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Entscheidungen

KCanG u.a.

KCanG, milderes Gesetz, Strafausspruch, Verwertungsverbot, BZRG, Schuldspruchanpassung, Berufung, Revision

Gericht / Entscheidungsdatum: BayObLG, Beschl. v. 17.07.2024 - 204 StRR 215/24

Leitsatz des Gerichts:

1. Der Schuldspruch eines hinsichtlich Betäubungsmittelstraftaten rechtskräftigen Urteils muss im Revisionsverfahren an die Vorschriften des seit 1.4.2024 geltenden KCanG angepasst werden (§ 2 Abs. 3 StGB, § 354a StPO).
2. Bei der Beurteilung, welches das mildere von zwei Gesetzen ist, ist zu prüfen, welches anhand des konkreten Falls nach einem Gesamtvergleich des früher und des derzeit geltenden Strafrechts das dem Angeklagten günstigere Ergebnis zulässt, wobei es in erster Linie auf die konkret in Frage kommenden Hauptstrafen ankommt.
3. Beim Strafausspruch ist zu beachten, dass der Gesetzgeber durch die Schaffung eines eigenen, grundsätzlich milderen Strafrahmenregimes in Bezug auf den Umgang mit Cannabis im Vergleich zu den dem Betäubungsmittelgesetz unterstellten Suchtstoffen deutlich zum Ausdruck gebracht hat, dass Taten, wenn sich diese auf Cannabis beziehen, mit einem geringeren Unwerturteil einhergehen.
4. Es kann daher nicht ausgeschlossen werden, dass der Tatrichter auch in einem Fall, in dem sich die Tat nur teilweise auf Cannabis bezieht, trotz des tateinheitlich hinzutretenden Schuldspruchs wegen eines Vergehens gegen das Konsumcannabisgesetz und der Anwendung desselben Strafrahmens zu einer milderen Strafe gelangt.
5. Vorstrafen, die den Besitz und Erwerb von Kleinmengen von Cannabis betreffen, der zwischenzeitlich straffrei gestellt ist, unterliegen derzeit nicht dem Verwertungsverbot des § 51 Abs. 1 BZRG, da sie erst ab dem 1. Januar 2025 tilgungsfähig sein werden; ihnen kommt nach wie vor eine Warnfunktion zu.


Bayerisches Oberstes Landesgericht
204 StRR 215/24

In dem Strafverfahren
gegen pp.

wegen Vergehens nach § 29 BtMG

erlässt das Bayerische Oberste Landesgericht - 4. Strafsenat - durch die unterzeichnenden Richter am 17. Juli 2024 folgenden
Beschluss

I. Auf die Revision des Angeklagten B. wird
1. das Urteil des Amtsgerichts - Schöffengericht - Regensburg vom 25. Mai 2023 im Schuldspruch und in der Liste der angewandten Strafvorschriften wie folgt geändert:
Der Angeklagte ist schuldig des Besitzes von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in Tateinheit mit unerlaubtem Besitz von Cannabis.
Angewendete Vorschriften: § 1 Abs. 1 BtMG i.V.m. Anlage III zum BtMG, § 3 Abs. 1, § 29a Abs. 1 Nr. 2 BtMG; § 1 Nr. 4 und 8, § 2 Abs. 1 Nr. 1, § 34 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a KCanG.
2. das Urteil des Landgerichts Regensburg vom 29. Januar 2024 - unter Aufrechterhaltung der zugrundeliegenden Feststellungen - im Strafausspruch aufgehoben.
II. Die weitergehende Revision des Angeklagten wird als unbegründet verworfen.
III. Die Sache wird im Umfang der Aufhebung zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an eine andere Strafkammer des Landgerichts Regensburg zurückverwiesen.

Gründe:

I.

Das Amtsgericht - Schöffengericht - Regensburg hat den Angeklagten mit Urteil vom 25. Mai 2023 wegen des Besitzes von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren acht Monaten verurteilt. Dem lag zugrunde, dass der Angeklagte am 11. Februar 2022 im Zug a. von Prag nach Regensburg auf Höhe Regenstauf 171,05 Gramm Marihuana mit einem Wirkstoffgehalt von 14,3 %, mithin 24,4 Gramm Tetrahydrocannabinol und 49,10 Gramm Kokain mit einem Wirkstoffgehalt von 84,2 %, mithin 41,5 Gramm Kokainhydrochlorid mit sich führte, die nicht ausschließbar jeweils für den Eigenkonsum des Angeklagten bestimmt waren.

