Hinzuziehung eines Dolmetschers zu besprechen und sich in diesem Zusammenhang auch das Urteil zumindest auszugsweise übersetzen zu lassen. Einer schriftlichen Übersetzung des vollständigen Urteils bedarf es dann nicht (Leitsatz OLG Hamm vom 11.03.2014 -Az.: 2 Ws 40/14).
Nichts Anderes kann dann gelten, wenn - wie vorliegend - das Ermittlungsverfahren eingestellt wurde. Denn mit Bekanntgabe des Beschlusses des Amtsgerichts Leipzig vom 22. Februar 2023 an den Verteidiger, wäre es dem Antragsteller objektiv möglich gewesen, die StrEG-Grundentscheidung zusammen mit einem Verteidiger unter Hinzuziehung eines Dolmetschers zu besprechen und sich in diesem Zusammenhang auch zumindest auszugsweise übersetzen zu lassen.
Weiterhin hätte der Antragsteller den einfach gelagerten Entschädigungsantrag auch in seiner Muttersprache stellen können. Die Übersetzung des Antrages wäre sodann von der Staatsanwaltschaft Leipzig oder der entscheidenden Justizverwaltungsbehörde veranlasst worden.
Die Hinzuziehung von Rechtsanwalt pp. durch den Antragsteller war daher nicht notwendig. Mit der anwaltlichen Beauftragung hat der Antragsteller somit gegen seine auch im StrEG ausnahmslos geltende Schadensminderungspflicht (§ 254 BGB; Meyer, Strafrechtsentschädigung, 11. Auflage, § 7 Rz. 51; BGH VersR 1975, 257, 258) verstoßen, indem er sich für einen einfach gelagerten Antrag der Hilfe eines Rechtsanwalts bedient hat.
Der Anspruch ist zurückzuweisen.
Nach alledem beträgt der Erstattungsbetrag für die entschädigungsfähigen Maßnahmen insgesamt 2.842,00 EUR
Rechtsbehelfsbelehrung:
Gegen die Entscheidung ist der Rechtsweg zu den ordentlichen Gerichten eröffnet. Die Klage ist innerhalb von 3 Monaten nach Zustellung dieser Entscheidung bei dem Land-gericht Dresden - Zivilkammer -, Lothringer Straße 1, 01069 Dresden ohne Rücksicht auf den Wert des Streitgegenstandes zu erheben. Die Klage hätte sich zu richten gegen den Freistaat Sachsen, vertreten durch das Landesamt für Steuern und Finanzen, Stauffenbergallee 2, 01099 Dresden. Vor dem Landgericht herrscht Anwaltszwang. Die Vertretung durch einen Rechtsanwalt ist daher notwendig.
Einsender: RA M. Thomas, 04107 Leipzig
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