Gericht / Entscheidungsdatum: LG Görlitz, Beschl. v. 24.06.2024 - 3 Qs 105/24
Eigener Leitsatz:
Voraussetzung einer Durchsuchungsmaßnahme ist zunächst das Vorliegen einer Wahrscheinlichkeit dafür, dass eine bestimmte Straftat bereits begangen worden ist, wofür zureichende tatsächliche Anhaltspunkte vorliegen müssen. Vage Anhaltspunkte oder bloße Vermutungen genügen nicht, andererseits bedarf es aber auch keines hinreichenden oder dringenden Tatverdachtes. Das gilt auch für die Anordnung einer Durchsuchung in einem Verfahren wegen Verbreitung, Erwerb und Besitz jugendpornografischer Inhalte.
Landgericht Görlitz
3 Qs 105/24
Beschluss
in dem Ermittlungsverfahren
gegen pp.
Verteidiger:
wegen Verbreitung, Erwerb und Besitz jugendpornografischer Inhalte ergeht am 24. Juni 2024 durch das Landgericht Görlitz - Strafkammer als Beschwerdekammer -
nachfolgende Entscheidung:
1. Auf die Beschwerde des Beschuldigten vom 3. Juni 2024 wird der Beschluss des Amtsgerichts Bautzen - Ermittlungsrichter - vom 19. Februar 2024 (47 Gs 154/24) aufgehoben.
2. Es wird festgestellt, dass die Durchsuchung und die daraus resultierenden Maß-nahmen, insbesondere die Beschlagnahme und Auswertung der Speichermedien, rechtswidrig waren.
3. Die Staatsanwaltschaft wird angewiesen, die beschlagnahmten Gegenstände unverzüglich an den Beschuldigten herauszugeben.
4. Die Kosten des Beschwerdeverfahrens und die damit verbundenen notwendigen
Auslagen des Beschuldigten fallen der Staatskasse zur Last.
Gründe
I.
Mit Beschluss vom 19. Februar 2024 hat das Amtsgericht Bautzen - Ermittlungsrichter - gemäß §§ 102, 105 Abs.1, 162 Abs.1 StPO die Durchsuchung der Wohnung mit Nebenräumen und der Fahrzeuge des Beschuldigten angeordnet. Es sollte nach Computern und anderweitigen Speichermedien sowie nach kinder- und jugendpornografischen Schriften gesucht werden. Die vorläufige Sicherstellung solcher Gegenstände zum Zwecke der Durchsicht wurde gemäß §§ 94, 98, 110 StPO angeordnet.
Die Hauptwohnung des Beschuldigten in pp., auf die sich der Beschluss bezieht, wurde am 28. Mai 2024 durchsucht und ein Samsung S22 und ein Samsung A51 wurden beschlagnahmt.
Wegen des dem Beschluss zu Grunde liegenden Tatverdachtes der Drittbesitzverschaffung jugendpornografischer Inhalte gemäß § 184c Abs. 1 Nr. 2 StGB und des Verdachts, dass der Beschuldigte auch aktuell noch in Besitz vergleichbarer Inhalte ist (§ 184c Abs. 3 StGB), wird auf die Begründung des genannten Beschlusses Bezug genommen.
Mit Verteidigerschriftsatz vom 3. Juni 2024 hat der Beschuldigte gegen den Durchsuchungs-beschluss Beschwerde eingelegt.
Die Staatsanwaltschaft beantragt mit Verfügung vom 6. Juni 2024 die Verwerfung der Beschwerde als unbegründet.
Auf den Akteninhalt wird Bezug genommen.
II.
Die Beschwerde ist unter Zugrundelegung der Annahme, die Durchsuchung sei trotz des Umstandes, dass die Untersuchung der beschlagnahmten Gegenstände noch andauert, beendet, in analoger Anwendung des § 98 Abs. 2 S. 2 StPO mit dem Ziel zulässig, die Rechtswidrigkeit dieser Durchsuchung festzustellen, da die Durchsuchung der Wohnung des Beschuldigten für ihn einen tiefgreifenden Grundrechtseingriff darstellt (vgl, Schäfer/Fresemann/Hinrichs, Die Praxis des Strafverfahrens, 7. Aufl., Rn. 410, 621).
Die Beschwerde ist auch begründet. Die Voraussetzungen einer Durchsuchung und der Beschlagnahme von Gegenständen beim Beschuldigten im Sinne des § 102 StPO liegen nicht vor.
