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Entscheidungen

KCanG u.a.

KCanG, EncroChat, Verwertbarkeit der Erkenntnisse

Gericht / Entscheidungsdatum: OLG Celle, Beschl. v. 09.07.2024 - 3 Ws 55/24

Leitsatz des Gerichts:

1. Beim Vorliegen der Voraussetzungen des § 100e Abs. 6 StPO kann nach der Grundsatzentscheidung des 5. Strafsenats des BGH vom 2. März 2022 - 5 StR 457/21, NJW 2022, 1539 ff. – „jede denkbare Beeinträchtigung“ einer Person durch die Verwertung von EncroChat-Daten als Beweismittel ausgeschlossen werden.
2. Die Prüfung der Frage, ob EncroChat-Daten als Beweismittel verwertbar sind, kann indes auch nach Inkrafttreten des CanG zum 1. April 2024 durch Heranziehung niedrigschwelliger Verwertungsregelungen vorgenommen werden kann.
3. Bei den EncroChat-Daten handelt es sich – nach dem Maßstab des deutschen Verfassungs- und Strafprozessrechtes – um an Art. 10 GG zu messende, mithin um „qualifizierte“ Telekommunikationsdaten, weshalb bei der Prüfung der Frage ihrer Verwertbarkeit auch gemäß § 479 Abs. 2 Satz 1 StPO iVm § 161 Abs. 3 StPO auf eine entsprechende Anwendung des § 100a StPO zurückgegriffen werden kann bzw. im Falle des Nichtvorliegens der Voraussetzungen des § 100e Abs. 6 StPO wegen der Aufklärungspflicht nach § 244 Abs. 2 StPO zurückgegriffen werden muss.


OLG Celle
Beschluss

3 Ws 55/24

In der Strafsache
gegen pp.

wegen Handeltreibens mit Cannabis u.a.

hat der 3. Strafsenat des Oberlandesgerichts Celle auf die sofortige Beschwerde der Staatsanwaltschaft Hildesheim gegen den Beschluss der Strafkammer 16 des Landgerichts Hildesheim vom 23. Mai 2024 durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht XXX, den Richter am Oberlandesgericht XXX und die Richterin am Oberlandesgericht XXX am 9. Juli 2024 beschlossen:

1. Der angefochtene Beschluss wird, soweit das Landgericht die Eröffnung des Hauptverfahrens hinsichtlich der Anklagevorwürfe zu den Ziffern 1. – 4., 6. – 17., 19. und 21. – 26. der Anklageschrift der Staatsanwaltschaft Hildesheim vom 1. November 2023 abgelehnt und soweit das Landgericht entschieden hat, dass die Hauptverhandlung vor dem Amtsgericht Hildesheim – Schöffengericht – stattfinden soll, aufgehoben.
2. Die Anklage der Staatsanwaltschaft Hildesheim vom 1. November 2023 wird auch hinsichtlich der Anklagevorwürfe zu den Ziffern 1. – 4., 6. – 17., 19. und 21. – 26. mit der Maßgabe zur Hauptverhandlung zugelassen, dass der Angeklagte insoweit des Handeltreibens mit Cannabis, hinsichtlich des Anklagevorwurfs zu Ziffer 24. in Tateinheit mit Handeltreiben mit Betäubungsmitteln, hinreichend verdächtig ist.
3. Das Hauptverfahren wird vor der Strafkammer 16 des Landgerichts Hildesheim eröffnet.

Gründe:

I.

1. Die Staatsanwaltschaft Hildesheim hat am 1. November 2023 und damit noch vor Inkrafttreten des Konsumcannabisgesetzes (KCanG) zum 1. April 2024 vor dem Amtsgericht Hildesheim – Schöffengericht – Anklage erhoben. Dem Angeklagten wird zur Last gelegt, sich in der Zeit vom 27. März 2020 bis zum 10. Juni 2020 in Hildesheim durch 27 Straftaten des Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge schuldig gemacht zu haben. Der Angeklagte soll zu einem nicht näher bekannten Zeitpunkt vor Ende März 2020 beschlossen haben, sich in dem Wissen, nicht über die zum Umgang mit Betäubungsmitteln erforderliche Erlaubnis zu verfügen, aus dem Verkauf von Betäubungsmitteln in der Region Hildesheim eine nicht unerhebliche Einnahmequelle von einiger Dauer zu verschaffen.

Zur Abwicklung dieser Geschäfte soll er den Krypto-Messenger-Dienst „EncroChat“ auf dem Mobilendgerät mit der IMEI … und der damit verknüpften E-Mail-Adresse … genutzt haben. Der Angeklagte soll in den Fällen der Ziffern 1. – 4., 6. – 17., 19. und 21. – 26. mit den Cannabisprodukten Marihuana und Haschisch in Mengen zwischen mindestens 100 g bis zu 6 kg, im Fall der Ziffer 24. zugleich mit Amphetaminen, in den Fällen der Ziffer 5. mit 20 g Kokain, der Ziffer 18. mit 2 kg Amphetamin und der Ziffer 27. mit 1000 Ecstasytabletten Handel getrieben haben, indem er die jeweiligen Mengen entweder zum Zwecke des gewinnbringenden Weiterverkaufs in seiner Wohnung gelagert oder aber Dritten zu diesem Zwecke übergeben haben soll.

Zwar war bereits am 9. April 2020 über das Portal der sogenannten „Online-Wache“ der niedersächsischen Polizei ein anonymer Hinweis des Inhalts eingegangen, dass eine darin namentlich benannte Person namens „J. b.“ „… Kilo weise Cannabis im großen Stiel und Anvitamine, Mdma und Estasy Tabletten und sehr viel Kokain!“ verkaufe und diese ihr Geld sowie damit erworbene Wertgegenstände bei ihrer Mutter verstecke, den hinreichenden Tatverdacht stützt die Staatsanwaltschaft indes maßgeblich auf die EncroChat-Daten. Die durch die Strafverfolgungsbehörden u.a. aufgrund des anonymen Hinweises sowie der Auswertung der EncroChat-Daten durchgeführten Durchsuchungen bei dem Angeklagten bzw. bei dessen Angehörigen wie etwa seiner Mutter erbrachten insoweit keine den Tatverdacht weiter begründenden Erkenntnisse. Der Angeklagte hat sich nicht zur Sache eingelassen.

Mit Beschluss vom 20. Dezember 2023 hat das Amtsgericht das Verfahren gemäß § 225a Abs. 1 StPO dem Landgericht Hildesheim – große Strafkammer – zur Übernahme vorgelegt, weil mit Blick auf die im Falle eines Schuldspruchs zu erwartende Gesamtfreiheitsstrafe die Strafgewalt des Schöffengerichts nicht ausreichen dürfte.

Durch Verfügung vom 22. Dezember 2023 hat die Staatsanwaltschaft Hildesheim das Verfahren der zuständigen großen Strafkammer des Landgerichts Hildesheim gemäß § 209 Abs. 2 StPO zur Entscheidung vorgelegt.

Mit Beschluss vom 23. Mai 2024 hat die Strafkammer 16 des Landgerichts Hildesheim die Anklage der Staatsanwaltschaft Hildesheim bezüglich der Anklagevorwürfe zu den Ziffern 5., 18., 20. und 27. zugelassen und das Hauptverfahren insoweit mit der Maßgabe eröffnet, dass bezüglich Ziffer 20. der Anklageschrift der Angeklagte hinreichend verdächtig sei, mit Cannabis „in nicht geringer Menge“ Handel getrieben zu haben (§ 34 Abs.1 Nr. 4, Abs. 3 Nr. 4 Konsumcannabisgesetzes (KCanG)). Zugleich hat das Landgericht das Amtsgericht Hildesheim – Schöffengericht – als dasjenige Gericht bezeichnet, vor dem die Hauptverhandlung stattfinden soll. Im Übrigen hat das Landgericht, und damit mit Ausnahme des Anklagevorwurfs zur Ziffer 20. in sämtlichen weiteren Fällen, in denen dem Angeklagten zur Last gelegt wird, mit Cannabisprodukten (im Fall von Ziffer 24 zugleich auch mit Amphetamin) Handel getrieben zu haben, die Eröffnung des Hauptverfahrens abgelehnt. Das Landgericht vertritt die Auffassung, es fehle hinsichtlich der Tatvorwürfe zu den Ziffern 1. – 4., 6. – 17., 19., 21. – 26. an einem hinreichenden Tatverdacht. Die EncroChat-Daten, auf welchen die Tatvorwürfe maßgeblich fußten, seien für diese Taten als Beweismittel nicht verwertbar, weil nach Inkrafttreten des Konsumcannabisgesetzes (KCanG) und den durch das Cannabisgesetz (CanG) erfolgten Änderungen der unerlaubte Umgang bzw. Verkehr mit Cannabisprodukten nicht mehr unter das BtMG falle, sondern nunmehr an den Regelungen des KCanG zu messen sei. Durch das CanG seien Cannabisprodukte u.a. Marihuana und Haschisch aus der Anlage I zum BtMG gestrichen worden. Die betreffenden Tatvorwürfe stellten keine Katalogtat nach § 100b Abs. 2 StPO mehr dar, weil dieser Katalog aus dem KCanG lediglich § 34 Abs. 4 Nr.1, 3 und 4 KCanG (gewerbsmäßige Abgabe von Cannabis an Minderjährige, bandenmäßiges oder bewaffnetes Handeltreiben mit Cannabis in nicht geringer Menge) erfasse. Die EncroChat-Daten seien nunmehr nur noch insoweit verwertbar, als sie Katalogtaten des § 100b StPO betreffen würden, im Übrigen stehe der Beweisverwertung der Gedanke der Verwendungsschranke des § 100e Abs. 6 Nr. 1 i.V.m. § 100b Abs. 2 Nr. 5a StPO entgegen. Im Fall der Ziffer 20. der Anklageschrift, durch die dem Angeklagten das Handeltreiben mit 4,957 kg Marihuana zur Last gelegt werde, sei die Beweislage insoweit anders zu beurteilen, als hier mit einer gesondert verfolgten Person auch ein Zeuge zur Verfügung stehe.

