Gericht / Entscheidungsdatum: OVG Saarland, Beschl. v. 22.07.2024 – 1 B 43/24
Leitsatz des Gerichts:
1. Das Schriftlichkeitserfordernis des § 80 Abs 3 Satz 1 VwGO stellt eine rein formelle Rechtmäßigkeitsvoraussetzung der Vollziehbarkeitsanordnung dar, weshalb es unschädlich ist, wenn die dargelegten Gründe sich später im gerichtlichen Verfahren als (materiell) unzutreffend erweisen.
2. Trotz der Formulierung darf in § 11 Abs 8 FeV ist der Fahrerlaubnisbehörde im Rahmen der Frage, ob aus der Nichtvorlage des Gutachtens auf die Fahrungeeignetheit des Betroffenen geschlossen werden kann, kein Ermessen eingeräumt.
3. Fehlt in der Beschwerdebegründung eine Auseinandersetzung mit der entscheidungstragenden Argumentation des Verwaltungsgerichts, so hat dies nach § 146 Abs 4 Sätze 3 und 6 VwGO zur Folge, dass die Beschwerde der Zurückweisung unterliegt.
4. Zur Pflicht der Fahrerlaubnisbehörde, den der Gutachtenanordnung zugrunde liegenden Sachverhalt umfassend aufzuklären und deutlich zu machen.
5. Zur Notwendigkeit der Erkennbarkeit des Anlasses der angeordneten Untersuchung für den Betroffenen.
6. Eine Ergänzung oder Korrektur der Gutachtenanordnung ist nur relevant, wenn sie vor Erlass des Fahrerlaubnisentziehungsbescheides erfolgt ist.
7. Die der Verwaltungsgerichtsbarkeit obliegende Funktion der Kontrolle (und nicht der Reparatur ) von Verwaltungshandeln schließt eine Heilung einer unzureichenden Begründung einer Gutachtenanordnung durch die Verwaltungsgerichtsbarkeit aus.
In pp.
Die Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts des Saarlandes vom 5.3.2024 - 5 L 1612/23 - wird zurückgewiesen.
Die Kosten des Beschwerdeverfahrens trägt der Antragsteller.
Der Streitwert wird auch für das Beschwerdeverfahren auf 5.000,00 € festgesetzt.
Gründe
I.
Der Antragsteller begehrt die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung hinsichtlich der Entziehung seiner Fahrerlaubnis und der Verpflichtung zur Abgabe seines Führerscheins und wendet sich gegen die insoweit ausgesprochene Zwangsgeldandrohung und Gebührenfestsetzung.
Dem im … geborenen Antragsteller war unter dem …. von der Gemeinde C-Stadt die Fahrerlaubnis (Klassen A nebst Unterklassen, B und L) erteilt worden (Führerscheinnummer: …). Die örtliche Polizeiinspektion teilte dem Antragsgegner mit Schreiben vom 1.2.2023 mit, über den Antragsteller lägen Informationen über Tatsachen vor, die auf nicht nur vorübergehende Mängel hinsichtlich der Eignung oder auf Mängel hinsichtlich der Befähigung zum Führen von Kraftfahrzeugen schließen ließen. Daraufhin bat der Antragsgegner den Antragsteller mit Schreiben vom 9.2.2023, eine Bescheinigung seines behandelnden Arztes vorzulegen, welche fahreignungsrelevanten Krankheiten vorlägen und welche Medikamente regelmäßig verordnet würden. Der Antragsteller legte dem Antragsgegner eine Ärztliche Bescheinigung des Praktischen Arztes Dr. D., A-Stadt, vom 20.3.2023 vor, wonach mehrere näher bezeichnete Erkrankungen bestünden und näher bezeichnete Medikamente eingesetzt würden; aufgrund der Angaben des Untersuchten und der von ihm erhobenen Befunde empfehle er „vor Erteilung der Fahrerlaubnis keine weitergehende Untersuchung, da keine Beeinträchtigung des körperlichen oder geistigen Leistungsvermögens festgestellt werden konnten.“
