Gericht / Entscheidungsdatum: OLG Naumburg, Beschl. v. 07.05.2024 - 1 ORbs 98/24
Eigener Leitsatz:
Bleibt der Betroffene trotz ordnungsgemäßer Ladung der Hauptverhandlung fern und wird daraufhin sein Einspruch durch Urteil gemäß § 74 Abs. 2 OWiG verworfen, kann die Einspruchsverwerfung das Recht des Betroffenen auf rechtliches Gehör verletzen, wenn rechtzeitig vorgebrachte und hinreichende Entschuldigungsgründe von dem erkennenden Gericht nicht berücksichtigt worden sind. Dabei kommt es nicht darauf an, dass sich der Betroffene genügend entschuldigt hat. Vielmehr genügt es, dass eine beim Vorhandensein von Anhaltspunkten von Amts wegen vorzunehmende Prüfung ergibt, dass das Fernbleiben des Betroffenen genügend entschuldigt ist
OBERLANDESGERICHT NAUMBURG
BESCHLUSS
1 ORbs 98/24
In der Bußgeldsache
gegen pp.
wegen Verkehrsordnungswidrigkeit
hat der Senat für Bußgeldsachen des Oberlandesgerichts Naumburg am 7. Mai 2024
durch den Richter am Oberlandesgericht als Einzelrichter beschlossen:
Auf die Rechtsbeschwerde des Betroffenen wird das Urteil des Amtsgerichts Bernburg vom 24. Januar, mit den zugrundeliegenden Feststellungen, aufgehoben und die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsbeschwerde, an dieselbe Abteilung des Amtsgerichts zurückverwiesen.
Gründe:
I.
Mit dem angefochtenen Urteil hat das Amtsgericht den Einspruch gegen den Bußgeldbescheid vom 15. August 2022 verworfen. Im Bußgeldbescheid war gegen den Betroffenen wegen fahrlässigen Überschreitens der zulässigen Höchstgeschwindigkeit ein Bußgeld von 150,00 € festgesetzt worden.
Gegen das Urteil des Amtsgerichts richtet sich die Rechtsbeschwerde des Betroffenen, in der dieser das Verfahren beanstandet.
Die Generalstaatsanwaltschaft hat beantragt, die Rechtsbeschwerde wegen Verletzung des rechtlichen Gehörs zuzulassen, das Urteil des Amtsgerichts aufzuhaben und die Sache an das Amtsgericht zurückzuverweisen.
Der Senat hat mit Beschluss vom 6. Mai 2024 die Rechtsbeschwerde zugelassen.
II.
Die Rechtsbeschwerde ist zulässig und begründet. Dies führt zur Aufhebung des Urteils des Amtsgerichts Bernburg mit den zugrundeliegenden Feststellungen und Zurückverweisung der Sache an das Amtsgericht.
Die Generalstaatsanwaltschaft hat in ihrer Zuschrift ausgeführt:
„Die form- und fristgerecht begründete Rechtsbeschwerde des Betroffenen ist gemäß § 79 Abs. 1 S. 2 i.V.m. § 80 Abs. 1 Nr. 2 OWiG zuzulassen, weil es geboten ist, das Urteil des Amtsgerichts Bernburg wegen Versagung des rechtlichen Gehörs aufzuheben.
1. Die Verfahrensrüge der Verletzung rechtlichen Gehörs ist gem. § 79 Abs. 3 S. 1 OWiG i.V.m. § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO in zulässiger Form erhoben.
Nach § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO müssen zur Begründung einer Verfahrensrüge, die den behaupteten Verfahrensmangel enthaltenden Tatsachen so vollständig und genau wiedergegeben werden, dass das Rechtsbeschwerdegericht allein aufgrund der Rechtsbeschwerdebegründungsschrift prüfen kann, ob der behauptete Verfahrensmangel vorliegt, wenn die dargelegten Tatsachen bewiesen werden. Für eine formgerechte Begründung der Verfahrensrüge der Verletzung des § 74 Abs. 2 OWiG muss daher der Verfahrensgang mitgeteilt werden und es müssen die die Entschuldigung begründenden bestimmten Tatsachen so schlüssig vorgetragen werden, dass sich dem Rechtsbeschwerdegericht die Unmöglichkeit oder Unzumutbarkeit der Terminteilnahme konkret erschließt (KG Urt. v. 7.2.2022 – 3 Ws (B) 328/21 - 162 Ss 156/21, BeckRS 2022, 2055, Rn. 9, beck-online).
