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Entscheidungen

Sonstiges

Auslieferung, Kriegsdienstverweigerung, Auslieferungshindernis, Grundrecht

Gericht / Entscheidungsdatum: OLG Dresden, Beschl. v. 09.08.2024 - OAus 174/24

Eigener Leitsatz:

Die Auslieferung eines Verfolgten in sein Heimatland verstößt nicht gegen wesentliche Grundsätze der deutschen Rechtsordnung, wenn sich der Verfolgte im Auslieferungsverfahren darauf beruft, den Kriegsdienst mit der Waffe aus Gewissensgründen zu verweigern und im Falle seiner Überstellung nicht gewährleistet ist, dass er nach dem Recht des ersuchenden Staates nicht dennoch zum Kriegsdienst herangezogen wird und im Falle der Verweigerung Bestrafung zu erwarten hat.


Strafsenat

OAus 174/24

Beschluss

In der Auslieferungssache des ukrainischen Staatsangehörigen pp.
derzeit in der Justizvollzugsanstalt Dresden

Pflichtbeistand:

wegen Auslieferung zur Strafverfolgung an die Ukraine

hat der 2. Strafsenat des Oberlandesgerichts Dresden am 09.08.2024 beschlossen:

Die Sache wird dem Bundesgerichtshof gemäß § 42 IRG zur Entscheidung über die folgende Rechtsfrage vorgelegt:

Verstößt die Auslieferung eines Verfolgten in sein Heimatland gegen wesentliche Grundsätze der deutschen Rechtsordnung, wenn sich der Verfolgte im Auslieferungsverfahren darauf beruft, den Kriegsdienst mit der Waffe aus Gewissensgründen zu verweigern und im Falle seiner Überstellung nicht gewährleistet ist, dass er nach dem Recht des ersuchenden Staates nicht dennoch zum Kriegsdienst herangezogen wird und im Falle der Verweigerung Bestrafung zu erwarten hat?

Gründe

I.

Die Justizbehörden der Ukraine betreiben auf der Grundlage eines Haftbefehls des Bezirksgerichts der Region Zhytomyr in Yemilchinskyi vom 19. Dezember 2023 (Az. 277/835/18) die Auslieferung des Verfolgten zum Zwecke der Strafverfolgung.
Der Senat hat mit Beschluss vom 5. Juni 2024 gegen den am 27. Mai 2024 aufgrund einer Interpol-Ausschreibung (Red Notice) der ukrainischen Behörden (Az. 2024/35716) vorläufig fest-genommenen Verfolgten die vorläufige Auslieferungshaft angeordnet. Das Auslieferungsersuchen der Generalstaatsanwaltschaft der Ukraine vom 11. Juni 2024 (Az. 19/1/2 — 26615-24) mit Anlagen ist dem Senat am 19. Juni 2024 vorab in elektronischer Form übermittelt worden. Mit Beschluss vom 26. Juni 2024 hat der Senat die Fortdauer der Auslieferungshaft mit der Maßgabe angeordnet, dass die Vorläufigkeit der Auslieferungshaft entfällt.

Dem Haftbefehl des Bezirksgerichts der Region Zhytomyr in Yemilchinskyi vom 19. Dezember 2023 zufolge war der Verfolgte am 29. Juli 2018 gegen 17.00 Uhr durch Polizeibeamte in das Bezirkskrankenhaus in Yemilchinskyi gebracht worden, wo eine Untersuchung seiner Alkoholisierung erfolgen sollte. Ihm wird vorgeworfen, nach Abnahme der Handschellen einen Polizeibeamten beleidigt und bedroht und schließlich körperlich angegriffen zu haben, indem er diesem insgesamt drei Schläge gegen den Kopf und in den Leistenbereich versetzte, wodurch der Beamte ein subkutanes Hämatom am linken Jochbein erlitt. Ein solches Verhalten ist nach § 345 Abs. 2 des ukrainischen Strafgesetzbuches als Drohung oder Gewalt gegen einen Polizeibeamten strafbar und mit Freiheitsentzug oder Freiheitsstrafe im Höchstmaß von fünf Jahren bedroht.

Nach seiner Festnahme hat der Pflichtbeistand des Verfolgten in der am 28. Mai 2024 gemäß § 22 Abs. 2 IRG durchgeführten Anhörung für diesen erklärt, dass er befürchte, in der Ukraine zum Militärdienst eingezogen zu werden und an die Front zu müssen. In seiner am 27. Juni 2024 vor dem Ermittlungsrichter des Amtsgerichts Dresden erfolgten Vernehmung zum Auslieferungslieferungsersuchen gemäß § 28 IRG hat der Verfolgte die Einwendung erhoben, dass die Auslieferung unzulässig sei, weil er im Falle seiner Auslieferung in die ukrainischen Streitkräfte eingezogen werde. Er lehne aber den Dienst an der Waffe ab. Er habe ein Jahr und sechs Monate Grundwehrdienst geleistet, sei aber in dem seit 2014 andauernden Konflikt zu einem früheren Zeitpunkt nicht eingezogen worden, da er kleine Kinder gehabt habe.