Gegen die Teilnichteröffnung sowie die Bezeichnung des Amtsgerichts – Schöffengericht – als das für die Durchführung der Hauptverhandlung zuständige Gericht richtet sich die zulässige und beschränkte sofortige Beschwerde der Staatsanwaltschaft Hildesheim. Sie erstrebt eine Zulassung sämtlicher Anklagepunkte zur Hauptverhandlung und deren Durchführung vor der großen Strafkammer. Die Staatsanwaltschaft und ihr folgend die Generalstaatsanwaltschaft vertreten die Auffassung, dass EncroChat-Daten auch nach der Änderung der Gesetzeslage durch Inkrafttreten des KCanG bzgl. sämtlicher Anklagepunkte verwertbar seien.

Die Generalstaatsanwaltschaft hat daher beantragt, auf die sofortige Beschwerde auch hinsichtlich der Anklagevorwürfe zu den Ziffern 1. – 4., 6. – 17., 19. sowie 21. – 26. der Anklageschrift die Anklage zur Hauptverhandlung zuzulassen und das Hauptverfahren vor dem Landgericht Hildesheim – große Strafkammer – zu eröffnen.

Der Verteidiger des Angeklagten hat Stellung genommen und tritt den Ausführungen des angefochtenen Beschlusses bei, die Daten aus dem der EncroChat-Kommunikation seien nicht verwertbar. Ein individueller Tatverdacht gegen den Angeklagten habe zu keinem Zeitpunkt bestanden, weswegen keine Vergleichbarkeit mit den inländischen Fällen vorliege, in denen sich der Verdacht einer Katalogtat nicht bestätigt habe; zudem komme es auf den Erkenntnisstand zum Zeitpunkt der Verwendung der Daten an.

2. Aus dem Vermerk des Bundeskriminalamtes in Wiesbaden vom 2. Oktober 2020, BAO T., geht hervor, dass kriminalpolizeiliche Ermittlungen belegen würden, dass sich kriminelle Gruppierungen aus dem Bereich der Organisierten Kriminalität immer stärker darum bemühten, ihre Kommunikationen staatlichen Überwachungsmaßnahmen und damit einer möglichen Strafverfolgung vollständig zu entziehen. Zu diesem Zweck würden häufig derartige Krypto-Handys wie die des EncroChat-Dienstanbieters genutzt.

Aus dem vorgenannten Vermerk des Bundeskriminalamtes geht weiter hervor, dass sich EncroChat-Kommunikationen u.a. dadurch auszeichnen, dass die hierfür benötigten Mobilfunkendgeräte durch die Nutzer dieses Dienstes nicht auf einem legalen Vertriebsweg erworben werden konnten und für diese Geräte trotz ihrer sehr eingeschränkten Funktionalitäten ein außergewöhnlich hoher Preis bezahlt werden musste bzw. durch die Nutzer tatsächlich bezahlt wurde. Bei diesen Geräten habe es sich zwar zunächst um handelsübliche Smartphones gehandelt, diese seien indes derart konfiguriert worden, dass man mit ihnen nicht auf handelsübliche Messenger-Apps bzw. Browser habe zugreifen können. Die Geräte seien mit einer besonderen Software und mit SIM-Karten ausgestattet worden, die ausschließlich die Verwendung der Geräte mit dieser vorinstallierten Software ermöglicht hätten. Durch diese Software seien die Daten vor ihrer Übertragung verschlüsselt worden. Der Empfänger habe dieselbe Software und damit ebenfalls ein EncroChat-Handy mit der entsprechenden EncroChat-App benötigt, um diese Daten wieder entschlüsseln zu können. Mit den Smartphones staatlich lizensierter Dienstanbieter sei eine Datenübertragung bzw. ein Datenaustausch nicht möglich gewesen. Der Versuch die EncroChat-App bzw. die betreffende Software zu löschen habe dazu geführt, dass die Smartphones unbrauchbar geworden seien.

Die Software dieser Smartphones habe u.a. über automatische Löschfunktionen bzgl. der gespeicherten Nachrichten und eine sog. „Panic Wipe“-Funktion verfügt. Bei der „Panic Wipe“-Funktion habe die Eingabe eines zuvor festgelegten Panikpasswortes zur unmittelbaren und unwiderruflichen Löschen aller Daten geführt. Mangels ADB-Konnektivität (Schnittstelle zwischen PC und Endgerät) und mangels einer Funktion zur Wiederherstellung gelöschter Daten sei eine Manipulation der Smartphones „von außen“ nahezu ausgeschlossen. Nicht zuletzt zu diesem Zweck seien durch den Provider jedenfalls anfänglich die Kamera, das Mikrofon, GPS und der USB-Port außer Funktion gesetzt worden. Die Funktionsweise und Einsetzbarkeit der Geräte sei daher im Vergleich mit handelsüblichen Geräten erheblich eingeschränkt gewesen. Später seien Kamera und Mikrofon entsperrt worden und man habe über ein gesondert zu erwerbendes Guthaben mittels Internet-Telefonie (Voice over IP) telefonieren können. Das Erstellen und Verschicken von Sprachnachrichten und Videos sei indes weiterhin nicht möglich gewesen. Gleichwohl sei der Kaufpreis für diese Handys inklusive eingesetzter SIM-Card hoch gewesen und habe je nach beabsichtigter Nutzungsdauer zwischen 850 € (3 Monate) bis 1.500 € (6 Monate Nutzungsdauer) betragen. Der Erwerb der Geräte sei einzig über eine Homepage mittels Reseller möglich gewesen, welche jedoch nicht direkt hätten kontaktiert werden können. Der Server, mittels dessen die EncroChat-Daten bzw. Kommunikationen übertragen worden seien, habe sich an einem Standort in F. befunden. Die Kommunikationen über die so konfigurierten Mobilfunkendgeräte sei durch den Dienstanbieter als absolut „abhörsicher“ beworben wurden.

3. Ausweislich des weiteren Vermerks des Bundeskriminalamtes vom 20. August 2020, BAO T., hatten die f. Ermittlungsbehörden unter anderem wegen des Verdachts, dass die von dem Diensteanbieter EncroChat vertriebenen Mobilfunkendgeräte gezielt zu kriminellen Zwecken gebraucht würden, gegen die verantwortlichen Personen ein Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts der Geldwäsche und der Bildung einer kriminellen Vereinigung eingeleitet. Im Zuge dieser Ermittlungen seien auf Grundlage entsprechender Beschlüsse der zuständigen f. Gerichte in der Zeit vom 1. April 2020 bis zum 30. Juni 2020 durch verschiedene und im Detail nicht genau bekannt gegebener bzw. hinsichtlich bestimmter technischer Details geheim gehaltener Maßnahmen die EncroChat-Kommunikationen überwacht bzw. entschlüsselt und die Daten archiviert worden. Durch eine dieser Maßnahmen sei eine zur Überwachung dienende Software auf den Mobilfunkendgeräten der Nutzer aufgespielt worden.

Die Überwachung der EncroChat-Kommunikationen und damit die Erhebung dieser Daten seien nach dem weiteren Inhalt dieses Vermerks im Rahmen von Ermittlungen f. Behörden initiiert worden. Nachdem die d. Strafverfolgungsbehörden durch die zuständigen f. Behörden unter Einbindung von Europol von dieser Datenerhebung unterrichtet worden seien, seien der Generalstaatsanwaltschaft Frankfurt am Main auf deren Ersuchen im Wege Europäischer Ermittlungsanordnungen vom 2. Juni 2020, 9. September 2020 sowie vom 2. Juli 2021 diejenigen Kommunikationsdaten übersandt worden, die mit Smartphones durchgeführt worden sein sollen, deren IMEI-Nummern einen Bezug zur Bundesrepublik Deutschland aufgewiesen hätten. Das hiesige Verfahren ist aus dem Ermittlungsverfahren der Generalstaatsanwaltschaft Frankfurt am Main abgetrennt worden.

