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Entscheidungen

OWi

Entbindungsantrag des Betroffenen, Bescheidung, Ermessen, zwingende Entbindung

Gericht / Entscheidungsdatum: OLG Hamm, Beschl. v. 30.04.2024 - III - 5 ORbs 80/24

Eigener Leitsatz:

Das AG muss einem Entbindungsantrag des Betroffenen nach § 73 Abs. 2 OWiG stattgeben, wenn er sich zur Sache geäußert oder erklärt hat, dass er sich in der Hauptverhandlung nicht zur Sache äußern werde, und seine Anwesenheit zur Aufklärung wesentlicher Gesichtspunkte des Sachverhaltes nicht erforderlich ist. Die Entscheidung über den Entbindungsantrag ist dabei nicht in das Ermessen des Gerichts gestellt.


OBERLANDESGERICHT HAMM

BESCHLUSS

III - 5 ORbs 80/24

Bußgeldsache
gegen pp.

Verteidiger:

Rechtsanwalt Philipp Christian Rinklin in Freiburg,

wegen Verkehrsordnungswidrigkeit

Auf den Antrag auf Zulassung der Rechtsbeschwerde des Betroffenen vom 12.02.2024 gegen das Urteil des Amtsgerichts Bottrop vom 09.02.2024 hat der 5. Senat für Bußgeldsachen des Oberlandesgerichts Hamm am 30.04.2024 den Richter am Oberlandesgericht als Einzelrichter gemäß § 80a Abs. 1 OWiG nach Anhörung der Generalstaatsanwaltschaft Hamm sowie nach Anhörung des Betroffenen bzw. seines Verteidigers beschlossen:

1. Auf den Antrag des Betroffenen wird die Rechtsbeschwerde gegen das Urteil des Amtsgerichts Bottrop vom 09.02.2024 zugelassen.
2. Auf die Rechtsbeschwerde wird das Urteil des Amtsgerichts Bottrop vom 09.02.2024 aufgehoben.
3. Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung — auch über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens — an das Amtsgericht Bottrop (§ 79 Abs. 6 OWiG) zurückverwiesen.

Gründe:

Die Generalstaatsanwaltschaft hat in ihrer Antragsschrift vom 11.04.2024 Folgendes
ausgeführt:

„1.

Der Oberbürgermeister der Stadt Bottrop hat gegen den Betroffenen mit Bußgeldbescheid vom 21.08.2023 (Aktenzeichen: 00099907363-2610) wegen Missachtung des Überholverbotes ein Bußgeld in Höhe von 112,00 Euro verhängt (BI. 39 d.A.).

Auf den hiergegen gerichteten rechtzeitigen Einspruch des Betroffenen (BI. 42 d.A.) hat das Amtsgericht Bottrop letztlich Termin zur Hauptverhandlung auf den 09.02.2024, 9:20 Uhr, bestimmt und hierzu den Betroffenen und seinen Verteidiger geladen (BI. 46 ff. d.A.).

Die - gleichlautenden - Anträge des Betroffenen, ihn von der Verpflichtung zum persönlichen Erscheinen zu entbinden (BI. 53, 59 d.A.), hat das Amtsgericht Bottrop mit - gleichlautenden - Beschlüssen vom 23.01.2024 (BI. 56 d.A.) und 05.02.2024 (BI. 63 d.A.) zurückgewiesen. Zu dem Termin ist der Betroffene nicht, - indes ein • unterbevollmächtigter (BI. 67 d.A.) Verteidiger erschienen (BI. 65 d.A.). Mit Urteil vom 09.02.2024 hat das Amtsgericht Bottrop den Einspruch des Betroffenen gemäß § 74 Abs. 2 OWiG verworfen (BI. 65R d.A.).

Gegen dieses in Abwesenheit des Betroffenen verkündete (BI. 65 d.A.) und ihm auf Anordnung der Vorsitzenden vom 09.02.2024 (BI. 66 d.A.) am 15.02.2024 zugestellte (BI. 70 d.A.) Urteil hat der Betroffene mit am 13.02.2024 bei dem Amtsgericht Bottrop eingegangenem (BI. 71 d.A.) Schreiben seines Verteidigers vom 12.02.2024 (BI. 72 d.A.) die Zulassung der Rechtsbeschwerde beantragt und seinen Antrag mit am 11.03.2024 bei dem Amtsgericht Bottrop eingegangenem (BI. 79 d.A.) Schreiben seines Verteidigers vom selben Tag (BI. 80 ff. d.A.) begründet.