Der Verfolgte hat mit Schriftsatz seines Pflichtbeistandes vom 10. Juli 2024 ergänzend vorgebracht, er könne die reale Möglichkeit jemanden während des Dienstes an der Waffe zu töten, nicht mit seinem Gewissen vereinbaren. Die in der Ukraine herrschenden Umstände ließen eine Kriegsdienstverweigerung des Verfolgten aber nicht zu. Deshalb stehe Art. 4 Abs. 3 GG seiner Auslieferung entgegen. Mit Schriftsatz vom 24. Juli 2024 hat er ergänzend weiter ausgeführt, dass in der Ukraine das Kriegsrecht herrsche, er sich als Reservist registrieren lassen müsse und es faktisch unmöglich sei, das Land legal zu verlassen.

Die Generalstaatsanwaltschaft Dresden vertritt unter Beachtung des Beschlusses des Bundesgerichtshofs vom 24. Mai 1977 — 4 ARs 6/77 -, BGHSt 27, 191 die Auffassung, dass Art. 4 Abs. 3 GG der Auslieferung entgegenstehen könnte, sofern dem Verfolgten tatsächlich droht, gegen seinen Willen zum Kriegsdienst herangezogen und im Falle seiner Verweigerung bestraft zu werden. Die Einholung einer diese Gefahr begegnenden Zusicherung hat die Generalstaatsanwaltschaft bis zur Entscheidung des Senats über die Einwendungen zurückgestellt und die Akten dem Senat zur Entscheidung vorgelegt. Einen Antrag, die Auslieferung des Ver-folgten für zulässig zu erklären, hat die Generalstaatsanwaltschaft in Erwartung, die Entscheidung des Senates werde die Einholung weiterer Zusicherungen erforderlich machen, ebenfalls zurückgestellt.

Mit Beschluss vom 9. August 2024 hat der Senat die Einwendungen des Verfolgten zurückgewiesen, die Fortdauer der Auslieferungshaft angeordnet und die Einholung einer weiteren Zusicherung der ukrainischen Justizbehörden zur Sicherstellung der Anwesenheitsrechte des Ver-folgten in einer Hauptverhandlung veranlasst. Mit Blick auf die eingewandte Verweigerung des Kriegsdienstes aus Gewissensgründen hat der Senat seine Auffassung dargelegt, dass allein der Umstand, dass der Verfolgte im Falle seiner Auslieferung nach dem Recht des ersuchenden Staates zum Kriegsdienst herangezogen wird und im Falle der Verweigerung dafür eine Bestrafung droht, kein Auslieferungshindernis begründen dürfte. Der Senat hat zudem darauf verwiesen, aufgrund der beabsichtigten Abweichung von der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs diesem die Rechtsfrage gemäß § 42 IRG zur Entscheidung vorzulegen.

II.

Der Senat legt die Sache dem Bundesgerichtshof nach § 42 Abs. 1 IRG zur Entscheidung über die im Beschlusstenor bezeichnete Rechtsfrage vor.

1. Die Vorlage erfolgt nach beiden Alternativen des § 42 Abs. 1 IRG. Der Senat beabsichtigt, von einer Entscheidung des Bundesgerichtshofes abweichen. Die Rechtsfrage ist zudem von grundsätzlicher Bedeutung.

a) Nach § 15 Abs. 1, Abs. 2, § 17 Abs. 1 IRG ordnet das Oberlandesgericht die vorläufige Auslieferungshaft oder die Auslieferungshaft durch schriftlichen Haftbefehl an, wenn die Auslieferung nicht von vornherein als unzulässig erscheint. Diese Prüfung, ob die Voraussetzungen für eine Auslieferung wahrscheinlich gegeben sein können, hat das Oberlandesgericht aufgrund einer dem jeweiligen Stand des Verfahrens angepassten Prognoseentscheidung auch bei den Entscheidungen über die Fortdauer der Auslieferungshaft gemäß § 16 Abs. 3, § 26 Abs. 1 IRG und bei Entscheidungen über die Einwendungen des Verfolgten gegen den Auslieferungshaftbefehl nach § 23 IRG vorzunehmen.

Als „von vornherein" unzulässig erscheinen kann die Auslieferung insbesondere dann, wenn nach dem gegenwärtigen Stand sich aus völkerrechtlichen Vereinbarungen oder den besonderen Regelungen in §§ 6, 8 und §§ 81, 83 IRG Auslieferungshindernisse ergeben oder die Aus-lieferung wesentlichen Grundsätzen der deutschen Rechtsordnung widersprechen würde (§ 73 Satz 1 IRG), mithin ein Verstoß gegen den deutschen ordre public vorläge. Das Oberlandesgericht hat bei dieser Beurteilung insbesondere zu bedenken, welchen Geltungsumfang die Grundrechte im Auslieferungsrecht generell haben. Auf Grundlage der konkreten Umstände ist sodann für den Einzelfall abzuwägen, ob ihnen ein so bedeutendes Gewicht zukommt, welches der grundsätzlichen Auslieferungsverpflichtung, die sich vorliegend aus Art. 1 EuAl-Übk ergibt, als Hindernis entgegensteht, zu dessen Beseitigung es einer völkerrechtlich verbindlichen Zusicherung bedarf.

