Gericht / Entscheidungsdatum: LG Stralsund, Beschl. v. 29.05.2024 – 23 StVK 114/24
Leitsatz des Gerichts:
Der Besitz von Cannabis in einer Justizvollzugsanstalt während des Vollzuges einer Freiheitsstrafe ist nicht von der Amnestieregelung umfasst, so dass ein Erlass einer wegen des Besitzes verhängten Strafe nicht geboten ist.
In pp.
Der Antrag der Staatsanwaltschaft S. vom 05. April 2024 auf Einstellung der Vollstreckung der Strafe aus dem Urteil des Amtsgerichts Stralsund vom 23.05.2023, Az. 314 Ds 111/23 in Form des Aussetzungsbeschlusses der 23. Kammer vom 08. August 2023, wird als unbegründet zurückgewiesen.
Gründe:
I.
Der Angeklagte wurde am 23.05.2023 durch das Amtsgericht Stralsund in der Sache 314 Ds 111/23 wegen unerlaubten Besitzes von Betäubungsmitteln zu einer Freiheitsstrafe von 3 Monaten verurteilt. Darüber hinaus wurde die Einziehung der Betäubungsmittel angeordnet. Hintergrund des Urteils war, dass sich am 15.12.2022, nachdem eine Haftraumkontrolle in der Justizvollzugsanstalt ... durchgeführt wurde, in der Kaffeedose des Angeklagten 21,7 g Cannabis in einer Plastikfolie aufgefunden wurden. Der Angeklagte hatte die Drogen in der Haftanstalt erworben, um durch den Drogenkonsum seine Gefühle zu verdrängen. Nachdem der Angeklagte weitere Strafen in der Haft verbüßen musste, setze die hiesige Strafvollstreckungskammer mit Beschluss vom 08. August 2023 die Vollstreckung der Strafen nach Verbüßung von 2/3 bzw. mehr als 2/3 aus, u.a. auch die Strafe aus dem Urteil des Amtsgerichts Stralsund vom 23.05.2023. Der Verurteilte wurde entlassen und die Bewährungszeit wurde auf drei Jahre festgesetzt. Auf den Beschluss der Strafvollstreckungskammer Bl. 54 ff. d. VH wird insoweit verwiesen.
Die Staatsanwaltschaft S. hat mit Verfügung vom 05.04.2024 aufgrund der Amnestieregelung des Artikel 313 EGStGB zu Cannabisaltfällen den Antrag auf Einstellung der Vollstreckung gestellt.
II.
1. Die Zuständigkeit der hiesigen Strafvollstreckungskammer ergibt sich aus § 462a Abs. 1 S. 2 StPO (Fortwirkung der Zuständigkeit).
Die Zuständigkeit des Gerichts bestimmt sich gem. Art. 313 Abs. 5 EGStGB entsprechend den Regelungen in den §§ 458 und 462 StPO. Mithin ist grundsätzlich das Gericht des ersten Rechtszuges gem. § 462a Abs. 2 Satz 1 StPO zuständig. Wurde gegen den Verurteilten hingegen eine Freiheitsstrafe vollstreckt, ist eine solche unterbrochen oder die Vollstreckung – wie hier – der Strafreste zur Bewährung ausgesetzt, ist nach den allgemeinen Regeln die Strafvollstreckungskammer gem. § 462a Abs. 1 StPO zuständig. Zwar verweist Art. 313 Abs. 5 EGStGB nicht auf § 462a StPO hin, sondern nur auf §§ 458, 462. Die historische Betrachtungsweise spricht aber für die grundsätzliche Anwendung von § 462a StPO. Aus der Begründung für den Gesetzesentwurf des EGStGB, mit dem die Strafvollstreckungskammer eingerichtet wurden, ergibt sich im Falle der Vollstreckung von Strafhaft eine möglichst weitreichende Zuständigkeit der Strafvollstreckungskammern. Insoweit geht auch die Kammer von der Anwendbarkeit des § 462a StPO aus (vgl. Böhme/Günnewig, Deutsche Richterzeitung 2024, S. 144, 145).