Ausweislich der diese Rechtshilfeersuchen bearbeitenden f. Polizeidienststellen, der Abteilung Kriminalpolizei der nationalen Polizei, Zentraler Informationsdienst in Kriminalsachen, Zentrum für den Kampf gegen digitale Kriminalität, war das f. Ermittlungsverfahren am 5. November 2018 auf Anweisung der Staatsanwaltschaft Lille eingeleitet worden, um die mittels „… EncroChat verschlüsselte Kommunikation“ zu entschlüsseln, die „… hauptsächlich von Personen genutzt wird, die Verbindungen zur organisierten Kriminalität und hier insbesondere im Bereich des Drogenschmuggels haben“. Die Server zur Unterstützung dieser EncroChat-Infrastruktur sollen sich in R., F. befunden haben. Die Datenerfassung betreffend diese Server soll in der Zeit vom 1. April bis zum 30. Juni 2020 durchgeführt worden sein.

Aus diesem Datenbestand waren auf deren Europäischen Ermittlungsanordnungen der Generalstaatsanwaltschaft Frankfurt ausweislich des Schreibens der vorgenannten f. Polizeidienststelle vom 6. Juli 2020 zwei Arten von Daten zur Verfügung gestellt worden. Zum einen alle „vorherigen Daten, die sich zu dem Zeitpunkt auf dem Telefon befunden haben, als das Abfrage-Tool auf dem Telefon installiert wurde, mit der Bedingung, dass sich das Telefon zum Zeitpunkt der Installation des Abfrage-Tools auf d. Boden befunden hat“; zum anderen „die direkt (live) im Rahmen der Datenerfassung erfassten Daten unter der Bedingung, dass sich die Telefone auf deutschem Boden befunden haben“. Die EncroChat-Daten des hiesigen Verfahrens waren durch den Nutzer des Mobilendgeräts mit der IMEI … und der damit verknüpften E-Mail-Adresse … durchgeführt worden.

4. Bei den durch die fr. Behörden gesicherten und im hiesigen Verfahren beweisrelevanten Daten in den Fällen der Ziffern 1. – 4., 6. – 17., 19. und 21. – 26. der Anklageschrift der Staatsanwaltschaft Hildesheim handelt es sich sämtlich um Daten von Chatverläufen, die, soweit gesichtet, sämtlich in d. Sprache verfasst worden waren und mit Datum und Uhrzeit versehen sind. Darüber hinaus kann den Daten entnommen werden, ob sie von dem jeweiligen Kommunikationsteilnehmer versandt oder aber empfangen worden waren. Inhaltlich tauschen sich die jeweiligen Kommunikationsteilnehmer darüber aus, ob bestimmte Mengen zur Verfügung stehen und wenn ja, wann und wie konkret diese von dem einen Kommunikationsteilnehmer an den anderen übergeben werden können. Im Rahmen einzelner Kommunikationen werden auch Bilder übersandt, die u.a. offensichtlich verschiedene Marihuana-Dolden abbilden. Als Bezeichnung eines der Kommunikationsteilnehmer wird dabei in sämtlichen Fällen der Name bzw. der Begriff „m.“ verwandt.

Die ersten dieser Kommunikationen waren ausweislich der entsprechenden Verbindungsdaten am 27. März 2020 geführt worden.

II.

Die sofortige Beschwerde ist zulässig und begründet.

1. Gemäß § § 210 Abs. 2 StPO ist gegen den Beschluss, durch den die Eröffnung des Hauptverfahrens – auch teilweise – abgelehnt oder abweichend von dem Antrag der Staatsanwaltschaft die Verweisung an ein Gericht niederer Ordnung ausgesprochen wird, die sofortige Beschwerde statthaft. Die sofortige Beschwerde ist fristgerecht eingelegt worden.

2. Die sofortige Beschwerde ist auch begründet.

Der Angeklagte ist nicht nur derjenigen Taten hinreichend verdächtig, bezüglich derer das Landgericht Hildesheim in seinem teilangefochtenen Beschluss vom 23. Mai 2024 die Anklage zur Hauptverhandlung zugelassen hat, der Angeklagte ist sämtlicher ihm in der Anklageschrift der Staatsanwaltschaft Hildesheim vom 1. November 2023 zur Last gelegten Taten hinreichend verdächtig.

Nach der insoweit maßgeblichen Norm des § 203 StPO beschließt das Gericht die Eröffnung des Hauptverfahrens, wenn ein Angeklagter nach den Ergebnissen des vorbereitenden Verfahrens einer Straftat hinreichend verdächtig ist, wenn mithin nach vorläufiger Bewertung die Wahrscheinlichkeit seiner Verurteilung in einer Hauptverhandlung mit verwertbaren Beweismitteln besteht. Im Rahmen der dabei anzustellenden Beweisbarkeitsprognose gilt es zu prüfen, ob der Nachweis des Tatverdachts mit den prozessual zulässigen Mitteln gelingen wird (vgl. KK-StPO/Schneider, 9. Aufl., § 203, Rn. 7 und 9, OLG Celle NdsRpfl 2013, 253; OLG Stuttgart NStZ-RR 2011, 318; OLG Koblenz NJW 2013, 98).

Grundlage der Verwertung dieser Beweismittel ist § 261 StPO (BGH, aaO). Aus § 261 StPO folgt der Grundsatz, dass alle Beweise zu verwerten sind (KK-StPO/Tiemann StPO § 261 Rn. 149; MüKoStPO/Bartel StPO § 261 Rn. 139, 143). Es ist ein verfassungsrechtlich gebotenes Ziel jedes staatlichen Strafverfahrens, mit sämtlichen vorhandenen Tatsachen und Beweismitteln die materielle Wahrheit zu erforschen. Im Einzelfall ist dieses Interesse in Abwägung zu bringen mit den widerstreitenden Interessen des Betroffenen. Durch eine Verwendung der Erkenntnisse aus der EncroChat Kommunikation wird der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz nicht verletzt und der Angeklagte nicht unzumutbar benachteiligt.

Nach diesem Maßstab besteht nach Aktenlage ein hinreichender Tatverdacht auch bzgl. der Anklagevorwürfe zu den Ziffern 1. – 4., 6. – 17., 19. und 21. – 26. betreffend die weiteren Vorwürfe des Handeltreibens mit Cannabis gemäß § 34 Abs. 1 Nr. 4 KCanG, wobei in all diesen Fällen zugleich auch ein hinreichender Tatverdacht bzgl. der Verwirklichung der Regelbeispiele des besonders schweren Falles nach § 34 Abs. 3 Nr. 1 und Nr. 4 KCanG vorliegt, nämlich dem gewerbsmäßigen Handeltreiben bzw. dem Handeltreiben mit nicht geringen Mengen Cannabis. Hinsichtlich der Tat zu Ziffer 24. besteht zudem der hinreichende Tatverdacht des tateinheitlich verwirklichten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln, § 29 Abs. 1 Nr. 1 BtMG, nämlich Amphetamin in einer nicht genau feststellbaren, indes hinreichend wahrscheinlich verkehrsfähigen, weil zum Verkauf bestimmten Menge.

Der hinreichende Tatverdacht wird in sämtlichen dieser Fälle durch die im Wege der Rechtshilfe erlangten Kommunikationsdaten des Anbieters EncroChat begründet. So ist es zum einen aufgrund der Ermittlungen der sachbearbeitenden Polizeidienststellen, unter anderem aufgrund des Vermerks der ZKI Göttingen vom 20. September 2020 hinreichend wahrscheinlich, dass es sich bei dem Angeklagten um den Nutzer des Mobilendgeräts mit der IMEI … und der damit verknüpften E-Mail-Adresse … handelt. Zum anderen lassen sich auf der Grundlage der EncroChat-Daten sämtliche anklagegegenständlichen Taten nach Zeit, Ort und Gegenstand der Tathandlungen, sprich Art und Menge der Betäubungsmittel in allen Fällen hinreichend konkretisieren und dem Nutzer des vorgenannten Mobilfunkendgerätes bzw. des E-Mail-Accounts und damit dem Angeklagten hinreichend wahrscheinlich zuzuordnen.

Entgegen der Auffassung des Landgerichts sind die der Generalstaatsanwaltschaft Frankfurt am Main auf deren Ersuchen im Wege Europäischer Ermittlungsanordnungen vom 2. Juni 2020, 9. September 2020 sowie vom 2. Juli 2021 übermittelten Telekommunikationsdaten als Beweismittel weiterhin verwertbar, obwohl die verfahrensgegenständlichen Taten, sofern die entsprechenden Tatvorwürfe Cannabisprodukte zum Gegenstand haben, nicht mehr unter das BtMG, sondern unter das KCanG als das nunmehr gemäß § 2 Abs. 3 StGB „mildeste Gesetz“ zum Zeitpunkt der Entscheidung fallen.