Der Antragsgegner wies den Antragsteller mit Schreiben vom 24.3.2023 darauf hin, dass bei ihm über die in dem Attest vom 20.3.2023 genannten Erkrankungen hinaus ausweislich seiner Fahrerlaubnisakte am 16.1.2023 eine Ataxie diagnostiziert worden sei und er eine psychiatrische Behandlung ablehne,1 weshalb das Attest „nicht anerkannt“ werden könne und er „erneut aufgefordert“ werde, ein ärztliches Attest seines behandelnden und ggf. seines vorherigen Arztes mit „sämtlichen Diagnosen“ zu den Fragen vorzulegen, welche fahreignungsrelevanten Krankheiten vorlägen, welche Medikamente regelmäßig verordnet würden und seit wann er bei diesem Arzt in Behandlung sei, wobei das Attest „jedoch keine Aussage über Ihre Kraftfahreignung treffen“ solle und der Arzt „schriftlich zu bestätigen“ habe, dass ihm dieses Schreiben vorgelegt worden sei. Eine Fristverlängerung lehnte der Antragsgegner mit Schreiben vom 31.3.2023 ab. Der Antragsteller legte dem Antragsgegner eine Bestätigung des Dr. D. vom 31.3.2023 vor, wonach er seit 20.3.2023 bei ihm in Behandlung sei und ihm das Schreiben der Stadtverwaltung vom 9.2.2023 vorgelegt habe, und reichte das Attest vom 20.3.2023 erneut ein.
Mit Anordnung zur Vorlage eines ärztlichen Gutachtens vom 24.5.2023 forderte der Antragsgegner den Antragsteller auf, ein ärztliches Gutachten eines Facharztes für Psychiatrie mit verkehrsmedizinischer Qualifikation bis zum 25.7.2023 zu näher bezeichneten Fragen vorzulegen. Die beigefügte Einverständniserklärung unterzeichnete der Antragsteller nicht. Das ihm aufgegebene Gutachten legte der Antragsteller nicht vor.
Nach entsprechender Anhörung entzog der Antragsgegner dem Antragsteller mit Bescheid vom 26.9.2023 die ihm „durch die Mittelstadt A-Stadt“ am … erteilte Fahrerlaubnis der Klassen A, B und L (1.), forderte ihn auf, seinen Führerschein „mit der Führerscheinnummer: …“ bei der „Fahrerlaubnisbehörde der Gemeinde C-Stadt“ bis spätestens 2.10.2023 abzugeben (2.), ordnete die sofortige Vollziehung an (3.), drohte widrigenfalls ein Zwangsgeld an (4.) und setzte eine Verwaltungsgebühr fest (5.).
Der Antragsteller gab am 27.9.2023 seinen Führerschein mit der Nr. … beim Antragsgegner ab. Am 2.10.2023 legte er gegen den Bescheid vom 26.9.2023 Widerspruch ein. Am gleichen Tag beantragte er beim Verwaltungsgericht die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung seines Widerspruchs.
Das Verwaltungsgericht wies den Antrag mit Beschluss vom 5.3.2024 - 5 L 1612/23 -, dem Antragsteller zugestellt am 12.3.2024, zurück. Am 20.3.2024 hat der Antragsteller Beschwerde eingelegt, die er mit Schriftsatz vom 12.4.2024 begründet hat.
Der Widerspruch wurde mit Widerspruchsbescheid vom 16.5.2024 zurückgewiesen, woraufhin der Antragsteller mit Eingang vom 4.6.2024 beim Verwaltungsgericht Klage erhoben hat (5 K 692/24).
Im Verlauf der genannten Verfahren entwickelte sich eine umfassende Korrespondenz, anlässlich derer der Antragsteller u.a. zahlreiche medizinische Unterlagen eingereicht hat.
II.
