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Entscheidungen

StPO

Berufungsverwerfung, Ausbleiben des Angeklagten, genügende Entschuldigung, OP-Termin

Gericht / Entscheidungsdatum: KG, Beschl. v. 20.02.2024 – 2 ORs 3/24

Leitsatz des Gerichts:

Ein Operationstermin ist in der Regel kein Entschuldigungsgrund, wenn er aufschiebbar ist.


2 ORs 3/24121 Ss 185/23 (3/24)

In der Strafsache
gegen pp.

wegen Diebstahls

hat der 2. Strafsenat des Kammergerichts in Berlin am 20. Februar 2024 beschlossen:

Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Berlin vom 15. September 2023 wird gemäß § 349 Abs. 2 StPO als unbegründet verworfen.
Der Angeklagte hat die Kosten seines Rechtsmittels zu tragen.

Gründe:

I.

Das Amtsgericht Tiergarten verurteilte den Angeklagten am 13. Oktober 2022 wegen Diebstahls zu einer Geldstrafe von 100 Tagessätzen zu je 10 Euro. Die dagegen eingelegte Berufung des Angeklagten hat das Landgericht Berlin in der Berufungshauptverhandlung vom 15. September 2023 nach § 329 Abs. 1 Satz 1 StPO mit der Begründung verworfen, der Angeklagte sei der Berufungshauptverhandlung ohne genügende Entschuldigung ferngeblieben und auch nicht vertreten worden. Dem Angeklagten wurde das Urteil am 27. September 2023 zugestellt.

Ausweislich der Urteilsgründe hatte der Angeklagte mit Schreiben vom 31. August 2023 an die Strafkammer mitgeteilt, dass er am Hauptverhandlungstag einen Operationstermin in der Schweiz habe, und um Terminverlegung gebeten. Mit gerichtlichem Schreiben vom 11. September 2023 hatte der Vorsitzende der Berufungsstrafkammer den Angeklagten darauf hingewiesen, dass eine Verlegung nicht in Betracht komme, da nicht dargelegt sei, wann der Termin für die Operation festgelegt worden und ob diese unaufschiebbar sei.

Mit anwaltlichem Schriftsatz vom 4. Oktober 2023, eingegangen bei Gericht am selben Tag, beantragte der Angeklagte, ihm Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren und die Berufungshauptverhandlung erneut durchzuführen. Für den Fall der Verwerfung dieses Antrags legte er mit gleichem Schriftsatz Revision gegen das Urteil vom 15. September 2023 ein.

Zur Begründung führte der Angeklagte unter anderem aus, er sei wegen einer Operation am Termintag verhindert gewesen. Die Mitteilung des Gerichts, dass eine Verlegung nicht in Betracht komme, sei ihm erst am 21. September 2023, mithin nach dem Tag der Hauptverhandlung, zugegangen. Er habe sich darauf verlassen dürfen, dass er aufgrund seines Verlegungsantrages einen (frühzeitigen) Hinweis erhalten werde. In diesem Fall hätte er weiter vorgetragen. Die Operationstermine seien bereits weit im Voraus vereinbart worden, es habe sich in der Gesamtheit um mehrere Operationen gehandelt. Die Operationen seien auch notwendig gewesen; eine Absage oder Verschiebung der Operationen hätte zu erheblichen Verzögerungen geführt. Auch hätten die Operationen in der Schweiz stattfinden müssen, einerseits wegen der dortigen Spezialisierung, andererseits da dort auch vorherige Operationen stattgefunden hätten.

Das Landgericht hat den Wiedereinsetzungsantrag mit Beschluss vom 10. November 2023 als unbegründet verworfen. Dieser Beschluss ist rechtskräftig.

II.

Die Revision des Angeklagten ist zulässig, aber unbegründet. Das Landgericht hat die Berufung des Angeklagten ohne Rechtsfehler nach § 329 Abs. 1 Satz 1 StPO verworfen.