Wegen der unions- und völkerrechtsfreundlichen Vermutung des rechtmäßigen Handelns ist eine vorgelagerte Prüfung der rechtmäßigen Beweiserlangung der übermittelten Telekommunikationsdaten durch die f. Behörden nicht veranlasst, ist deren Handlungsweise mithin nicht nach deren nationalem Recht zu überprüfen (bzgl. des insoweit geltenden Grundsatzes vgl. BGH 2. März 2022 - 5 StR 457/21, NJW 2022, 1539 ff., Rn 53). Eine der Ausnahmefälle, in denen diese Vermutung nicht greift, liegt nicht vor. Die Daten sind weder unter Verletzung unionsrechtlicher oder völkerrechtlich verbindlicher und dem Individualgüterrechtsschutz dienender Garantien erlangt worden noch unter Verstoß gegen allgemeine rechtsstaatliche Grundsätze im Sinne des ordre public nach § 73 IRG, noch diente die Ermittlungshandlung der Umgehung nationaler Vorschriften.

Beim Vorliegen der Voraussetzungen des § 100e Abs. 6 StPO kann nach der Grundsatzentscheidung des 5. Strafsenats des BGH vom 2. März 2022 - 5 StR 457/21, NJW 2022, 1539 ff. – „jede denkbare Beeinträchtigung“ einer Person durch die Verwertung ihrer personenbezogenen Daten, mithin auch der EncroChat-Daten, ohne deren Einwilligung ausgeschlossen werden (vgl. nachfolgend a)). Daraus folgt indes nicht, dass beim Nichtvorliegen der Voraussetzungen des § 100e Abs. 6 StPO bzw. bei einer anderen Straftat als der vom novellierten Katalog des § 100b Abs. 2 StPO erfassten eine Verwendung der EncroChat-Daten als Beweismittel nach Inkrafttreten des CanG in Fällen der hier vorliegenden Art entsprechend der Auffassung des Kammergerichts in dessen Entscheidung vom 30. April 2024 ausscheidet (vgl. nachfolgend b)). Die Prüfung der Frage, ob EncroChat-Daten in Fällen der vorliegenden Art als Beweismittel verwertbar sind, kann vielmehr auch auf andere Weise erfolgen, als durch eine entsprechende Anwendung des § 100e Abs. 6 StPO. Mit Inkrafttreten des CanG zum 1. April 2024 und des durch dessen Art. 1 eingeführten KCanG bzw. nach Inkrafttreten der durch Art. 13a des CanG herbeigeführten Änderungen der StPO (vgl. nachfolgend c)) hat sich von Rechts wegen nichts daran geändert, dass die EncroChat-Daten auch in anderen als den vom Katalog des § 100b Abs. 2 StPO erfassten Fällen als Beweismittel verwertbar sind (vgl. nachfolgend d)), weil bei Vorliegen der Voraussetzungen des § 100e Abs. 6 StPO zwar „jede denkbare Beeinträchtigung“ des Angeklagten durch Verwertung der ihn betreffenden EncroChat-Daten ausgeschlossen werden kann, diese Prüfung indes auch durch Heranziehung niedrigschwelliger Verwertungsregelungen vorgenommen werden kann. § 100e StPO und damit auch dessen Abs. 6 beziehen sich ausschließlich auf Maßnahmen der Online-Durchsuchung sowie der akustischen Wohnraumüberwachung nach den §§ 100b und 100c StPO. Maßnahmen nach § 100b und 100c StPO gestatten indes nicht die Erhebung von Telekommunikationsdaten (vgl. nachfolgend d) aa)). Bei den beschwerdegegenständlichen EncroChat-Daten (vgl. oben I. 4.) handelt es sich – nach dem Maßstab des deutschen Verfassungs- und Strafprozessrechtes – indes um an Art. 10 GG zu messende, mithin um „qualifizierte“ Telekommunikationsdaten, weshalb bei der Prüfung der Frage ihrer Verwertbarkeit auch gemäß § 479 Abs. 2 Satz 1 StPO iVm § 161 Abs. 3 StPO auf eine entsprechende Anwendung des § 100a StPO zurückgegriffen werden kann bzw. im Falle des Nichtvorliegens der Voraussetzungen des § 100e Abs. 6 StPO wegen der Aufklärungspflicht nach § 244 Abs. 2 StPO zurückgegriffen werden muss (vgl. nachfolgend d) bb)). Die Prüfung nach Maßgabe der in § 100a StPO verkörperten Verwendungsbeschränkungen ergibt, dass die EncroChat-Daten im hiesigen Verfahren als Beweismittel verwertbar sind.

a) In seiner vorerwähnten Entscheidung vom 2. März 2022 hat der 5. Strafsenat des BGH die Auffassung vertreten, dass die EncroChat-Daten – mithin die auch hier verfahrensgegenständlichen Telekommunikationsdaten, die im Rahmen des durch die f. Strafverfolgungsbehörden geführten Ermittlungsverfahren nach deren nationaler Rechtsordnung erhobenen worden und den deutschen Strafverfolgungsbehörden aufgrund einer Europäischen Ermittlungsanordnung und damit im Wege der Rechtshilfe übermittelt worden waren – unter bestimmten Voraussetzungen verwertbar seien.

Zur Begründung seiner Auffassung hat der BGH u.a. ausgeführt, Rechtsgrundlage für die Verwertung sämtlicher in der Hauptverhandlung erhobenen Beweise sei § 261 StPO unabhängig davon, ob die beweisgegenständlichen Daten zuvor im Inland oder auf sonstige Weise wie etwa im Wege der Rechtshilfe erlangt worden seien. Ausdrückliche Verwendungsbeschränkungen für im Wege der Rechtshilfe erlangte Daten sehe das deutsche Recht nicht vor, insbesondere sei § 100e Abs. 6 StPO hierauf nicht unmittelbar anwendbar, lediglich die dort verkörperte Wertung sei aus von Verfassung wegen gebotenen Verhältnismäßigkeitsgründen entsprechend heranzuziehen (aaO Rn. 25). Die Frage der Verwertbarkeit der übermittelten EncroChat-Daten richte sich ausschließlich nach dem nationalen Recht des um Rechtshilfe ersuchenden Staates, mithin nach deutschem Recht, soweit – wie hier – der um Rechtshilfe ersuchte Staat die unbeschränkte Verwendung der von ihm erhobenen und übermittelten Beweisergebnisse gestattet hat; nichts Anderes ergebe sich aus den Richtlinien zur Europäischen Ermittlungsanordnung. Demgegenüber sei die Rechtmäßigkeit von Ermittlungshandlungen – jenseits etwaiger Vorgaben des ersuchenden Staates – nach dem Recht des ersuchten Staates zu bewerten. Eine Überprüfung hoheitlicher Entscheidungen des ersuchten Staates am Maßstab von dessen Rechtsordnung durch die Gerichte des ersuchenden Staates finde dabei grundsätzlich nicht statt (aaO Rn. 26). Zwar könnten sich im Einzelfall Beweisverwertungsverbote bezüglich durch Rechtshilfe erlangter Beweismittel entweder aus rechtshilfespezifischen Gründen wie der Verletzung völkerrechtlicher Grundsätze oder unmittelbar aus der Verfassung bzw. dem sonstigen Prozessrecht ergeben; solche lägen im Fall der Übermittlung der EncroChat-Daten durch die französischen Behörden indes nicht vor (aaO Rn. 32 ff.).

