Gericht / Entscheidungsdatum: BayObLG, Beschl. v. 03.07.2024 - 204 StRR 201/24
Leitsatz des Gerichts:
1. Der Strafsenat bleibt für die Entscheidung über die Kostenbeschwerde auch nach Abschluss des Revisionsverfahrens jedenfalls dann zuständig, wenn er die Kostenbeschwerde bei der Revisionsentscheidung übersehen hat und der Angeklagte die Anhörungsrüge gem. § 33a Satz 1 StPO innerhalb der Frist des § 356a Satz 2 StPO erhoben hat.
2. Der Angeklagte hat nicht die vollen im Berufungsverfahren angefallenen Gerichtskosten und notwendigen Auslagen zu tragen, wenn das Berufungsgericht unter Verwerfung der weitergehenden Berufung des Angeklagten den erstinstanzlichen Schuldspruch von Beleidigung in zwei tateinheitlichen Fällen in Tateinheit mit Bedrohung in zwei tateinheitlichen Fällen auf fahrlässigen Vollrausch geändert und die erstinstanzlich verhängte Geldstrafe von 120 Tagessätzen zu je 35 € auf 60 Tagessätze zu je 40 € ermäßigt sowie eine Ratenzahlung bewilligt hat.
3. Im Rahmen des § 473 Abs. 4 StPO, einer Regelung mit Ausnahmecharakter, ist nicht allein entscheidend, ob der Angeklagte die angefochtene Entscheidung hingenommen hätte, wenn sie entsprechend der neuen Entscheidung gelautet hätte, sondern wesentlich auch das Maß des erreichten Teilerfolges.
Bayerisches Oberstes Landesgericht
204 StRR 201/24
In dem Strafverfahren
gegen pp.
wegen Beleidigung
hier: Anhörungsrüge des Verurteilten
erlässt das Bayerische Oberste Landesgericht - 4. Strafsenat - durch die unterzeichnenden Richter am 3. Juli 2024 folgenden
Beschluss
I. Auf die Anhörungsrüge des Verurteilten wird das Verfahren wegen einer entscheidungserheblichen Verletzung seines Anspruchs auf rechtliches Gehör insoweit in die Lage vor Erlass des Beschlusses des Bayerischen Obersten Landesgerichts vom 6. Mai 2024 zurückversetzt, als eine Entscheidung über die vom Angeklagten erhobene sofortige Beschwerde gegen die im Urteil des Landgerichts Nürnberg-Fürth vom 11. Oktober 2023 enthaltene Kostenentscheidung unterblieben ist.
II. Auf die sofortige Beschwerde des Verurteilten wird die im Urteil des Landgerichts Nürnberg-Fürth vom 11. Oktober 2023 unter Ziffer 4 des Tenors enthaltene Kostenentscheidung geändert und wie folgt neu gefasst:
Die durch die Berufung der Staatsanwaltschaft entstandenen ausscheidbaren Kosten und ausscheidbaren notwendigen Auslagen des Angeklagten werden der Staatskasse auferlegt.
Im Übrigen hat der Angeklagte die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen, mit der Maßgabe, dass die Gerichtsgebühr für das Berufungsverfahren um ein Drittel ermäßigt wird und die gerichtlichen Auslagen für die Berufungsinstanz dem Angeklagten nur zu zwei Drittel auferlegt werden. Die Staatskasse hat ein Drittel der dem Angeklagten in der Berufungsinstanz entstandenen übrigen notwendigen Auslagen zu erstatten.
III. Die weitergehende sofortige Beschwerde des Verurteilten wird als unbegründet verworfen.
IV. Die Gebühr für das Beschwerdeverfahren wird um ein Drittel ermäßigt. Die notwendigen Auslagen des Verurteilten im Beschwerdeverfahren werden zu einem Drittel der Staatskasse auferlegt.
Gründe:
I.
Das Amtsgericht Nürnberg hat den Angeklagten mit Urteil vom 11.07.2023 wegen Beleidigung in zwei tateinheitlichen Fällen in Tateinheit mit Bedrohung in zwei tateinheitlichen Fällen zu einer Geldstrafe von 120 Tagessätzen zu je 35 € verurteilt.