Hiergegen haben der Angeklagte sowie die Staatsanwaltschaft jeweils zunächst unbeschränkt form- und fristgerecht Berufung eingelegt, die die Staatsanwaltschaft später schriftlich sowie der Angeklagte in der Hauptverhandlung vor dem Landgericht Regensburg mit Zustimmung der Staatsanwaltschaft auf den Rechtsfolgenausspruch beschränkt haben.

Das Landgericht Regensburg hat mit Urteil vom 29. Januar 2024 beide Berufungen als unbegründet verworfen.

Gegen dieses seinem Verteidiger am 6. März 2024 zugestellte Urteil hat der Angeklagte mit Schreiben seines Verteidigers vom 3. Februar 2024 am selben Tag Revision eingelegt. In der am 2. April 2024 eingegangenen Revisionsbegründung rügt der Angeklagte die Verletzung materiellen Rechts.

Die Generalstaatsanwaltschaft München beantragt mit Schreiben vom 23. April 2024, durch Beschluss gemäß § 349 Abs. 2 und 4 StPO auf die Revision des Angeklagten das Urteil des Amtsgerichts - Schöffengericht - Regensburg vom 25. Mai 2023 im Schuldspruch dahin zu ändern, dass der Angeklagte wegen Besitzes von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in Tateinheit mit unerlaubtem Besitz von mehr als 30 Gramm Cannabis außerhalb des Wohnsitzes oder gewöhnlichen Aufenthaltsortes verurteilt ist, das Urteil des Landgerichts Regensburg vom 29. Januar 2024 – unter Aufrechterhaltung der zugrundeliegenden Feststellungen – im Strafausspruch aufzuheben, die weitergehende Revision des Angeklagten als unbegründet zu verwerfen und die Sache im Umfang der Aufhebung zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückzuverweisen.

II.

Die form- und fristgerecht eingelegte und begründete Revision des Angeklagten erzielt mit der Sachrüge den aus der Entscheidungsformel ersichtlichen Teilerfolg hinsichtlich des Schuld- und Strafausspruchs. Im Übrigen war sie gemäß Antrag der Generalstaatsanwaltschaft nach § 349 Abs. 2 StPO als offensichtlich unbegründet zu verwerfen.

1. Der Angeklagte und die Staatsanwaltschaft haben ihre Berufungen, was der Senat von Amts wegen zu prüfen hat (KK-StPO/Paul, 9. Aufl. 2023, § 318 Rn. 11 m.w.N.), jeweils gemäß § 318 StPO wirksam auf die Rechtsfolgen beschränkt. Insoweit wird auf die Ausführungen der Generalstaatsanwaltschaft München in ihrer Antragsschrift vom 23. April 2024 Bezug genommen.

a) Allerdings stützt sich der rechtskräftige Schuldspruch des Ersturteils hinsichtlich des Besitzes von Marihuana auf rechtliche Grundlagen, die infolge der seit 1. April 2024 geänderten Gesetzeslage insoweit nicht mehr anwendbar sind.

aa) Das Berufungsgericht ist zum Entscheidungszeitpunkt ohne Rechtsfehler aufgrund der wirksam auf den Rechtsfolgenausspruch beschränkten Berufungen von der Teilrechtskraft des Schuldspruchs des Besitzes von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge gemäß dem Qualifikationstatbestand des § 29a Abs. 1 Nr. 2 BtMG aus dem Urteil des Amtsgerichts und seiner Bindung an die zugrundeliegenden Feststellungen ausgegangen.

bb) Zum Zeitpunkt der Revisionsentscheidung entspricht dies insoweit nicht mehr geltendem Recht, als dem Schuldspruch nach § 29a Abs. 1 Nr. 2 BtMG neben dem Besitz von 49,10 Gramm Kokain mit einem Wirkstoffgehalt von 41,5 Gramm Kokainhydrochlorid auch der Besitz von 171,05 Gramm Marihuana mit einem Wirkstoffgehalt von 24,4 Gramm Tetrahydrocannabinol zugrunde liegen. Denn letzterer unterfällt seit dem 1. April 2024 – anders als zur Tatzeit und noch zum Zeitpunkt des Erlasses des angefochtenen Berufungsurteils – aufgrund von Art. 1 und Art. 3 Nr. 6 des Gesetzes zum kontrollierten Umgang mit Cannabis und zur Änderung weiterer Vorschriften (Cannabisgesetz - CanG) vom 27. März 2024 nicht mehr dem Betäubungsmittelgesetz (BtMG), sondern dem am 1. April 2024 in Kraft getretenen Gesetz zum Umgang mit Konsumcannabis (Konsumcannabisgesetz - KCanG) vom 27. März 2024.

