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Entscheidungen

Zivilrecht

Schadensersatz, Verkehrsunfall, Unfallmanipulation, Beweisanzeichen, Nachweis

Gericht / Entscheidungsdatum: LG Münster, Urt. v. 06.05.2024 - 11 O 1424/21

Eigener Leitsatz:

1. Es ist von einem abgesprochenen, absichtlich durch den Schädiger herbeigeführte Schadensereignis auszugehen, wenn bei einem Abbiegemanöver aus einer Grundstücksausfahrt im Rahmen einer Streifkollision bei geringer Geschwindigkeit und einem nicht plausiblen Unfallhergang ein lukrativ abzurechnender Seitenschaden beim Fahrzeug des Anspruchstellers hervorgerufen wird,
2. Handelt es sich dabei um ein sicherungsübereignetes Fahrzeug im Rahmen einer Finanzierung, kann keine wirksame Einwilligung der Klägerin in eine Eigentumsverletzung des von ihr unterhaltenen Fahrzeuges bejaht werden.
3. In einem solchen Fall verstößt aber die Geltendmachung des Schadensersatzanspruchs aus dem weiterhin fremden Recht der ehemaligen Sicherungseigentümerin gegen Treu und Glauben, da die Klägerin wegen einer Unfallmanipulation verpflichtet wäre, den ihr letztendlich zufließenden Betrag nach § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 263 StGB bzw. § 826 BGB an die Beklagte zu 2) als Kraftfahrzeughaftpflichtversicherung zurückzuerstatten.
4. Der Manipulationseinwand der KFZ-Haftpflichtversicherung scheitert auch nicht an den Angaben einen "Unfallbeteiligten", der ein reales Unfallereignis behauptet hat, da ein etwaiges Geständnis dieses "Unfallbeteiligten" in der Konstellation, bei welcher die KfZ-Versicherung als Versicherer den Manipulationseinwand erhebt und als Nebenintervenient für den mitverklagten Fahrer auftritt, unbeachtlich ist.
5. Zum Beweis einer Unfallmanipulation ist eine mathematisch lückenlose Gewissheit nicht erforderlich. Vielmehr ist der Beweis regelmäßig durch den Nachweis einer ungewöhnlichen Häufung typischer Umstände geführt, wenn diese in der Gesamtschau vernünftigerweise nur den Schluss zulassen, der geschädigte Anspruchsteller habe den Unfall fingiert.


11 O 1424/21

Landgericht Münster

IM NAMEN DES VOLKES

Urteil

In dem Rechtsstreit pp.

hat die 11. Zivilkammer des Landgerichts Münster

auf die mündliche Verhandlung vom 06.05.2024

durch den Richter als Einzelrichter

für Recht erkannt:

Die Klage wird abgewiesen.
Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Klägerin.
Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.

Tatbestand

Die Parteien streiten um Ansprüche aus einem von der Klägerin behaupteten Verkehrsunfall am 04.03.2021 um 16:40 Uhr in Münster.

Die Klägerin war zu diesem Zeitpunkt Halterin eines im Jahr 2017 erstzugelassenen PKW Audi A7, der über die Audi Bank finanziert und an diese zur Sicherheit übereignet war. Der Beklagte zu 1) war Fahrer eines von seinem Arbeitgeber angemieteten und vollkaskoversicherten PKW Ford Transit Custom. Dieses Fahrzeug war bei der Beklagten zu 2) haftpflichtversichert.

Am Unfalltag parkte der Audi in der Straße Am Lindenkamp in Münster auf Höhe der Hausnummer 37 leicht versetzt gegenüber einer Hauseinfahrt. Der Beklagte zu 1) lieferte in dieser Straße als Angestellter eines Paketdienstes Pakete aus.

Nach einem streitigen Anstoßereignis zwischen dem Audi A7 und dem Ford Transit rief der Beklagte zu 1) die Polizei und gab ihr gegenüber an, beim rückwärtigen Herausfahren aus einer Grundstückseinfahrt von der Kupplung abgerutscht zu sein und dadurch einen Streifschaden an dem parkenden Audi A7 verursacht zu haben.