1. Die Verfahrensrüge ist zulässig, sie ist aber unbegründet.

a) Die Verfahrensrüge ist formgerecht erhoben. Die Prüfung des Revisionsgerichts, ob die Voraussetzungen des § 329 Abs. 1 Satz 1 StPO für die Verwerfung der Berufung eines bei Beginn der Hauptverhandlung vor dem Berufungsgericht ausgebliebenen Angeklagten gegeben sind, setzt eine unter Beachtung des § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO erhobene Verfahrensrüge voraus (vgl. BGHSt 28, 384, 386; Senat, Beschluss vom 2. Februar 2017 – [2] 161 Ss 137/16 [38/16] –; KG, Beschlüsse vom 23. Januar 2019 – [5] 121 Ss 114/18 [58/18] – und vom 15. Juni 2016 – [4] 121 Ss 84/16 [116/16] –, jeweils mwN). Denn bei dem die Berufung des Angeklagten nach der genannten Vorschrift verwerfenden Urteil handelt es sich um ein ausschließlich Verfahrensfragen betreffendes Prozessurteil, das keine Feststellungen zur Schuld- und Straffrage enthält (st. Rspr.; vgl. Senat sowie KG, Beschluss vom 23. Januar 2019, jeweils aaO mwN).

Es ist sowohl unschädlich, dass die Ausführungen in der Revisionsschrift hauptsächlich der Begründung des Wiedereinsetzungsantrags dienen sollten, als auch, dass ein ausdrücklicher Revisionsantrag fehlt (vgl. Senat, Beschluss vom 11. April 2011 – [2] 1 Ss 117/11 [24/11] –; OLG Oldenburg, Beschluss vom 24. Juni 2009 – 1 Ss 78/09 – jeweils mwN). An die Zulässigkeit einer Verfahrensrüge gegen ein nach § 329 Abs. 1 StPO ergangenes Verwerfungsurteil sind keine allzu strengen Anforderungen zu stellen. Ergibt sich, dass ein Angeklagter vor dem Hauptverhandlungstermin Entschuldigungsgründe vorgebracht hat, ist es ausreichend, wenn ausgeführt wird, das Berufungsgericht hätte das Ausbleiben des Angeklagten nicht als unentschuldigt ansehen dürfen. Eine Wiedergabe der Urteilsgründe ist nicht erforderlich (vgl. Senat, Beschluss vom 11. April 2011 aaO; HansOLG Hamburg, Beschluss vom 7. Januar 2016 – 2 Rev 87/15 –). Die ausdrückliche Stellung eines Revisionsantrags ist deswegen entbehrlich, weil ein Verwerfungsurteil nach § 329 Abs. 1 StPO ohnehin nur in vollem Umfang angefochten werden kann (vgl. Senat, Beschluss vom 11. April 2011 aaO).
Diesen Grundsätzen wird das Revisionsvorbringen des Angeklagten (noch) gerecht.

b) Die Verfahrensrüge ist aber unbegründet. Der Sachverhalt berechtigte das Landgericht zu der Annahme, der Angeklagte sei unentschuldigt nicht erschienen.

(1) Das Ausbleiben eines Angeklagten in der gerichtlichen Hauptverhandlung ist dann genügend entschuldigt, wenn ihm unter Abwägung aller Umstände des Falles wegen seines Ausbleibens billigerweise kein Vorwurf zu machen ist (vgl. KG, Beschlüsse vom 17. Juni 2021 – [1] 121 Ss 29/21 [13/21] und vom 5. Oktober 2016 – [4] 121 Ss 156/16 [193/16] – mwN). Entscheidend ist dabei nicht, ob der Angeklagte sich genügend entschuldigt hat, sondern ob er genügend entschuldigt ist, wobei eine weite Auslegung zugunsten des Angeklagten geboten ist (vgl. KG, Beschluss vom 4. Juni 2015 – 3 Ws [B] 264/15 – mwN). Ein Krankenhausaufenthalt ist in der Regel kein Entschuldigungsgrund, wenn er aufschiebbar ist (vgl. OLG Hamm, Beschluss vom 25. Februar 2013 – III-5 Ws 74/13 –; Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 65. Aufl., § 329 Rn. 26 mwN). Das gleiche gilt, wenn der Angeklagte eine medizinische Behandlung vornehmen lässt, die sein Erscheinen in der Hauptverhandlung hindert, ohne dass dieser Zeitpunkt der Behandlung medizinisch indiziert gewesen wäre (vgl. KG, Beschlüsse vom 17. Juni 2021 aaO und vom 16. September 2020 – [3] 121 Ss 123/20 [56/20] –). So war es nach den Feststellungen des Landgerichts hier. Der Angeklagte hatte in Kenntnis der ihm am 3. Juli 2023 zugestellten Ladung keine Maßnahmen unternommen, eine Verschiebung seines Operationstermins zu erreichen. Erst mit Schreiben vom 31. August 2023, mithin rund zwei Monate nach Kenntniserlangung vom Termin der Berufungshauptverhandlung, wandte er sich an das Landgericht mit dem Antrag auf Verlegung des Termins.