Art. 3 CanG hat die Anlage I zum Betäubungsmittelgesetz dahingehend geändert, dass die Position „Cannabis (Marihuana, Pflanzen und Pflanzenteile der zur Gattung Cannabis gehörenden Pflanzen)“ gestrichen wurde. Das Betäubungsmittelgesetz ist damit auf den gegenständlichen Fall insoweit nicht mehr anwendbar, als die abgeurteilte prozessuale Tat auch den Besitz von Marihuana umfasst. Dieser unterfällt nunmehr gemäß § 1 Nr. 4 KCanG dem Konsumcannabisgesetz, dessen Anwendung sich auf Marihuana, verstanden als die getrockneten Blüten und die blütennahen Blätter der Cannabispflanze, erstreckt, welches nach § 1 Nr. 8 KCanG als Zubereitung aller vorgenannten (also in den Nrn. 2 bis 7 des § 1 KCanG genannten) Stoffe unter den Begriff Cannabis fällt. Da kein Ausnahmefall nach § 1 Nr. 8 Buchst. a bis e KCanG vorliegt, erfüllt der vom Amtsgericht festgestellte vorsätzliche Besitz von Marihuana mit einem Bruttogewicht von 171,05 Gramm den Straftatbestand des § 34 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a i.V.m. § 1 Nr. 4 und 8, § 2 Abs. 1 Nr. 1 KCanG, da dieses die außerhalb der Wohnung oder des gewöhnlichen Aufenthaltsortes des Angeklagten straflose Menge von 30 Gramm übersteigt. Dieser als Vergehen ausgestaltete Straftatbestand sieht als Rechtsfolge Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder Geldstrafe vor.

Bezieht sich der Besitz - wie hier bei einem Wirkstoffgehalt von 24,4 Gramm Tetrahydrocannabinol - auf eine nicht geringe Menge, deren Grenzwert nach wie vor bei 7,5 Gramm Tetrahydrocannabinol liegt (vgl. BGH, Beschluss vom 18. April 2024 - 1 StR 106/24 -, NJW 2024, 1968, juris Rn. 7), sieht § 34 Abs. 3 Satz 1, Satz 2 Nr. 4 KCanG zwar eine Strafandrohung von drei Monaten bis zu fünf Jahren Freiheitsstrafe vor. Hierbei handelt es sich aber nur um ein Regelbeispiel für einen besonderen schweren Fall (vgl. OLG Karlsruhe, Beschluss vom 15. Mai 2024 - 2 ORs 370 SRs 247/24 -, juris Rn. 16), nicht um einen Qualifikationstatbestand für den Fall des Besitzes von Cannabis in nicht geringer Menge, der sich im Schuldspruch niederzuschlagen hätte (vgl. zum Ganzen BayObLG, Beschluss vom 12. April 2024 – 206 StRR 122/24, BeckRS 2024, 7422 Rn. 9).

b) Dies vorausgeschickt bedarf der bisherige, ausschließlich auf den Besitz von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge abstellende Schuldspruch, der Änderung.

aa) Insoweit vertritt der 6. Strafsenat des Bayerischen Obersten Landesgerichts (Beschluss vom 12. April 2024 – 206 StRR 122/24, BeckRS 2024, 7422 Rn. 12) die Ansicht, „die Beschränkung eines Rechtsmittels auf den Rechtsfolgenausspruch [könne] dann keinen Bestand haben, wenn es sich bei dem angewendeten Gesetz um eine nichtige oder - wie vorliegend - nicht mehr geltende Strafvorschrift handelt (BayObLG, Urteil vom 26. September 1962, RevReg 1 St 156/62, BayObLGSt 1962, 216, 217 = NJW 1962, 2213; Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 66. Aufl. 2023, § 318 Rn. 17; MünchKomm-StPO/Quentin, 2. Aufl. 2024, § 318 Rn. 52, je m.w.N.; für den Fall einer auf den Rechtsfolgenausspruch beschränkten Revision vgl. KK-StPO/Gericke a.a.O. § 354 Rn. 16; MünchKomm-StPO/Knauer/Kudlich, 1. Aufl. 2019, § 354a Rn. 6; BGH, Urteil vom 12. Februar 1974, 1 StR 610/73, juris Rn. 7; Urteil vom 22. Januar 1974, 1 StR 490/73, juris Rn. 4).“