Im vorliegenden Auslieferungsverfahren hat der Verfolgte erklärt, den Dienst mit der Waffe aus Gewissensgründen abzulehnen und sich auf Art. 4 Abs. 3 GG berufen, wonach niemand gegen sein Gewissen zum Kriegsdienst mit der Waffe gezwungen werden darf.

Dies wirft die Frage auf, ob sich der Verfolgte, der geltend macht, den Kriegsdienst in seinem Heimatland aus Gewissensgründen zu verweigern, auf Art. 4 Abs. 3 GG in der Weise berufen kann, dass die erklärte Verweigerung einer Auslieferung als zwingendes Hindernis entgegen-steht und welcher Zusicherungen des ersuchenden Staates es gegebenenfalls bedarf, um ein solches Auslieferungshindernis auszuräumen.

b) Der Senat beabsichtigt, die Rechtsfrage so zu beantworten, dass Art. 4 Abs. 3 GG den Verfolgten nicht davor schützt, in seinem Heimatland nach dem dortigen Recht Kriegsdienst leisten zu müssen und die Auslieferung nicht deshalb unzulässig ist, weil dem Verfolgten entgegen seiner erklärten Gewissensentscheidung im Falle seiner Übergabe droht, zum Militärdienst mit der Waffe herangezogen zu werden und bei Verweigerung hierfür bestraft zu werden. Einer Zusicherung hinsichtlich der Gewährleistung des Rechts auf Kriegsdienstverweigerung bedarf es nicht. Nach Auffassung des Senats widerspricht die Auslieferung unter Beachtung von Art. 4 Abs. 3 GG wesentlichen Grundsätzen der deutschen Rechtsordnung nicht.

Der Senat würde mit dieser Entscheidung von der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs abweichen, der mit Beschluss vom 24. Mai 1977 (Az. 4 ARs 6/77, BGHSt 27, 191) entschieden hat, dass das Grundrecht auf Verweigerung des Kriegsdienstes mit der Waffe die Unzulässigkeit einer Auslieferung begründe, wenn sie dazu führe, dass der Verfolgte unmittelbar nach Verbüßung der Strafe wegen eines auslieferungsfähigen Delikts, ohne zuvor das Land verlassen zu können, zum Kriegsdienst mit der Waffe herangezogen werde und, falls er aus Gewissensgründen diesen Dienst verweigert, Bestrafung zu gewärtigen habe und dem daraus folgenden Auslieferungshindernis nur durch entsprechende Zusicherungen begegnet werden könne. In dieser, eine Auslieferung an die Republik Jugoslawien im Jahr 1977 betreffenden Entscheidung, hat der Bundesgerichtshof unter anderem ausgeführt, das Grundrecht aus Art. 4 Abs. 3 GG gelte nicht nur für Personen, die in Deutschland wehrpflichtig sind, und betreffe nicht nur die Verweigerung des Dienstes mit der Waffe in der Bundeswehr. Es sei vielmehr ein im Grundgesetz verankertes, auf dem Grundrecht der Glaubensfreiheit und Gewissensfreiheit beruhendes allgemeines Grundrecht, das ohne Einschränkung für jeden gelte, der zum Kriegsdienst mit der Waffe herangezogen werden könne. Dies ergäbe sich bereits aus dem Wortlaut des Art. 4 Abs. 3 GG sowie aus dem Umstand, dass dieses Grundrecht bereits zu einem Zeitpunkt in der Verfassung verankert gewesen sei, in der eine Wehrpflicht in der Bundesrepublik Deutschland noch nicht bestanden habe. Es bedürfe als unmittelbar wirksames Grundrecht nicht erst der Aktualisierung durch ein Gesetz und könne vom (einfachen) Gesetzgeber nicht eingeschränkt werden. Die Bestimmungen des Wehrpflichtgesetzes, welche die Wehrpflicht und das Anerkennungsverfahren für Kriegsdienstverweigerer regeln, könnten deshalb an seinem rechtlichen Gehalt und an seiner Reichweite nichts ändern und keine Beschränkung des Kriegsdienstverweigerungsrechts auf den der deutschen Wehrpflicht unterliegenden Personenkreis begründen. nenn eine solche Beschränkung dem Zweck des Grundgesetzes zuwiderlaufen, der darin bestünde, die Gewissensposition gegen den Kriegsdienst mit der Waffe zu schützen und den Kriegsdienstverweigerer vor dem Zwang zu bewahren, töten zu müssen, der notwendig mit jedem Kriegsdienst mit der Waffe verbunden sei, unabhängig davon, in welchem Land er abzuleisten sei. Die Auslieferung sei dennoch möglich, wenn durch eine Zusicherung die Gewähr dafür gegeben sei, dass der Verfolgte im Anschluss an die Strafvollstreckung und zwar innerhalb der sich aus der Spezialitätsregelung des Auslieferungsvertrages ergebenden Frist, in welcher ihm die Ausreise gestattet sei, nicht zum Kriegsdienst mit der Waffe einberufen werde und für die Verweigerung nicht bestraft werde.