Das Landgericht Nürnberg-Fürth hat mit Urteil vom 11.10.2023 auf die Berufungen des Angeklagten und der Staatsanwaltschaft hin das Urteil des Amtsgerichts Nürnberg vom 11.07.2023 insoweit abgeändert, als der Angeklagte wegen fahrlässigen Vollrausches zu einer Geldstrafe von 60 Tagessätzen zu je 40 € - unter Bewilligung einer Ratenzahlung - verurteilt wurde. Die weitergehenden Berufungen der Staatsanwaltschaft und des Angeklagten hat es als unbegründet verworfen.
In Ziffer 4 des Tenors hat das Berufungsgericht entschieden, dass der Angeklagte die Kosten des Berufungsverfahrens und seine notwendigen Auslagen zu tragen habe. Die durch die Berufung der Staatsanwaltschaft entstandenen ausscheidbaren Kosten und ausscheidbaren Auslagen des Angeklagten sind der Staatskasse auferlegt worden.
Am 11.10.2023 haben der Angeklagte und sein Verteidiger zur Niederschrift des Landgerichts Nürnberg-Fürth gegen die Kostenentscheidung des Berufungsurteils sofortige Beschwerde und gegen das Berufungsurteil Revision eingelegt. Der Verteidiger hat mit Schreiben vom 17.10.2023 die Revision und mit Schreiben vom 02.01.2024 die Kostenbeschwerde begründet.
Mit Beschluss vom 06.05.2024 hat der Senat gemäß Antrag der Generalstaatsanwaltschaft München vom 11.04.2024 die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Nürnberg-Fürth vom 11.10.2023 gemäß § 349 Abs. 2 StPO als unbegründet verworfen
Mit Schreiben seines Verteidigers vom 12.05.2024, hier eingegangen am 13.05.2024 rügt der Angeklagte eine Verletzung seines rechtlichen Gehörs, weil sich der Senat in seinem Beschluss vom 06.05.2024 nicht mit der gegen die Kostenentscheidung des Landgerichts Nürnberg-Fürth eingelegten sofortigen Beschwerde auseinandergesetzt habe.
II.
Auf die zulässig erhobene Anhörungsrüge des Angeklagten ist das Verfahren in den Stand vor der Entscheidung des Senats vom 06.05.2024 zurückzuversetzen (§ 33a Satz 1 StPO), soweit dies die vom Angeklagten erhobene sofortige Beschwerde gegen die Kostenentscheidung des Landgerichts Nürnberg-Fürth betrifft, da der Senat versehentlich nicht über diese entschieden hat.
III.
Die sofortige Beschwerde des Angeklagten gegen die im Urteil des Landgerichts Nürnberg-Fürth vom 11.10.2023 enthaltene Kostenentscheidung hat in der Sache teilweise Erfolg.