Die zulässige Beschwerde des Antragstellers gegen den im Tenor bezeichneten Beschluss des Verwaltungsgerichts ist unbegründet. Die den Umfang der seitens des Senats gemäß § 146 Abs. 4 Sätze 3 und 6 VwGO vorzunehmenden Prüfung festlegende Beschwerdebegründung vom 12.4.2024 gibt keine Veranlassung, die erstinstanzliche Entscheidung abzuändern und die aufschiebende Wirkung der Klage des Antragstellers vom 4.6.2024 gegen den Bescheid des Antragsgegners vom 26.9.2023 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 16.5.2024 wiederherzustellen (Ziffern 1 und 2 des Bescheides) bzw. anzuordnen (Ziffern 4 und 5 des Bescheides), § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO.
1. Der Einwand, das Verwaltungsgericht habe verkannt, dass die Sofortvollzugsanordnung des Antragsgegners im angefochtenen Bescheid den formellen Anforderungen (§ 80 Abs. 3 Satz 1 VwGO) nicht genüge, verfängt nicht. Insoweit kann auf die diesbezüglich zutreffenden Ausführungen im angefochtenen Beschluss des Verwaltungsgerichts Bezug genommen werden.2 Soweit die Beschwerde demgegenüber rügt, bereits die formelle Rechtmäßigkeit der Sofortvollzugsanordnung sei fraglich, weil die Gutachtenanordnung materiell rechtswidrig sei, verkennt sie, dass die (formelle und materielle) Rechtmäßigkeit der zugrundeliegenden Gutachtenanordnung zwar Voraussetzung der materiellen Rechtmäßigkeit des angefochtenen Bescheides vom 26.9.2023 ist, nicht aber der formellen Rechtmäßigkeit der ihm beigegebenen Sofortvollzugsanordnung. Das Schriftlichkeitserfordernis des § 80 Abs. 3 Satz 1 VwGO stellt eine rein formelle Rechtmäßigkeitsvoraussetzung der Vollziehbarkeitsanordnung dar, weshalb es unschädlich ist, wenn die dargelegten Gründe sich später im gerichtlichen Verfahren als (materiell) unzutreffend erweisen.3
2. Die gegen die verwaltungsgerichtliche Entscheidung erhobene Beschwerde des Antragstellers irrt im Weiteren, soweit sie meint, wenn das angeforderte Gutachten nicht vorgelegt werde, bedürfe es für einen Schluss auf die Ungeeignetheit gemäß § 11 Abs. 8 FeV einer Ermessensentscheidung und finde keine Ermessensreduzierung auf Null statt.4 Denn trotz der Formulierung „darf“ in § 11 Abs. 8 Satz 1 FeV ist der Fahrerlaubnisbehörde im Rahmen der Frage, ob aus der Nichtvorlage des Gutachtens auf die Fahrungeeignetheit des Betroffenen geschlossen werden kann, kein Ermessen eingeräumt.5
3. Das übrige Beschwerdevorbringen konzentriert sich auf die Frage der Rechtmäßigkeit der Aufforderung des Antragsgegners vom 9.2.2023, eine Bescheinigung des behandelnden Arztes beizubringen, und lässt eine Auseinandersetzung mit der letztlich entscheidungstragenden Annahme des Verwaltungsgerichts, die Gutachtenanordnung vom 24.5.2023 werde den maßgeblichen Anforderungen des § 11 Abs. 6 FeV gerecht, vermissen.
