Gericht / Entscheidungsdatum: LG Bremen, Beschl. v. 13.01.2023 - 6 Qs 355/22
Eigener Leitsatz:
Zur Annahme zureichender tatsächlicher Anhaltspunkte, aus denen auf das Vorliegen einer Straftat gemäß § 184c Abs. 3 StGB für die Anordnung einer Durchsuchung zu schließen wäre.
Landgericht Bremen
Beschluss
6 Qs 355/22 (403 Js 40963/22)
In dem Ermittlungsverfahren
gegen pp.
Verteidiger:
wegen Verdachts des Besitzes jugendpornographischer Inhalte hat das Landgericht Bremen - Strafkammer 6 - am 13.01.2023 beschlossen:
1. Es wird festgestellt, dass die am 15.08.2022 erfolgte Durchsuchung der Wohnung des Beschuldigten rechtswidrig war.
2. Der Beschluss des Amtsgerichts Bremen vom 20.12.2022 (Az. 91b Gs 1304/22 (403 Js 40963/22)) wird aufgehoben.
3. Die Kosten des Beschwerdeverfahrens und die notwendigen Auslagen des Beschuldigten trägt die Staatskasse.
Gründe:
Die Staatsanwaltschaft Bremen führt gegen den Beschuldigten ein Ermittlungsverfahren wegen einer möglichen Straftat nach § 184c Abs. 3 StGB.
Die Polizeiinspektion Cloppenburg/Vechta sichtete einen Chatverlauf auf der Onlineplattform „markt.de", der mutmaßlich zwischen dem Beschuldigten und dem gesondert Verfolgten heute 14-jährigen pp. am 30.08.2021 stattgefunden haben soll. Bei dem Kontakt mit der E-Mail Adresse „pp.de" soll es sich um den Beschuldigten gehandelt haben. Der gesondert Verfolgte soll sich im Laufe des Chatverlaufs als 15-jähriger ausgegeben haben. Im Rahmen dieses Chatkontaktes tauschten sich die beiden über sexuelle Praktiken, Fantasien und körperliche Merkmale aus. Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten wird auf die Darstellungen des Beschlusses vom 20.12.2022 (Blatt 79 d. A.) Bezug genommen. Das Verfahren wurde nach Vernehmung des gesondert Verfolgten an die Staatsanwaltschaft Bremen abgegeben.
Die Staatsanwaltschaft Bremen beantragte mit Verfügung vom 12.07.2022 den Erlass einer richterlichen Durchsuchungsanordnung für die Wohnung des Beschuldigten, welche am 15.07.2022 durch den Ermittlungsrichter des Amtsgerichts Bremen erlassen wurde (BI.32 d. A.). Die Durchsuchung der Wohnräume des Beschuldigten fand sodann am 15.08.2022 in der Zeit von 16:00 - 17:45 Uhr statt. Hierbei wurden diverse Medien- und Datenträger sichergestellt. Deren Auswertung dauert noch an. Der Beschuldigte hat nach entsprechender Belehrung gegenüber den Polizeibeamten angegeben, sich an diesen konkreten Chatverlauf zu erinnern. Jedoch meine er, dass der Gesprächspartner angegeben habe, 16 Jahre alt zu sein. Am 17.08.2022 wurde der Beschuldigte förmlich vernommen.
Mit Schriftsatz vom 17.11.2022 hat der Verteidiger des Beschuldigten der Sicherstellung der bei der Durchsuchung sichergestellten Gegenstände widersprochen und mit Schriftsatz vom 18.11.2022 Beschwerde gegen die Durchsuchungsanordnung erhoben. Daraufhin hat das Amtsgericht den o. g. Bestätigungsbeschluss erlassen und mit Verfügung vom 22.12.2022 der Beschwerde gegen die Durchsuchung nicht abgeholfen.
Die Beschwerde ist zulässig und begründet.
Nach Abschluss der Durchsuchung ist sie als auf die Feststellung der Rechtswidrigkeit der Durchsuchung gerichtet anzusehen (Köhler in Meyer-Goßner/Schmitt StPO, 65. Aufl., § 105 Rdnr.15).
Die Anordnung der Durchsuchung war rechtswidrig, denn die Voraussetzungen einer Anordnung nach §§ 102, 105 StPO lagen nicht vor. Zwar bedarf es zu ihrer Anordnung keines hinreichenden oder gar eines dringenden Tatverdachts, ein einfacher Anfangsverdacht einer Straftat reicht aus. Einen solchen vermag die Kammer jedoch dem Akteninhalt nicht zu entnehmen. Vom Vorliegen eines Anfangsverdachts ist auszugehen, wenn konkrete Tatsachen vorliegen, die dafürsprechen, dass gerade der zu untersuchende Lebenssachverhalt eine Straftat enthält (BGH NStZ 1994, 499). Bloße, nicht durch konkrete Umstände belegte Vermutungen oder reine denktheoretische Möglichkeiten reichen nicht aus, wobei den Ermittlungsbehörden bei der Beurteilung der Frage, ob zureichende Anhaltspunkte vorliegen ein gerichtlich überprüfbarer Be-urteilungsspielraum zusteht (vgl. BeckOK StPO/Beukelmann, 45. Ed. 1.10.2022, StPO § 152 Rn. 4 und 5 sowie KK-StPO/Diemer, 9. Aufl. 2023, StPO § 152 Rn. 8).
Gemessen daran lag hier ein Anfangsverdacht nicht vor.
