Gericht / Entscheidungsdatum: OLG Brandenburg, Beschl. v. 20.06.2024 - 2 ORbs 91/24
Eigener Leitsatz:
Zur ausreichenden Begründung des Urteils, mit dem der Einspruch des Betroffenen wegen unentschuldigten Ausbleibens im Hauptverhandlungstermin verworfen wird.
2 ORbs 91/24
Brandenburgisches Oberlandesgericht
Beschluss
In dem Bußgeldverfahren
gegen pp.
wegen Überschreitens der zulässigen Höchstgeschwindigkeit innerhalb geschlossener Ortschaften
hat das Brandenburgische Oberlandesgericht - 2. Senat für Bußgeldsachen - durch den Richter am Oberlandesgericht als Einzelrichter am 20. Juni 2024 beschlossen:
Auf die Rechtsbeschwerde des Betroffenen wird das Urteil des Amtsgerichts Cottbus vom 21. Dezember 2023 mit den zugrunde liegenden Feststellungen aufgehoben.
Die Sache wird zu erneuter Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens, an das Amtsgericht Cottbus zurückverwiesen.
Gründe :
I.
Mit Urteil vom 21. Dezember 2023 hat das Amtsgericht Cottbus, den Einspruch des Betroffenen gegen den Bußgeldbescheid der Stadt Cottbus vom 4. April 2023 verworfen, weil der Betroffene zum Termin in der Hauptverhandlung ohne genügend Entschuldigung ausgeblieben sei, obwohl er von der Verpflichtung zum Erscheinen nicht entbunden gewesen sei.
Dagegen hat der Betroffene Rechtsbeschwerde eingelegt. Er rügt die Verletzung rechtlichen Gehörs.
Die Generalstaatsanwaltschaft des Landes Brandenburg beantragt zu entscheiden, wie geschehen.
Die Rechtsbeschwerde hat Erfolg.
II.
Die Rechtsbeschwerde ist zulässig und begründet. Die Generalstaatsanwaltschaft des Landes Brandenburg hat dazu in ihrer Stellungnahme vom 31. Mai 2024 das Folgende ausgeführt:
„Die Verfahrensrüge des Betroffenen, mit der er die Verletzung rechtlichen Gehörs rügt, genügt noch den Anforderungen der §§ 79 Abs. 3, 80 Abs. 3 OWiG i. V. m. § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO. Danach muss in einer Verfahrensrüge der Tatsachenvortrag so vollständig sein, dass das Rechtsbeschwerdegericht allein aufgrund der Rechtsbeschwerdebegründung prüfen kann, ob ein Verfahrensfehler vorliegt, wenn das Vorbringen des Betroffenen zutrifft (Göhler/Bauer, OWiG, 19. Aufl., § 79 Rn. 27d). Wird die Versagung rechtlichen Gehörs gerügt, muss in der Begründungsschrift durch entsprechenden Tatsachenvortrag schlüssig dargelegt werden, dass ein Verstoß gegen Art 103 Abs. 1 des GG vorliegt. Der Grundsatz des rechtlichen Gehörs gibt einen Anspruch darauf, sich zu allen entscheidungserheblichen und den Betroffenen benachteiligenden Tatsachen und Beweisergebnissen zu äußern (OLG Köln NZV 1999, 264 m. w. N.).
Bleibt der Betroffene trotz ordnungsgemäßer Ladung der Hauptverhandlung fern und wird daraufhin der Einspruch des Betroffenen durch Urteil gem. § 74 Abs. 2 OWiG verworfen, so kann die Einspruchsverwerfung sein Recht auf rechtliches Gehör insbesondere dann verletzen, wenn rechtzeitig vorgebrachte und hinreichende Entschuldigungsgründe von dem erkennenden Gericht nicht berücksichtigt worden sind (Seitz/Bauer in Göhler a.a.O. § 80 Rdnr. 16b).
Die Rüge der Verletzung rechtlichen Gehörs ist mit dem Vortrag, das Verwerfungsurteil sei rechtsfehlerhaft ergangen, weil das Amtsgericht einen Terminverlegungsantrag zu Unrecht abgelehnt habe, zulässig ausgeführt. Einer Darlegung, was der Betroffene zur Sache vorgetragen hätte, bedarf es nicht, wenn - wie hier - gerügt wird, das Amtsgericht habe Entschuldigungsvorbringen nicht berücksichtigt (Göhler/Bauer, a.a.O. § 80 Rdnr. 16 c). Ebenso brauchen die tatsächlichen Feststellungen des Amtsgerichts nicht wiederholt zu werden (OLG Hamm, Beschluss vom 06.07.2004 - 3 Ss OWi 401/04, juris), weil die Verfahrensweise des Amtsgerichts den Anspruch auf rechtliches Gehör des Betroffenen verletzt.