1. Da der Angeklagte neben der Revision gegen seine Verurteilung gleichzeitig sofortige Beschwerde gegen die Kostenentscheidung eingelegt hat, war der Senat zur Entscheidung über beide Rechtsmittel berufen (§ 464 Abs. 3 Satz 3 StPO). Grundsätzlich entfällt zwar die Zuständigkeit des Revisionsgerichts mit Abschluss des Revisionsverfahrens. Ob dies auch dann gilt, wenn - wie hier - übersehen wurde, über die Beschwerde mitzuentscheiden (so etwa BGH, Beschluss vom 25.10.1977 - 5 StR 154/77 - bei Holtz MDR 1978, 282; KK-StPO/Gieg, 9. Aufl. 2023, § 464 Rn. 13 m.w.N.; Schmidt/Zimmermann in: Gercke/Temming/Zöller, StPO, 7. Aufl. 2023, § 464 Rn. 25), oder ob weiterhin eine Zuständigkeit des Revisionsgerichts zur Nachholung der übersehenen Beschwerdeentscheidung besteht (so etwa - jedoch zu § 464 Abs. 3 Satz 3 StPO nicht tragend - BGH, Beschluss vom 07.05.1986 – 3 StR 209/85 –, NStZ 1986, 423, juris Rn. 6; Hilger in Löwe/Rosenberg, StPO, 26. Aufl. 2010, § 464 Rn. 67; Schmitt in Meyer-Goßner/Schmitt, 67. Aufl., 2024, § 464 Rn. 25a m.w.N.; wohl auch BeckOK StPO/Niesler, 51. Ed. 01.04.2024, § 464 Rn. 18), kann aber dahinstehen. Denn die zulässig gemäß § 33a Satz 1 StPO erhobene Aufklärungsrüge führt zur Zurückversetzung des Verfahrens über die Kostenbeschwerde in die Lage vor Entscheidung über die Revision, jedenfalls soweit sie - wie hier - innerhalb der Frist des § 356a Satz 2 StPO erhoben wurde. Dies steht im Einklang mit dem durch die Konzentration der Entscheidung nach § 464 Abs. 3 Satz 3 StPO beim Revisionsgericht verfolgten Gesetzeszweck der Vereinfachung und Beschleunigung des Verfahrens (vgl. BGH, Beschlüsse vom 19.12.1979 – 3 StR 396/79 –, BGHSt 29, 168, juris Rn. 12 m.w.N.; vom 07.05.1986 – 3 StR 209/85 –, NStZ 1986, 423, juris Rn. 6; KK-StPO/Gieg, a.a.O., § 464 Rn. 13). Dieser Zweck wird jedenfalls auch dann noch erreicht, wenn das Übersehen der Kostenbeschwerde durch das Revisionsgericht mittels einer Anhörungsrüge zeitnah beanstandet wurde, was jedenfalls dann der Fall ist, wenn die auch für die Anhörungsrüge gegen die Revisionsentscheidung geltende Wochenfrist des § 356a Satz 2 StPO eingehalten wurde.
2. Die sofortige Beschwerde ist zulässig.
a) Die erforderliche Beschwer, die grundsätzlich vom Beschwerdeführer darzulegen ist (vgl. KG, Beschluss vom 25. November 2015 – 1 Ws 84/15 –, juris Rn. 3; OLG Karlsruhe, Beschluss vom 16.02.2017 – 2 Ws 34/17 –, JurBüro 2017, 487, juris Rn. 10), liegt vor. Nachdem das Berufungsgericht die durch die Berufung der Staatsanwaltschaft ausscheidbaren Kosten und ausscheidbaren Auslagen des Angeklagten der Staatskasse auferlegt hat, ergibt sich daraus, dass dem Beschwerdeführer, soweit es seine Berufung betrifft, die Kosten des Verfahrens auferlegt worden sind, also trotz des teilweisen Erfolgs seiner Berufung hinsichtlich des Schuldspruchs und hinsichtlich der Höhe der Geldstrafe die Gerichtsgebühr nicht ermäßigt und seine notwendigen Auslagen nicht - zumindest teilweise - der Staatskasse auferlegt worden sind.
b) Die Wertgrenze des § 304 Abs. 3 StPO von 200 € ist offensichtlich erreicht. Die Gerichtsgebühr für das Berufungsverfahren beträgt gemäß Nr. 3120 KV GKG das 1,5 fache der gemäß Nr. 3110 KV GKG bei Verurteilung zu Freiheitsstrafe bis zu 6 Monaten oder zu Geldstrafe bis zu 180 Tagessätzen erstinstanzlich anfallenden Gebühr von 155 €, also 232,50 €. Die Gebühren des am 26.06.2023 vom Amtsgericht Nürnberg bestellten Pflichtverteidigers setzten sich in der Berufungsinstanz aus einer Verfahrensgebühr von 282 € (Nr. 4124 VV RVG) und - bei zwei Hauptverhandlungstagen, von denen einer (10.10.2023) eine Verhandlungsdauer über 5 Stunden aufwies - aus zwei Terminsgebühren nach Nr. 4126 VV RVG zu je 282 € sowie einer zusätzlichen Gebühr nach Nr. 4128 VV RVG zu 141 € zusammen, so dass sich Rechtsanwaltsgebühren (ohne zusätzliche Auslagen gemäß Nr. 7000 ff. VV RVG) von insgesamt 1.174,53 € (einschließlich 19 % USt.) ergeben. Die Gesamtbelastung des Angeklagten mit Verfahrenskosten und notwendigen Auslagen für das Berufungsverfahren beträgt somit mindestens 1.407,03 €.