Die Anordnung der Durchsuchung erfolgte unter dem Verdacht des Besitzes jugendpornographischer Schriften. Dieser soll im Kern darauf beruhen, dass nach kriminalistischer Erfahrung zu erwarten sei, dass bei Menschen mit einem auf Jungen unter achtzehn Jahren gerichteten Sexualtrieb und ausgefallener Sexualpraktiken ein Hang zum Sammeln und Aufbewahren einmal erworbenen Materials vorliege, um das Material stets zur Verfügung zu haben. Als weiteren Anhaltspunkt zieht das Amtsgericht heran, dass in Anbetracht des dem Beschuldigten gegenüber mitgeteilten Alters von 15 Jahren und des sonstigen Gesprächsinhalts sich beim Beschuldigten hätten Zweifel hinsichtlich der Fähigkeit zur sexuellen Selbstbestimmung seines Gesprächspartners aufdrängen müssen. Zusätzlich sei zu berücksichtigen gewesen, dass der Markt für die vom Beschuldigten präferierten Sexualpraktiken vergleichsweise gering sei, weshalb eine, wenn auch nicht sehr starke, Wahrscheinlichkeit dafür streite, dass der Beschuldigte versuche, diese sexuellen Vorlieben mit Bildern und Videos auszuleben.
Aus diesen und den weiteren im angefochtenen und im Beschluss vom 20.12.2022 festgehaltenen Erwägungen lässt sich kein Anfangsverdacht begründen. Es liegen keine zureichenden tatsächlichen Anhaltspunkte vor, aus denen auf das Vorliegen einer Straftat gemäß § 184c Abs. 3 StGB zu schließen wäre. Der Umstand, dass der Beschuldigte mit dem gesondert Verfolgten den aus der Beweismittelakte ersichtlichen Chat geführt hat, reicht hierfür nicht aus. Das Amtsgericht geht zunächst zutreffend davon aus, dass das Verhalten des Beschuldigten nicht strafbar ist. Die Einschätzung, es ergäben sich aus dem Chatverlauf Anhaltspunkte dafür, dass der gesondert Verfolgte noch nicht über die Fähigkeit zur sexuellen Selbstbestimmung verfüge und somit Anhaltspunkte für ein potenziell strafwürdiges Verhalten bestünden, teilt die Kammer jedoch nicht. Sofern sich aus dem Chatverlauf über die sexuelle Selbstbestimmungsfähigkeit des gesondert Verfolgten überhaupt etwas ableiten ließe, dann nach Auffassung der Kammer allenfalls das Gegenteil, da aus den Nachrichten des gesondert Verfolgten hervorgeht, dass ein sexuelles Grundverständnis (Sexualpraktiken, körperliche Eigenschaften) besteht. Nach dem Chatverlauf, in dem die Initiative gleichmäßig verteilt zu sein scheint und nicht etwa ein Drängen des Beschuldigten zu erkennen ist, musste sich dem Beschuldigten jedenfalls die Annahme einer fehlenden Fähigkeit seines Chatpartners zur sexuellen Selbstbestimmung nicht aufdrängen. Bereits die Initiative des damals dreizehn Jahre alten gesondert Verfolgten, sich auf der Plattform anzumelden und gezielt vermeintlich pädophile Nutzer „in die Falle zu locken" spricht zudem gegen die Annahme, der gesondert Verfolgte sei zur Selbstbestimmung nicht in der Lage gewesen.
Die Durchsuchungsanordnung stützt den Anfangsverdacht ferner auf die mutmaßliche auf den sexuellen Kontakt zu Jugendlichen gerichtete sexuelle Neigung des Beschuldigten. Hierbei handelt es sich jedoch um eine bloße Vermutung, da sie nach Aktenlage keine feststellbare Stütze findet.
Aus dem Chatverlauf und den sonstigen Akteninhalten ergibt sich nicht, dass der Beschuldigte zielgerichtet auf der Suche nach unter 18-jährigen Chat- bzw. Sexualpartnern war. Die genutzte Plattform ist zudem eine im Internet frei zugängliche. Der Beschuldigte hat gerade nicht im sogenannten Darknet mit einschlägigen Begriffen nach Kindern oder Jugendlichen gesucht oder eine erkennbar für Kinder und Jugendliche gedachte Seite aufgerufen, sondern sich auf einer Plattform angemeldet, die — soweit aus der Akte erkennbar — regelmäßig von erwachsenen Nutzern frequentiert wird. Der Beschuldigte hat ausweislich des Chatverlaufs nicht auch nach dem Alter des Gesprächspartners gefragt, vielmehr ist ihm diese Information gemeinsam mit Angaben zu körperlichen Eigenschaften durch den gesondert Verfolgten aus eigener Initiative mitgeteilt worden. Die Antwort des Beschuldigten lässt auch nicht erkennen, dass ihm das Alter des potenziellen Partners besonders wichtig war. Insoweit lässt sich auch kein auf kriminalistische Erfahrungswerte gestützter Rückschluss ziehen, da dieser an eine bloß vermutete Tatsache knüpft. In diesem Zusammenhang muss auch die Einlassung des Beschuldigten im Rahmen der Durchsuchung berücksichtigt werden, wonach er sich bislang nur mit über 18-jährigen Personen getroffen habe.
Weitere Anhaltspunkte, etwa strafrechtliche Voreintragungen des Beschuldigten im Zusammenhang mit Sexualdelikten, die diese Vermutung stützten würden, liegen nicht vor.
Nach alldem lag kein Anfangsverdacht wegen Besitzes jugendpornographischer Schriften gegen den Beschuldigten vor und die Anordnung der Durchsuchung seiner Wohnung sowie die Bestätigung der Sicherstellung erfolgten zu Unrecht.
Die Kostenentscheidung ergibt sich aus den §§ 464, 467 Abs.1 StPO in entsprechender Anwendung.
Einsender: RA Dr. M. Brauer, Bonn
Anmerkung:
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