Diesen Anforderungen wird die Beschwerdebegründung des Betroffenen gerecht, indem darin das gesamte Verfahrensgeschehen, einschließlich des genauen Wortlauts der Anträge auf Terminsverlegung und der hierauf ergangenen gerichtlichen Entscheidungen, vollständig mitgeteilt wird. Dem Rügevorbringen lassen sich insbesondere auch die Art der Erkrankung des Betroffenen, deren Symptomatik und die daraus resultierenden körperlichen Beeinträchtigungen entnehmen.
So wird in der Beschwerdebegründung ausgeführt, dass der Verteidiger des Betroffenen dem Gericht am 23.1.2024 mitgeteilt hat, dass der Betroffene erkrankt sei und sich einer kurzfristigen Zahn-OP unterziehen musste, weshalb dieser starke Schmerzmittel einnehme, nicht sprechen könne und daher bis einschließlich zum 24.1.2024 arbeits- und verhandlungsunfähig erkrankt sei (RB S. 9 f.). Hierzu wird in der Beschwerdebegründung der genaue Wortlaut des anwaltlichen Schriftsatzes vom 23.1.2024, der dem Gericht zu-gleich vorgelegten Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung mit dem ICD-Code Z 98.8 sowie einer an den Verteidiger gerichteten E-Mail des Betroffenen vom 22.1.2024, in welcher dieser schildert, infolge einer Zahn-OP auf ärztlichen Rat keine anstrengenden Aktivitäten, Auto-fahrten o. ä. durchführen zu können, mitgeteilt. In dem Schriftsatz vom 23.1.2024 hat der Verteidiger anwaltlich versichert, dass der Betroffene im Rahmen eines mit ihm geführten Telefonats nicht in der Lage gewesen sei, verständlich zu sprechen.
Einer Darlegung, was der Betroffene im Termin zur Hauptverhandlung zur Sache vorgetragen hätte, bedurfte es im vorliegenden Fall zwar nicht, da er sich auf eine Nichtberücksichtigung eines Entschuldigungsgrundes im Rahmen einer Verwerfung des Einspruchs nach § 74 Abs. 2 OWiG beruft (OLG Oldenburg Beschl. v. 31.8.2010 – 2 SsRs 170/10, BeckRS 2010, 21730 Rn. 6, beck-online).
Gleichwohl lässt sich der Beschwerdebegründung entnehmen, dass der Betroffene sich zu seiner besonderen persönlichen und beruflichen Situation und zu seinem Nachtatverhalten erklärt, den Tatvor-wurf bestritten und Anhaltspunkte vorgetragen hätte, aus denen sich Zweifel an der technischen Richtigkeit der gegenständlichen Verkehrsüberwachung ergeben hätten (RB S. 20).
2. Die von dem Betroffenen in verfahrensrechtlicher Hinsicht erhobene Rüge der Verletzung rechtlichen Gehörs ist auch begründet.
Das Amtsgericht hat den Anspruch des Betroffenen auf rechtliches Gehör verletzt, indem es seinen Einspruch gegen den Bußgeldbescheid vom 15.8.2022 zu Unrecht gem. § 74 Abs. 2 OWiG verworfen hat.
Bleibt der Betroffene trotz ordnungsgemäßer Ladung der Hauptverhandlung fern und wird daraufhin sein Einspruch durch Urteil gemäß § 74 Abs. 2 OWiG verworfen, so kann die Einspruchsverwerfung das Recht des Betroffenen auf rechtliches Gehör verletzen, wenn rechtzeitig vorgebrachte und hinreichende Entschuldigungsgründe von dem erkennenden Gericht nicht berücksichtigt worden sind (KG Urt. v. 7.2.2022, a.a.O., Rn. 19).
Dabei kommt es nicht darauf an, dass sich der Betroffene genügend entschuldigt hat. Vielmehr genügt es, dass eine beim Vorhandensein von Anhaltspunkten von Amts wegen vorzunehmende Prüfung ergibt, dass das Fernbleiben des Betroffenen genügend entschuldigt ist (OLG Naumburg, Beschl. v. 26.6.2000 – 1 Ss (B) 83/00 –, Rn. 4, juris).