Bei innerstaatlichen Ermittlungen bzw. bei im Wege der europäischen Rechtshilfe ersuchten ausländischen Ermittlungsmaßnahmen werde der mit heimlichen Ermittlungsmaßnahmen einhergehende besonders intensive Grundrechtseingriff regelmäßig bereits bei der Anordnung der Ermittlungsmaßnahmen limitiert, etwa durch die Beschränkung auf besonders schwere Straftaten oder Fälle eines qualifizierten Verdachts. Könne diese Beschränkung – wie im vorliegenden Fall – nicht geleistet werden, weil hier durch einen anderen Mitgliedstaat in originärer Anwendung seines nationalen Rechts in die Grundrechte Betroffener eingegriffen wurde, seien die dadurch möglichen Unterschiede bei den Eingriffsvoraussetzungen auf der Ebene der Beweisverwendung zu kompensieren. Hierfür könne auf die in strafprozessualen Verwendungsbeschränkungen verkörperten Wertungen zurückgegriffen werden, mit denen der Gesetzgeber dem verfassungsrechtlichen Verhältnismäßigkeitsgrundsatz bei vergleichbar eingriffsintensiven Mitteln Rechnung trage. Die Vorschrift des § 100e Abs. 6 StPO sei vorliegend nicht unmittelbar anwendbar, da die EncroChat-Daten nicht durch Maßnahmen nach den §§ 100b, 100c StPO, sondern durch eigenständige Maßnahmen nach f. Prozessrecht gewonnen worden seien (aaO Rn. 66 bis 68). Der 5. Strafsenat des BGH hat in diesem Zusammenhang weiter ausgeführt: „Im vorliegenden Fall können aufgrund des Gewichts der Maßnahme zur Wahrung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes - auch um jede denkbare Benachteiligung auszuschließen - die Grundgedanken der Verbindungsschranke mit dem höchsten Schutzniveau (§ 100e Abs. 6 StPO) fruchtbar gemacht werden“ (aaO Rn. 68).
Danach komme, so der Senat weiter, ein Beweisverwertungsverbot in Betracht, sofern es sich um Daten aus dem Kernbereich privater Lebensführung handele. Liege ein solcher Fall nicht vor, dürften nach dem Grundgedanken des § 100e Abs. 6 StPO die im Wege europäischer Rechtshilfe erlangten Beweisergebnisse aus dem EncroChat-Komplex in Strafverfahren ohne Einwilligung der überwachten Person unter Verweis auf die Wertung des Gesetzgebers in § 100e Abs. 6 Nr. 1 StPO nur zur Aufklärung einer Straftat, aufgrund derer eine Maßnahme nach § 100b StPO hätte angeordnet werden können, oder zur Ermittlung des Aufenthalts der einer solchen Straftat beschuldigten Person verwendet werden. Die Vorschrift der Akustischen Wohnraumüberwachung des § 100c StPO nimmt in Abs. 1 auf den Anlasstatenkatalog des § 100b Abs. 2 StPO Bezug. Weiter hat der 5. Strafsenat ausgeführt, die aufzuklärende Straftat müsse damit auch im Einzelfall besonders schwer wiegen und die Erforschung des Sachverhalts auf andere Weise wesentlich erschwert oder aussichtslos sein (aaO Rn. 69).

b) Der 5. Strafsenat des BGH sieht nach alledem den Rückgriff auf § 100e Abs. 6 StPO als Vorschrift mit dem höchsten Schutzniveau prinzipiell als geeignet an, „um jede denkbare Benachteiligung auszuschließen“. Daraus kann indes im Umkehrschluss nicht geschlossen werden, dass zur Aufklärung eines Lebenssachverhalts, der nicht bzw. nicht mehr unter den Straftatkatalog des § 100b StPO subsumiert werden kann, eine Verwendung der EncroChat-Daten ausnahmslos ausscheidet. Da hier indes nicht „jede denkbare Benachteiligung“ ausgeschlossen werden kann, ist jedoch eine eingehendere Einzelfallprüfung erforderlich.

Der Senat teilt damit nicht die Auffassung des Kammergerichts, welches in seinem Beschluss vom 30. April 2024 (5 Ws 67/24, BeckRS 2024, 9370) die Auffassung vertritt, die aus den Daten des Kommunikationsdienstes EncroChat gewonnenen Erkenntnisse, die sich auf eine Tat des Handeltreibens mit Cannabis in nicht geringer Menge beziehen, könnten nach dem Inkraftreten des Cannabisgesetzes in einem Strafverfahren nicht weiter verwendet werden, weil der insoweit nunmehr einschlägige Straftatbestand des § 34 Abs. 3 S. 2 Nr. 4 KCanG keine Katalogtat im Sinne des § 100b Abs. 2 StPO sei.

Soweit der 5. Strafsenat des BGH weiter ausgeführt hat, bei der Prüfung der Verwertbarkeit der Daten sei „auf den Erkenntnisstand zum Zeitpunkt der Verwertung der Beweisergebnisse abzustellen“ (aaO Rn. 70), wird damit kein bestimmter, für sämtliche Strafverfahren einheitlich zu bestimmender Zeitpunkt innerhalb des Erkenntnisverfahrens festgelegt. Maßgeblich ist vielmehr jeweils der Zeitpunkt, in welchem die betreffenden Daten im Rahmen eines strafprozessualen Verfahrens, gleich ob es sich um das Ermittlungsverfahren oder das Hauptverfahren handelt, einer staatsanwaltschaftlichen bzw. gerichtlichen Entscheidung zu Grunde gelegt werden. Dieser Zeitpunkt ist damit in Abgrenzung zu jenem Zeitpunkt zu sehen, zudem die Daten erhoben bzw. die Erhebung der entsprechenden Daten durch die gemäß § 100e StPO zuständige Stelle angeordnet wurde. Insoweit bezieht sich die Entscheidung des 5. Strafsenats des BGH sowie die von diesem in Bezug genommene Rechtsprechung (vgl. aaO Rn 70) auf die weitere Verwendung der zweckgebundenen Daten nach deren Erhebung und damit auf einen der Datenerhebung zeitlich nachfolgenden Zeitpunkt und den mit der Datenverwertung einhergehenden erneuten Grundrechtseingriff.

c) Mit dem CanG, durch welches u.a. das KCanG eingeführt worden war, hat sich die Rechtslage mit dessen Inkrafttreten zum 1. April 2024 und damit im Vergleich zu der noch durch den 5. Strafsenat des BGH zu berücksichtigenden Rechtslage zum einen insoweit geändert, als der Katalog des novellierten § 100b StPO Abs. 2 Nr. 5a StPO nur noch Straftaten nach § 34 Abs. 4 Nr. 1, 3 und 4 KCanG erfasst, mithin wird die Möglichkeit einer Onlinedurchsuchung nur noch in den Fällen der gewerbsmäßigen Abgabe von Cannabis an Minderjährige sowie des bandenmäßigen oder bewaffneten Handeltreiben mit Cannabis in nicht geringer Menge eröffnet und nicht wie zuvor unter Geltung des BtMG bereits bei Straftaten des Handeltreibens mit Cannabis in nicht geringer Menge. Zum anderen stellt das Handeltreiben mit Cannabis in nicht geringer Menge keinen Verbrechenstatbestand mehr dar, sondern ein benanntes Regelbeispiel des unerlaubten Handeltreibens mit Cannabis im besonders schweren Fall, welcher mit Freiheitsstrafe von drei Monaten bis zu fünf Jahren und damit mit einem geringen Strafrahmen als § 29a BtMG bedroht ist, der als Verbrechenstatbestand einen Strafrahmen von 1 Jahr bis 15 Jahren Freiheitsstrafe eröffnet.

Diese Änderungen und damit die Tatsache, dass die dem Angeklagten zu Last gelegten Straftaten in den Fällen der Ziffern 1. – 4., 6. – 17., 19. und 21. – 26. der Anklageschrift nicht – mehr – unter den Katalog der in § 100b Abs. 2 Nr. 1. bis 10. StPO enumerativ aufgelisteten Straftaten fallen, führt entgegen der Auffassung des Landgerichts gleichsam de lege lata nicht dazu, dass die den Tatverdacht begründenden EncroChat-Daten als Beweismittel nicht mehr verwertbar sind bzw. einem Beweisverwertungsverbot unterliegen (so im Ergebnis auch LG Leipzig, Urteil vom 12.04.2024 – 6 KLs 107 Js 66624/20, BeckRS 2024, 10940, Schubert, juris PR-StrafR 8/2024 Anm.3; Schubert, DRiZ 2024, 230 ff.; LG Köln zu Sky-Ecc, Beschluss vom 16. April 2024, BeckRS 2024, 12833).

d) Die EncroChat-Daten können als Beweismittel entsprechend den §§ 479 Abs. 2, 161 Abs. 3 iVm § 100a Abs. 1 und 2 StPO genutzt werden. Sie begründen einen hinreichenden Tatverdacht iSv. § 203 StPO.

aa) Die Prüfung der Frage, ob die EncroChat-Daten im hiesigen Verfahren als Beweismittel verwertet werden dürfen, kann unter Berücksichtigung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes auch anders vorgenommen werden als durch einen Rückgriff auf die – wie es der 5. Strafsenat des BGH formuliert hat – „(…) Verwendungsschranke mit dem höchsten Schutzniveau (§ 100e Abs. 6 StPO)“ und anders als auf eine Art und Weise, die „(…) jede denkbare Benachteiligung (…)“ ausschließt. Dass dies zulässig und geboten ist ergibt sich nicht zuletzt aus der Tatsache, dass sich § 100e Abs. 6 StPO einzig auf die beiden Maßnahmen der Online-Durchsuchung sowie der Akustischen Wohnraumüberwachung und damit nicht auf Maßnahmen der Telekommunikationsüberwachung bezieht. Insoweit gilt:

aaa) In § 100e Abs. 1 bis 4 StPO hat der Gesetzgeber die bislang in verschiedenen strafprozessualen Vorschriften geregelten Vorfahrensvorschriften für die Überwachung der Telekommunikation, der akustischen Wohnraumüberwachung und nunmehr auch der sogenannten Online-Durchsuchung zusammengefasst (vgl. BT-Drs. 18/12785, S. 62), in Abs. 5 wird festgelegt, dass die jeweilige Maßnahme zu beenden ist, wenn die Voraussetzungen ihrer Anordnung nicht mehr vorliegen. Der vom 5. Strafsenat des BGH für die Zwecke der Prüfung der Verhältnismäßigkeit in den Blick genommene § 100e Abs. 6 StPO regelt, unter welchen Voraussetzungen „die durch Maßnahmen nach den §§ 100b und 100c erlangten und verwertbaren personenbezogenen Daten (…) für andere Zwecke (…)“ verwendet werden dürfen.

bbb) Unter welchen Voraussetzungen Maßnahmen zur Überwachung der Telekommunikation nach § 100a StPO, der Online-Durchsuchung nach § 100b StPO bzw. der akustischen Wohnraumüberwachung gemäß § 100c StPO zulässig sind und damit unter welchen Bedingungen die entsprechenden Daten überhaupt erst erhoben werden dürfen, hat der Gesetzgeber hingegen in den §§ 100a, 100b und 100c StPO differenziert ausgestaltet.