Da der Beschwerdeführer mit seinem Rechtsmittel die Auferlegung der gesamten Kosten des Berufungsverfahrens auf die Staatskasse beantragt hat, liegt der Wert der Beschwer somit - auch unter Berücksichtigung eventueller ausscheidbarer Kosten aufgrund der Berufung der Staatsanwaltschaft - jedenfalls über 200 €.
3. Die Kostenbeschwerde hat in der Sache jedoch nur teilweise Erfolg.
Das Berufungsgericht hat unter Verwerfung der weitergehenden Berufung des Angeklagten den erstinstanzlichen Schuldspruch von Beleidigung in zwei tateinheitlichen Fällen in Tateinheit mit Bedrohung in zwei tateinheitlichen Fällen auf fahrlässigen Vollrausch geändert und die erstinstanzlich verhängte Geldstrafe von 120 Tagessätzen zu je 35 € auf 60 Tagessätze zu je 40 € ermäßigt, wodurch sich deren Gesamtbetrag von 4.200 € auf 2.400 € vermindert hat, sowie eine Ratenzahlung bewilligt.
Dieser mit seiner Berufung erzielte Teilerfolg rechtfertigt es, den Angeklagten in dem in der Beschlussformel genannten Umfang von den durch das Rechtsmittel der Berufung entstandenen Kosten und Auslagen freizustellen (§ 473 Abs. 4 StPO).
a) Das Berufungsgericht hat auf Seite 20 seines Urteils zunächst zutreffend darauf hingewiesen, dass der Angeklagte gegen das ihn wegen Beleidigung und Bedrohung in zwei tateinheitlichen Fällen zu einer Geldstrafe verurteilende Erkenntnis in vollem Umfang Berufung eingelegt und dann - über seinen Verteidiger - in der Berufungsinstanz eine Aufhebung dieses Urteils und seine Freisprechung beantragt hat. Es hat sodann ausgeführt, da der Angeklagte von der Kammer, wenn auch „nur“ wegen fahrlässigen Vollrausches, unter Zugrundelegung der Beleidigung mit Bedrohung in zwei tateinheitlichen Fällen als Rauschtat, zu einer, wenn auch reduzierten Geldstrafe verurteilt wurde, halte es die Strafkammer im Zuge ihres diesbezüglichen Ermessens für richtig, dem Angeklagten sämtliche Kosten der Berufungsinstanz und auch seine diesbezüglichen notwendigen Auslagen aufzuerlegen. Dem folgt der Senat nicht.
b) Allerdings handelt es sich bei § 473 Abs. 4 StPO um eine Regelung mit Ausnahmecharakter, deren Anwendung jeweils im Ermessen des Gerichts steht, wobei im Rahmen der Ermessensentscheidung die Umstände des Einzelfalles umfassend zu würdigen sind (OLG Stuttgart, Beschluss vom 17.10.2017 – 4 Ws 355/17 –, Justiz 2018, 412, juris Rn. 19).
aa) Maßgebend bei der zu treffenden Billigkeitsentscheidung ist zunächst der Umfang des Erfolgs des Rechtsmittels, das heißt, ob und inwieweit die neue Entscheidung – verglichen mit der abgeänderten – zugunsten des Beschwerdeführers ausfällt. Dieser Vergleich zeigt hier, dass der Beschwerdeführer den mit seinem unbeschränkten Rechtsmittel der Berufung erstrebten Erfolg – einen Freispruch - nicht erreicht hat, sondern nur einen in der Änderung des Schuldspruchs und der Reduzierung der Geldstrafe samt Bewilligung einer Ratenzahlung liegenden Teilerfolg erzielt hat.
