Gericht / Entscheidungsdatum: LG Chemnitz, Beschl. v. 01.08.2023 - 4 Qs 272/23
Eigener Leitsatz:
Eine Zurückverweisung der Sache an das untere Gericht kann im Beschwerdeverfahren ausnahmsweise dann möglich, wenn etwa das entscheidende Gericht eine Entscheidung in der Sache gar nicht vorgenommen hat.
4 Qs 272/23
Beschluss
In dem Strafverfahren
gegen pp.
Verteidiger:
wegen: Kreditbetrug
hier: Strafaussetzung zur Bewährung
ergeht am 01.08.2023
durch das Landgericht Chemnitz - Strafkammer als Beschwerdekammer -
nachfolgende Entscheidung:
1. Auf die sofortige Beschwerde des Verurteilten wird der Beschluss des Amtsgerichts Chemnitz vom 03.07.2023, Az.: BwR 10 Ls 390 Js 23936/19, aufgehoben und das Verfahren an das Amtsgericht Chemnitz zur Entscheidung über die Vorlage an das Land-gericht Dresden - Strafvollstreckungskammer - zurückverwiesen.
2. Die Kosten des Beschwerdeverfahrens sowie die notwendigen Auslagen des Beschwerdeführers fallen der Staatskasse zur Last.
Gründe
Durch Urteil des Amtsgerichts Chemnitz - Schöffengericht - vom 13.12.2021, rechtskräftig seit dem 21.12.2021, wurde der Beschwerdeführer wegen Betruges in Tateinheit mit Kreditbetrug zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr und acht Monaten verurteilt. Die Vollstreckung der Strafe wurde zur Bewährung ausgesetzt. Mit Beschluss des Amtsgerichts Chemnitz vom 13.12.2021 wurde u.a. die Bewährungszeit auf drei Jahre festgelegt und dem Verurteilten die Erbringung von 400 Stunden gemeinnützige Arbeit binnen zwei Jahren ab Rechtskraft des Urteils aufgegeben.
Der Beschwerdeführer wurde ferner durch Urteil des Landgerichts Chemnitz vom 22.03.2023, Az. 4 Ns 380 Js 6885/22, rechtskräftig seit dem 14.06.2023, wegen in laufender Bewährung begangenen Gründungsschwindels zu einer Freiheitsstrafe von vier Monaten verurteilt. Die Er-füllung der ihm erteilten Weisung zur Ableistung von 400 Stunden gemeinnütziger Arbeit versuchte er, mit der Vorlage einer Gefälligkeitsbescheinigung nachzuweisen, für deren Ausstellung er 7.000 EUR zahlte. Tatsächlich hat er keine der so bestätigten Stunden geleistet.
Ausweislich des Vollstreckungsblatts der JVA Dresden vom 29.06.2023 verbüßt der Verurteilte in Sachen R015 VRs 3800 Js 6885/22 (LG Chemnitz) seit dem 29.06.2023 eine Freiheitsstrafe.
Das Amtsgericht Chemnitz widerrief die Strafaussetzung zur Bewährung durch Beschluss vom 03.07.2023, Az.: BwR 10 Ls 390 Js 23936/19, wegen des Bewährungsbruches und Auflagenverstoßes.
Hiergegen richtet sich die am 07.07.2023 beim Amtsgericht Chemnitz eingegangene sofortige Beschwerde des Verurteilten. Die Beschwerde begründet er durch anwaltlichen Schriftsatz vom 18.07.2023 u. a. damit, dass das Amtsgericht Chemnitz nicht zur Entscheidung berufen gewesen sei.
Die Staatsanwaltschaft Chemnitz legte die Sache am 31.07.2023 der Kammer mit dem Antrag vor, die angefochtene Entscheidung aufzuheben und die Sache über die Staatsanwaltschaft dem Landgericht Dresden StVK, zur Entscheidung vorzulegen.
II.
Die zulässige sofortige Beschwerde (§§ 453 Abs. 2 Satz 3, 311 StPO) hat in der Sache Erfolg.
1. Der Widerrufsbeschluss ist aufzuheben, da das Amtsgericht Chemnitz im Verfahren nach
§ 453 StPO unzuständig war.
Zuständig ist dagegen nach der Vorschrift des § 462a Abs. 1 das Landgericht Dresden - Strafvollstreckungskammer -, welche insofern eine Zuständigkeitskonzentration auch für Entscheidungen zur Bewährung in anderen Verfahren begründet.
Der Verurteilte verbüßt seit dem 29.06.2023 eine Freiheitsstrafe in der JVA Dresden.
2. Allerdings ist die Beschwerdekammer daran gehindert, die Vorlage an das zuständige Gericht vorzunehmen. Entgegen des Grundsatzes des § 309 Abs. 2 StPO kann die Beschwerdekammer diese Entscheidung nicht selbst treffen.
Eine Zurückverweisung der Sache an das untere Gericht ist im Beschwerdeverfahren ausnahmsweise möglich, wenn etwa das angegriffene Gericht eine Entscheidung in der Sache gar nicht vorgenommen hat, weil es beispielsweise einen Antrag (zu Unrecht) als unzulässig abgelehnt hat (Meyer-Goßner/Schmitt: StPO, 66. Aufl., § 309 Rn. 9). So kommt eine Zurück-verweisung etwa in Betracht, wenn das Gericht einen Antrag durch Beschluss als unzulässig abgelehnt hat, da es unzuständig sei (OLG Stuttgart Beschl. v. 04.02.1991 - 3 Ws 21/91-, juris). Ein solcher Ausnahmefall liegt auch hier vor. Zwar hat das Amtsgericht Chemnitz hier seine Zuständigkeit gerade angenommen und (zu Unrecht) einen Bewährungswiderruf beschlossen. Allerdings hat es zur Frage der Vorlage der Sache an die zuständige Strafvollstreckungskammer keine sachliche Entscheidung getroffen, sondern die Vorlage schlicht unter-lassen. Bei einem solchen Unterlassen ist die Sache sodann dem unteren Gericht wieder vorzulegen.
Auch entscheidet bei Streitigkeiten über die Zuständigkeit verschiedener Gerichte gem. § 14 StPO das gemeinsame obere Gericht. Dies gilt auch bei Streitigkeiten über die Zuständigkeit der nachträglichen Entscheidung nach § 453 StPO (vgl. nur BGH Beschl. v. 16.12.2009 - 2 ARs 424/09-, juris). Bei einer Streitigkeit über die Zuständigkeit zwischen dem Amtsgericht Chemnitz und dem Landgericht Dresden - Strafvollstreckungskammer - müsste das OLG Dresden als gemeinsames oberes Gericht im Verfahren des § 14 StPO entscheiden. Eine Entscheidung durch das Landgericht Chemnitz als Beschwerdegericht würde diese Zuständigkeit untergraben und die Entscheidungsprärogative des OLG Dresden verletzen. Insofern würde hier eine Spannung zwischen den Befugnissen zweier Rechtsbehelfe bestehen, welche zugunsten des höheren Gerichts und des spezielleren Verfahrens (§ 14 StPO) aufzulösen ist.
Daher sieht sich das Beschwerdegericht im Rahmen des § 309 Abs. 2 StPO gehindert, selbst die Vorlage an das zuständige Gericht vorzunehmen. Die Sache ist folglich zurückzuverweisen. Das Amtsgericht Chemnitz hat die Vorlage an das zuständige Gericht selbst vorzunehmen.
Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 473 Abs. 1 StPO.
Einsender: RÄin J. Braun, München
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