Dies zugrunde gelegt sei das Berufungsgericht zum Zeitpunkt seiner Entscheidung zutreffend von einer wirksamen Rechtsmittelbeschränkung ausgegangen und habe zu Recht davon abgesehen, eigene Feststellungen zu treffen und eine neue Entscheidung über den Schuldspruch zu treffen. Das Revisionsgericht treffe jedoch gemäß § 2 Abs. 3 StGB, § 354a StPO die Verpflichtung und Befugnis, bei seiner Prüfung das erst im Laufe des Revisionsverfahrens in Kraft getretene (mildere) Recht anzuwenden. Dies führe dazu, dass die eingetretene Rechtskraft des Schuldspruchs zu durchbrechen sei, wobei aufgrund der Besonderheiten des vorliegenden Einzelfalles der Senat den Schuldspruch des Erstgerichts selbst ändern könne (a.a.O., Rn. 14 f.).

bb) Demgegenüber ist das Oberlandesgericht Karlsruhe (Beschluss vom 15. Mai 2024 - 2 ORs 370 SRs 247/24 -, juris Rn. 9 f.) - ebenfalls unter Berufung auf die vom 6. Strafsenat des Bayerischen Obersten Landesgerichts zitierte Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs - der Auffassung, dass der Wirksamkeit der Berufungsbeschränkung auf den Rechtsfolgenausspruch das zwischenzeitliche Inkrafttreten des Konsumcannabisgesetzes nicht entgegensteht.

cc) Der Bundesgerichtshof hat hinsichtlich einer vergleichbaren Konstellation der während des Revisionsverfahrens in Kraft getretenen Änderung bzw. Ersetzung der angewandten Strafvorschriften im Sinne einer Milderung ausgeführt, dass der Schuldspruch auf Grund der widerspruchsfrei und ersichtlich vollständig getroffenen Feststellungen dem neuen Recht anzupassen sei. Dem stehe die Beschränkung der Revision nicht entgegen (BGH, Urteile vom 12. Februar 1974 – 1 StR 610/73 –, juris Rn. 7; vom 22. Januar 1974 – 1 StR 490/73 –, juris Rn. 4). Das Revisionsgericht könne daher die auf der Grundlage klarer Feststellungen ergangenen Verurteilungen von sich aus den neuen Bestimmungen anpassen (§§ 354 Abs. 1, 354 a StPO), wenn nach Sachlage auszuschließen ist, dass sich die Angeklagten gegenüber den auch aus den neuen Straftatbeständen zweifelsfrei hervorgehenden Schuldvorwürfen anders als bisher verteidigen könnten (BGH, Urteil vom 22. Januar 1974 – 1 StR 490/73 –, juris Rn. 4). Für den Fall, dass die Strafbarkeit durch die Gesetzesänderung ganz entfällt, hat es der Bundesgerichtshof dahinstehen lassen, ob dies einen echten Einbruch in die Rechtskraft des Schuldspruchs bedeutet oder ob die Frage der Rechtskraft überhaupt nur scheinbar berührt wird, weil der Schuldspruch ohnehin gegenstandslos geworden ist, nachdem die Strafandrohung im Gesetz schlechthin entfallen ist. Es fehle nach einer solchen Gesetzesänderung jedenfalls ein gültiger Strafrahmen, dem eine Strafe entnommen werden könnte. Deshalb sei die Verhängung einer Strafe unzulässig (BGH, Urteil vom 1. Dezember 1964 – 3 StR 35/64 –, BGHSt 20, 116, juris Rn. 10).

dd) Letztlich kann es auch vorliegend dahinstehen, ob die Gesetzesänderung dazu führt, dass die eingetretene Rechtskraft des Schuldspruchs zu durchbrechen ist, wie der 6. Strafsenat meint, oder ob die betreffenden Taten, ohne dass eine Unwirksamkeit der Rechtsmittelbeschränkung angenommen wird, nunmehr nach dem Konsumcannabisgesetz zu beurteilen sind, wie das Oberlandesgericht Karlsruhe annimmt (a.a.O., juris Rn. 11). In beiden Fällen ist - wovon der Bundesgerichtshof bei Vorliegen der genannten Voraussetzungen ohne weiteres ausgeht - der Schuldspruch dem neuen Recht anzupassen. Einer Divergenzvorlage bedarf es somit nicht.