Soweit ersichtlich sind zu der Rechtsfrage, ob Art. 4 Abs. 3 GG im Falle der erklärten Kriegsdienstverweigerung eines Ausländers ein Auslieferungshindernis begründet, keine weiteren Entscheidungen des Bundesgerichtshofs oder anderer Oberlandesgerichte ergangen.

c) Die Rechtsfrage ist von grundsätzlicher Bedeutung, da sie sich jederzeit wieder stellen kann.

2. Die Beantwortung der Rechtsfrage ist für das vorliegende Verfahren von Bedeutung.

Unter Zugrundelegung der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs steht aufgrund der vom Verfolgten im Auslieferungsverfahren erklärten Kriegsdienstverweigerung die Anwendung von Art. 4 Abs. 3 GG einer Entscheidung des Senats, die Auslieferung für zulässig zu erklären, derzeit als Auslieferungshindernis entgegen und es bedürfte hierzu der Einholung einer völker-rechtlich verbindlichen Zusicherung der ukrainischen Behörden, dass die Verweigerung be-achtet und nicht sanktioniert wird.

Nach der Rechtsauffassung des Senats bedarf es hingegen einer derartigen Zusicherung nicht. Ein Auslieferungshindernis würde sich aus einer Kriegsdienstverweigerung auch unter Beachtung von Art. 4 Abs. 3 GG nicht ergeben. Da die Voraussetzungen für die Zulässigkeit der Auslieferung im Übrigen voraussichtlich vorliegen werden, wäre die Auslieferung durch den Senat nach dem gegenwärtigen Stand des Verfahrens wahrscheinlich für zulässig zu erklären (§ 29 Abs. 1, 32 IRG), sofern die Generalstaatsanwaltschaft Dresden einen entsprechenden Antrag stellt und die noch erbetene Zusicherung zur Sicherung der Teilnahmerechte des Verfolgten an einer Hauptverhandlung erteilt wird.

3. Der Senat ist der Auffassung, dass mit Blick auf die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zur Geltung der Grundrechte im Auslieferungsverkehr, die Auslieferung eines den Kriegsdienst verweigernden Verfolgten auch unter Beachtung von Art. 4 Abs. 3 GG wesentlichen Grundsätzen der deutschen Rechtsordnung nicht widerspricht. Ein diesbezügliches Auslieferungshindernis gemäß § 73 IRG wäre nicht gegeben.

a) Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts sind Maßstab der verfassungsrechtlichen Prüfung im Auslieferungsverfahren nicht die Grundrechte und grundrechts-gleichen Rechte des Grundgesetzes in der Ausprägung, wie sie auf rein innerstaatliche Sach-verhalte Anwendung finden (vgl. BVerfG, Nichtannahmebeschlüsse vom 26. Februar 2018 — 2 BvR 107/18, Rn. 23; vom 15. Oktober 2007 — 2 BvR 1680/07, Rn. 24, jeweils juris). Das Grundgesetz geht von der Eingliederung des von ihm verfassten Staates in die Völker-rechtsordnung der Staatengemeinschaft aus (vgl. Präambel, Art. 1 Abs. 2, Art. 9 Abs. 2, Art. 23 bis 26 GG). Es gebietet damit, insbesondere im Rechtshilfeverkehr Strukturen und Inhalte fremder Rechtsordnungen und -anschauungen grundsätzlich zu achten, auch wenn sie im Einzelnen nicht mit den deutschen innerstaatlichen Auffassungen übereinstimmen. Sofern der in gegenseitigem Interesse bestehende zwischenstaatliche Auslieferungsverkehr erhalten und auch die außenpolitische Handlungsfreiheit der Bundesregierung unangetastet bleiben sollen, dürfen deutsche Gerichte nur die Verletzung der unabdingbaren Grundsätze der deutschen verfassungsrechtlichen Ordnung als unüberwindbares Hindernis für eine Auslieferung zugrunde legen (vgl. BVerfG, Nichtannahmebeschlüsse vom 26. Februar 2018 — 2 BvR 107/18 a.a.O.; vom 19. November 2015 — 2 BvR 2088/15, Rn. 25; vom 15. Oktober 2007 —2 BvR 1680/07, a.a.O.; Beschluss vom 6. Juli 2005 — 2 BvR 2259/04, Rn. 24 mwN, BVerfGE 113, 154 ff, jeweils juris). Die Gerichte haben daher lediglich zu prüfen, ob einer Auslieferung die Verletzung des nach Art. 25 GG in der Bundesrepublik Deutschland verbindlichen völker-rechtlichen Mindeststandards sowie der unabdingbaren Grundsätze der deutschen verfassungsrechtlichen Ordnung entgegensteht. Die Reichweite des deutschen ordre public ist daher auf den Schutz eines rechtsstaatlich elementaren, von der Achtung der Würde des Menschen bestimmten, Kern- und Wesensgehalt beschränkt (vgl. BVerfG, Nichtannahmebeschluss vom 26. Februar 2018 — 2 BvR 107/18, a.a.O.; Einstweilige Anordnung vom 9. März 1983 — 2 BvR 315/83, Rn. 23, BVerfGE 63, 332 ff, jeweils juris; Schomburg/Lagodny/Gleß/Wahl/Zimmermann, 6. Aufl., IRG § 73 Rn. 7a; Grützner/ Pötz/Kreß/Gazeas/Brodowski/Burchard, Internationaler Rechtshilfeverkehr in Strafsachen, 3. Aufl., 51. Lfg., § 73 Rn.49). Auf der Ebene des einfachen Rechts nimmt § 73 IRG dieses verfassungsrechtliche Gebot auf, indem dort die Leistung von Rechtshilfe und damit auch die Auslieferung (nur dann) für unzulässig erklärt wird, wenn sie wesentlichen Grundsätzen der deutschen Rechtsordnung widersprechen würde.