Weitere Nachforschungen zur Behandlung des Angeklagten musste die Kammer nicht anstellen. Die Nachforschungspflicht des Berufungsgerichts ist nicht grenzenlos, sondern setzt einen schlüssigen Sachvortrag voraus, der geeignet ist, den Angeklagten zu entschuldigen (vgl. KG, Beschluss vom 3. September 2020 – [1] 161 Ss 88/20 [27/20] –). Daran fehlt es hier. Insbesondere hat der Angeklagte nicht vorgetragen, dass seine Operation unaufschiebbar gewesen wäre, so dass die Kammer den Sachverhalt diesbezüglich nicht aufklären musste. Die Unaufschiebbarkeit folgt bei einer Operation an der Hüfte auch nicht zwingend aus der Art der Operation.

(2) Mit dem erst im Rahmen der Revision geltend gemachten Vortrag, der Angeklagte habe erst am 21. September 2023 davon erfahren, dass eine Verlegung des Termins nicht erfolgt sei, sowie dass mehrere aufeinander abgestimmte Operationen – darunter eine „akut notwendige“ Operation am Zeh – angesetzt gewesen seien, so dass eine Verlegung nicht in Betracht gekommen sei, kann der Angeklagte nicht gehört werden. Ob dieser Vortrag zu der Annahme einer genügenden Entschuldigung geführt hätte, kann dahinstehen. Denn das Berufungsgericht kann naturgemäß bei seiner angefochtenen Entscheidung nur solche Tatsachen berücksichtigen, die ihm bekannt geworden sind. Das Revisionsgericht ist an die insoweit festgestellten Tatsachen gebunden und kann sie nicht ergänzen oder gar im Wege des Freibeweises korrigieren (vgl. BGHSt aaO; KG, Beschluss vom 26. Mai 2000 – [5] 1 Ss 121/00 [27/00] – mwN). Denn der Prüfung des Revisionsgerichts unterliegt nur die Frage, ob das Berufungsgericht in der Anwendung von § 329 Abs. 1 StPO fehlerhaft gehandelt hat, insbesondere ob es den Rechtsbegriff der genügenden Entschuldigung verkannt hat oder nicht. Entschuldigungsgründe, die das Gericht nicht gekannt hat und die es unter Ausschöpfung seiner Aufklärungspflicht auch nicht kennen musste, können im Revisionsverfahren keine Berücksichtigung finden (vgl. OLG München, Beschluss vom 10. Oktober 2006 – 4St RR 193/06 –). Ein (rechtzeitiger) schlüssiger Sachvortrag des Angeklagten, der Anlass zu weiteren Nachforschungen der Kammer hätte sein können, ist nicht ersichtlich.

2. Auf die in allgemeiner Form erhobene Sachrüge kann das angefochtene Verwerfungsurteil, das als Prozessurteil nach § 329 Abs. 1 Satz 1 StPO keinen sachlichen Inhalt hat, nur darauf überprüft werden, ob seinem Erlass fehlende Verfahrensvoraussetzungen oder Verfahrenshindernisse entgegengestanden haben (vgl. Senat, Beschlüsse vom 4. Januar 2022 – [2] 161 Ss 170/21 [38/21] – und vom 29. November 2021 – [2] 161 Ss 136/21 [28/21] –). Dies wird nicht vorgetragen und ist auch sonst nicht ersichtlich.

III.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 473 Abs. 1 Satz 1 StPO.


Einsender: RiKG D. Neumann, Berlin

Anmerkung:


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