2. Die Gesetzesänderung führt, wie die Generalstaatsanwaltschaft in ihrer Antragsschrift zutreffend ausgeführt hat, zur Änderung des Schuldspruchs dahingehend, dass sich der Angeklagte im Hinblick auf das mitgeführte Kokain weiterhin wegen des Besitzes von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge gemäß § 29a Abs. 1 Nr. 1 BtMG schuldig gemacht hat, der Strafrahmen dieser Norm zu entnehmen ist, und hinsichtlich des Mitführens von Marihuana § 34 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a KCanG als milderes Gesetz tateinheitlich hinzutritt.

a) Das mildere von zwei Gesetzen ist dasjenige, welches anhand des konkreten Falls nach einem Gesamtvergleich des früher und des derzeit geltenden Strafrechts das dem Angeklagten günstigere Ergebnis zulässt, wobei es in erster Linie auf die konkret in Frage kommenden Hauptstrafen ankommt. Dabei ist der Grundsatz strikter Alternativität zu beachten, nach dem – bezogen auf die jeweilige Tat – entweder das eine oder das andere Gesetz in seiner Gesamtheit gilt (st. Rspr.; vgl. etwa BGH, Urteile vom 8. August 2022 - 5 StR 372/21 -, BGHSt 67, 130, juris Rn. 12 f. und vom 24. Juli 2014 - 3 StR 314/13 -, BGHSt 59, 271, juris Rn. 13; s. zum Ganzen Fischer, StGB, 71. Aufl. 2024, § 2 Rn. 8 ff.). Der Grundsatz strikter Alternativität ist nicht auf die prozessuale Tat zu beziehen (dies würde hier eine Anwendung des Konsumcannabisgesetzes wegen der Tateinheit mit dem Besitz von Kokain ausschließen), sondern auf die jeweilige Einzeltat, hier also auf den Besitz des jeweiligen Betäubungsmittels - Marihuana und Kokain -, für die jeweils entweder das alte oder das neue Gesetz in seiner Gesamtheit gilt.
b) Dies zugrunde gelegt stellt sich das Konsumcannabisgesetz bei der Strafzumessung hinsichtlich des mitgeführten Marihuana im Vergleich mit den vorher geltenden Strafnormen des Betäubungsmittelgesetzes als das mildere Gesetz dar (vgl. OLG Karlsruhe, Beschluss vom 15. Mai 2024 - 2 ORs 370 SRs 247/24 -, juris Rn. 11).

Vor allem sind die von § 34 KCanG für den Regelfall und auch für den besonders schweren Fall vorgesehenen Strafrahmen erheblich milder als der Strafrahmen des § 29a Abs. 1 BtMG (vgl. BayObLG, Beschluss vom 12. April 2024 – 206 StRR 122/24, BeckRS 2024, 7422 Rn. 22).

Die Generalstaatsanwaltschaft hat insoweit in ihrer Antragsschrift zutreffend ausgeführt:

„Nach nunmehr geltendem Recht unterfällt der Besitz von Cannabis, soweit – wie hier gegeben – außerhalb des Wohnsitzes oder des gewöhnlichen Aufenthaltsorts eine Menge von mehr als 30 Gramm Cannabis mitgeführt wurde, grundsätzlich dem nur noch als Vergehen ausgestalteten Tatbestand des § 34 Abs. 1 Nr. 1 a i.V.m. § 2 Abs. 1 [...] Nr. 1, § 3 Abs. 1 KCanG, der Geldstrafe oder Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren vorsieht. Bezieht sich die Tat – wie hier – zudem auf eine nicht geringe Menge (zur unveränderten Fortgeltung der Grenze der nicht geringen Menge von 7,5 Gramm THC vgl. BGH, Beschluss vom 18. April 2024 – 1 StR 106/24, Rn. 14 ff.), kommt ein besonders schwerer Fall in Betracht, wobei die Strafandrohung von drei Monaten bis zu fünf Jahren Freiheitsstrafe reicht (§ 34 Abs. 3 Satz 1, Satz 2 Nr. 4 KCanG). Die neue gesetzliche Bestimmung kann bezüglich des Umgangs mit Konsumcannabis auch als Nachfolgeregelung von § 29 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 und § 29a Abs. 1 Nr. 2 BtMG angesehen werden, ohne dass ein Verstoß gegen das Rückwirkungsverbot und das Bestimmtheitsgebot zu besorgen wäre (vgl. BayObLG, Beschluss vom 8. April 2024 – 203 StRR 39/24, juris Rn. 11 unter Hinweis auf BGH, Beschluss vom 10. Juli 1975 – GSSt 1/75, BGHSt 26, 167, juris Rn. 14). Da die angedrohten Hauptstrafen unter denen des BtMG liegen, erweist sich für den Angeklagten daher in Bezug auf den Vorwurf des Besitzes von Cannabis das neue Recht vorliegend als günstiger.“