Nach der grundgesetzlichen Dogmatik stellen die Datenerhebung nach diesen Vorschriften und die sich daran anschließende weitere Verwertung der Daten – auch deren weitere Verwendung für „andere Zwecke“ entsprechend dem Regelungsinhalt in § 100e StPO – jeweils selbstständige Grundrechtseingriffe dar. Sämtliche der Erhebung nachfolgenden Verwendungen und bzw. Verwertungen zu Beweiszwecken stellen sich damit nicht als Fortsetzung des Ersteingriffs, sondern als neue Grundrechtseingriffe dar, die jeweils einer eigenen gesetzlichen Ermächtigungsgrundlage bedürfen und an diesem Grundrecht zu messen sind (vgl. BVerfG, Urteil vom 2. März 2010 - 1 BvR 256/08 - BVerfGE 125, 260 = NJW 2010, 833 [835f.]). Dies gilt auch für die Einführung der Daten in die Hauptverhandlung nach den strafprozessualen Regeln über die Beweisaufnahme sowie deren Verwertung bei der Urteilsfindung (BGH vom 3. Januar 2011 − 3 StR 332/10, NJW 2011, 1827, 1829). Die ausdrückliche Bezugnahme des Gesetzgebers in § 100e Abs. 6 StPO auf „die durch Maßnahmen nach den §§ 100b, 100c erlangten und verwertbaren personenbezogenen Daten (…)“, und damit der einer jeden Auslegung Grenzen setzende Wortlaut der Vorschrift belegt, dass der Gesetzgeber bei dieser Verwendungsregelung davon ausgegangen ist, dass die zu verwertenden Daten auch - ausschließlich - durch ebensolche Maßnahmen erhoben worden waren.

Die Online-Durchsuchung nach Maßgabe des § 100b StPO bzw. die Akustische Wohnraumüberwachung nach Maßgabe des § 100c StPO gestatten indes nicht die Erhebung qualifizierter Telekommunikationsdaten, mithin solcher, die mit einem Eingriff in das durch Art. 10 Grundgesetz geschützte Fernmeldegeheimnis einhergehen. Das Gesetz zur effektiveren und praxistauglichen Ausgestaltung des Strafverfahrens vom 17. August 2017 (Bundesgesetzblatt I, S. 3202), mit dessen Art. 3 Nummer 9 die Online-Durchsuchung in die Strafprozessordnung eingeführt worden war, zitiert im Hinblick auf Art. 10 Grundgesetz einzig Art. 3 Nummer 8 als das Fernmeldegeheimnis einschränkende Norm. Auch wenn die besonders schweren Straftaten des Katalogs in 100b Abs. 2 StPO durchgängig auch schwere Straftaten des Katalogs der Telekommunikationsüberwachung nach § 100a Abs. 2 StPO darstellen, handelt es sich bei den qualifizierten Telekommunikationsdaten als vom sachlichen Geltungsbereich des Art. 10 GG erfassten um eine andere Art von Daten als diejenigen, die nach Maßgabe der §§ 100b und 100c StPO erhoben werden dürfen. Es bedarf daher für die Erhebung bzw. Verwertung dieser Daten auch datenspezifischer Anordnungen bzw. Beweisverwertungsgrundsätzen – hier nach § 100a StPO.

Die Online-Durchsuchung gemäß § 100b StPO ermöglicht den verdeckten staatlichen Zugriff auf ein fremdes informationstechnisches System mit dem Ziel, dessen Nutzung zu überwachen und gespeicherte Inhalte aufzuzeichnen. Der Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz des Deutschen Bundestages (Beschlussempfehlung vom 20. Juni 2017, BT-Drs. 18/12785, S. 54) hat im Rahmen des Gesetzgebungsverfahrens zu der Online-Durchsuchung im Hinblick auf die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ausgeführt, diese Maßnahme stelle für den Betroffenen einen Eingriff in den Schutzbereich des Grundrechts auf Integrität und Vertraulichkeit informationstechnischer Systeme als eigenständige Ausprägung des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung nach Artikel 2 Absatz 1 in Verbindung mit Artikel 1 Absatz 1 GG dar. Das Recht auf informationelle Selbstbestimmung trage denjenigen mit der Maßnahme einhergehenden Persönlichkeitsgefährdungen indes nicht vollständig Rechnung, die sich daraus ergeben würden, dass der Einzelne zu seiner Persönlichkeitsentfaltung auf die Nutzung informationstechnischer Systeme angewiesen sei und dabei dem System persönliche Daten anvertraue. Ein Dritter, der auf ein solches System zugreife, könne sich einen potentiell äußerst großen und aussagekräftigen Datenbestand verschaffen, ohne noch auf weitere Datenerhebungs- und Datenverarbeitungsmaßnahmen angewiesen zu sein. Ein solcher Zugriff gehe in seinem Gewicht für die Persönlichkeit des Betroffenen über einzelne Datenerhebungen, vor denen das Recht auf informationelle Selbstbestimmung schütze, weit hinaus.

Auch wenn die f. Ermittlungsbehörden nicht sämtliche technischen Details offengelegt haben, wie sie die mittels der EncroChat-Handy durchgeführten Kommunikationen überwacht haben, weisen diese Maßnahmen keine derart starken Parallelen zu Eingriffen in den Schutzbereich des Art. 13 GG auf, dass Anlass besteht, sie an § 100c StPO zu messen.

bb) Es handelt sich nach den Wertungen des inländischen Rechts bei den erhobenen EncroChat-Daten überwiegend, bei den beschwerdegegenständlichen Daten ausnahmslos um „qualifizierte“ Telekommunikationsdaten, deren Erhebung und Verwertung „in anderen Strafverfahren“ wie hier an § 479 Abs. 2 S. 1 StPO iVm § 161 Abs. 3 StPO und damit an den in § 100a StPO verkörperten Wertungen zu messen ist.

Die Regelung, ob und unter welchen weiteren Voraussetzungen die aufgrund einer rechtmäßig angeordneten und durchgeführten Telekommunikationsüberwachung gewonnen Daten in einem anderen Strafverfahren als Beweismittel verwendet werden dürfen, findet sich nicht in § 100e Abs. 6 StPO und auch nicht in § 100a StPO, sondern in § 479 StPO. Dessen Abs. 2 S. 1 iVm § 161 Abs. 3. StPO legt, sich am Gedanken des hypothetischen Ersatzeingriffs orientierend, fest, dass qualifizierte Telekommunikationsdaten ohne Einwilligung des Betroffenen in anderen Strafverfahren zu Beweiszwecken nur verwendet werden, soweit sich bei Gelegenheit der Auswertung Erkenntnisse über eine Katalogtat ergeben, zu deren Aufklärung eine Telekommunikationsüberwachung hätte angeordnet werden dürfen.

aaa) Die beschwerdegegenständlichen EncroChat-Daten beziehen sich sämtlich auf individuelle menschliche Kommunikationen (vgl. oben I. 4.) und waren in der Zeit zwischen vom 1. April bis zum 30. Juni 2020 erhoben worden.

bbb) Derartige Daten stellen nach deutschem Recht eine Art bzw. Kategorie von Daten dar, deren Erhebung und Verwertung an Art. 10 GG bzw. strafprozessual einzig an § 100a StPO zu messen ist, soweit der Vorgang der Nachrichtenübermittlung noch nicht abgeschlossen ist und die Daten im Herrschaftsbereich des nach § 100a Abs. 4 StPO verpflichteten Telekommunikationsdienstleisters erhoben werden. Vom Schutz des Fernmeldegeheimnisses nach Art. 10 GG sind dabei nicht nur die Kommunikationsinhalte, sondern auch die näheren Umstände der Telekommunikation erfasst. Dazu gehört insbesondere, ob, wann und wie oft zwischen welchen Personen oder Endeinrichtungen Telekommunikationsverkehr stattgefunden hat oder versucht worden ist (vgl. statt vieler BVerf vom 25. März 1992 – 1 BvR 1430/88, BVerfGE 67, 157 [172] = NJW 1985, 121; BVerfGE 85, 386 [396] = NJW 1992, 1875).
Sämtliche Kommunikationen, die durch die Nutzer der EncroChat-Handys in der Zeit zwischen dem 1. April und dem 30. Juni 2020 ausgetauscht worden waren, gleich ob im Rahmen eines Gespräches, einer Sprach- oder einer Textnachricht und unabhängig von deren Inhalt unterfallen nach deutschem Recht dem Anwendungsbereich des Art. 10 GG und dürften damit nach deutschem Prozessrecht einzig nach Maßgabe von § 100a StPO erhoben und zu Beweiszwecken in einem Strafverfahren verwertet werden. Im hiesigen Verfahren sowie – soweit dem Senat bekannt - in anderen EncroChat-Verfahren stützt sich der Tatverdacht ganz überwiegend auf Textnachrichten.