Die Audi Bank ermächtigte die Klägerin, die ihr aus dem Schadensfall entstandenen Ansprüche im eigenen Namen geltend zu machen und einzuziehen (Anl. zur Klageschrift, BI. 10 d.A.). Die Klägerin ließ den Audi A7 von dem Sachverständigen 1.11. begutachten; dieser ermittelte Netto-Reparaturkosten in Höhe von 17.704,51 Euro und eine merkantile Wertminderung in Höhe von 1.650,00 Euro.

Die Klägerin rechnet fiktiv auf Basis dieses Gutachtens ab und verlangt neben den genannten Positionen von den Beklagten die Kosten für das Privatgutachten in Höhe von 1.898,00 Euro und eine Auslagenpauschale in Höhe von 25,00 Euro ersetzt.

Der Audi A7 wurde - nach Rechtshängigkeit - im April/Mai von der Audi Bank verwertet und der Darlehensvertrag zwischen der Klägerin und der Audi Bank unter dem 05.05.2022 schlussabgerechnet. Wegen der Einzelheiten wird auf die Anlagen zum Schriftsatz vom 05.05.2023, BI. 427 ff. d.A., Bezug genommen.
Die Klägerin behauptet, der Beklagte zu 1) sei beim Zurücksetzen und Einschlagen seitlich mit dem auf der gegenüberliegenden Straßenseite ordnungsgemäß parkenden Audi A7 kollidiert und habe dadurch den streitgegenständlichen Streifschaden verursacht. Bei dem Unfallort handele es sich um eine Straße mit erhöhtem Verkehrsaufkommen.

Die Klägerin beantragt,
die Beklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen, an sie 19.369,51 Euro zzgl. Zinsen hieraus in Höhe von 5% Punkten über dem jeweils gültigen Basiszins (§ 247 I BGB) seit dem 28.08.2021 zu zahlen;
die Beklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen, sie von der Gebührenforderung des Sachverständigenbüros Dipl. Ing. pp. aus pp. vom 09.03.2021 in Höhe von 1.898,00 Euro freizustellen;
die Beklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen, an sie vorgerichtliche Rechtsanwaltskosten in Höhe von 1.295,43 Euro zzgl. Zinsen hieraus in Höhe von 5%-Punkten über dem jeweils gültigen Basiszins (§ 247 I BGB) seit Rechtshängigkeit zu zahlen.

Der Beklagte zu 1) hat keinen Antrag gestellt.

Die Beklagte zu 2) beantragt für sich selbst und nach Streitbeitritt auf Seiten des Beklagten zu 1) auch für den Beklagten zu 1),
die Klage abzuweisen.

Sie behauptet, der Unfall habe nicht in der von der Klägerin und gleichlautend von dem Beklagten zu 1) geschilderten Weise stattgefunden. Jedenfalls aber habe die Klägerin in die Rechtsgutsverletzung eingewilligt; der Unfall sei manipuliert. Neben weiteren Indizien spreche dafür insbesondere, dass das von der Klägerin und dem Beklagten zu 1) geschilderte Unfallgeschehen nicht plausibel sei. Ferner bestreitet sie unter näherer Darlegung hilfsweise die Schadenshöhe.

Das Gericht hat den Beklagten zu 1) persönlich angehört und Beweis erhoben durch Einholung schriftlicher Gutachten der Sachverständigen pp. vom 27.10.2022 und pp. vom 21.11.2023. Der Sachverständige pp. hat sein Gutachten mündlich erläutert. Ferner hat das Gericht den Zeugen pp. vernommen. Wegen des Inhalts der Anhörung und des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf die schriftlichen Gutachten und auf die Sitzungsprotokolle vom 08.05.2023 und 06.05.2024, BI. 436 ff. und 610 ff. d.A. Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

Die Klage ist zulässig, aber unbegründet.

I.

Der Beklagte zu 1) war trotz Nichtverhandelns im Termin zur mündlichen Verhandlung nicht durch Teilversäumnisurteil zu verurteilen. Denn die Beklagte zu 2) ist dem Beklagten zu 2) wirksam als Nebenintervenientin beigetreten und hat in dieser Eigenschaft auch für den Beklagten zu 1) Klageabweisung beantragen können (Laws/Lohmeyer/Vinke, jurisPK-Straßenverkehrsrecht, 2. Aufl., Stand 05.05.2023, § 7 Rn. 330; OLG Hamm, Beschl. v. 22.10.2020, I-9 U 123/20, juris Rn. 4 m.w.N.).