c) Die genannte Gesetzesänderung, die in jeder Lage des Verfahrens von Amts wegen beachtet werden muss (Fischer, StGB, a.a.O., § 2 Rn. 12 m.w.N.), ist nach § 2 Abs. 3 StGB in Verbindung mit § 354a StPO vom Senat zu berücksichtigen, der die Änderung des Schuldspruchs, worauf die Generalstaatsanwaltschaft ebenfalls zutreffend hingewiesen hat, selbst vornehmen kann, weil die infolge der Berufungsbeschränkung feststehenden Feststellungen auch den unerlaubten Besitz von mehr als 30 Gramm Cannabis außerhalb des Wohnsitzes oder gewöhnlichen Aufenthalts gemäß § 34 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a KCanG belegen.

3. Der Strafausspruch kann ebenfalls keinen Bestand haben.

a) Die Änderung des Schuldspruchs zieht die Aufhebung des Strafausspruchs nach sich, weil nicht auszuschließen ist, dass der neue Tatrichter bei Beachtung der Wertentscheidung des Gesetzgebers in Bezug auf den Umgang mit Cannabis insgesamt zu einer niedrigeren Freiheitsstrafe gelangt wäre.

aa) Ungeachtet der Änderung des Schuldspruchs ist zwar dem Rechtsfolgenausspruch der Strafrahmen des § 29a Abs. 1 Nr. 2 BtMG zugrunde zu legen (§ 52 Abs. 2 Satz 1 StGB). Hiernach wird der Besitz von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge - hier 49,10 Gramm Kokain mit einem Wirkstoffgehalt von 41,5 Gramm Kokainhydrochlorid - mit Freiheitsstrafe nicht unter einem Jahr (bis 15 Jahren) geahndet. Auch liegt - worauf die Generalstaatsanwaltschaft zutreffend hingewiesen hat - ein minder schwerer Fall im Sinne des § 29a Abs. 2 BtMG hier schon deswegen nicht nahe, weil der Angeklagte, der immerhin das 8,3-fache der nicht geringen Menge einer harten Droge im öffentlichen Raum mit sich geführt hat (s. hierzu aber unten c)), zuletzt eine langjährige Haftstrafe wegen eines im Drogenmilieu begangenen besonderes schweren Raubes verbüßt und die neuerliche Tat während laufender Führungsaufsicht begangen hat (s. BZR Nr. 2). Die Anwendung des neuen Rechts hinsichtlich des mitgeführten Marihuana führt daher im konkreten Fall zu keinem milderen Strafrahmen hinsichtlich des mitgeführten Kokain.

Allerdings hat der Gesetzgeber durch die Schaffung eines eigenen, grundsätzlich milderen Strafrahmenregimes in Bezug auf den Umgang mit Cannabis im Vergleich zu den dem Betäubungsmittelgesetz unterstellten Suchtstoffen deutlich zum Ausdruck gebracht, dass Taten, wenn sich diese auf Cannabis beziehen, mit einem geringeren Unwerturteil einhergehen (vgl. BT-Drucks. 20/8704, S. 69, wonach, um der geänderten Risikobewertung von Cannabis gerecht zu werden, bestimmte Vorgaben, wie sie bisher im Betäubungsmittelrecht bestanden, entfallen; a.a.O., S. 74, wonach aufgrund der neuen Risikobewertung im Umgang mit Cannabis – im Vergleich zum bisher für Cannabis geltenden Strafrahmenregime des Betäubungsmittelgesetzes – die Strafrahmen bei Verstößen gegen das Konsumcannabisgesetz oder das Medizinal-Cannabisgesetz herabgesetzt werden, womit dem Leitgedanken der Verhältnismäßigkeit einer Sanktionierung Rechnung getragen werde; a.a.O., S. 130, wonach die Einführung einer kontrollierten Weitergabe von Cannabis an Erwachsene zu nichtmedizinischen Zwecken eine Reaktion auf eine geänderte Risikobewertung ist, sodass geringere Strafrahmen sachgerecht sind).

bb) Es kann daher nicht ausgeschlossen werden, dass der neue Tatrichter auch in einem Fall wie hier, in dem sich die Tat nur teilweise auf Cannabis bezieht, trotz des tateinheitlich hinzutretenden Schuldspruchs wegen eines Vergehens gegen das Konsumcannabisgesetz und der Anwendung desselben Strafrahmens zu einer milderen Strafe gelangt.