_Der rechtzeitig angebrachte und form- und fristgerecht begründete Antrag auf Zulassung der Rechtsbeschwerde ist zulässig. Ihm bleibt auch ein — zumindest vorläufiger— Erfolg in der Sache nicht verwehrt.

Da das Amtsgericht Bottrop den Betroffenen zu einer Geldbuße von über 100,00 Euro, aber nicht mehr als 250,00 Euro verurteilt hat, ist die Rechtsbeschwerde gemäß § 80 Abs. 1 Nr. 1 OWiG nur dann zuzulassen, wenn es geboten ist, die Nachprüfung des Urteils zur Fortbildung des Rechts oder zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung zu ermöglichen oder wenn das Urteil wegen der Versagung rechtlichen Gehörs aufzuheben ist.

Diese Voraussetzungen liegen vor. Die Verfahrensweise des Amtsgerichts verletzt den Anspruch des Betroffenen auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG), so dass die Rechtsbeschwerde nach § 80 Abs. 1 Nr. 2 OWiG zuzulassen war.

1. Die Verfahrensrüge, das Amtsgericht habe dem Antrag des Betroffenen, ihn gemäß § 73 Abs. 2 OWiG von der gesetzlichen Pflicht zum persönlichen Erscheinen in der. Hauptverhandlung zu entbinden, zu Unrecht nicht entsprochen und daher durch die Verwerfung seines Einspruchs gemäß § 74 Abs. 2 OWiG seinen Anspruch auf rechtliches Gehör nach Art. 103 Abs. 1 GG verletzt, erweist sich als zulässig und insbesondere ordnungsgemäß erhoben.

Bei der Rüge der Verletzung des Anspruches auf rechtliches Gehör, die im Wege der Verfahrensrüge geltend zu machen ist, muss der Antrag so vollständig sein, dass das Rechtsbeschwerdegericht allein aus der Begründungsschrift hin prüfen kann, ob der behauptete Verfahrensfehler vorliegt, wenn das Vorbringen des Betroffenen tatsächlich zutrifft (zu vgl. Seitz/Bauer in: Göhler, OWiG, 18. Aufl. 2021, § 79 Rn. 27d m.w.N.). Mit Blick auf eine Gehörsverletzung durch = behauptet — rechtfehlerhafte Ablehnung eines Entbindungsantrages nach § 73 Abs. 2 OWiG muss durch entsprechenden Tatsachenvortrag schlüssig dargelegt werden, aus welchen Gründen das Amtsgericht dem Entbindungsantrag nach § 73 Abs. 2 OWiG hätte stattgeben müssen, wobei grundsätzlich eine genaue Darlegung der Einzelumstände erforderlich ist (zu vgl. Seitz/Bauer, a. a. 0, § 74 Rn. 48b m.w.N.). Diesen Anforderungen genügt die Rechtsmittelbegründungsschrift. Der Betroffene hat insbesondere den Tatvorwurf, den Inhalt des Entbindungsantrages mit der Einräumung der Fahrereigenschaft sowie Ankündigung, er werde in der Hauptverhandlung keine Angaben zur Sache tätigen, die Begleitumstände des Antrages und den Inhalt des gerichtlichen Ablehnungsbeschlusses mitgeteilt. Der Betroffene hat ferner mitgeteilt, dass und warum von seiner Anwesenheit in der Hauptverhandlung keine weitere Sachaufklärung zu erwarten gewesen wäre. Weitere Ausführungen zur Beweislage erübrigen sich (zu vgl. OLG Hamm, Beschluss vom 16.08.2006 — 2 Ss OWi 348/06 -, KG, Beschluss vom 01.04.2019 - 3 Ws (B) 103/19, m.w.N., jeweils zitiert juris). Der sonst im Rahmen einer Gehörsrüge erforderlichen Darlegung, was der Betroffene in der Hauptverhandlung vorgetragen hätte, bedurfte es im vorliegenden Fall nicht. Der Betroffene rügt nicht, dass ihm eine Stellungnahme zu entscheidungserheblichen Tatsachen verwehrt worden sei, sondern dass das Gericht seine Erklärung zur Sache in dem die Entbindung beantragenden Schriftsatz aufgrund der Verwerfung des Einspruchs ohne Verhandlung zur Sache nicht ausreichend zur Kenntnis genommen habe (zu vgl. KG, a.a.O.).