II.

Die Klage ist zulässig. Insbesondere ist die Klägerin befugt, die Ansprüche auf Ersatz der Netto-Reparaturkosten und der Wertminderung, deren Inhaberin nach dem Vortrag der Klägerin die Audi Bank als Eigentümerin des Audi A7 im Unfallzeitpunkt ist, im eigenen Namen geltend zu machen. Es handelt sich um einen Fall der zulässigen gewillkürten Prozessstandschaft. Die Ermächtigung zur Prozessführung ist unstreitig. Ein eigenes wirtschaftliches Interesse der Klägerin an der Geltendmachung der Ansprüche liegt jedenfalls nach Verwertung des Fahrzeugs und Endabrechnung des Darlehensvertrags und damit im Zeitpunkt letzten mündlichen Verhandlung vor, weil etwaige Zahlungen der Beklagten jedenfalls im Ergebnis bei der Klägerin verbleiben würden. Dies hat der Prozessbevollmächtigte der Klägerin im Termin vom 08.05.2023 unwidersprochen vorgetragen; nach Verwertung des Fahrzeugs und Endabrechnung des Darlehensvertrags mit der vormaligen Sicherungseigentümerin ist dies auch plausibel. Denn das Fahrzeug ist ausweislich des von der Klägerin vorgelegten Verwertungsprotokolls im beschädigten Zustand verwertet und der Darlehensvertrag anschließend endabgerechnet worden (Anl. zum Schriftsatz vom 05.05.2023, Bl. 427 ff. d.A). Einen etwa bestehenden Schadensersatzanspruch müsste die vormalige Sicherungseigentümerin aus diesem Grund offensichtlich an die Klägerin abtreten bzw. Zahlungen an die Klägerin auskehren.

Die Klägerin kann auch Zahlung an sich selbst verlangen, wie sich aus dem Ermächtigungsschreiben (Anl. zur Klageschrift, Bl. 10 d.A.) im Wege der Auslegung (§§ 133, 157 BGB) ergibt.

III.

Die Klage ist jedoch unbegründet.

1. Die geltend gemachten Ansprüche ergeben sich nicht aus §§ 7 Abs. 1, 18 Abs. 1 StVG, § 823 Abs. 1 BGB oder § 823 Abs. 2 BGB i. V. m. §§ 229, 303 StGB, bzgl. der Beklagten zu 2) jeweils i. V. m. § 115 Abs. 1 S. 1 Nr. 1, S. 4 VVG, § 1 PflVG.

Mit Blick auf den von der Klägerin auf Tatbestandsebene darzulegenden und zu beweisenden äußeren Hergang der Rechtsgutverletzung kann zu ihren Gunsten unterstellt werden, dass es durch den streitgegenständlichen Unfall zu einer kompatiblen Beschädigung des PKW Audi A7 durch den PKW Ford Transit im behaupteten Umfang gekommen ist.

Zur Überzeugung des Gerichts war der streitgegenständliche Unfall jedoch zwischen der Klägerin und dem Beklagten zu 1) zur Begehung eines Versicherungsbetruges abgesprochen. (a)). Daraus folgt im vorliegenden Fall, dass die Geltendmachung von Ansprüchen der Klägerin gegen die Beklagten am dolo-agit-Einwand gem. § 242 BGB scheitert (b)).

a) Die Beklagte zu 2) hat nach dem strengen Beweismaß des § 286 ZPO zur Überzeugung des Gerichts den Indizienbeweis eines manipulierten Unfallgeschehens geführt.