b) Nach Art. 4 Abs. 3 GG darf niemand gegen sein Gewissen zum Kriegsdienst mit der Waffe gezwungen werden.

Das Grundrecht berechtigt nicht zur Verweigerung des Kriegsdienstes schlechthin, sondern bezieht sich ausschließlich auf den Kriegsdienst mit der Waffe. Erforderlich ist insoweit eine Tätigkeit, die nach dem Stand der jeweiligen Waffentechnik in unmittelbarem Zusammenhang zum Einsatz von Kriegswaffen steht (vgl. BVerfG, Urteil vom 24. April 1985 - 2 BvF 2/83, Rn. 125, BVerfGE 69, 1, 56; BVerwG, Urteil vom 18. Juli 1975 - VI C 62.73, Rn. 13, BVerwGE 49, 71 ff. jeweils juris; Di Fabio, in Dürig/Herzog/Scholz, GG — Kommentar, Art. 4 Rn. 251; Jarass/Pieroth/Jarass, 18. Aufl., GG Art. 4 Rn. 54).

Art. 4 Abs. 3 GG erfasst an sich nur die prinzipielle Verweigerung des Kriegsdienstes mit der Waffe aufgrund einer Gewissensentscheidung des Einzelnen, der für sich den Dienst mit der Waffe in Krieg und Frieden schlechthin und allgemein ablehnt (vgl. BVerfG, Urteil vom 24. April 1985 - 2 BvF 2/83, Rn. 189 ff, BVerfGE 69, 1, 56; Beschluss vom 20. Dezem-her 1960 — 1 Rvl 91/8n, Rn. 14, RVArriP 19, 45 ff.; RVerwri, Urteil vnm 91. Juni 2005 9 WD 12/04, Rn. 191, BVerwGE 127, 302 ff.; Urteil vom 18. Juli 1975 — VI C 62.73 —, Rn. 11, BVerw-GE 49, 71 ff, jeweils juris; Jarass/Pieroth/Jarass, a.a.O., GG Art. 4 Rn. 54). Auf die situationsbedingte Verweigerung, die sich auf bestimmte Kriege, Situationen oder Waffen bezieht sich Art. 4 Abs. 3 GG hingegen nicht, diese kann aber von der Gewissensfreiheit nach Art. 4 Abs. 1 GG erfasst werden (vgl. (vgl. BVerwG, Urteil vom 21. Juni 2005 - 2 WD 12/04, Rn. 191, BVenıvGE 127, 302 ff.; Jarass/Pieroth/Jarass, a.a.O., GG Art. 4 Rn. 52). Vorliegend ist dies jedoch nicht von entscheidender Bedeutung, da der Verfolgte, der in der Vergangenheit bereits einen Militärdienst abgeleistet hat, aufgrund von Überlegungen, die für die konkrete Situation Gültigkeit haben, zu einer generellen Ablehnung des Kriegsdienstes gelangt sein kann. Die Prüfung ist daher an den Maßgaben des Art. 4 Abs. 3 GG auszurichten.

Das Grundrecht aus Art. 4 Abs. 3 GG ist nicht allein deutschen Staatsbürgern vorbehalten und schützt jeden, der Kriegsdienst mit der Waffe leistet oder leisten soll und damit grundsätzlich auch Ausländer (Jarass/Pieroth/Jarass, a.a.O., GG Art. 4 Rn. 55). Dies folgt bereits aus dem Wortlaut der Vorschrift, die das Grundrecht der Gewissensfreiheit aus Art. 4 Abs. 1 GG näher ausformt (vgl. Di Fabio, in Dürig/Herzog/Scholz, a.a.O., Art. 4 Rn. 248). Zudem wird das Recht zur Kriegsdienstverweigerung aus Gewissensgründen als Menschenrecht angesehen (vgl. BGH, Beschluss vom 24. Mai 1977 - 4 ARs 6/77, BGHSt 27, 191; HuberNoßkuhle/Heinig, 8. Aufl., GG Art. 4 Rn. 149; Kempen, AK-GG, Art. 4 Abs. 3 Rn. 1, 9; BeckOK GG/Germann, 58. Ed. 15. Juni 2024, GG Art. 4 Rn. 102; Sachs/Kokott, 9. Aufl., GG Art. 4 Rn. 118).