a) Ausgangspunkt der rechtlichen Prüfung sind die §§ 3 Abs. 1 Satz 1 StVG, 46 Abs. 1 Satz 1 FeV, nach denen die Fahrerlaubnisbehörde die Fahrerlaubnis zu entziehen hat, wenn sich ihr Inhaber als ungeeignet oder nicht befähigt zum Führen von Kraftfahrzeugen erweist. Dies gilt nach § 46 Abs. 1 Satz 2 Alt. 1 FeV insbesondere, wenn Erkrankungen oder Mängel nach den Anlagen 4, 5 oder 6 zur FeV vorliegen und dadurch die Eignung zum Führen von Kraftfahrzeugen ausgeschlossen ist. Werden Tatsachen bekannt, die Bedenken begründen, dass der Inhaber einer Fahrerlaubnis zum Führen eines Kraftfahrzeugs ungeeignet oder bedingt geeignet ist, finden nach § 46 Abs. 3 FeV die §§ 11 bis 14 FeV entsprechend Anwendung. Nach § 11 Abs. 2 Satz 1 FeV kann die Fahrerlaubnisbehörde die Beibringung eines ärztlichen Gutachtens, unter anderem ein Gutachten eines für die Fragestellung zuständigen Facharztes mit verkehrsmedizinischer Qualifikation (§ 11 Abs. 2 Satz 3 Nr. 1 FeV), anordnen, wenn Tatsachen bekannt werden, die Bedenken gegen die körperliche oder geistige Eignung des Fahrerlaubnisinhabers begründen. Weigert sich der Betroffene, sich untersuchen zu lassen, oder bringt er das geforderte Gutachten nicht fristgerecht bei, darf nach § 11 Abs. 8 Satz 1 FeV auf die Nichteignung geschlossen werden. Der Schluss auf die Nichteignung ist allerdings nur zulässig, wenn die Anordnung der Begutachtung formell und materiell rechtmäßig, insbesondere anlassbezogen und verhältnismäßig ist.6 Diesbezüglich gelten nach ständiger Rechtsprechung strenge Anforderungen, die im Falle einer Folgemaßnahme (hier die Entziehung der Fahrerlaubnis) inzident zu prüfen sind.7
b) Die mithin in den Blick zu nehmende Gutachtenanordnung vom 24.5.2023 führt aus, der Antragsteller wende sich laut Mitteilung der Polizeiinspektion A-Stadt „wöchentlich mit diversen E-Mails an die Polizeiinspektion“, wobei er wechselnde Personen beschuldige, ihn zu verfolgen und verschleppen zu wollen; zudem sei er nach seinen Angaben ständig Giftgasattacken ausgeliefert und habe er eine Petition eingereicht, die geschlossene Kastenwägen verbieten solle, da diese für die Verschleppung von Menschen benutzt würden, und dürfe es nach seiner Ansicht nur noch Lieferfahrzeuge mit hinteren Scheiben geben. Die daher von ihm angeforderte ärztliche Bescheinigung vom 20.3.2023 gebe folgende Erkrankungen an: Gastritis (durch helicobacter pylori), Bradykardie-Neigung, Chronische Sinusitis maxillaris, Septumdeviation. Außerdem sei am 16.1.2023 eine Ataxie diagnostiziert worden, weshalb er mehrfach aufgefordert worden sei, eine ärztliche Bescheinigung mit sämtlichen Diagnosen vorzulegen. Die „geforderten“ ärztlichen Unterlagen habe der Antragsteller nicht vorgelegt. Weiter ist ausgeführt, aufgrund seiner „diversen E-Mails“ könne angenommen werden, dass bei ihm wahnhafte Störungen vorlägen; es sei zunächst zu überprüfen, ob bei ihm eine „geistige oder psychische“ Erkrankung vorliege. Wahnvorstellungen könnten sich auf Situationen beziehen, die durchaus im wirklichen Leben auftreten könnten, etwa verfolgt, vergiftet oder angesteckt zu werden. Derartige psychotische Krankheitserscheinungen könnten eine Gefahr zum Führen von Kraftfahrzeugen im Straßenverkehr darstellen. Bei den heutigen Verkehrsverhältnissen sei die Belassung einer Fahrberechtigung im Interesse der Allgemeinheit nur dann vertretbar, wenn der Inhaber keine „körperlichen oder charakterlichen“ Mängel aufweise, durch die die Eignung zum Führen von Kraftfahrzeugen beeinträchtigt oder ausgeschlossen werde. Es seien „somit“ Tatsachen bekannt geworden, die Bedenken gegen die „körperliche“ Eignung des Antragstellers begründeten. Insbesondere liege wohl eine Erkrankung nach Anlage 4 zu § 11 FeV vor. Aufgrund seiner „fehlenden Mitwirkungspflicht“ könne nur die Nr. 7 der Anlage 4 FeV genannt werden und sei eine genaue Differenzierung nicht möglich. Aufgrund der Aktenlage sei jedoch davon auszugehen, dass er an einer „psychischen bzw. geistigen“ Störung leide.