aa) Der Manipulationseinwand der Beklagten zu 2) scheitert nicht von vornherein an den mündlichen Angaben des Beklagten zu 1), die den Vortrag der Klägerin stützen. Es kann dahinstehen, ob der bei der persönlichen Anhörung gehaltene Vortrag des Beklagten zu 1) trotz fehlender Antragstellung durch den Prozessbevollmächtigten berücksichtigungsfähig ist. Denn ein etwaiges Geständnis des Beklagten zu 1) nach § 288 ZPO wäre jedenfalls in dieser Konstellation, in der der Versicherer den Manipulationseinwand erhebt und als Nebenintervenient für den mitverklagten Fahrer auftritt, unbeachtlich (OLG Hamm, Beschl. v. 22.10.2020, I-9 U 123/20, juris Rn. 4 m.w.N.; vgl. außerdem BGH, Urteil vom 23.07.2019, VI ZR 337/18, juris Rn. 16; BGH, Beschluss vom 29.11.2011, VI ZR 201/10, juris Rn. 5).

bb) Zum Beweis einer Unfallmanipulation ist eine mathematisch lückenlose Gewissheit nicht erforderlich. Vielmehr ist der Beweis regelmäßig durch den Nachweis einer ungewöhnlichen Häufung typischer Umstände geführt, wenn diese in der Gesamtschau vernünftigerweise nur den Schluss zulassen, der geschädigte Anspruchsteller habe den Unfall fingiert. Es bedarf dazu eines nach der unmittelbaren Überzeugungsbildung des Tatrichters für das praktische Leben brauchbaren Grades von Gewissheit, der Zweifeln Schweigen gebietet, ohne sie völlig auszuschließen. Entscheidend ist die Werthaltigkeit der Beweisanzeichen in der Gesamtschau, nicht die isolierte Würdigung einzelner Umstände, die für sich genommen auch unverdächtig erscheinen können. Nicht ausreichend ist jedoch die nur erhebliche Wahrscheinlichkeit einer Unfallmanipulation. Der Tatrichter ist grundsätzlich darin frei, welche Beweiskraft er den Indizien im Einzelnen und in einer Gesamtschau für seine Überzeugungsbildung beimisst (zum Ganzen OLG Hamm, Urt. v. 21.10.2022, I-7 U 96/21, juris Rn. 11, 12 m.w.N.; Laws/Lohmeyer/Vinke, jurisPK-Straßenverkehrsrecht, 2. Aufl., Stand 05.05.2023, § 7 Rn. 446 ff.).

cc) Gemessen an diesen Voraussetzungen lassen die vorliegenden Indizien in der Gesamtschau zur Überzeugung des Gerichts den i.S.d. § 286 ZPO sicheren Schluss auf eine Unfallmanipulation zu.

(1) Zunächst entsprechen die unfallbeteiligten Fahrzeuge den für einen manipulierten Unfall charakteristischen Fahrzeugtypen (dazu OLG Hamm, Urt. v. 21.10.2022, I-7 U 96/21, juris Rn. 11, 12). Bei dem Audi A7 auf Klägerseite handelt es sich ausweislich der Angaben in dem vorgelegten Privatgutachten um ein älteres (Baujahr 2017), aber noch hochwertiges (Wiederbeschaffungswert 36.150,00 Euro) Fahrzeug der Oberklasse, dessen Beschädigung bei fiktiver Abrechnung ohne tatsächlich durchgeführte Reparatur einen rentierlichen finanziellen Vorteil verspricht. Das Fahrzeug wurde, wie die Klägerin – nach zwischenzeitlich widersprüchlichen Angaben zur weiteren Nutzung – selbst vorträgt, nach dem Unfallereignis während des laufenden Rechtsstreits unrepariert von der Sicherungseigentümerin verwertet. Ein etwaiger Erlös aus einer Unfallmanipulation käme der Klägerin in dieser Situation ungemindert zugute.

Auf Schädigerseite handelt es sich um einen von einem Dritten angemieteten, vollkaskoversicherten Mietwagen, sodass dem an der Manipulation beteiligten Beklagten zu 1) keinerlei wirtschaftlicher Eigenschaden droht (vgl. OLG Hamm, Beschluss vom 24.06.2016, I 9 U 28/16, Rn. 17).