Trotz der mit dieser Einordnung einhergehenden grundsätzlich universellen Geltung und Be-deutung des Grundrechts gehört dieses, nach den im Auslieferungsrecht geltenden Maßstäben, aus Sicht des Senates nicht zu dem elementar zu gewährleistenden Kern- und Wesens-gehalt der deutschen Rechtsordnung, soweit es die Kriegsdienstverweigerung eines Ausländers in seinem Heimatland betrifft. Denn Art. 4 Abs. 3 GG räumt dem Schutz des freien Ge-wissens des Einzelnen den Vorrang ein und setzt der ebenfalls in Art. 12a GG verfassungs-rechtlich verankerten Pflicht, sich an der bewaffneten Landesverteidigung und damit insoweit an der Sicherung der staatlichen Existenz zu beteiligen, eine unüberwindliche Schranke entgegen (vgl. BVerfG, Urteil vom 24. April 1985 - 2 BvF 2/83, Rn. 45f, BVerfGE 69, 1, 56). In seinem Kern- und Wesensgehalt garantiert Art. 4 Abs. 3 GG hingegen nicht die Kriegsdienstverweigerung eines Ausländers in seinem Heimatland.

Der Senat erachtet daher die Auffassungen als zutreffend, die den persönlichen Schutzbereich des Art. 4 Abs. 3 GG als auf den Personenkreis zugeschnitten ansehen, der für einen „Kriegsdienst mit der Waffe" unter Beachtung von Art. 12a Abs. 1 GG und dem Wehrpflichtgesetz (WPflG) rechtlich überhaupt als „an der Waffe" Dienstverpflichteter in Betracht kommt und damit grundsätzlich auf die nach deutschem Recht Wehrpflichtigen beschränken (vgl. Sächsisches OVG, Beschluss vom 26. August 2011 - 3 B 251/10, Rn. 11, juris; Huber/Voßkuhle/Heinig, a.a.O.; v. Münch/Kunig/Mager, 7. Aufl. 2021, GG Art. 4 Rn. 113; BeckOK GG/Germann, a.a.O. Rn. 116). Ein solches Verständnis lässt auch das Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 24. April 1985 zu, das sich ausführlich mit der Wechselwirkung des Grundrechts aus Art. 4 Abs. 3 GG und der verfassungsrechtlich abgesicherten Pflicht zur Landesverteidigung auseinandersetzt (Az. 2 BvF 2/83, Rn. 43 ff., BVerfGE 69, 1, 56, juris). Ausländer betrifft der Schutzbereich nur, sofern diese durch die Bundesrepublik Deutschland ebenfalls zum Wehrdienst herangezogen werden. Insofern sah der inzwischen aufgehobene § 2 WPflG bis zum 29. April 2005 noch die Möglichkeit vor, Ausländer und Staatenlose unter bestimmten Voraussetzungen der deutschen Wehrpflicht zu unterwerfen. Hingegen gilt Art. 4 Abs. 3 GG nicht für die Heranziehung von Ausländern in ausländischen Streitkräften (vgl. v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, 5. Auflage, Band 1, Art. 4 Abs. 3, Rn. 176). Der Senat teilt daher die Auffassung, dass Art. 4 Abs. 3 GG nicht Ausländer davor schützt, in ihrem Heimatland nach dem dortigen Recht Wehrdienst leisten zu müssen (vgl. Sächsisches OVG, a.a.O., Hamburgisches OVG, Beschluss vom 19. Januar 2007 - 1 Bs 4/07, Rn. 10; OVG für das Land Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 4. Oktober 2006 - 18 B 2066/06, Rn. 22 ff., jeweils juris; Stein, NJW 1978, 2426 ff.).

Das Bundesverwaltungsgericht hat für Ausländer keinen Anspruch auf Durchführung eines Anerkennungsverfahrens als Kriegsdienstverweigerer gegenüber der Heranziehung zum Militärdienst in ihrem Heimatland zuerkannt und darauf verwiesen, dass ein derartiges Anliegen im verwaltungsrechtlichen Fachverfahren lediglich einredeweise geltend gemacht werden kann (vgl. BVerwG, Beschluss vom 27. Oktober 2004 - 6 B 54/04, NVwZ 2005, 464, juris).

Der Annahme dieses eingeschränkten persönlichen Schutzbereichs steht auch nicht entgegen, dass Art. 4 Abs. 3 GG zu einer Zeit in der Verfassung verankert wurde, in der eine Wehrpflicht in der Bundesrepublik noch nicht bestand (so BGH a.a.O.). Zum einen hatte der Verfassungsgeber schon bei der Schaffung des Grundgesetzes vor allem die Möglichkeit einer späteren Einführung der allgemeinen Wehrpflicht für deutsche Streitkräfte in den Blick genommen (vgl. Hamburgisches OVG a.a.O., Rn. 10; Di Fabio a.a.O.; Kempen, in: AK-GG, Art. 4 Abs. 3 Rn. 3, Stein a.a.O., S. 2428). Zum anderen liegt die Annahme fern, dass der Grundgesetzgeber gerade mit dem Recht auf Verweigerung des Kriegsdienstes zur damaligen Zeit ein alleiniges „Exportgrundrecht" mit Weltgeltung hat schaffen wollen (vgl. VG Hamburg, Beschluss
vom 11. Dezember 2006 - 10 E 3495/06, juris; Stein, a.a.O., S. 2429). Vor dem Hintergrund, dass das Recht des Einzelnen auf Kriegsdienstverweigerung aus Gewissensgründen im internationalen Recht (bislang) nicht allgemein verbindlich anerkannt ist (vgl. unter d)), wäre dies auch unter völkerrechtlichen Gesichtspunkten nur schwer vertretbar. Denn das Recht zur Organisation der Selbstverteidigung gehört zu den originären und souveränen Rechten eines je-den Staates (vgl. VG Düsseldorf, Urteil vom 7. Juni 2018 — 6 K 13812/16.A, Rn. 34, juris; Stein, a.a.O., S. 2429). Die dazu gehörenden Regelungen sind nach den Maßgaben des Bundesverfassungsgerichts zum Auslieferungsrecht grundsätzlich zu achten, auch wenn sie im Einzelnen nicht mit den deutschen innerstaatlichen Auffassungen übereinstimmen.

