Gericht / Entscheidungsdatum: BayObLG, Beschl. v. 10.07.2024 – 203 StRR 231/24
Leitsatz des Gerichts:
Der Gebrauch einer unechten Impfbescheinigung nach dem 24. November 2021 kann eine Urkundenfälschung nach § 267 Abs.1 3. Al. StGB darstellen. Dies gilt auch nach dem Auslaufen des digitalen COVID-Zertifikats.
In pp.
I. Die Revision der Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Nürnberg-Fürth vom 18. Dezember 2023 wird als unbegründet verworfen.
II. Die Angeklagte hat die Kosten ihres Rechtsmittels zu tragen.
Gründe
I.
Mit der Revision wendet sich die Angeklagte gegen ein Urteil des Landgerichts Nürnberg-Fürth vom 18. Dezember 2023. Das Landgericht hat die Berufung der Angeklagten gegen ein Urteil des Amtsgerichts Schwabach vom 21. Juni 2023 als unbegründet verworfen, nachdem das Amtsgericht die Angeklagte wegen Urkundenfälschung zu einer Geldstrafe von 100 Tagessätzen zu je 40.- Euro verurteilt hatte.
II.
Die auf die ausgeführte Sachrüge gestützte Revision ist zulässig, jedoch unbegründet. Das angefochtene Urteil weist keine die Angeklagte beschwerenden Rechtsfehler auf.
1. Die rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen der Berufungskammer tragen eine Verurteilung der Angeklagten wegen Urkundenfälschung nach § 267 Abs. 1 Var. 3 StGB.
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a) Nach den Feststellungen des Landgerichts legte die Angeklagte, eine Rentnerin, in Kenntnis aller Umstände am 27. November 2021 in einer Apotheke in G. ein auf sie ausgestelltes Impfbuch der Weltgesundheitsorganisation vor. Es enthielt im Abschnitt „Schutzimpfungen gegen COVID-19“ zwei Einträge zweier vorgeblich im Impfzentrum T. vorgenommenen Schutzimpfungen, versehen jeweils mit einem Chargenaufkleber lautend auf den Impfstoff „Comirnaty“, einem Stempel und einer Unterschrift. Die Schutzimpfungen waren bei der Angeklagten nicht durchgeführt worden. Stempel und Unterschrift stammten nicht von einem im Impfzentrum T. tätigen Arzt, sondern entweder von der Angeklagten selbst oder einer unbekannten Person außerhalb des Impfzentrums. Die Angeklagte war im Besitz von weiteren Chargenaufklebern. Wie von ihr beabsichtigt erhielt sie von der Apothekerin im Vertrauen auf die Eintragungen ein digitales Impfzertifikat ausgestellt.
b) Die von der Angeklagten genutzte Impfbescheinigung im Impfpass unterfällt dem Begriff der Urkunde im Sinne des § 267 StGB. Die Eintragung einer Impfdokumentation in einen auf eine bestimmte Person ausgestellten Impfausweis stellt eine verkörperte Gedankenerklärung dar, die zum Beweis geeignet und bestimmt ist und ihren Aussteller erkennen lässt (st. Rspr. zum Urkundenbegriff, vgl. BGH, Beschluss vom 23. März 2010 – 5 StR 7/10 –, juris Rn. 4 m.w.N.; Fischer, StGB, 71. Aufl., § 267 Rn. 3; Zieschang in Leipziger Kommentar zum StGB, 13. Auflage, § 267 StGB Rn. 15 m.w.N.). Die in der ausgefüllten Zeile des Impfausweises enthaltenen Angaben über das Datum der Impfung, den Impfstoff und die Charge ergeben im Zusammenhang mit den Personalien auf dem Deckblatt des Impfausweises die Erklärung des Impfarztes, der genannten Person die bezeichnete Impfung an einem bestimmten Tag unter Verwendung eines Vakzins einer bestimmten Charge verabreicht zu haben (BGH, Urteil vom 10. November 2022 – 5 StR 283/22 -, juris Rn. 36; vgl. § 22 Abs. 1 und 2 des Gesetzes zur Verhütung und Bekämpfung von Infektionskrankheiten beim Menschen (Infektionsschutzgesetz - IfSG) in der Fassung vom 22. November 2021 wie auch in der aktuellen Fassung). Mit dem Vortrag, das Impfbuch stamme nicht von der Weltgesundheitsorganisation, sondern vom Grünen Kreuz e.V., kann die Revision mangels ordnungsgemäß erhobener Aufklärungsrüge nicht gehört werden. Der Herausgeber wäre auch nicht maßgeblich.