Bei der konkreten Strafzumessung hat das Berufungsgericht nicht lediglich auf den Besitz von Kokain abgestellt, sondern zunächst allgemein auf den Besitz von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge, was sowohl Kokain als auch Marihuana einschließt, und hiervon ausgehend zutreffend den Strafrahmen des § 29a Abs. 1 BtMG zugrunde gelegt. Bei der Prüfung, ob ein minderschwerer Fall im Sinne des § 29a Abs. 2 BtMG vorliegt, hat es unter anderem auch berücksichtigt, dass die Grenze zur nicht geringen Menge auch beim Marihuana um das 2,5-fache erheblich überschritten worden ist. Auch wenn ein minderschwerer Fall nach wie vor nicht in Betracht kommen sollte, zeigt dies, dass die vom Berufungsgericht erkannte Freiheitsstrafe von zwei Jahren acht Monaten nicht nur auf dem Besitz von Kokain in nicht geringer Menge, sondern - jedenfalls nicht vernachlässigbar - auch auf dem Besitz einer nicht geringen Menge von Marihuana beruhte und das Berufungsgericht hierbei ausdrücklich insgesamt von einem Mindestmaß der Freiheitsstrafe von einem Jahr ausging.

Demgemäß ist, auch wenn sich das Gesamtbild der Tat unverändert darstellt, angesichts der veränderten Bewertung durch den Gesetzgeber eine andere Bemessung der Strafe durch den Tatrichter möglich, wenn auch nicht zwingend geboten. Diese dem Tatrichter obliegende Aufgabe darf ihm das Revisionsgericht nicht abnehmen (in diesem Sinne auch - zu Art. 313 Abs. 3 Satz 3 EGStGB - BGH, Urteil vom 24. September 1974 – 1 StR 365/74 –, BGHSt 26, 1, juris Rn. 14).

b) Revisionsrechtlich nicht unbedenklich ist auch, dass das Berufungsgericht im Rahmen der Abwägung hinsichtlich des Besitzes von Kokain über die mehrfache Überschreitung der Grenze zur nicht geringen Menge hinaus dem Umstand erhebliches strafschärfendes Gewicht beigemessen hat, dass es sich um eine harte Droge handelt (BU 11). Wenn ein Betäubungsmittel dem bloßen Eigenkonsum dient, darf es grundsätzlich nicht zum Nachteil des lediglich sich selbst gefährdenden Angeklagten gewertet werden, dass es sich um eine harte Droge handelt (vgl. Patzak, in Patzak/Volkmer/Fabricius, BtMG, 10. Aufl. 2022, vor § 29 Rn. 202 m.w.N.). Zumindest aber darf die Gefährlichkeit der Droge in solchen Fällen nur geringer gewichtet werden (BGH, Beschlüsse vom 15. März 2023 - 2 StR 348/22 -, juris Rn. 16; vom 3. August 2000 - 4 StR 287/00 -, juris Rn. 5). Zu bedenken ist zwar, dass der Gesetzgeber den bloßen Besitz an einem Betäubungsmittel in nicht geringer Menge in den Tatbestand des § 29a BtMG aufgenommen hat, um der von dem Besitz ausgehenden höheren Gefahr der Weitergabe an Dritte Rechnung zu tragen (BGH, Beschluss vom 17. Mai 1996 - 3 StR 631/95 -, NStZ 1996, 604); eine solche Gefahr mag bei einer harten Droge höher zu bewerten sein als bei einer weichen. Eine rein abstrakte Möglichkeit der Weitergabe genügt in diesem Zusammenhang aber nicht (Patzak, in Patzak/Volkmer/Fabricius, a.a.O., § 29a Rn. 130.). Feststellungen hierzu, etwa zu den Umständen der Aufbewahrung und einer etwaigen Zugriffsmöglichkeit für Dritte, hat das Landgericht nicht getroffen (vgl. auch BayObLG, Beschluss vom 20. Februar 2024 - 206 StRR 49/24 -, BeckRS 2024, 2619 Rn. 14). Allerdings weist die Generalstaatsanwaltschaft zutreffend darauf hin, dass der Angeklagte die Betäubungsmittel im öffentlichen Raum mit sich geführt hat. Inwieweit diesem Umstand eine entscheidende Bedeutung zukommt, wird der Tatrichter zu überprüfen haben.