2. Der danach formgerecht erhobene Antrag auf Zulassung der Rechtsbeschwerde hat auch in der Sache Erfolg. Das angefochtene Urteil verletzt den Anspruch des Betroffenen auf rechtliches Gehör. Denn das Verteidigungsvorbringen des Betroffenen, der über das bloße Einräumen der Fahrereigenschaft hinaus - ausdrücklich - von seinem Schweigerecht Gebrauch gemacht und durch diese Art der Verteidigung den gegen ihn erhobenen Tatvorwurf im Übrigen bestritten hat, ist durch die unzulässige Verwerfung des Einspruchs ohne Verhandlung zur Sache nach § 74 Abs. .2 OWiG unberücksichtigt geblieben. Dabei hätte das Amtsgericht dem Entbindungsantrag des Betroffenen nach § 73 Abs. 2 OWiG stattgeben müssen. Nach dieser Bestimmung entbindet das Bußgeldgericht einen Betroffenen auf seinen Antrag hin von der Verpflichtung zum persönlichen Erscheinen in der Hauptverhandlung, wenn er sich zur Sache geäußert oder erklärt hat, dass er sich in der Hauptverhandlung nicht zur Sache äußern werde, und seine Anwesenheit zur Aufklärung wesentlicher Gesichtspunkte des Sachverhaltes nicht erforderlich ist. Die Entscheidung über den Entbindungsantrag ist dabei nicht in das Ermessen des Gerichts gestellt; vielmehr ist es verpflichtet, dem Entbindungsantrag zu entsprechen, wenn die Voraussetzungen des § 73 Abs. 2 OWiG vorliegen (zu vgl. OLG Hamm, Beschluss vom 27.07.2016 — 111-2 RBs 131/16 —, Brandenburgisches Oberlandesgericht, Beschluss vom 13.06.2019 — (1 B) 53 Ss-OWi 261/19 (148/19) —, Bayerisches Oberstes Landesgericht, Beschluss vom 06.12.2001,.1 ObOWi 632/01 jeweils m.w.N. und zitiert nach juris).

Die Voraussetzungen zur Entbindung nach § 73 Abs. 2 OWiG lagen hier vor. Der Betroffene hat in seinem Entbindungsantrag die Fahrereigenschaft eingeräumt und für den Fall der Verhandlung die Verweigerung weiterer Angaben zur Sache in Aussicht. gestellt. Eine weitere Aufklärung des Tatvorwurfs im Rahmen der Hauptverhandlung war daher nicht zu erwarten. Auch lag kein Ausnahmefall vor, der die Anwesenheit eines Betroffenen in der Hauptverhandlung unverzichtbar macht, wenn nur dadurch die gebotene Sachaufklärung möglich ist (zu vgl. die Aufzählung in Seitz/Bauer, a.a.O., § 73 Rn. 8 m.w.N.). Solche Erwägungen stellt weder das Amtsgericht noch sind sie sonst ersichtlich. Denn Maßstab für die Anordnung des persönlichen Erscheinens des Betroffenen ist, dass die Maßnahme zur Sachaufklärung erforderlich ist; ist sie es nicht, darf die Entpflichtung nicht_ versagt werden (zu vgl. KG Berlin, Beschluss vom _ 26.05.2016 — 3 Ws (B) 259/16 —, m.w.N., zitiert nach juris).

Bereits aus diesem Grund ist die Rechtsbeschwerde zuzulassen, das Urteil aufzuheben und die Sache an das Amtsgericht Bottrop zurückzuverweisen. Die Frage, ob die Zulassung der Rechtsbeschwerde auch zur Fortbildung des Rechts oder zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung zuzulassen ist, bedarf daher einer weiteren Erörterung nicht".

Diesen zutreffenden Ausführungen schließt sich der Senat vollumfänglich an.


Einsender: RA P. Rinklin, Freiburg

Anmerkung:


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