c) Mit der Vorlage der Impfbescheinigung im Impfpass gegenüber der Apothekerin machte die Angeklagte von einer unechten Urkunde Gebrauch.
aa) Eine gefertigte Urkunde ist unecht, wenn sie nicht von demjenigen stammt, der aus ihr als Aussteller hervorgeht. Es wird dann der Anschein erweckt, ihr Aussteller sei eine andere Person als diejenige, von der sie herrührt (sogenannte Geistigkeitstheorie; vgl. Zieschang a.a.O. Rn. 142; Fischer a.a.O. Rn. 27).
bb) Die Impfbescheinigung war mit einem Stempel lautend auf das Impfzentrum T. und einer erfundenen oder nachgeahmten Unterschrift versehen. Sie erweckte den Eindruck, sie sei von einem Arzt des Impfzentrums T. erstellt worden, obwohl sie nach den Feststellungen der Berufungskammer tatsächlich nicht von einem dort tätigen Arzt herrührte (vgl. BGH, Urteil vom 10. November 2022 – 5 StR 283/22 -, juris Rn. 37 zu einer vergleichbaren Konstellation).
cc) Nach den Feststellungen des Landgerichts liegt keine – unter den Voraussetzungen von § 279 StGB n.F. strafbare - schriftliche Lüge, sondern eine Täuschung über den Aussteller vor. Denn die Berufungskammer ist zu dem Ergebnis gekommen, dass kein am Impfzentrum tätiger Arzt unter seinem richtigen Namen eine nicht erfolgte Impfung bescheinigte. Auf die von der Revision aufgeworfene Frage, wer die Fälschung vorgenommen hatte, kommt es bei der Tatbestandsalternative des Gebrauchmachens nicht an.
dd) Mit ihrem Angriff gegen die Beweiswürdigung dringt die Revision nicht durch. Die Berufungskammer hat die Feststellung, dass die Eintragung in dem Impfausweis über die Impfung gegen das SARS-CoV-2-Virus nicht vom angeblichen Aussteller, also nicht von einem am Impfzentrum T. tätigen Arzt, stammte, auf der Grundlage einer rechtsfehlerfreien Beweiswürdigung getroffen. Das Landgericht hat für seine Überzeugungsbildung eine Vielzahl von aussagekräftigen Indizien herangezogen und sorgfältig gewürdigt. So stammten die angeblich verwendeten Chargen des Comirnaty Impfstoffes nicht vom Hersteller des Impfstoffes. Im Tresor der Angeklagten befanden sich acht weitere Aufkleber der von der Herstellerfirma nicht ausgegebenen Chargen des Impfstoffes. Die Angeklagte verfügte über eine Anleitung zum Fälschen von Impfpässen. Eine polizeiliche Nachfrage beim Impfzentrum T. hatte ergeben, dass die Angeklagte dort nicht geimpft worden war. Mit der Möglichkeit, dass ein am Impfzentrum tätiger Arzt als angeblicher Aussteller die Unterschrift geleistet und eine nicht erfolgte Impfung unzutreffend bescheinigt haben könnte, hat sich die Strafkammer befasst und dies mit Blick auf die oben dargestellten Beweisanzeichen nachvollziehbar verworfen. Gegen die Beweiswürdigung ist daher revisionsrechtlich nichts zu erinnern.