Soweit dem Angeklagten zur Last gelegt wird, die ersten beiden verfahrensgegenständlichen Taten am 27. und 30. März und damit vor dem 1. April 2020, dem Beginn der Überwachung jedenfalls der fortlaufenden Kommunikationen, begangen zu haben, dürften sich mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit die diesen Tatverdacht begründenden EncroChat-Daten als Textnachrichten noch auf dem EncroChat-Handy des Angeklagten befunden haben. Der diesbezügliche Vorgang der Nachrichtenübermittlung dürfte bereits abgeschlossen gewesen sein. Der Senat geht daher mit einer entsprechend hohen Wahrscheinlichkeit weiter davon aus, dass die diesbezüglichen Daten mittels der auf den Server aufgespielten Überwachungs-Software gespiegelt, d. h. kopiert und über das Kommunikationsnetz des entsprechenden Netzbetreibers und somit nicht mittels eigener technischer Einrichtungen der f. Strafverfolgungsbehörden an diese übertragen worden waren.

Auch die Verwertung der Daten, die den Tatbedacht bzgl. dieser beiden Taten begründen, dürften nach den Maßstäben deutschem Rechts an § 100a StPO zu messen sein. Zwar endet der Schutz des Fernmeldegeheimnisses in dem Moment, in dem die Nachricht bei dem Empfänger angekommen und damit der Übertragungsvorgang beendet ist (vgl. BVerfG vom 16. Juni 2009 – 2 BvR 902/06, NJW 2009, 2432 (2432)). Ab diesem Zeitpunkt unterscheiden sich die gespeicherten Inhalte und Verbindungsdaten in ihrer Schutzwürdigkeit nicht mehr von Dateien, die der Nutzer selbst auf den Speichern seines Mobilfunkendgerätes hinterlegt hat. Der Empfänger der Textnachrichten und Nutzers des Handys hat es nunmehr „in erheblichem Umfang selbst in der Hand, ob die bei ihm vorhandenen Daten dauerhaft gespeichert werden“ (BVerfG vom 2. März 2006 – 2 BvR 2099/04, BVerfGE 115, 166 (185)).

Etwas Anderes dürfte indes vorliegend gelten, da die auf dem Handy gespeicherten Kommunikationsdaten betreffend den Zeitraum vor dem 1. April 2020 nicht im Wege einer offen durchgeführten strafrechtlichen Ermittlungsmaßnahme, nach deutschem Recht vergleichbar einer Beschlagnahme gemäß §§ 94 ff StPO, durchgeführt worden waren, sondern durch einen heimlichen Zugriff und Eingriff in das informationstechnische System des EncroChat-Servers. Eine derartige Maßnahme wäre nach deutschem Recht nach § 100a Abs. 1 S. 2 StPO, der sogenannten Quellen-TKÜ, statthaft. Danach darf die Überwachung und Aufzeichnung der Telekommunikation auch in der Weise erfolgen darf, dass mit technischen Mitteln in die von dem Betroffenen genutzten informationstechnischen Systeme eingegriffen wird, wenn dies notwendig ist, um die Überwachung und Aufzeichnung insbesondere in unverschlüsselter Form zu ermöglichen. Nach § 100a Abs. 1 S. 3 StPO dürften auf dem informationstechnischen System des Betroffenen gespeicherte Inhalte und Umstände der Kommunikation überwacht und aufgezeichnet werden, wenn sie auch während des laufenden Übertragungsvorgangs im öffentlichen Telekommunikationsnetz in verschlüsselter Form hätten überwacht und aufgezeichnet werden können.

Die Maßnahmen der Quellen-TKÜ stellen ausnahmslos keine „kleine Online-Durchsuchung“ dar, auch wenn zur Begründung der gegenteiligen Auffassung vorgebracht wird, dass bei dieser Maßnahme auch „(…) die Telekommunikationsdaten nicht im unmittelbaren Zusammenhang mit einem Übertragungsvorgang erhoben werden“ und die Erhebung der Daten zeitlich außerhalb des Übertragungsvorganges“ erfolge (so Rückert in MüKO-StPO, 2. Aufl., § 100a Rn. 221). Entscheidend für die Qualifizierung der Erhebung derartiger Daten als das Grundrecht nach Art. 10 GG einschränkend ist die Tatsache, dass die Daten dabei im Netz des Telekommunikationsdienstleisters und nicht vom dem sich im Besitzes seines Nutzers befindlichen Handys erhoben werden und sich auch damit auch in dieser Art der Datenerhebung die spezifische Gefahr verwirklicht, der Art. 10 GG gerade entgegenwirken soll und die darin besteht, dass Telekommunikation als Kommunikation unter Abwesenden den Kommunizierenden nur möglich ist, wenn sie sich der Hilfe eines Dritten bedienen, der die Kommunikationsinhalte übermittelt (vgl. Dürig/Herzog/Scholz/Durner GG Art. 10 Rn. 56, 57). Dies gilt jedenfalls ausnahmslos für all diejenigen Taten, die anders als etwa Daten der Teledienste Gegenstand individueller Kommunikation waren bzw. sind. Nicht von § 100a StPO erfasst würde danach etwa die Dateien eines Bildes, welches mit dem Handy aufgenommen und/oder auf diesem abgespeichert wurde, ohne dass es im Rahmen einer individuellen Kommunikation übertragen worden war.

Die Erhebung und Verwertung der während der laufenden Überwachungsmaßnahme bzw. in Echtzeit erhobenen Daten ab dem 1. April 2024 und damit in den Fällen der Ziffern 3. – 4., 6. – 17., 19. und 21. – 26. der Anklageschrift der Staatsanwaltschaft Hildesheim würde nach deutschem Recht evident Art. 10 GG berühren und wäre damit ebenfalls an § 100a StPO zu messen.

cc) Zur Aufklärung der Anklagevorwürfe der Ziffern 1. – 4., 6. – 17., 19. und 21. – 26. der Anklageschrift der Staatsanwaltschaft können auch bei Anlegung eines strengen Maßstabes bzgl. der in § 100a StPO verkörperten Wertungen die EncroChat-Daten verwertet werden.

aaa) Die EncroChat-Daten begründen als „bestimmte Tatsachen“ iSv § 100a Abs. 1 StPO den Verdacht, dass der Angeklagte als Täter Straftaten des in § 100a Abs. 2 StPO enthaltenen Kataloges, nämlich solche des Handeltreibens mit Cannabis gemäß § 100a Abs. 2 Nr. 7a) a) StPO iVm § 34 Abs. 3 S. 2 Nr. 1 KCanG begangen hat. Auch nach der Novellierung des § 100b Abs. 2 StPO und damit nach geltendem deutschen Recht hätten zur Aufklärung dieses Tatverdachts Maßnahmen zur Überwachung der Telekommunikation, auch in Form der Quellen-TKÜ, angeordnet werden dürfen.

bbb) Sämtliche dieser Taten wiegen jeweils auch im Einzelfall schwer.

Alle beschwerdegegenständlichen Tatvorwürfe haben beträchtliche, nämlich nicht geringe Mengen zum Gegenstand, wobei auch der Senat den entsprechenden Grenzwert auf 7,5 g THC bemisst (vgl. dazu BGH, Beschluss vom 23. April 2024 – 5 StR 153/24, NStZ-RR 2024, 216). Selbst bei Zugrundlegung eines geringen durchschnittlichen Wirkstoffgehalts von 10% THC wäre der vorgenannte Grenzwert in all diesen Fällen deutlich überschritten.