Es ist zwar streitig, ob ein Teilerfolg der auf Freispruch gerichteten Berufung dann vorliegt, wenn es zu einer Änderung des Schuldspruchs kommt (vgl. Schmitt, in: Meyer-Goßner/Schmitt, a.a.O., § 473 Rn. 25 m.w.N.). Dies wird bei einer Änderung der Schuldform vom Vorsatz zur Fahrlässigkeit etwa dann verneint, wenn das Berufungsgericht die Rechtsfolgen des amtsgerichtlichen Urteils nicht geändert hat (so OLG Hamm, Beschluss vom 08.12.1992 - 3 Ws 570/92 -, MDR 1993, 376). Anders kann es dann sein, wenn diese Änderung des Schuldspruches für den Angeklagten trotz gleichbleibender Rechtsfolge von besonderer Bedeutung ist, etwa wegen seines beruflichen Fortkommens (OLG Zweibrücken, Beschluss vom 23.01.1991 – 1 Ws 596/90 –, NStZ 1991, 602, juris Rn. 8 m.w.N.; Hilger, in Löwe/Rosenberg, a.a.O., § 473 Rn. 51 m.w.N. zur Rspr.). Ein solcher bzw. entsprechender Fall wird vorliegend allerdings nicht geltend gemacht und ist auch nicht ersichtlich. Fehlt eine solche erheblich günstigere Bedeutung der Änderung des Schuldspruchs für den Angeklagten, dann wird die Änderung des Schuldspruchs regelmäßig nicht als Teilerfolg zu werten sein, wenn gleichzeitig ein weiteres Ziel des Rechtsmittels nicht erreicht wird (vgl. Hilger, in Löwe/Rosenberg, a.a.O., § 473 Rn. 51).
Letzteres ist aber der Fall. Ziel der Berufung des Angeklagten - und ebenso seiner Revision - war zwar ein Freispruch wegen Schuldunfähigkeit, welches nicht erreicht worden ist. Bei einem - wie hier - unbeschränktem Rechtsmittel des Angeklagten liegt ein Teilerfolg aber auch in einer nicht unwesentlichen Strafmilderung, was etwa bei einer Ermäßigung um ein Viertel (vgl. Schmitt, in: Meyer-Goßner/Schmitt, a.a.O., § 473 Rn. 25 m.w.N.) angenommen wird.
bb) Bei der Frage, ob dieser Teilerfolg dazu führt, die Rechtsmittelkosten ganz oder zum Teil der Staatskasse aufzuerlegen, kommt es im wesentlichen auf das Maß des erreichten Teilerfolges sowie darauf an, ob der Angeklagte die angefochtene Entscheidung hingenommen hätte, wenn sie entsprechend der neuen Entscheidung gelautet hätte (BGH, Beschlüsse vom 18.10.1977 – 5 StR 467/77 –, juris Rn. 1; vom 14.12.1977 – 3 StR 443/77 –, juris Rn. 2 m.w.N.; vom 21.10.1986 – 4 StR 553/86 –, NStZ 1987, 86, juris Rn. 4; vom 20.12.1989 – 3 StR 369/89 –, juris Rn. 5; vom 26.05.2021 – 5 StR 458/20 –, NStZ-RR 2021, 229, juris Rn. 4; OLG Hamm, Beschluss vom 11.10.1984 – 2 Ws 445/84 –, juris; OLG Stuttgart, Beschluss vom 17.10.2017 – 4 Ws 355/17 –, Justiz 2018, 412, juris Rn. 19; Hilger in: Löwe-Rosenberg, StPO, a.a.O., § 473 Rn. 51).