Voraussetzung einer jeden Durchsuchungsmaßnahme ist zunächst das Vorliegen einer Wahrscheinlichkeit dafür, dass eine bestimmte Straftat bereits begangen worden ist, wofür zureichende tatsächliche Anhaltspunkte vorliegen müssen. Vage Anhaltspunkte oder bloße Vermutungen genügen nicht, andererseits bedarf es aber auch keines hinreichenden oder dringenden Tatverdachtes (vgl. BVerfG StV Spezial 2022, 126 (Rn. 17); BGH v. 20.4.2023 - StB 59/22, juris, Rn. 10; LG Offenburg v. 20.1.2023 - 3 Qs 129/22, juris, Rn. 7; Mey-er-Goßner/Schmitt, 66. Aufl., § 102 StPO, Rn. 2).
Der Verdacht der Drittbesitzverschaffung und des Besitzes jugendpornografischer Inhalte kann hier schwerlich angenommen werden. Originalbilder liegen nicht vor. Dass - so heißt es in dem angegriffenen Beschluss - der Beschuldigte und der gesondert Verfolgte pp. „auf junge weibliche Personen stehen und Bilder tauschen wollen, die solche Personen in einer Weise darstellen, dass sie zu einer sexuellen Stimulation geeignet sind", lässt gänzlich offen, ob / dass diese Personen unter 18 Jahre alt bzw. jung sind. Gleiches gilt für den Umstand, dass der gesondert Verfolgte auf eine Bilddatei, die ihm der Beschuldigte am 25. Mai 2022 gesandt habe, antwortete: „die aber ui ist jung", und für die Annahme der Staatsanwaltschaft, das „ui" sei als auf der Tastenkombination daneben liegendes „zu" zu lesen.
Lässt sich hier vielleicht der angebliche Verdacht gerade noch dahin konstruieren, dass jeden-falls die am 25. Mai 2022 versandte Bilddatei § 184c Abs. 1 Nr. 2, Abs. 3 StGB unterfällt, stellte die gegenständliche Tat wohl eine schwerwiegende dar. Allerdings ist die Schwere des Tat-verdachts immer in Relation zur Schwere des Eingriffes in den grundrechtlich geschützten Bereich des Beschuldigten zu sehen. Vorliegend ist der Anfangsverdacht - so man ihn über-haupt als gegeben ansehen möchte - so gering, dass die Abwägung nur zu Gunsten des Be-schuldigten ausgehen kann: Durchsuchungsbeschlüsse, welche die Beschlagnahme von technischen Geräten und Datenträgern anordnen, stellen neben einem solchen in das Grund-recht auf Unverletzlichkeit der Wohnung auch einen Eingriff in dasjenige auf informationelle Selbstbestimmung dar. Der moderne Mensch hat den größten Teil seiner - teilweise intimsten - Kommunikation auf solchen Geräten gespeichert. Teilweise werden dort auch Selbstreflexionen niedergelegt. Die Parallele zum besonderen Schutz von Tagebucheinträgen drängt sich förmlich auf. Deshalb ist bei der Anordnung von Eingriffen in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung durch Beschlagnahme von elektronischen Kommunikationsgeräten auf die Verhältnismäßigkeitsprüfung besonderes Augenmerk zu legen, sie kann nur als ultima ratio zulässig sein (vgl. BVerfG v. 20.11.2019 - 2 BvR 31/19, 2 BvR 886/19, juris, Rn. 31, 33 ff.). Hinzu tritt, dass die vorstehende Versendung einer Datei bereits ca. 2 Jahre zurückliegt.
Aus der Rechtswidrigkeit der Durchsuchung folgt hier vor dem Hintergrund des Vorstehenden auch die Rechtswidrigkeit der Beschlagnahme (vgl. dazu Schäfer/Fresemann/Hinrichs a.a.O., Rn. 615), so dass neben der Feststellung der Rechtswidrigkeit auch die Anordnung der Her-ausgabe der beschlagnahmten Gegenstände auszusprechen war.
Die Kostenentscheidung beruht darauf, dass neben der Staatskasse kein anderer Kosten-schuldner in Betracht kommt (vgl. Meyer-Goßner/Schmitt, § 473 StPO, Rn. 2).
Einsender: RA P. Bass, Bonn
Anmerkung:
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