(2) Die Art des behaupteten Unfallgeschehens spricht ebenfalls indiziell für ein manipuliertes Geschehen. Behauptet wird ein Streifen eines an einem Fahrbahnrand geparkten PKW bei geringer Geschwindigkeit ohne neutrale Zeugen. Diese Konstellation verspricht einerseits eine vermeintlich eindeutige Haftungslage, die Abrechnungsschwierigkeiten vermeidet, andererseits kann das Geschehen gut beherrschbar und weitgehend ohne Gefahr für Verletzungen herbeigeführt werden (Laws/Lohmeyer/Vinke, jurisPK-Straßenverkehrsrecht, 2. Aufl., Stand 05.05.2023, § 7 Rn. 458 m.w.N.).

(3) Das Verhalten des Beklagten zu 1) nach dem Unfall passt in das Indizienbild. Er hat gegenüber der Polizei die Alleinschuld eingeräumt und dabei eine harmlose und halbwegs plausible Erklärung für sein Fehlverhalten (Abrutschen von der Kupplung aufgrund nasser Stahlkappenschuhe, vgl. auch LG Wuppertal, Urt. v. 02.04.2013, 2 O 167/11, juris Rn. 26 f.) angegeben (dazu Laws/Lohmeyer/Vinke, jurisPK-Straßenverkehrsrecht, 2. Aufl., Stand 05.05.2023, § 7 Rn. 458 m.w.N.) Die Tatsache, dass die Polizei überhaupt informiert wurde, ist entgegen der Auffassung der Klägerin nicht untypisch für ein fingiertes Geschehen und spricht für sich genommen nicht für oder gegen eine Unfallmanipulation (OLG Hamm, Beschl. v. 22.12.2020, I-9 U 123/20, juris Rn. 6).

(4) Das Schadensmuster spricht indiziell deutlich für eine Unfallmanipulation. Es handelt sich um einen die gesamte Fahrzeuglänge umfassenden Streifschaden, der für Unfallmanipulationen klassisch ist (vgl. Laws/Lohmeyer/Vinke, jurisPK-Straßenverkehrsrecht, 2. Aufl., Stand 05.05.2023, § 7 Rn. 458 m.w.N.). Denn ein derartiger Schaden an einem hochwertigen Oberklassefahrzeug verspricht bei fiktiver Abrechnung ohne tatsächliche Reparatur einen beträchtlichen Schadensersatzanspruch bei gleichzeitig kaum beeinträchtigter Nutzungsmöglichkeit. Ausweislich der Angaben im Privatgutachten (Anlage zur Klageschrift, Bl. 15 d.A.) einerseits und dem „Übernahmeprotokoll“ in der Anlage zum Schriftsatz vom 05.05.2023 (Bl. 431 d.A.) andererseits ist die Klägerin nach dem Unfall mit dem unreparierten Fahrzeug noch gut 7.000 km gefahren, bis das Fahrzeug verwertet wurde.

(5) In das Bild eines manipulativen Vorgehens der Klägerin passt darüber hinaus, dass die Klägerin in der vorprozessualen Korrespondenz vom 18.08.2021 die Sicherungsübereignung verschwiegen und ohne weiteres Leistung an sich verlangt hat (Anl. zur Klageschrift, BI. 47 d. A., vgl. dazu OLG Düsseldorf, Urt. v. 05.10.2010, 1-1 U 190/09, Rn. 87).

(6) Der Unfallort fügt sich ebenfalls in das Indizienbild ein. Das Gericht ist aufgrund der Angaben des Beklagten zu 1) in seiner persönlichen Anhörung und der insoweit glaubhaften Angabe des als Zeugen vernommenen Polizeibeamten pp. davon überzeugt, dass es sich bei der Unfallstraße um eine abgelegene und ruhige Sackgasse handelte, in der auch zur Tagzeit mit unbeteiligten Augenzeugen kaum zu rechnen war (dazu Laws/Lohmeyer/Vinke, jurisPK-Straßenverkehrsrecht, 2. Aufl., Stand 05.05.2023, § 7 Rn. 458 m.w.N.).