(1) Letzteres ist allerdings nicht der Fall. Der Angeklagte erstrebte mit der Berufung seinen Freispruch wegen Schuldunfähigkeit (§ 20 StGB). Das Amtsgericht Nürnberg hatte bereits ein psychiatrisches Sachverständigengutachten eingeholt, welches lediglich zu einer verminderten Schuldfähigkeit nach § 21 StGB gekommen war. Das Berufungsgericht hat daraufhin weitere vom Verteidiger zum Großteil bereits erstinstanzlich vorgelegte ärztliche Unterlagen in die Hauptverhandlung eingeführt und ist im Urteil vom 11.10.2023 nach Vernehmung des bereits erstinstanzlich bestellten psychiatrischen Sachverständigen zum Ergebnis gekommen, dass über die gesicherte Feststellung der eingeschränkten Schuldfähigkeit nach § 21 StGB hinaus eine völlig aufgehobene Schuldfähigkeit gemäß § 20 StGB nicht hinreichend sicher auszuschließen sei, dies aber nicht zu einem Freispruch führe, sondern zur Verurteilung wegen fahrlässigen Vollrausches. Es hat hierfür eine Geldstrafe mit einer im Vergleich zur erstinstanzlichen Verurteilung halbierten Anzahl der Tagessätze verhängt. Der Umstand, dass der Angeklagte hiergegen Revision eingelegt hat, mit der er hauptsächlich die Verletzung der §§ 323a, 20 StGB rügte, zeigt, dass er sich mit der Verurteilung wegen fahrlässigen Vollrausches zu einer Geldstrafe von 60 Tagessätzen auch dann nicht zufrieden gegeben hätte, wenn eine solche bereits in erster Instanz erfolgt wäre.
(2) Gleichwohl führt dies nicht zur Unzulässigkeit einer Billigkeitsentscheidung nach § 473 Abs. 4 StPO. Eine solche setzt nicht notwendig voraus, dass der Angeklagte das Rechtsmittel nicht eingelegt hätte, wenn schon das erstinstanzliche Urteil so gelautet hätte wie das Berufungsurteil. Denn diese Frage ist nicht das einzige Kriterium für die Billigkeitsprüfung. Vielmehr kommt es wesentlich auch auf den Umfang des erzielten Teilerfolges an. Ist der Teilerfolg groß, so kann die Erwägung, ob der Beschwerdeführer darüber hinaus einen Freispruch oder die Einstellung des Verfahrens erstrebt hat, demgegenüber an Bedeutung ganz zurücktreten (vgl. BGH, Beschluss vom 21.09.1988 – 3 StR 349/88 –, StV 1989, 401, juris Rn. 5; hierauf Bezug nehmend BGH, Beschluss vom 26.05.2021 - 5 StR 458/20 -, NStZ-RR 2021, 229, juris Rn. 4 a.E.; KG, Beschluss vom 14.08.2012 – (4) 121 Ss 154/12 (183/12) –, juris Rn. 4; OLG Düsseldorf, Beschlüsse vom 15.03.1996 - 1 Ws 208/96 -, StV 1996, 613; vom 14.02.2011 – III-4 Ws 59/11 –, NStZ-RR 2011, 293, juris Rn. 18; OLG Stuttgart, Beschluss vom 17.10.2017 – 4 Ws 355/17 –, Justiz 2018, 412, juris Rn. 19; so auch Hilger in: Löwe-Rosenberg, a.a.O., § 473 Rn. 51; KK-StPO/Gieg, a.a.O., § 473 Rn. 7; s.a. BGH, Beschluss vom 21.10.1986 – 4 StR 553/86 –, NStZ 1987, 86, juris Rn. 4).
Demgegenüber wird zwar in der Kommentarliteratur teilweise die Ansicht vertreten, dass regelmäßig dann kein Raum für eine Billigkeitsentscheidung nach § 473 Abs. 4 StPO sei, wenn das Vorbringen des Rechtsmittelführers deutlich erkennen lässt, dass der Angeklagte trotz des teilweisen Rechtsmittelerfolgs in gleicher Weise von dem Rechtsmittel Gebrauch gemacht hätte (so KK-StPO/Gieg, a.a.O., § 473 Rn. 7; Schmitt, in Meyer-Goßner/Schmitt, a.a.O., § 473 Rn. 26; vgl. hierzu OLG Celle, Beschluss vom 05.04.2017 – 1 Ss (OWi) 5/17 –, StraFo 2017, 294, juris Rn. 17).