2. Nach Auffassung der Kammer ist der Besitz von Cannabis in einer Justizvollzugsanstalt während des Vollzuges einer Freiheitsstrafe nicht von der Amnestieregelung umfasst, so dass ein Erlass dieser Strafe nicht geboten ist.
a) Mit Inkrafttreten des Cannabisgesetzes (CanG) zum 01.04.2024 wurde durch Art. 13 CanG das Einführungsgesetz zum Strafgesetzbuch geändert und Art. 316p EGStGB eingefügt, wonach im Hinblick auf vor dem 01.04.2024 verhängte Strafen nach dem Betäubungsmittelgesetz, die nach dem Konsumcannabisgesetz oder dem Medizinal-Cannabisgesetz nicht mehr strafbar und auch nicht mit Geldbuße bedroht sind, Art. 313 EGStGB entsprechend anzuwenden ist. Art. 313 Abs. 1 Satz 1 EGStGB sieht vor, dass rechtskräftig verhängte Strafen wegen solcher Taten, die nach neuem Recht nicht mehr strafbar und auch nicht mit Geldbuße bedroht sind, mit Inkrafttreten des neuen Rechts erlassen werden, soweit sie noch nicht vollstreckt sind. Art. 313 Abs. 4 EGStGB ergänzt dies um folgende Regelung: Enthält eine Gesamtstrafe Einzelstrafen im Sinne des Absatzes 1 Satz 1 und andere Einzelstrafen, so ist die Strafe neu festzusetzen Nach Art. 313 Abs. 1 EGStGB ist die Strafe wegen solcher Taten zu erlassen, die nach neuem Recht weder strafbar noch mit Geldbuße bedroht sind. Insoweit sind vom Straferlass nur Taten umfasst, bei denen der Besitz von bis zu 25 g getrocknetem Konsumcannabis außerhalb des Wohnsitzes und gewöhnlichen Aufenthaltes zum Eigenkonsum nach § 3 Abs. 1 KCanG und § 34 Abs. 1 Nr. 1a KCanG und der Besitz bis zu 50 g getrocknetem Konsumcannabis innerhalb des Wohnsitzes und des gewöhnlichen Aufenthaltes zum Eigenkonsum umfasst. Das Cannabisgesetz, das in seinem § 2 Abs. 1 ein allgemeines verwaltungsrechtliches Umgangsverbot statuiert, nimmt gleichzeitig ausgewählte Handlungen Volljähriger davon aus. Ausdrücklich erlaubt und damit für sich genommen kein Anknüpfungspunkt mehr für eine Strafbarkeit ist der Besitz von Eigenkonsum von bis zu 25 g Cannabis in der Öffentlichkeit (§ 3 Abs. 1 KCanG) bzw. 3 lebende Pflanzen und 50 g zu Hause (§ 3 Abs. 2 KCanG).
Die Gesetzesbegründung zu § 3 Abs. 1 führt aus, dass sich diese Erlaubnis sowohl auf den privaten Raum als auch auf ein Mitsichführen in der Öffentlichkeit bezieht.
8Nach Auffassung der Kammer ist der Besitz von Cannabis in einem Haftraum zum einen kein Mitsichführen in der Öffentlichkeit und zum anderen ist der Haftraum auch kein privater Raum i.S.d. Gesetzes.
Bei einem Haftraum handelt es sich nicht um die private „Wohnung“ eines Strafgefangenen. Im Gegensatz zu privaten Wohnräumen darf ein Strafgefangener seinen Haftraum, den der Gefangene als einen persönlichen, vom allgemeinen Anstaltsbereich abgegrenzten Lebensbereich zur Verfügung erhalten hat, lediglich im Rahmen der Weisungen des Anstaltsleiters nutzen. Aus dessen fortbestehenden Hausrecht folgt die grundsätzliche Befugnis der Anstaltsbediensteten, den Haftraum jederzeit und ohne Einverständnis des Gefangenen zu betreten und zu durchsuchen (vgl. BVerfG, Kammerbeschluss vom 30.05.1996 – 2 BvR 727/94; Bayr. OLG, Beschluss vom 30.10.2023 – 203 StObWs 407/23 = NStZ 2024, 249).