c) Der Senat ist der Ansicht, dass — ungeachtet der hier vertretenden fehlenden unmittelbaren Geltung des Art. 4 Abs. 3 GG — die Auslieferung auch mit Blick auf die verwaltungsrechtliche Rechtsprechung zum Asyl- und Aufenthaltsrecht die Auslieferung wesentlichen Grundsätzen der deutschen Rechtsordnung nicht widerspricht. Denn ein allgemeiner Grundsatz des Inhalts, dass deutsche Stellen nicht durch Überstellung eines Ausländers an sein Heimatland daran mitwirken dürfen, dass dieser gegen sein Gewissen zur Ableistung des Militärdienstes gezwungen wird oder für die Verweigerung bestraft wird, besteht nicht. Die eine solche Lesart eröffnende Entscheidung des Bundesgerichtshofes vom 24. Mai 1977 - 4 ARs 6/77 - ist insbesondere in der verwaltungsrechtlichen Rechtsprechung zum Ausländerrecht nicht aufgegriffen worden.

Nach dieser Rechtsprechung begründet es kein Asylrecht und steht einer Abschiebung nicht per se entgegen, wenn dem Ausländer bei Rückführung in sein Heimatland droht, dass er gegen sein Gewissen zum Kriegsdienst herangezogen wird und die Verweigerung sanktioniert wird. Denn das Grundrecht auf Asyl schließt das Recht auf Kriegsdienstverweigerung aus Ge-wissensgründen nicht ein (vgl. BVerwG, Urteil vom 31. März 1981 - 9 C 6/80, BVerwGE 62, 123, Rn. 12, juris). Auch der Umstand, dass wegen der Verweigerung im Heimatland eine Sanktionierung droht, begründet grundsätzlich kein Asylrecht. Eine ordnungsrechtliche Sanktion für die Verletzung einer alle Staatsbürger gleichermaßen treffenden Pflicht kann nicht als flüchtlingsrechtlich relevante Verfolgung angesehen werden (BVerwG, Urteil vom 26. Februar 2009 - 10 C 50.07, BVerwGE 133, 203, Rn. 24; Beschluss vom 2. Juni 2017 - 1 B 108/17, 1 PKI-1 62/17, Rn. 10, jeweils Iris; Hauher/Mantel AufenthG/Hruschka, 3. Aufl., AsylG § 3a Rn. 13). Denn die Bestrafung von Fahnenflucht dient dem — grundsätzlich legitimen — staatlichen Rechtsgüterschutz (vgl. Bayerischer Verwaltungsgerichtshof, Urteil vom 12. Dezember 2019 - 8 B 19.31004, Rn. 34, juris mit Verweis auf § 16 Wehrstrafgesetz - WStG). Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts stellen die an eine Wehrdienstentziehung geknüpften Sanktionen, selbst wenn sie von totalitären Staaten ausgehen, nur dann eine flüchtlingsrechtlich erhebliche Verfolgung dar, wenn sie nicht nur der Ahndung eines Verstoßes gegen eine allgemeine staatsbürgerliche Pflicht dienen, sondern darüber hinaus den Be-troffenen auch wegen seiner Religion, seiner politischen Überzeugung oder eines sonstigen asylerheblichen Merkmals treffen sollen (BVerwG, Beschluss vom 2. Juni 2017 - 1 B 108/17, 1 PKH 62/17, Rn. 10 m.w.N, juris; Bayerischer Verwaltungsgerichtshof a.a.O.). Als asylerhebliches Merkmal kann dabei gemäß § 3a Abs. 2 Nr. 5, § 3 Abs. 2 AsylG auch in Betracht kommen, dass die Strafverfolgung oder Bestrafung wegen Verweigerung des Militärdienstes in einem Konflikt droht, bei dem der Militärdienst Verbrechen oder Verbrechen gegen den Frieden, ein Kriegsverbrechen oder ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit beinhaltet.

Im Übrigen steht auch im Aufenthaltsrecht gemäß § 60 Abs. 6 AufenthG die allgemeine Gefahr, dass einem Ausländer in einem anderen Staat Strafverfolgung und Bestrafung drohen können oder die konkrete Gefahr einer nach der Rechtsordnung eines anderen Staates gesetzmäßigen Bestrafung der Abschiebung nicht entgegen.