Um diese Zweifel auszuräumen, werde der Antragsteller aufgefordert, ein ärztliches Gutachten eines Facharztes für Psychiatrie mit verkehrsmedizinischer Qualifikation bis zum 25.7.2023 vorzulegen; das Gutachten habe folgende Fragen zu beantworten: Liegt bei Herrn … eine Erkrankung vor, die nach Anlage 4 Nr. 7 FeV die Fahreignung in Frage stellt? Ist Herr … (wieder) in der Lage, den Anforderungen zum Führen von Kraftfahrzeugen der Klassen A, B und L gerecht zu werden? Ist außerdem eine regelmäßige Begutachtung erforderlich?
c) Der den Antrag des Antragstellers auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung seines Widerspruchs gegen den angefochtenen Bescheid vom 26.9.2023 zurückweisende Beschluss des Verwaltungsgerichts führt zu dieser Gutachtenanordnung fallbezogen im Wesentlichen aus,8 aufgrund der diversen E-Mails des Antragstellers und dem Antragsgegner vorliegenden Befundberichte habe der Antragsgegner zu Recht angenommen, dass beim Antragsteller Zweifel an seiner Fahreignung aufgrund einer Erkrankung im Sinne der Nr. 7 der Anlage 4 zur FeV bestünden. Hierzu zitiert das Verwaltungsgericht aus E-Mails des Antragstellers vom 19.1.2023 an die PI A-Stadt,9 einem Bericht des Dr. E. vom 24.1.2023,10 einem Entlassbrief des E-Klinikums vom 28.2.202311 und einer E-Mail des Antragstellers vom 20.3.2023 an den Antragsgegner.12 Weiterhin sei bei dem Amtsgericht A-Stadt – Betreuungsgericht – ein Betreuungsverfahren für den Antragsteller anhängig. Die Einschätzung des Antragsgegners werde auch durch die Eingaben des Antragstellers im erstinstanzlichen Eilverfahren gestützt, in denen der Antragsteller wiederholt auf eine erfolgte Kaffeevergiftung, Giftgasattacken und Verfolgungen durch einen Menschenhändlerring verweise und sich „offensichtlich anti-demokratischer Handlungen, Unterdrückung, Grundrechtsverletzungen, Bedrohung, Lügen, Täuschung, Brutalität, Rassismus, Rechtsextremismus, White Supremacy und Apartheid, Betrug, Korruption, Kultaktivität, Verschwörung und Verfolgung durch einen Trafficking-Ring“ ausgesetzt sehe, um ihn „unrichtigerweise als einen Psycho abzustempeln“. Die von ihm vorgelegten Befundberichte, ärztlichen Unterlagen und Lichtbilder belegten die von ihm geltend gemachten Vergiftungen nicht. Eine derartige Zuordnung erfolge auch in keinem der ärztlichen Berichte.