(7) Das Prozessverhalten der Klägerin stellt ein weiteres Indiz für eine Manipulation dar. Die Klägerin ist zu drei Gerichtsterminen trotz Anordnung des persönlichen Erscheinens, zuletzt auch nach förmlicher Zustellung der Ladung, unentschuldigt nicht erschienen und hat damit eine persönliche Anhörung und eine Konfrontation mit dem Manipulationsvorwurf verhindert. Ihre Prozessbevollmächtigten konnten auch im letzten Termin zur mündlichen Verhandlung keine Erklärung für dieses Verhalten abgeben. Es ist überaus auffällig, dass die Klägerin bei dem in Rede stehenden beträchtlichen Betrag, den sie mit der Klage geltend macht, und der ihr wirtschaftlich im Ergebnis vollumfänglich zuflösse, dreimal ohne Angabe von Gründen die gerichtliche Anordnung des persönlichen Erscheinens ignoriert und darüber hinaus offensichtlich auch mit ihren Prozessbevollmächtigten nicht über dieses Verhalten kommuniziert hat. Sowohl wegen der hohen Klagesumme als auch wegen des im Raum stehenden Betrugsvorwurfs wäre es naheliegend gewesen, dazu vor Gericht persönlich Stellung zu nehmen (vgl. OLG Hamm, Urt. v. 21.10.2022, 1-7 U 96/21, juris Rn. 27).

(8) Das Gericht verkennt nicht, dass alle bislang genannten Indizien allein in der Regel nicht ausreichen, um den Indizienbeweis als geführt anzusehen. Entscheidend dafür, dass das Gericht die diesbezügliche Überzeugung doch gewonnen hat, war als gewichtigstes Indiz die fehlende technische Plausibilität des Unfallhergangs (vgl. Laws/Lohmeyer/Vinke, jurisPK-Straßenverkehrsrecht, 2. Aufl., Stand 05.05.2023, § 7 Rn. 371, 458 m.w.N.).
Nach den nachvollziehbaren und überzeugenden Ausführungen der gerichtlichen Sachverständigen CM» und «MD ist der von dem Beklagten zu 1) geschilderte Fahrvorgang zwar technisch nicht völlig auszuschließen, jedoch äußerst unwahrscheinlich, ungewöhnlich und nur bei einer Reihe von Unterstellungen zugunsten der Klägerin überhaupt zu rekonstruieren.

(a) Beide Sachverständige haben festgestellt, dass sich der behauptete Fahrvorgang nur bei Annahme einer Reihe von Zufällen rekonstruieren lasse. Ausweislich der Kollisionsspuren muss sich das von dem Beklagten zu 1) gefahrene Fahrzeug bei dem Erstkontakt leicht schräg versetzt zum Klägerfahrzeug befunden haben. Genau in diesem Moment muss es zum Abrutschen von der Kupplung und gleichzeitig zu einem Lenkeinschlag gekommen sei, der in einer rückwärtsgewandten Geradeausfahrt genau achsparallel zum geparkten Audi resultierte, wobei diese Geradeausfahrt zu einem exakten Entlangstreifen an der gesamten Länge des Audi geführt haben muss. Darüber hinaus muss das Beklagtenfahrzeug im Zeitpunkt des Abrutschens von der Kupplung noch mit einer Geschwindigkeit gefahren sein, die ein Abwürgen gerade verhindert und stattdessen zu einer gleichmäßigen Rückwärtsfahrt führt. Technisch kann ein solcher Fahrvorgang zwar nicht völlig ausgeschlossen werden; er ist jedoch äußerst unwahrscheinlich.