Anknüpfend an die zitierte Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs und der genannten Oberlandesgerichte kommt der Senat aber zum Ergebnis, dass die Umstände des Falls eine Änderung der Kostenentscheidung gebieten. Die zur Verurteilung nur wegen einer Fahrlässigkeitstat führende Änderung des Schuldspruchs trifft mit einer erheblichen Änderung des Rechtsfolgenausspruchs zusammen. Auch wenn eine erheblich günstigere Bedeutung der Schuldspruchänderung für den Angeklagten (etwa für dessen berufliches Fortkommen) nicht ersichtlich ist, hat er in der Gesamtbetrachtung dennoch wegen des verminderten Schuldvorwurfs des fahrlässigen Vollrausches und der erheblichen Minderung der Geldstrafe einen nicht unerheblichen Teilerfolg erzielt, so dass es unbillig wäre, dem Beschwerdeführer - wie in dem angefochtenen Berufungsurteil geschehen - die gesamten Rechtsmittelkosten aufzubürden. Demgemäß hat der Umstand, dass der Angeklagte auch bei einer dem Berufungsurteil entsprechenden erstinstanzlichen Verurteilung Berufung eingelegt hätte, zurückzutreten.
(3) Entgegen der Ansicht des Beschwerdeführers liegt aber kein darüber hinausgehender voller Erfolg seines Rechtsmittels vor. Soweit er auf eine Entscheidung des Oberlandesgerichts Frankfurt (Beschluss vom 20.10.1978 - 2 Ws 237/78 -, NJW 1979, 1515) hinweist, das in einem vergleichbaren Fall der Herabsetzung des Strafmaßes von einem vollen Erfolg des Rechtsmittels ausgegangen sei, lag dieser Entscheidung eine nachträgliche Beschränkung des Rechtsmittels auf das Strafmaß zugrunde. Eine solche hat der Angeklagte gerade nicht vorgenommen.
cc) Angesichts des Teilerfolgs der auf einen Freispruch abzielenden Berufung hält der Senat (nach Abzug der durch die Berufung der Staatsanwaltschaft entstandenen ausscheidbaren Verfahrenskosten und ausscheidbaren notwendigen Auslagen des Angeklagten) eine Ermäßigung der Gerichtsgebühr für die Berufungsinstanz um ein Drittel, die Auferlegung der in der Berufungsinstanz entstandenen gerichtlichen Auslagen um zwei Drittel auf den Angeklagten und die Auferlegung der dem Angeklagten in der Berufungsinstanz entstandenen notwendigen Auslagen zu einem Drittel auf die Staatskasse für angemessen (§ 473 Abs. 4 Satz 1 und 2 StPO).
IV.
Die Kostenentscheidung hinsichtlich des Rechtsmittels der sofortigen Beschwerde beruht auf § 473 Abs. 4 Satz 1 und 2 StPO.
Hinsichtlich der erfolgreichen Anhörungsrüge war eine Kostenentscheidung nicht veranlasst, da insoweit keine Gerichtsgebühren anfallen (Nr. 3920 KV GKG) und auch dem Verteidiger für eine Anhörungsrüge keine zusätzlichen Gebühren nach dem Rechtsanwaltsvergütungsgesetz entstehen. Die insoweit erbrachten Tätigkeiten sind, soweit dem Verteidiger insoweit nicht nur ein Einzelauftrag erteilt wird (vgl. Gerold/Schmidt/Burhoff, 26. Aufl. 2023, RVG VV 4302 Rn. 5), durch den Pauschalcharakter der jeweiligen Verfahrensgebühr mit abgegolten (vgl. Burhoff in: Burhoff, Handbuch für das strafrechtliche Ermittlungsverfahren, 9. Aufl., 2022, N, Rn. 3143 und Rn. 3159).
Einsender: 4. Strafsenat des BayObLG
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