d) Die Beschwerde rügt in ihrer Begründung vom 12.4.2024 unter Bezugnahme auf und alleiniger Auseinandersetzung mit der Aufforderung vom 9.2.2023 zur Vorlage einer ärztlichen Bescheinigung, dass die Gutachtenanordnung den Anforderungen des § 11 Abs. 6 FeV nicht entspreche, weil sie nicht hinreichend konkret gefasst sei. Zutreffend hat der Antragsgegner in seiner Beschwerdeerwiderung vom 29.4.2024 auf diesen unzutreffenden – weil sich zu der eigentlichen Anordnung vom 24.5.2023 nicht verhaltenden – Ansatz hingewiesen, woraufhin der Antragsteller schließlich in seinem Schriftsatz vom 11.7.2024 vorgetragen hat, er habe lediglich das Datum verwechselt, und damit wohl zum Ausdruck bringen will, seine in der Beschwerdebegründung erhobenen Einwände bezögen sich nicht auf die Aufforderung vom 9.2.2023 zur Vorlage einer ärztlichen Bescheinigung, sondern auf die Anordnung einer fachärztlichen Begutachtung vom 24.5.2023.
Indes vermag dieser Versuch einer Nachbesserung der Beschwerde nicht zum Erfolg zu verhelfen. Denn die weiteren Ausführungen in der Beschwerdebegründung belegen eindeutig, dass der Antragsteller sich nur mit dem nicht entscheidungserheblichen Inhalt der Aufforderung vom 9.2.2023 auseinandergesetzt hat. So heißt es in der Beschwerdebegründung, in der Anordnung sei nach allen in Frage kommenden Krankheiten nach ICD-10 gefragt und keine fachärztliche Richtung benannt worden, die den Verdacht hätte aufklären können.13 Beides trifft nur auf die Anordnung vom 9.2.2023 zu.
Eine Auseinandersetzung mit der entscheidungstragenden Argumentation des Verwaltungsgerichts, die Anordnung vom 24.5.2023 werde den Anforderungen des § 11 Abs. 6 FeV gerecht, fehlt daher gänzlich, was nach § 146 Abs. 4 Sätze 3 und 6 VwGO zur Folge hat, dass die Beschwerde der Zurückweisung unterliegt.
4. Lediglich der Vollständigkeit halber und mit Blick auf das nunmehr anhängige Klageverfahren sei im Übrigen angemerkt, dass die Gutachtenanordnung vom 24.5.2023 durchaus an Unzulänglichkeiten leidet, deren rechtliche Bewertung dem Hauptsacheverfahren vorzubehalten ist.
So wird etwa in der Begründung der Gutachtenanordnung behauptet, nach Aktenlage habe am 16.1.2023 Dr. F. eine Ataxie diagnostiziert. Diese Behauptung erweist sich indes nach Lage der Akten als – im maßgeblichen Zeitpunkt der Gutachtenanordnung – in dieser Form überholt. Richtig ist zwar, dass der vom Antragsteller aufgesuchte Facharzt für Neurologie (und für Psychiatrie) Dr. J. F., H-Stadt, im Rahmen seiner Anamnese die Schilderung des Antragstellers wiedergegeben hat, dieser „habe“ – also nach seinen Angaben – „zunehmend Gangstörungen“ und im Feld „Diagnose: 16.01.23 Ataxie“ angegeben hat.14 Bereits der vom Antragsteller nachgereichte weitere Arztbrief des Dr. F. vom 24.1.2023 wiederholt diese Diagnose indes nicht mehr, sondern lässt das Diagnosefeld frei.15 Vor allem aber hält die vom Antragsteller zu den Verwaltungsunterlagen gereichte16 E-Mail des Dr. F. vom 27.3.2023 fest: „Wir haben Sie nicht auf Ataxie untersucht. Daher auch keine Bescheinigung“.17 Dass der Antragsgegner im maßgeblichen Zeitpunkt der Gutachtenanordnung gleichwohl weiterhin zu deren Begründung anführt, bei dem Antragsteller sei am 16.1.2023 eine Ataxie diagnostiziert worden, ohne die nachfolgende Aufgabe dieser Diagnose durch den seinerzeit behandelnden Neurologen auch nur zu erwähnen, erweist sich danach als mit der Pflicht des Antragsgegners, den der Anordnung zugrunde liegenden Sachverhalt umfassend aufzuklären und (auch für die begutachtende Stelle) deutlich zu machen,18 nicht vereinbar. Das gilt um so mehr, als der Antragsteller auf diesen Umstand bereits in seiner Stellungnahme vom 31.3.2023 an den Antragsgegner (zu dessen Anforderungsschreiben vom 9.2.2023 und 27.3.2023) überaus deutlich hingewiesen hat.19 Zudem ist bereits in dem vom Antragsgegner angeforderten Attest vom 20.3.2023 ausgeführt, dass „neurologisch kein Hinweis auf Pathologie“ bestehe. Überdies erschließt sich nicht, inwiefern die vom Antragsgegner offenbar weiterhin angenommene Ataxie, also eine neurologische Erkrankung, geeignet sein könnte, die Notwendigkeit der Vorlage eines psychiatrischen Gutachtens zu belegen.