c) Revisionsrechtlich nicht zu beanstanden ist jedoch der Umstand, dass das Berufungsgericht seine Strafzumessung maßgeblich auch auf Vorstrafen gestützt hat, die den Besitz und Erwerb von Kleinmengen von Cannabis betreffen, der zwischenzeitlich straffrei gestellt ist (vgl. die auf BU 8 f. festgestellten Tatsachverhalte der in Nrn. 3 und 4 des Auszugs aus dem Bundeszentralregister enthaltenen Vorahndungen), und ausdrücklich hinsichtlich der letzten dieser einschlägigen Verurteilungen (BZR Nr. 4) die Rückfallgeschwindigkeit strafschärfend herausgestellt hat (BU 11).

aa) Insoweit wurden zwar mit 1,35 Gramm Marihuana (BZR Nr. 3) und einer „nicht näher bestimmbaren Menge Marihuana zum Preis von 50,-- Euro“ bzw. einer hiervon sichergestellten Menge von 0,16 Gramm (BZR Nr. 4) lediglich solche Mengen von Cannabis besessen bzw. erworben, die ab 1. April 2024 weder den Straftatbeständen des § 34 Abs. 1 Nr. 1 und 12 KCanG noch dem Bußgeldtatbestand des § 36 Abs. 1 Nr. 1 KCanG unterfallen. Dies ändert aber nichts daran, dass zum Tatzeitpunkt diesen Vorahndungen eine Warnfunktion (vgl. hierzu Fischer, StGB, a.a.O., § 46 Rn. 38c) zukam, die nicht dadurch in Wegfall geraten ist, dass der Besitz entsprechender Mengen Marihuana ab 1. April 2024 nicht mehr strafbar war.

bb) Einer Berücksichtigung dieser Vorahndungen steht derzeit auch nicht das auf die Sachrüge zu berücksichtigende Verwertungsverbot des § 51 Abs. 1 BZRG (vgl. BGH, Beschluss vom 27. September 2022 – 2 StR 61/22 –, NStZ-RR 2023, 87, juris Rn. 5 m.w.N.; so bereits BayObLG, Beschluss vom 22. März 1972 - RReg 1 St 19/72 -, BayObLGSt 3, 75, 77) entgegen. Denn die einschlägigen Vorahndungen sind noch nicht tilgungsfähig. Die entsprechenden Eintragungen im Bundeszentralregister werden erst nach den am 1. Januar 2025 in Kraft tretenden Vorschriften der §§ 40 bis 42 KCanG (vgl. Art. 15 Abs. 2 CanG) tilgungsfähig (§ 40 Abs. 1 KCanG) und dann nach Feststellung der Tilgungsfähigkeit durch die Staatsanwaltschaft auf Antrag des Angeklagten (§ 41 i.V.m. § 42 Abs. 1 KCanG) und Mitteilung an das Bundeszentralregister zu tilgen sein (§ 42 Abs. 2 KCanG i.V.m. § 48 Satz 3 BZRG), mit der Folge, dass erst ab diesem Zeitpunkt das Verwertungsverbot des § 51 Abs. 1 BZRG eingreift (vgl. zum Ganzen BayObLG. Beschluss vom 27.06.2024 - 204 StRR 205/24 -, zur Veröffentlichung vorgesehen).

d) Die zum Strafausspruch getroffenen Feststellungen können, da lediglich Wertungsfehler vorliegen, bestehen bleiben. Das Tatgericht ist hierdurch nicht gehindert, gegebenenfalls ergänzende Feststellungen zu treffen, die den bisherigen nicht zuwiderlaufen.

III.

Auf die Revision des Angeklagten war daher der Schuldspruch an die geänderte Gesetzeslage anzupassen, das angefochtene Urteil im Rechtsfolgenausspruch gemäß § 353 Abs. 1 StPO - unter Aufrechterhaltung aller getroffenen Feststellungen - aufzuheben (§ 349 Abs. 4 StPO) und die Sache im Umfang der Aufhebung zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückzuverweisen (§ 354 Abs. 2 Satz 1 StPO).
Im Übrigen hat die Nachprüfung des Urteils aufgrund der Revision keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben (§ 349 Abs. 2 StPO). Zur Begründung wird insoweit auf die zutreffende Stellungnahme der Generalstaatsanwaltschaft München in ihrer Antragsschrift vom 23. April 2024 Bezug genommen.


Einsender: 4. Strafsenat des BayObLG

Anmerkung:


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