Liegen dem Gericht danach Anhaltspunkte für eine genügende Entschuldigung des Betroffenen vor, hat sich das Gericht um Aufklärung zu bemühen. Insbesondere eine ärztliche Bescheinigung löst die gerichtliche Aufklärungspflicht aus, weil sich aus ihr zwanglos hinreichende - wenn auch im Rahmen der gerichtlichen Nachforschungspflicht gegebenenfalls zu verifizierende - Anhaltspunkte für eine genügende Entschuldigung ergeben. Dabei ist das Ausbleiben des Betroffenen nicht erst dann entschuldigt, wenn er verhandlungsunfähig ist. Vielmehr ist es ausreichend, dass ihm infolge der Erkrankung das Erscheinen vor Gericht nicht möglich oder nicht zu-zumuten ist (KG Urt. v. 7.2.2022, a.a.O., Rn. 21, 25).
Nach den vorgenannten Maßstäben wäre das Amtsgericht vorliegend gehalten gewesen, zunächst im Wege des Freibeweises aufzuklären, ob der von dem Betroffenen mit anwaltlichem Schriftsatz vom 24.1.2024 mitgeteilte Entschuldigungsgrund tatsächlich zutrifft. Eine solche Aufklärung wäre dem Gericht durch eine Nachfrage bei dem die Arbeitsunfähigkeit bescheinigenden Zahnarzt auch ohne weiteres möglich gewesen.
Hätte sich danach der mit Schriftsatz des Verteidigers vom 23.1.2024 vorgetragene Sachverhalt in tatsächlicher Hinsicht als zutreffend erwiesen, wäre dem Betroffenen ein Erscheinen vor Gericht am 24.1.2024 jedenfalls nicht zuzumuten gewesen. Denn danach habe dieser infolge einer Zahn-OP unter Einfluss starker Schmerz-mittel gestanden, nicht verständlich sprechen können und es sei ihm ärztlich angeraten worden, bis einschließlich zum 24.1.2024 keine anstrengenden Aktivitäten, Autofahrten oder ähnliches zu unternehmen.
Soweit das Amtsgericht die übersandte Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung mit Verfügung vom 23.1.2024 zur Glaubhaftmachung einer Reise- und Verhandlungsunfähigkeit des Betroffenen nicht als aus-reichend erachtet hat, steht zu befürchten, dass dieses unzutreffend davon ausgegangen ist, der Betroffene müsse den von ihm behaupteten Entschuldigungsgrund gegenüber dem Gericht nachweisen (OLG Naumburg, Beschl. v. 26.6.2000, a.a.O., Rn. 5).
Das Amtsgericht hat die von dem Betroffenen vorgebrachten Entschuldigungsgründe daher zu Unrecht übergangen und hierdurch dessen Anspruch auf rechtliches Gehör verletzt.
Dabei erweist sich das angefochtene Urteil vorliegend schon deshalb als rechtsfehlerhaft, weil es den Antrag des Verteidigers auf Terminsverlegung mit Schriftsatz vom 23.1.2024 sowie dessen Be-handlung unerwähnt lässt und sich die Urteilsgründe mit den vorgebrachten Entschuldigungsgründen inhaltlich nicht auseinandersetzen (OLG Oldenburg Beschl. v. 31.8.2010 – 2 SsRs 170/10, BeckRS 2010, 21730, Rn. 8; OLG Zweibrücken Beschl. v. 22.10.2009 – 1 SsRs 34/09, BeckRS 2009, 28520, beck-online).
Allein der vorgenannte Rechtsfehler zwingt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils, weshalb es auf das weitergehende Beschwerdevorbringen und die zugleich erhobene Sachrüge, die bei der Anfechtung eines Verwerfungsurteils nach § 74 Abs. 2 OWiG lediglich zur Überprüfung des Urteils auf das Fehlen von Verfahrensvoraus-setzungen oder das Vorliegen von Verfahrenshindernissen führt (OLG Koblenz, Beschl. v. 31.8.2009 - 1 SsBs 93/09), kann nicht mehr entscheidend ankommt.“
Dem schließt sich der Senat an. Die Entscheidung über die Zurückverweisung folgt aus § 79 Abs. 6 OWiG.
Einsender: RA L. H. Kroll, Berlin
Anmerkung:
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