(b) Der behauptete Fahrvorgang ist sogar technisch vollständig ausgeschlossen, wenn man die Angaben des Beklagten zu 1) zu den neben der Grundstückseinfahrt in einer Parkbox geparkten Fahrzeugen zugrunde legt und gleichzeitig annimmt, dass sich die aus Pflanzkübeln und Steinen bestehende Begrenzung dieser Parkbox am Unfalltag an der Stelle befand, die aus den Anlagen B4 und B5 zum Gutachten Wolbers (BI. 528 f. d.A.) hervorgeht. Denn wenn hinter den dort erkennbaren Steinen und Pflanzkübeln noch zwei Fahrzeuge hintereinander parkten, wie der Beklagte zu 1) bei seiner persönlichen Anhörung angegeben hat, ist der behauptete Fahrvorgang technisch nicht ohne Zusammenstoß der vorderen rechten Front des Beklagtenfahrzeugs mit dem hinteren der beiden geparkten Fahrzeuge zu rekonstruieren. Dies hat der Sachverständige Wolbers plausibel mündlich unter Zuhilfenahme eines Rekonstruktionsprogramms erläutert. Dies gilt auch, wenn man unterstellt, dass dort zwei Kleinwagen hintereinander geparkt haben. Der behauptete Fahrvorgang ist vor diesem Hintergrund überhaupt nur möglich, wenn die Steine und Pflanzkübel am Unfalltag nicht in der aus den Anlagen B4 und B5 zum Gutachten ersichtlichen Position lagen. Das ist zwar theoretisch nicht völlig ausgeschlossen, weil die Anlagen B4 und B5 Bildmaterial verwenden, das nicht am Unfalltag entstanden ist. Naheliegend ist diese Möglichkeit aber nicht, weil die Steine und Pflanzkübel offensichtlich der dauerhaften Abgrenzung eines parallel zur Straße verlaufenden Parkplatzes neben dem auf den Fotos sichtbaren Haus dienen. Außerdem müssten die Steine und Pflanzkübel dann zwischen dem Jahr 2020 (Datum der Bilder in der Anlage B5) und dem Jahr 2023 (Datum der Bilder in der Anlage B4 zum Gutachten Wolbers) entfernt und wieder aufgestellt worden sein, wofür nichts spricht.

(c) Schließlich und mit entscheidender Indizwirkung ist der behauptete Fahrvorgang mit Blick auf den von dem Beklagten zu 1) genannten Zweck des Fahrmanövers so ungewöhnlich, dass das Gericht ihn auch bei Annahme einer überhöhten Geschwindigkeit beim Rückwärtsfahren und eines Abrutschens von der Kupplung nicht nachvollziehen kann. Der Beklagte zu 1) wollte nach seinen Angaben rückwärts aus der Grundstückseinfahrt zurücksetzen, um anschließend vorwärts in Richtung der Fahrerseite die Unfallstraße zu befahren. Ausweislich der Kollisionsspuren muss das von ihm gefahrene Fahrzeug bei dem Erstkontakt leicht schräg versetzt zum Klägerfahrzeug gestanden haben; und zwar mit der Fahrzeugfront schräg nach links zu beabsichtigten Fahrtrichtung und nicht nach rechts versetzt. Daraus folgt, dass der Beklagte zu 1) bei der Rückwärtsfahrt einen äußersten weiten Wendekreis über 90° hinaus vollzogen haben müsste.

Für den behaupteten Zweck des Manövers wäre aber ein viel kürzeres Zurücksetzen naheliegend und ausreichend gewesen, wie der Sachverständige Wolbers plausibel erläutert hat. Konkret hätte es jedenfalls ausgereicht, das Beklagtenfahrzeug in die auf der Anlage B9 zum Gutachten- orange markierte Position zu bringen (BI. 533 d.A.), um problemlos in Vorwärtsfahrt die Straße in die gewünschte Richtung befahren zu können. Insbesondere hätte die Fahrzeugfront in dieser Position noch schräg nach rechts zu beabsichtigten Fahrtrichtung gestanden und nicht bereits schräg nach links. Ein größerer Wendekreis ist vor diesem Hintergrund auch bei Annahme einer überhöhten Geschwindigkeit bei der Rückwärtsfahrt nicht plausibel, zumal das Abrutschen von der Kupplung nach den Ausführungen des Sachverständigen «I« nicht während des Einschlagens, sondern erst im Moment des Erstkontakts stattgefunden haben muss. Damit müsste der Beklagte zu 1) vor dem Abrutschen von der Kupplung deutlich weiter zurückgesetzt haben und deutlich weiter eingeschlagen haben, als für das beabsichtigte Wegfahren erforderlich.