Hinzu kommt, dass nicht nur der der Anordnung zugrunde liegende Sachverhalt umfassend aufgeklärt und deutlich gemacht werden, sondern auch der Anlass der angeordneten Untersuchung für den Betroffenen erkennbar sein muss.20 Dem genügt es schwerlich, wenn die Gutachtenanordnung pauschal von „diversen E-Mails“ spricht, aufgrund derer wahnhafte Störungen anzunehmen seien, ohne diese E-Mails konkret und im Einzelnen zu bezeichnen und nachvollziehbar darzulegen, welche darin enthaltenen Äußerungen die behördlichen Bedenken an der Kraftfahreignung des Antragstellers rechtfertigen sollen. Es ist nicht Aufgabe der Verwaltungsgerichte, aus der Vielzahl der vom Antragsgegner unsubstantiiert in Bezug genommenen „diversen E-Mails“ des Antragstellers diejenigen herauszufiltern und inhaltlich aufzuarbeiten, die die Einschätzung des Antragsgegners, der Antragsteller leide wohl an einer psychotischen Erkrankung, möglicherweise tragen könnten. Daher führt es auch nicht weiter, wenn das Verwaltungsgericht in seinem angefochtenen Beschluss diesen (wohlgemeinten) Versuch unternimmt und die sich insoweit aufdrängenden Begründungsmängel der Gutachtenanordnung durch das Herausarbeiten mehrerer einschlägiger E-Mails des Antragstellers und das Aufzeigen von deren Inhalten zu korrigieren sucht. Denn eine Ergänzung oder Korrektur der Gutachtenanordnung für den darauf gestützten Bescheid ist nur relevant, wenn sie vor Bescheiderlass erfolgt ist.21 Deshalb trägt es auch nicht, wenn das Verwaltungsgericht im Weiteren erstmals und eigenständig mit einem anhängigen Betreuungsverfahren für den Antragsteller sowie mit dessen Eingaben im erstinstanzlichen Eilverfahren argumentiert. Überdies schließt die der Verwaltungsgerichtsbarkeit obliegende Funktion der Kontrolle (und nicht der „Reparatur“) von Verwaltungshandeln eine derartige Heilung einer unzureichenden Begründung durch die Verwaltungsgerichtsbarkeit aus; sie trüge der Bedeutung der sich aus Art. 19 Abs. 4 GG ergebenden Notwendigkeit effektiver Rechtsschutzgewährung ebenso wenig Rechnung wie der mit einer angeordneten fachpsychiatrischen Untersuchung einhergehenden Beeinträchtigung des in Art. 2 Abs. 1 GG verankerten Persönlichkeitsrechts des Betroffenen.22
Zur Vermeidung von Missverständnissen sei abschließend darauf hingewiesen, dass auch nach Dafürhalten des Senats einige der aktenkundigen Äußerungen des Antragstellers der Sache nach durchaus Anlass geben, Zweifel an seiner Fahreignung zu hegen und ihn aufzufordern, ein fachärztliches psychiatrisches Gutachten vorzulegen. Dennoch erscheint fraglich, aber gemessen an § 146 Abs. 4 Sätze 3 und 6 VwGO nicht entscheidungserheblich, ob die Anordnung vom 24.5.2023 den anerkannten strengen Anforderungen an die Begründung einer Gutachtenanordnung gerecht wird.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO.