10Der Erlaubnistatbestand des § 3 Abs. 2 KCanG ist nach Ansicht der Kammer hier nicht gegeben. In Bezug auf den Besitz von Cannabisprodukten in Hafträumen ist die besagte Norm nach Auffassung der Kammer bei Strafgefangenen einschränkend auszulegen.
In der Gesetzesbegründung wird zum Begriff des Wohnsitzes bzw. des gewöhnlichen Aufenthaltes auch auf § 9 AO verwiesen. Es ist unstreitig, dass auch unfreiwillige Aufenthalte an einem bestimmten Ort einen gewöhnlichen Aufenthalt begründen können. So hat die Rechtsprechung beispielsweise den Aufenthalt in einer Justizvollzugsanstalt zur Verbüßung einer Freiheitsstrafe zur Begründung eines dortigen gewöhnlichen Aufenthaltes anerkannt (BVerwG 4.6.97 – 1 C 25/96 = NVwZ-RR 1997, 751; BeckOK AO/Achsnich, § 9 Rn. 59 m.w.N.). Angesichts der Beschränkungen eines Strafgefangenen in einer Justizvollzugsanstalt ist nach Sinn und Zweck des Cannabisgesetzes, der den Konsum in privaten Wohnräumen gestatten wollte, nicht zulässig. Im Referentenentwurf der Bundesregierung wird ausgeführt, dass durch das Cannabisgesetz Konsumentinnen und Konsumenten ein verantwortungsvoller Umgang mit Cannabis erleichtert werden soll. Darüber hinaus sollen aber auch nicht konsumierende Bürgerinnen und Bürger vor den direkten und indirekten Folgen eines Cannabiskonsums geschützt werden (Referentenentwurf S. 69). Die Zulässigkeit des Besitzes von Cannabis in Justizvollzugsanstalten würde nicht nur die Gefahr eines Handeltreibens innnerhalb der Justizvollzugsanstalten begünstigen, sondern auch Bedienstete mit den indirekten Folgen des Konsums konfrontieren. Insofern ist die Strafvollstreckungskammer der Auffassung, dass unter Berücksichtigung des Strafvollzuges und der Strafvollstreckung der Begriff des gewöhnlichen Aufenthaltes in Bezug auf den Aufenthalt von Strafgefangenen in Einrichtungen des Strafvollzugs nicht erfasst.
Auch die Beschränkungen des KCanG für die Bundeswehr in § 5 Abs. 3 spricht für eine solche Auslegung.
Im Geschäftsbereich des Bundesministeriums der Verteidigung gibt es berufliche Tätigkeiten, bei denen gewichtige Gründe für Beschränkungen des Cannabiskonsums vorliegen, zum Beispiel bei Personal, das Umgang oder Zugang zu Waffen und Waffensystemen aller Art oder Gerätschaften, die bei nicht sachgemäßer Führung eine erhebliche Gefahr für Leib und Leben begründen können, hat. Zur Aufrechterhaltung der Einsatzbereitschaft der Truppe und der militärischen Ordnung haben der Bundesminister der Verteidigung sowie Vorgesetzte auf der Grundlage dienstrechtlicher Vorschriften das Recht, den ihnen unterstellten Soldatinnen und Soldaten Beschränkungen aufzuerlegen (Referententwurf S. 88).
Es wäre für die Sicherheit und Ordnung in den Vollzugsanstalten abträglich einen solchen Konsum in Hafträumen auch strafrechtlich zu tolerieren.
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