Gericht / Entscheidungsdatum: LG Kiel, Beschl. v. 13.05.2024 - 2 KLs 590 Js 56426/20 jug.
Eigener Leitsatz:
Auch der nur für einen Hauptverhandlungstag bestellte „Terminsvertreter“ des Pflichtverteidigers verdient die Grundgebühr.
2 KLs 590 Js 56426/20 jug.
Landgericht Kiel
Beschluss
In dem Strafverfahren
gegen pp.
Verteidiger:
Rechtsanwalt
hat das Landgericht Kiel - 2. große Strafkammer - durch die Vorsitzende Richterin am Landgericht, die Richterin am Landgericht und den Richter am Landgericht am 13. Mai 2024 beschlossen:
Auf die Erinnerung von Rechtsanwalt pp. vom 15.11.2023 wird der Festsetzungsbeschluss des Landgerichts Kiel vom 09.11.2023 insoweit abgeändert, als die an Rechtsanwalt pp. zu zahlende Vergütung auf insgesamt 931,44 € festgesetzt wird.
Das Erinnerungsverfahren ist gebührenfrei; Kosten werden nicht erstattet.
Gründe
Die Erinnerung ist zulässig und begründet.
Der Erinnerungsführer hat einen Anspruch auf die mit dem Festsetzungsantrag vom 20.07.2023 begehrte Grundgebühr nach Nr. 4100 VV RVG in Höhe von 176,00 € zuzüglich Mehrwertsteuer. Eine solche Gebühr entsteht für die erstmalige Einarbeitung in den Rechtsfall mit der Übernahme des Mandats und deckt alle damit zusammenhängenden Tätigkeiten ab. Nach Auffassung der Kammer ist diese Gebühr bei Rechtsanwalt pp. mit der Wahrnehmung des Hauptverhandlungstermins am 14.07.2023 anstelle von Rechtsanwalt H. mit entsprechender Beiordnung angefallen.
Die Frage der Vergütung eines Pflichtverteidigers, der anstelle des an einzelnen Hauptverhandlungstagen verhinderten Pflichtverteidigers wie hier beigeordnet wird, ist in Rechtsprechung und Literatur umstritten. Teilweise wird angenommen, dass dieser sog. „Terminsvertreter" nur die Terminsgebühr erhalte, weil er lediglich als Vertreter des die Verteidigung insgesamt führenden Pflichtverteidigers beigeordnet worden sei und der Vertreter für die Wahrnehmung des Hauptverhandlungstermins keine höhere Vergütung beanspruchen könne als es der vertretene Pflichtverteidiger hierfür könne (so etwa KG Berlin, Beschluss v. 18.02.2011 - 1 Ws 38/09, Rn. 4 f.; OLG Brandenburg, Beschluss v. 25.08.2009 - 2 Ws 111/09; OLG Celle, Beschluss v. 25.08.2006 - 1 Ws 423/06; OLG Dresden, Beschluss v. 05.09.2007 - 1 Ws 155/07; Kroiß, in: Mayer/Kroiß, Rechtsanwaltsvergütungsgesetz, RVG VV 4100, Rn. 20). Nach anderer Ansicht stehe dem weiteren Pflichtverteidiger für die „Terminsvertretung" hingegen eine volle Vergütung nach Abschnitt 1 des Teiles 4 des Vergütungsverzeichnisses in Anlage 1 zu § 2 Abs. 2 RVG zu, die auch die Grundgebühr für die (notwendige) Einarbeitung in den Fall umfasse (so etwa: OLG Düsseldorf, Beschluss v. 29.10.2008, III - 1 Ws 318/08; OLG Hamm, Beschluss v. 23.03.2006 - 3 Ws 586/05; OLG Jena, Beschluss v. 14.04.2021 - (S) AR 62/20, Rn. 18, OLG Karlsruhe, Beschluss v. 16.07.2008 - 3 Ws 281/08, NJW 2008, 2935; OLG Köln, Beschluss v. 26.03.2010 - 2 Ws 129/10; OLG München, Beschluss v. 23.10.2008 - 4 Ws 140/08, Beschluss v. 27.02.2014 ¬4c Ws 2/14; OLG Nürnberg, Beschluss v. 13.11.2014 - 2 Ws 553/14; Burhoff, in: Burhoff/Volpert, RVG Straf- und Bußgeldsachen, Nr. 4100 VV Grundgebühr, Rn. 10; Felix, in: Toussaint, Kostenrecht, 54. Auflage 2024, Vorbemerkung 4.1, Rn. 15; Knaudt, in: BeckOK RVG, 63. Edition, Stand: 01.03.2024, RVG VV Vorbemerkung 4, Rn. 19 ff.). Dieser letztgenannten Ansicht schließt sich die Kammer an.
Der Erinnerungsführer war für den Hauptverhandlungstag vom 14.07.2023 uneingeschränkt als Pflichtverteidiger beigeordnet mit allen daraus folgenden Rechten und Pflichten. Bei der Tätigkeit von Rechtsanwalt pp. als Pflichtverteidiger für den 14.07.2023 handelte es sich trotz der zeitlichen Beschränkung auf einen Verhandlungstag nicht um eine Einzeltätigkeit im Sinne der Nr. 4301 VV RVG, die eine geringere Vergütung als bei einer „Vollverteidigung" rechtfertigen würde. Rechtsanwalt pp. ist dem Angeklagten zwar nicht insgesamt in dem Verfahren als Pflichtverteidiger bestellt worden, sondern nur für den einzelnen Termin am 14.07.2023, während im Übrigen weiterhin Rechtsanwalt H. als Verteidiger beigeordnet war. Gleichwohl stellt diese „Terminsvertretung" keine Einzelaufgabe aus dem Arbeitsbereich des Verteidigers dar. Die Strafprozessordnung kennt keine Beiordnung eines Verteidigers lediglich als Vertreter des bereits bestellten Pflichtverteidigers. Auch die Bestellung für nur einen Verhandlungstag begründet ein eigenständiges öffentlich-rechtliches Beiordnungsverhältnis, Kraft dessen der bestellte Verteidiger für die Dauer der Bestellung die Verteidigung des Angeklagten umfassend eigenverantwortlich und inhaltlich unbeschränkt zu übernehmen hat. Anlass zu einer gebührenbezogenen Herabstufung neben dem im Übrigen bestellten Verteidiger gibt es daher nicht. Aus der Eigenständigkeit des jeweiligen Beiordnungsverhältnisses folgt vielmehr, dass die anwaltlichen Tätigkeiten der jeweiligen Pflichtverteidiger separat zu bewerten und vergüten sind. Zur interessengerechten Verteidigung, wenn auch nur in einem Hauptverhandlungstermin, war auch für Rechtsanwalt pp. eine Einarbeitung mit der Übernahme des Mandats notwendig, so dass die Voraussetzungen für das Entstehen der Grundgebühr vorlagen
Nach dem Vorstehenden steht Rechtsanwalt pp. zur Abgeltung der gesamten Tätigkeit neben der Terminsgebühr auch eine Grundgebühr nach Nr. 4100 VV RVG zu, deren Höhe die Kammer mit 176,00 € zzgl. Mehrwertsteuer für angemessen erachtet.
Die Kosten- und Auslagenentscheidung folgt aus § 56 Abs. 2 S. 2 und S. 3 RVG.
Einsender: RA O. Baumann, Brunsbüttel
Anmerkung:
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