Die der erstinstanzlichen Entscheidung folgende Streitwertfestsetzung erfolgt in Anwendung der §§ 63 Abs. 2 Satz 1, 47 Abs. 1 Satz 1, 53 Abs. 2 Nr. 2, 52 Abs. 1 und 2 GKG i.V.m. Nrn. 46.1, 46.3 und 1.5 der Empfehlungen des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsgerichtsbarkeit 2013 und berücksichtigt, dass die Fahrerlaubnis der Klasse A zum Führen von Fahrzeugen der Klassen AM, A1 und A2 (§ 6 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1, Satz 2 FeV) und die Fahrerlaubnis der Klasse B zum Führen von Fahrzeugen der Klassen AM und L (§ 6 Abs. 3 Satz 1 Nr. 4 FeV) berechtigt.
Dieser Beschluss ist nicht anfechtbar.
Fußnoten
1)
siehe Bl. 7 bzw. 14 f. der Verwaltungsunterlagen
2)
dort S. 2 f.
3)
vgl. Funke-Kaiser, in: Bader u.a., VwGO, 6. Aufl. 2014, § 80 Rn. 50, m.w.N.
4)
Seite 3 der Beschwerdebegründung vom 12.4.2024
5)
vgl. Siegmund, in: Freymann/Wellner, juris-PK Straßenverkehrsrecht, 2. Aufl., § 11 FeV Rn. 179, m.w.N. (Stand: 6.6.2024)
6)
vgl. Beschluss des Senats vom 24.11.2020 - 1 D 278/20 -, juris, Rn. 6, m.w.N.
7)
vgl. Bayerischer Verwaltungsgerichtshof, Beschluss vom 23.2.2023 - 11 CS 22.2649 -, juris, Rn. 12
8)
dort S. 6 f.
9)
Bl. 4 der Verwaltungsunterlagen
10)
Bl. 14 f. der Verwaltungsunterlagen
11)
Bl. 54 ff. der Verwaltungsunterlagen
12)
Bl. 75 der Verwaltungsunterlagen
13)
dort S. 4 und 5
14)
Bl. 7 der Verwaltungsunterlagen (siehe auch den weiteren Arztbrief des Dr. F. vom 24.1.2023, Bl. 42 der Akte 5 L 1612/23)
15)
Bl. 14 der Verwaltungsunterlagen
16)
mit E-Mail vom 31.3.2023 (Bl. 99 ff. der Verwaltungsunterlagen)
17)
Bl. 105 der Verwaltungsunterlagen
18)
vgl. Siegmund, in: Freymann/Wellner, juris-PK Straßenverkehrsrecht, 2. Aufl., § 11 FeV Rn. 133, m.w.N. (Stand: 6.6.2024)
19)
Bl. 99 der Verwaltungsunterlagen
20)
vgl. Siegmund, in: Freymann/Wellner, juris-PK Straßenverkehrsrecht, 2. Aufl., § 11 FeV Rn. 133, m.w.N. (Stand: 6.6.2024)
21)
vgl. Siegmund, in: Freymann/Wellner, juris-PK Straßenverkehrsrecht, 2. Aufl., § 11 FeV Rn. 144, m.w.N. (Stand: 6.6.2024)
22)
vgl. Beschluss des Senats vom 21.6.2023 - 1 B 18/23 -, juris, Rn. 32, m.w.N.
Einsender:
Anmerkung:
Die Nutzung von Burhoff-Online ist kostenlos. Der Betrieb der Homepage verursacht aber für Wartungs-, Verbesserungsarbeiten und Speicherplatz laufende Kosten.
Wenn Sie daher Burhoff-Online freundlicherweise durch einen kleinen Obolus unterstützen wollen, haben Sie hier eine "Spendenmöglichkeit".