Auch unter weiteren, das Tatbild prägenden Aspekten wiegt jede dieser Taten schwer. Dies gilt auch für diejenigen Tatvorwürfe, die „lediglich“ den Vorwurf des Handeltreibens mit einigen hundert Gramm betreffen. Der Angeklagte steht im Verdacht, in einem Zeitraum von weniger als drei Monaten in insgesamt 27 Fällen mit verschiedenen Arten von Betäubungsmitteln, nämlich u.a. Cannabis, Kokain und Ecstasy, vereinzelt im Kilobereich, Handel getrieben und damit in beträchtlichem Umfang bzgl. des Cannabis entgegen § 2 Abs. 1 Nr. 4 KCanG mit Cannabis Handel getrieben zu haben. Zudem besteht der Verdacht, dass der Angeklagte in vier Fällen mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge Handel getrieben und damit weitere Katalogtaten nach § 100b Abs. 2 begangen hat. Zwar sind diese vier Fälle nicht Gegenstand des Beschwerdeverfahrens. Die Tatvorwürfe des Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge prägen indes auch die beschwerdegegenständlichen Tatvorwürfe des Handeltreibens mit Cannabis insoweit, als durch sie eine faktische Verzahnung dahingehend erfolgt, dass sich die mutmaßlichen Verstöße gegen das KCanG als die Handlungen einer Person darstellen, die um ihres finanziellen Vorteils willen bereit ist, auch entsprechend dem Schutzgut des Betäubungsmittelgesetzes auch die Volksgesundheit zu gefährden bzw. zu schädigen.

Im Hinblick auf die in § 100a StPO verkörperten Wertungen ist weiter zu bedenken, dass diese Norm nicht nur zur Bekämpfung des Handeltreibens mit nicht verkehrsfähigen Betäubungsmitteln, sondern auch zur Bekämpfung des verbotenen Handels mit Cannabis vielfältige Maßnahmen zur Überwachung der Telekommunikation ermöglicht. Grund hierfür ist die Tatsache, dass Straftaten nach § 34 KCanG bzw. nach den §§ 29a ff BtMG verdächtige Personen bei der Planung und Durchführung derartiger Taten sämtlich technisch zur Verfügung stehenden Kommunikationsmittel nutzen und diese regelmäßig auch wechseln, um staatlichen Überwachungsmaßnahmen möglichst zu umgehen. Dem kann der Staat nur begegnen, wenn er diesem Nutzungsverhalten entsprechende, vielfältige und variable Möglichkeiten der Telekommunikation gestattet und damit – jedenfalls grundsätzlich - einen breit angelegten Zugriff auf die Telekommunikationsdaten ermöglicht. Dies lässt nach § 100a StPO zur Gewährleistung einer effektiven Strafverfolgung zu. Erhoben werden dabei regelmäßig, gleich ob durch ein oder mehrere Endgeräte übermittelt, regelmäßig Audio-, Text- und Videodateien; Anknüpfungspunkte der Überwachungsmaßnahmen sind dabei sowohl Mobilfunknummern, E-Mail-Accounts als auch die Accounts der Sozialen Medien bzw. Messanger-Dienste. Überwacht werden dabei regelmäßig auch die Kommunikationen der Beschuldigten bzw. Tatverdächtigen mit solchen Beteiligten der Telekommunikation iSv. § 101 Abs. 4 S. 1 Nr. 3 StPO, die an keiner Straftat beteiligt sind und deren Kommunikationsinhalte deshalb häufiger auch höchstpersönlicher Art sind und auch den Kernbereich ihrer persönlichen Lebensführung und damit Daten betreffen können, die nach der u.a. in § 100d StPO enthaltenen Wertung des Gesetzgebers einem absoluten Beweisverwertungsverbot unterliegen.

Gänzlich anders verhält es sich bei der den Angeklagten betreffenden Überwachungsmaßnahme. Diese Überwachungsmaßnahme bezog sich ausweislich der Verfahrensakten, soweit es den Angeklagten betrifft, lediglich auf ein einziges Mobilfunkendgerät, nämlich das mit der IMEI …, mit dem der Angeklagte nach dem weiteren Ermittlungsstand hinreichend wahrscheinlich seine E-Mail-Adresse …. verknüpft hatte. Hinreichend wahrscheinlich ist weiter davon auszugehen, dass es sich bei den beschwerdegegenständlichen EncroChat-Daten ausschließlich oder aber jedenfalls ganz überwiegend um Textdateien und einzelne Bilddateien handelt und diese Daten einzig Kommunikationen betreffen, die der Angeklagte mit anderen Nutzern von EncroChat-Handy geführt hat und diese Nutzer wie der Angeklagte auch die EncroChat-Handys einzig zu dem Zweck erworben haben, um Straftaten, auch schwere und im Einzelfall schwer wiegende Taten zu begehen. Nach alledem kann davon ausgegangen werden, dass durch die Überwachungsmaßnahme keine bzw. nur sehr wenige kernbereichsrelevante bzw. sonstige, unterhalb dieser Schwelle liegende sehr persönliche Daten von Kommunikationsteilnehmern erhoben worden waren. Auch war der Überwachungszeitraum vom 1. April bis zum 30. Juni 2020 verhältnismäßig kurz. Nach alledem stellt sich die Überwachungsmaßnahme – jedenfalls soweit es die rechtlich geschützten Interessen des Angeklagten betrifft – als deutlich weniger eingriffsintensiv dar als diejenigen Überwachungsmaßnahmen, die bei einem entsprechenden Tatverdacht und im Rahmen eines durch d. Strafverfolgungsbehörden in der Bundesrepublik Deutschland geführten Ermittlungsverfahrens gegen den Angeklagten voraussichtlich durchgeführt worden wären.

Schließlich ist in die Abwägung auch einzustellen, dass es sich bei den beschwerdegegenständlichen Daten und solche handelt, die weniger von indizieller Beweisbedeutung, sondern von solcher Art sind, dass sie die Feststellung eines Sachverhalts ermöglichen, der unter den Tatbestand des § 34 Abs. 1 Nr. 4, Abs. 3 S. 2 Nr. 1 und 4 KCanG unmittelbar subsumiert werden kann. Die Daten begründen mithin nicht lediglich einen – für etwaige Maßnahmen ausreichenden – auf bestimmten Tatsachen beruhenden Anfangsverdacht, sondern einen hinreichenden Tatverdacht.

ccc) Die Erforschung des Sachverhalts wäre ohne die Verwendung der EncroChat-Daten nicht lediglich wesentlich erschwert, sondern aussichtslos. Einzig durch ihre Verwendung als Beweismittel lassen sich die beschwerde- bzw. anklagegegenständlichen Tatvorwürfe in einer den hinreichenden Tatverdacht begründenden Art und Weise nachweisen. Dies wird vorliegend durch den Umstand belegt, dass das Landgericht Hildesheim bei Nichtberücksichtigung des Inhalts der EncroChat-Daten - insoweit folgerichtig – das Vorliegen eines hinreichenden Tatverdachts bzgl. der beschwerdegegenständlichen Tatvorwürfe verneint hat.

e) Die Verwertung der Erkenntnisse aus der EncroChat Kommunikation steht auch einer sachgerechten Verteidigung des Angeklagten nicht entgegen (vgl. zum Erfordernis: EuGH (Große Kammer) Urteil vom 30.4.2024 – C-670/22 (MN), BeckRS 2024, 8796). Dem Angeklagten ist es auch bei vorliegender Sachlage unbenommen sich sachgerecht gegen die gegen ihn erhobenen Vorwürfe zu verteidigen.

III.

Die Hauptverhandlung hat vor dem Landgericht, hier der Strafkammer 16 des Landgerichts Hildesheim, stattzufinden. Es ist mit hinreichender Wahrscheinlichkeit zu erwarten, dass der Angeklagte im Falle eines Schuldspruchs zu einer das Maß von vier Jahren übersteigenden Gesamtfreiheitsstrafe verurteilt und damit die Strafgewalt des Schöffengerichts nicht ausreichen werden wird, wodurch die Zuständigkeit der großen Strafkammer begründet wird, §§ 24, 74 GVG. Die Rechtsfolgenerwartung ist aufgrund einer überschlägigen Prognoseentscheidung zu treffen. Dabei ist der nicht unerhebliche Zeitablauf zwischen mit mutmaßlichen Tatzeitpunkten und einem möglichen Schuldspruch zugunsten des Angeklagten zu berücksichtigen. Zu Lasten des Angeklagten wirken sich indes die Anzahl der von diesem mutmaßlich begangen Taten aus sowie der weitere Umstand aus, dass jedenfalls hinsichtlich die Tatvorwürfe betreffend die Ziffern 3., 6. – 10., 12. – 15., 17., 19. – 21., 23. – 26. die nicht geringe Menge um ein Vielfaches überschritten wird. Hinreichende Anhaltspunkte für die Annahme eines minder schweren Falls oder eines Absehens von der Regelwirkung des besonders schweren Falls liegen nicht vor.

IV.

Eine Kosten- und Auslagenentscheidung des Senats war nicht veranlasst; sie bleibt der endgültigen Entscheidung in der Hauptsache vorbehalten.

V.

Gegen diese Entscheidung ist keine Beschwerde gegeben (§ 304 Abs. 4 StPO).


Einsender: 3. Strafsenat des OLG Celle

Anmerkung:


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