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d) Am Vorsatz und der Täuschungsabsicht der Angeklagten bestehen keine Zweifel, nachdem sie die unechte Urkunde in Kenntnis aller Umstände in der Apotheke vorlegte, um ein digitales Impfzertifikat zu erlangen.
aa) Zur Täuschung im Rechtsverkehr handelt, wer erreichen will, dass ein anderer die Urkunde für echt hält und durch diese irrige Annahme zu einem rechtlich erheblichen Verhalten, sei es einem Tun oder einem Unterlassen, bestimmt wird, wer also mit der unechten Urkunde irgendwie auf das Rechtsleben einwirken will (st. Rspr., vgl. BGH, Beschluss vom 21. Dezember 1984 – 3 StR 184/84 –, BGHSt 33, 105-111, juris Rn. 13; Zieschang a.a.O. § 267 StGB Rn. 201; Heine/Schuster in Schönke/Schröder, StGB, 30. Aufl. 2019, § 267 Rn. 85 ff.). § 22 Abs. 5 S. 1 Nr. 2 IfSG in der zum Tatzeitpunkt geltenden Fassung vom 28. Mai 2021 sah vor, dass zusätzlich zu der Impfdokumentation auf Wunsch der geimpften Person die Durchführung einer Schutzimpfung gegen das Coronavirus SARS-CoV-2 in einem digitalen Zertifikat (COVID-19-Impfzertifikat) auch durch einen Apotheker bescheinigt werden durfte.
bb) Soll – wie hier - die Vorlage einer unechten Impfbescheinigung einen auf die Richtigkeit der Dokumentation vertrauenden Apotheker dazu veranlassen, eine nicht durchgeführte Impfung elektronisch zu bestätigen, ist das Verhalten des Täters somit auf ein rechtserhebliches Handeln des Getäuschten gerichtet (vgl. OLG Zweibrücken, Urteil vom 26. Juni 2023 – 1 OLG 2 Ss 33/22 -, juris Rn. 22).
e) Sollte der Vortrag der Revision auch dahingehend zu verstehen sein, dass die Angeklagte ihr Verhalten nicht als strafbar erachtete, gilt folgendes:
aa) Nach § 17 S. 1 StGB handelt der Täter ohne Schuld, wenn ihm bei Begehung der Tat die Einsicht fehlt, Unrecht zu tun und er diesen Irrtum nicht vermeiden konnte. Nach der gefestigten höchstrichterlichen Rechtsprechung und herrschenden Meinung in der Literatur reicht für die Schuldeinsicht bereits das Bewusstsein, gegen die Regeln der Rechtsordnung zu verstoßen und Unrecht zu tun (BGH, Urteil vom 23. Dezember 2015 – 2 StR 525/13 –, BGHSt 61, 110-135, zitiert nach juris Rn. 53 ff.; BGH, Urteil vom 23. April 1986 – 3 StR 8/86 –, juris Rn. 8; Fischer, StGB, 71. Aufl. § 17 Rn. 3; Sternberg-Lieben/Schuster in Schönke/Schröder a.a.O. § 17 Rn. 4; einschränkend MüKo-StGB/Joecks/Kulhanek, 4. Aufl. 2020, § 17 Rn. 12 ff.). Es kommt nicht darauf an, ob der Täter annimmt, sein Handeln sei gerade strafrechtlich verboten (BGH, Urteil vom 23. April 1986 – 3 StR 8/86 –, juris Rn. 8; Fischer a.a.O. Rn. 3; Sternberg-Lieben/Schuster a.a.O. Rn. 4). Die genaue rechtliche Einordnung der Strafbarkeit seines Verhaltens braucht der Täter daher nicht zu kennen, damit ihm ein Unrechtsbewusstsein vorgehalten werden kann (vgl. BGH, Urteil vom 30. Mai 2008 - 1 StR 166/07, BGHSt 52, 227, 239 f.). Vielmehr genügt bereits das Bewusstsein, die Handlung verstoße gegen irgendwelche gesetzlichen Bestimmungen (vgl. BGH, Urteil vom 11. Oktober 2012 - 1 StR 213/10, BGHSt 58, 15, 28). Weiß oder erfährt der Täter, dass ein Teil der vertretenen Rechtsauffassungen zur Annahme der Rechtswidrigkeit seiner Handlung führt, handelt er mit bedingtem Unrechtsbewusstsein. Er kann sich dann nicht mit Erfolg darauf berufen, dass eine zum anderen Teil vertretene Rechtsauffassung dies ablehnt (BGH, Urteil vom 23. Dezember 2015 – 2 StR 525/13 –, BGHSt 61, 110-135 zitiert nach juris Rn. 53; vgl. auch BGH, Urteil vom 5. März 2014 – 2 StR 616/12 –, juris Rn. 42).
bb) Gemessen daran besteht nach den Feststellungen des Landgerichts kein Zweifel an der Strafbarkeit der Angeklagten. Denn sie täuschte mit der nachgeahmten Unterschrift eines Arztes in einer Apotheke den Nachweis einer Impfung im Sinne von § 22 Infektionsschutzgesetz vor, von der sie wusste, dass sie sie gar nicht erhalten hatte.
