Gericht / Entscheidungsdatum: AG Dresden, Beschl. v. 04.07.2024 - 272 Gs 3462/24
Eigener Leitsatz:
1. Die rückwirkende Bestellung eines Pflichtverteidigers ist ausnahmsweise zulässig.
2. Auf Fälle einer Bestellung eines Pflichtverteidigers auf Antrag des Beschuldigten gem. § 140 Abs. 1 StPO ist Abs. 2 S. 3 des § 141 StPO nicht anwendbar.
AG Dresden, Beschl. v. 04.07.2024 - 272 Gs 3462/24
In dem Ermittlungsverfahren
gegen pp.
wegen Diebstahls
ergeht am 04.07.2024
durch das Amtsgericht Dresden - Ermittlungsrichter -
nachfolgende Entscheidung:
Dem Beschuldigten pp. wird Herr Rechtsanwalt pp. rückwirkend als Verteidiger bestellt.
Gründe
Die Entscheidung beruht auf§ 140 Abs. 1 Nr. 5 i.V.m. § 141 Abs. 1 StPO.
Herr Rechtsanwalt pp. beantragte mit Schriftsatz vom 03.06.2021, eingegangen am gleichen Tag, seine Beiordnung als Pflichtverteidiger. Zu diesem Zeitpunkt befand sich der Beschuldigte in Haft. Nach Fertigung des Schlussberichts übersandte die Bundespolizei die Ermittlungsakte am 08.06.2021 an die Staatsanwaltschaft Dresden. Am 30.11.2021 erfolgte die Einstellung des Ermittlungsverfahrens gern. § 170 Abs. 2 StPO.
Die Regelung des § 141 Abs. 2 S. 3 StPO findet vorliegend keine Anwendung. Zwar erfolgte eine alsbaldige Einstellung des Ermittlungsverfahrens durch die Staatsanwaltschaft Dresden nach Eingang der Ermittlungsakte. Nach nunmehr ständiger Rechtsprechung ist§ 141 Abs. 2
S. 3 StPO jedoch nicht auf die Fälle des§ 141 Abs. 1 StPO, mithin auf die Pflichtverteidigerbestellung auf Antrag des Beschuldigten hin anwendbar (so auch LG Halle (Saale), Beschluss vom 15. April 2021 - 3 Qs 41/21 -, juris; LG Freiburg (Breisgau), Beschluss vom 26. August 2020 — 16 Qs 40/20 —, juris; LG Bremen, Beschluss vom 17. August 2020 — 3 Qs 221/20 —, Rn. 4, juris; LG Hannover, Beschluss vom 8. April 2022 — 40 Qs 12/22 —, juris).
Es liegt auch ein Ausnahmefall des grundsätzlichen Verbots der rückwirkenden Bestellung vor. Eine rückwirkende Bestellung eines notwendigen Verteidigers ist jedenfalls in solchen Konstellationen möglich, in denen das Verfahren zwar bereits vor der Entscheidung über die Pflichtverteidigerbestellung eingestellt, der Antrag jedoch ordnungsgemäß vor Abschluss des Verfahrens gestellt und über ihn allein aufgrund justizinterner Verzögerungen in einer gegen das Unverzüglichkeitsgebot im Sinne des § 141 Abs. 1 Satz 1 StPO verstoßenden Weise nicht entschieden worden ist (LG Hamburg, Beschluss vom 5. April 2022 — 612 Qs 6/22, juris). Unverzüglich im Sinne des § 141 Abs. 1 Satz 1 StPO bedeutet, dass die Pflichtverteidigerbestellung zwar nicht sofort, aber so bald wie möglich ohne schuldhaftes Zögern, d.h. ohne sachlich nicht begründete Verzögerung, erfolgen muss. Dabei ist der Staatsanwaltschaft zwar eine Prüfungs- und Überlegungsfrist einzuräumen. Der Antrag auf die Pflichtverteidigerbestellung ging jedoch bereits am im Juni 2021 bei der für die Antragsentgegennahme nach § 142 Abs. 1 StPO zuständigen Polizeibehörde ein. Die Einstellung erfolgte am 30.11.2021, damit über ein halbes Jahr nach Antragsstellung und mithin nicht mehr unverzüglich. Daher hat die rückwirkende Bestellung zu erfolgen.
Einsender: RA A. Suska, Dresden
Anmerkung:
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