Eine Entscheidung gem. § 74 Abs. 2 OWiG wird auf die Rechtsbeschwerde nur daraufhin überprüft, ob der rechtzeitig erhobene Einspruch zu Recht als unbegründet verworfen wurde, weil der Betroffene trotz nachgewiesener Ladung ohne genügende Entschuldigung und mangels Entbindung von der Verpflichtung zum Termin zu erscheinen, zum Hauptverhandlungstermin nicht erschienen ist.
Die Beurteilung, ob das Ausbleiben eines Betroffenen genügend entschuldigt ist, obliegt dem Tatrichter. Das Rechtsbeschwerdegericht kann lediglich überprüfen, ob der Tatrichter die Entschuldigungsgründe, die im Zeitpunkt des Urteilserlasses in Betracht kamen, überhaupt einer sachlichen Prüfung unterzogen und ob er dabei den Rechtsbegriff der nicht genügenden Entschuldigung richtig angewandt hat. Um diese Überprüfung durch das Rechtsbeschwerdegericht zu ermöglichen, ist eine Auseinandersetzung mit den in Betracht kommenden Entschuldigungsgründen in den Gründen des Verwerfungsurteils erforderlich (vgl. Thüringer Oberlandesgericht, Beschluss vom 28. Oktober 2004- 1 Ss 65/04 -, juris). In welchem Umfang sie geboten sind, richtet sich nach den jeweiligen Umständen des Einzelfalles, wobei die Anforderungen an die Gründe eines Urteils in Bußgeldsachen nicht überspannt werden dürfen. Es ist zu berücksichtigen, dass diese Verfahren nicht der Ahndung kriminellen Unrechts, sondern der verwaltungsrechtlichen Pflichtenmahnung dienen. Im Hinblick auf seine vorrangige Bedeutung für die Massenverfahren des täglichen Lebens ist das nach§ 74 Abs. 2 OWiG ergehende Prozessurteil auf eine Vereinfachung des Verfahrens ausgerichtet. Soweit konkrete Entschuldigungsgründe nicht erkennbar sind, genügt deshalb die formularmäßige Wiedergabe des Wortlautes der Vorschrift unter Mitteilung der konkreten Zustelldaten.
Um einen solchen einfach gelagerten Fall handelt es sich hier indes nicht. Es erfolgte im Vorfeld der Hauptverhandlung ein Schriftwechsel zwischen Gericht und Verteidigung in Bezug auf den anberaumten Hauptverhandlungstermin. Die Verteidigung stellte einen Terminverlegungsantrag, den das Gericht auch beschied. Dies hätte dem Gericht Veranlassung sein müssen, sich in den Gründen des Verwerfungsurteils mit allen etwaigen Entschuldigungsgründen auseinander zu setzen. Tatsächlich befasst sich das Urteil jedoch mit den in Betracht kommenden Entschuldigungsgründen nur zum Teil. So kann den Urteilsgründen zwar noch eine Auseinandersetzung mit einer etwaigen Verhinderung des neuen Wahlverteidigers des Betroffenen entnommen werden. Zu dem weiteren Vortrag in dem Verlegungsantrag, den Hauptverhandlungstermin zu verlegen, weil der neue Verteidiger noch Akteneinsicht benötige, verhalten sich die Urteilsgründe aber nicht. Dies war indes geboten, weil die faktische Verweigerung der nachgesuchten Akteneinsicht durchaus als genügender Entschuldigungsgrund i. S. d. § 7 4 Abs. 2 OWiG in Betracht kommt (vgl. BayObLG NJW 1990, 3222; 1991, 1070 f).
Es liegen auch keine Umstände vor, die einen offensichtlichen zwingenden Versagungsgrund für die Akteneinsicht darstellen, sodass sich die Nichtgewährung von selbst verstünde und deshalb ausnahmsweise keiner Begründung im Urteil bedürfte. So stand der Gewährung von Akteneinsicht an den Verteidiger nicht entgegen, dass zum Zeitpunkt der Anträge eine schriftliche Vollmacht des Verteidigers noch nicht vorlag (vgl. KK-Willnow, StPO, 9. Auflage, § 147 Rdn. 3). Sollte das Amtsgericht Zweifel an der Bevollmächtigung des Verteidigers gehegt haben, so hätte es unverzüglich hierauf hinweisen müssen (vgl. Thüringer Oberlandesgericht a. a. O.).“
Diesen zutreffenden Erwägungen tritt der Senat bei.
Einsender: RA L.H. Kroll, Berlin
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