Mithin wird im asylrechtlichen Sinne die im Heimatland drohende Gefahr gegen die Gewissensentscheidung zum Kriegsdienst herangezogen zu werden und bei Verweigerung bestraft zu werden, nur dann beachtlich, wenn sie den Charakter einer politischen Verfolgung trägt oder die besonderen In1Qtnrip nach § 3a Abs. 2 Nr: 5, § 3 Abs, 2 AsylG vorliegen. Im Ergebnis kann für das Auslieferungsverfahren nichts anderes gelten.

Der Situation der Abschiebung im Ausländerrecht ist die der Auslieferung grundsätzlich gleich-zustellen (vgl. BVerfG, Beschluss vom 23.02.1983 - 1 BvR 1019/82, Rn. 46, NJW 1983, 1725, juris; Schomburg/Lagodny/Gleß/Wahl/Zimmermann, a.a.O., IRG § 73 Rn. 21). Insofern ergibt eine vergleichende Betrachtung, dass es widersprüchlich wäre, vor einem Krieg und einer ei-genen Beteiligung daran flüchtende Personen zurückzuweisen, weil die dem Gewissen folgende Kriegsdienstverweigerung und dafür zu erwartende Bestrafung keinen Schutzstatus begründet und andererseits dieselbe tatsächliche Verweigerungssituation und drohende Bestrafung der Auslieferung von zur Strafverfolgung oder Strafvollstreckung gesuchten Verfolgten entgegenstehen würde.

d) Der Senat ist der Auffassung, ein Auslieferungshindernis folge schließlich auch nicht aus Art. 9 der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) oder aus Art. 10 Abs. 2 der Char-ta der Europäischen Union vom 7. Dezember 2000 (EUGrCh).

Der in Art. 9 EMRK postulierte Schutz der Gewissensfreiheit umfasst das Recht auf Wehrdienstverweigerung nicht. Die Europäische Menschenrechtskommission hat in ständiger Rechtsprechung entschieden, dass Art. 9 EMRK ein solches Recht nicht beinhaltet (vgl. Bernsdorff in Meyer/Hölscheidt, Charta der Grundrechte der Europäischen Union, 5. Aufl., Art. 10, Rn. 17). Sie hat sich für ihre Auffassung auf Art. 4 Abs. 3 lit. b EMRK berufen, der es ausdrücklich den Vertragsstaaten überlässt, ein solches Recht anzuerkennen oder zu versagen. Die vielfachen Versuche, ein Recht auf Kriegsdienstverweigerung in die Menschenrechtskonvention aufzunehmen, haben bisher keinen Erfolg gehabt (vgl. zum Ganzen Bernsdorff in Meyer/Hölscheidt, a.a.O. Art. 10, Rn. 17 mwN; Hamburgisches Oberverwaltungsgericht, Be-schluss vom 19. Januar 2007 -1 Bs 4/07, Rn. 14, juris).

Die Regelung des Art. 10 Abs. 2 EUGrCh, die am 1. Dezember 2009 für Deutschland in Kraft getreten ist (BGBl. II S. 1223), hat die Ausprägung des Grundrechts zur Disposition des nationalen Gesetzgebers gestellt. Jedoch ist der Bestand eines allgemeinen Rechts auf Wehrdienstverweigerung aus Gewissensgründen weder durch allgemeines Völkerrecht noch durch internationale Verpflichtungen der Mitgliedstaaten gesichert, sodass dem Grundrecht des Art. 10 Abs. 2 EUGrCh kein eigenständiger normativer Gehalt entnommen werden kann (vgl. Bernsdorff a.a.O.).

e) Im Ergebnis widerspricht es daher nach Auffassung des Senates wesentlichen Grundsätzen der deutschen Rechtsordnung nicht, die Auslieferung eines Verfolgten, der sich darauf beruft, den Dienst an der Waffe in seinem Heimatland zu verweigern, für zulässig zu erklären, wenn diesem nach dem dort für alle Staatsbürger gleichermaßen geltenden Recht droht, trotz seiner erklärten Gewissensentscheidung zum Kriegsdienst herangezogen und im Falle der Verweigerung bestraft zu werden. Etwas anderes dürfte nur gelten, wenn überdies Anhalts-punkte dafür bestehen, dass die Heranziehung zum Dienst an der Waffe oder die zu gewärtigende Bestrafung den Charakter einer politischen Verfolgung befürchten lässt und der Anwendungsbereich des Art. 3 EuAlÜbK oder von § 6 IRG eröffnet ist.

4.

Es handelt sich dabei bei der Vorlagefrage auch nicht um eine dem Unionsrecht unterfallende Rechtsfrage, zu deren Entscheidung allein der Europäische Gerichtshof berufen ist. insoweit betrifft die Frage allein den Geltungsumfang eines nach der deutschen Verfassung bestehenden Grundrechts und die Auslegung von § 73 IRG.


Einsender: RA C. Münnich, Bautzen

Anmerkung:


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