Aus Sicht des Gerichts liegt es nahe, dass der Beklagte zu 1) das zweite in der Parkbox geparkte Fahrzeug zur Plausibilisierung des ungewöhnlich weitreichenden Rückwärtsfahrmanövers erfunden hat, wobei auffällig ist, dass er dieses zweite geparkte Fahrzeug, das überdies nach den Angaben des Sachverständigen IM» eine erhebliche Behinderung des Durchgangsverkehrs auf der Straße dargestellt hätte, erstmals im Termin zur mündlichen Verhandlung erwähnte. Selbst wenn aber dieses Fahrzeug vorhanden war, macht dies den behaupteten Fahrvorgang nicht plausibler, sondern noch weniger nachvollziehbar. Denn es ist kein vernünftiger Grund dafür ersichtlich, weshalb der Beklagte zu 1) sich zu einem langen Rückwärtsfahren mit vollem Lenkeinschlag und bis zu einem Wendekreis über 90° in den für ihn nicht einsehbaren Trichter zwischen dem hinteren in der Parkbox geparkten Fahrzeug und dem Klägerfahrzeug entschieden haben sollte. Vielmehr wäre es entweder ausreichend gewesen, das Fahrzeug nur bis zur orangefarbenen Position in der Anlage B9 zum Gutachten «MD einzuschlagen oder aber völlig ohne Lenkeinschlag gerade rückwärts in die gegenüberliegende Einfahrt zu fahren.

Eine Konfrontation des Beklagten zu 1) mit den Ergebnissen des Gutachten pp. und den Erläuterungen im Termin vom 06.05.2024 war nicht möglich, weil der Beklagte zu 1) diesen Termin trotz Anordnung des persönlichen Erscheinens -ebenso wie sein Rechtsanwalt - unentschuldigt versäumt hat.

b) Die Unfallmanipulation führt im vorliegenden Fall zum Anspruchsausschluss nach § 242 BGB.

Die Absprache zwischen der Klägerin und dem Beklagten zu 1) führt nicht zu einer wirksamen Einwilligung der Klägerin in die Eigentumsverletzung, die deren Rechtswidrigkeit entfallen ließe. Denn die Klägerin war im Unfallzeitpunkt nicht Eigentümerin des zur Sicherheit an die Audi Bank übereigneten Fahrzeugs (vgl. Laws/Lohmeyer/Vinke, jurisPK-Straßenverkehrsrecht, 2. Aufl., Stand 05.05.2023, § 7 Rn. 427 ff. m.w.N.). Nur soweit die Klägerin - was sich ihrem Vortrag nicht sicher entnehmen lässt - die Ansprüche auf Ersatz der Sachverständigenkosten und der Unfallkostenpauschale aus eigenem Recht, etwa wegen Verletzung ihres Besitzrechts, verlangen würde, wären diese Ansprüche wegen einer Einwilligung ausgeschlossen.

Der Anspruchsausschluss nach § 242 BGB, der eine von Amts wegen zu berücksichtigende rechtsvernichtende Einwendung bildet (Beck OGK/Kähler, Stand 01.05.2024, § 242 Rn. 1927 ff.), ergibt sich daraus, dass der Klägerin im vorliegenden Fall angesichts der bereits abgeschlossenen Verwertung des Sicherungsguts und der Endabrechnung des Darlehensvertrags ein etwaiger Schadensersatz jedenfalls im Ergebnis wirtschaftlich zuflösse (vgl. dazu oben II.). In einem solchen Fall verstößt die Geltendmachung des Ersatzanspruchs aus dem weiterhin fremden Recht der ehemaligen Sicherungseigentümerin gegen Treu und Glauben, weil die Klägerin angesichts der Unfallmanipulation verpflichtet wäre, den ihr letztlich zufließenden Betrag jedenfalls gem. §§ 823 Abs. 2 BGB, 263 StGB bzw. § 826 BGB an die Beklagte zu 2) zurückzuerstatten (dolo agit-Einwand), vgl. OLG Hamm, Urt. v. 24.01.2012, I-9 U 66/11, juris Rn. 56 ff., Laws/Lohmeyer/Vinke, jurisPK-Straßenverkehrsrecht, 2. Aufl., Stand 05.05.2023, § 7 Rn. 437.

2. Ansprüche aus §§ 18 StVG, 823 I, II BGB jeweils i. V. m. § 115 I Nr. 1 VVG kommen aus denselben Gründen nicht in Betracht.

IV.

Die prozessualen Nebenentscheidungen folgen aus §§ 91 Abs. 1 S. 1, 709 S. 1, 2 ZPO.


Einsender: RA M. Nugel, Essen

Anmerkung:


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