2. Dass es sich bei der Impfbescheinigung um ein Gesundheitszeugnis im Sinne von §§ 277 ff. StGB handelte (vgl. Fischer a.a.O. § 277 Rn. 3) und der Gebrauch dieses Tatobjekts auch in einem anderen Straftatbestand, nämlich § 279 StGB erfasst ist, schließt die Strafbarkeit wegen Urkundenfälschung nicht aus (vgl. § 279 StGB n.F. letzter Halbsatz). Zum Zeitpunkt der Tat galt für das Gebrauchen von Gesundheitszeugnissen bereits die Vorschrift des § 279 StGB in der Fassung vom 22. November 2021. Auf die mittlerweile höchstrichterlich geklärte Frage, ob sich infolge einer Sperrwirkung von §§ 277 ff. StGB a.F. derjenige gemäß § 267 StGB strafbar machte, der vor dem 24. November 2021 eine unechte Bescheinigung in einer Apotheke nutzte (vgl. BGH, Urteil vom 10. November 2022 – 5 StR 283/22 -, juris, insb. Rn. 39 ff. zu § 277 StGB a.F.; BGH, Urteil vom 12. Juli 2023 - 1 StR 260/22 -, juris zu § 279 StGB a.F.), kommt es somit hier nicht an. Ab dem 24. November 2021 hat der Reformgesetzgeber diesbezüglich mit einer formellen Subsidiaritätsklausel in § 279 StGB n.F. eine klare Regelung geschaffen, sofern es gleichzeitig um den Gebrauch einer unechten Urkunde geht (vgl. BT-Drs. 20/15 S. 4, 5, 34; Zieschang a.a.O. § 279 StGB Rn. 2, 19 ff.; Weidemann in BeckOK StGB, 60. Ed. 1.2.2024, StGB § 279 Rn. 6.1; Puppe/Schumann in NK-StGB, 6. Aufl. 2023, StGB § 279 Rn. 5).
3. Der Anwendungsbereich von § 75a IfSG ist vorliegend nicht eröffnet, nachdem es sich um eine unechte Bescheinigung einer Impfung in einem Impfpass handelte (vgl. Erb in MüKoStGB, 4. Aufl. 2022, StGB § 279 Rn. 6; Neuhöfer/Kindhäuser in BeckOK IfSG, 20. Ed. 1.4.2024, IfSG § 75a Rn. 2).
4. Die Strafbarkeit ist entgegen der Rechtsansicht der Revision auch nach geltendem Recht nicht entfallen. Bei der Urkundenfälschung handelt es sich um ein Delikt mit überschießender Innentendenz (vgl. BGH, Urteil vom 10. November 2022 a.a.O. Rn. 54; Erb a.a.O. § 267 Rn. 202). Objektiv ist kein Täuschungserfolg erforderlich. Maßgeblich ist die Vorstellung des Täters zum Zeitpunkt der Tat. Die Vorlage einer unechten oder gefälschten Impfbescheinigung ist auch nach dem Auslaufen des digitalen COVID-Zertifikats weiterhin als Urkundenfälschung nach § 267 StGB strafbar, wenn sie erfolgt, um in Täuschungsabsicht eine zusätzliche Bestätigung einer nicht durchgeführten Impfung zu erlangen.
5. Die Strafzumessung ist nicht zu beanstanden. Die Angeklagte erhielt infolge der Vorlage der Fälschung unberechtigt ein digitales Impfzertifikat. Daher geht die Erwägung der Revision, die Tat habe keine schädigenden Auswirkungen zeitigen können, fehl.
III.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 473 Abs. 1 Satz 1 StPO.
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