Gericht / Entscheidungsdatum: LG Chemnitz, Beschl. v. 04.06.2024 - 2 Qs 151/24
Eigener Leitsatz:
Die rückwirkende Bestellung eines Pflichtverteidigers ist zulässig, wenn der Antrag rechtzeitig vor Abschluss des Verfahrens gestellt worden, dann aber von der Staatsanwaltschaft erst verspätet dem Gericht zur Entscheidung vorgelegt worden ist.
LG Chemnitz
BESCHLUSS
In dem Ermittlungsverfahren
gegen pp.
Verteidiger:
Rechtsanwalt
wegen Fahrlässige Brandstiftung
ergeht am 04.06.2024
durch das Landgericht Chemnitz — 2. Strafkammer als Beschwerdekammer —
nachfolgende Entscheidung:
1. Auf die sofortige Beschwerde des Beschuldigten wird der Beschluss des Amtsgerichts Chemnitz vom 05.04.2024, Gz. 1 Gs 1265/24, aufgehoben.
2. Dem Beschwerdeführer wird Rechtsanwalt pp. als Pflichtverteidiger beigeordnet.
3. Die Kosten des Beschwerdeverfahrens und die notwendigen Auslagen des Beschwerdeführers hat die Staatskasse zu tragen.
Gründe
I.
1. Die Staatsanwaltschaft Chemnitz ermittelte gegen den in anderer Sache bis 21.06.2023 unter laufender Bewährung stehenden Beschuldigten wegen des Verdachts der fahrlässigen Brand-stiftung in zwei Fällen gern. §§ 306d, 53 StGB. Spätestens seit dem 27.03.2024 führte sie das Verfahren unter dem Tatvorwurf der (vorsätzlichen) Herbeiführung einer Brandgefahr in zwei Fällen gem. §§ 306f Abs. 1 Nr. 3, 53 StGB. Mit diesem Tatvorwurf beantragte sie mit Verfügung vom 27.03.2024 beim Amtsgericht Chemnitz den Erlass einer Durchsuchungsanordnung. Dem Beschuldigten wurde vorgeworfen, am 17.06.2023 ein Waldstück und am 20.06.2023 eine Brachfläche mittels eines Feuerzeugs entzündet zu haben, wobei ein Brand durch Einsatzkräfte der Feuerwehr jeweils verhindert werden konnte. Der Beschuldigte hat sich zur Sache nicht eingelassen.
Mit Schreiben vom 10.07.2023 zeigte sich Rechtsanwalt pp. als Verteidiger an und beantragte Akteneinsicht sowie im Namen des Beschuldigten seine Beiordnung als Pflichtverteidiger. Er begründete den Antrag mit der zu erwartenden Rechtsfolge.
Die Staatsanwaltschaft trat dem Antrag entgegen mit der Begründung, dass die zu erwarten-de Rechtsfolge keine Pflichtverteidigerbestellung gebiete, weil im Falle einer Verurteilung lediglich eine Geldstrafe drohe.
Mit Beschluss vom 05.04.2024 lehnte das Amtsgericht Chemnitz - Ermittlungsrichter - die Be-stellung eines Pflichtverteidigers ab. Das Amtsgericht führte aus, dass weder ein Fall des § 140 Abs. 1 StPO noch des § 140 Abs. 2 StPO vorliege. Die zu erwartende Rechtsfolge gebie-te keine Pflichtverteidigerbestellung, es sei lediglich die Verhängung einer Geldstrafe zu erwarten. Dabei ging das Amtsgericht davon aus, dass dem Beschuldigten eine fahrlässige Brandstiftung in zwei Fällen zur Last liege. Die Sach- und Rechtslage sei auch nicht schwierig und es sei auch nicht erkennbar, dass der Beschuldigte sich nicht selbst verteidigen könne.
Der Beschluss wurde dem Verteidiger am 10.04.2023 zugestellt. Er legte hiergegen mit Schreiben vom 10.04.2024, eingegangen beim Amtsgericht am selben Tag, sofortige Beschwerde ein. Er beruft sich darauf, dass der Beschuldigte zu den Tattagen noch unter lau-fender Bewährung stand.
Das Amtsgericht Chemnitz legte die Sache mit Verfügung vom 11.04.2024 dem Landgericht Chemnitz zur Entscheidung vor.
Mit Verfügung der Staatsanwaltschaft vom 26.04.2024 wurde das Ermittlungsverfahren gern. § 170 Abs. 2 StPO eingestellt.
2. Ausweislich der Auskunft aus dem Bundeszentralregister wurde der Beschuldigte mit Urteil des AG Marienberg vom 21.06.2021, Az. 9 Ls 860 Js 32803/19, rechtskräftig seit demselben Tag, wegen unerlaubten Besitzes von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr verurteilt, deren Vollstreckung für die Dauer von zwei Jahren zur Bewährung ausgesetzt wurde.
Auf den Inhalt der angefochtenen Entscheidung und den weiteren Akteninhalt wird im Übrigen Bezug genommen.
II.
Die statthafte (§ 142 Abs. 7 StPO) und zulässig eingelegte (§§ 306 Abs. 1, 311 Abs. 2 StPO) sofortige Beschwerde ist begründet.
Der angefochtene Beschluss des Amtsgerichts war aufzuheben, da das Amtsgericht bei seiner Entscheidung verkannt hat, dass dem Beschuldigten spätestens seit dem 27.03.2024 eine (vorsätzliche) Herbeiführung einer Brandgefahr in zwei Fällen zur Last lag. Da beide Tattage noch in laufender Bewährungszeit lagen, musste durchaus ein drohender Bewährungswiderruf im Verfahren 9 Ls 860 Js 32803/19 angenommen werden. Damit lag im Zeitpunkt der Entscheidung des Amtsgerichts ein Fall der notwendigen 'Verteidigung gern. § 140 Abs. 2 StPO vor. Denn bei der Prüfung, ob sich aus der Schwere der Rechtsfolge eine notwendige Verteidigung ergibt, sind dabei nicht nur die drohenden Rechtsfolgen aus dem Strafverfahren selbst zu berücksichtigen, sondern auch sonstige schwerwiegende Nachteile, die der Beschuldigte im Falle einer Verurteilung gegebenenfalls zu erwarten hätte.
Dass das Ermittlungsverfahren inzwischen gern. § 170 Abs. 2 StPO eingestellt wurde, ändert hieran nichts. Denn der Antrag auf Pflichtverteidigerbestellung wurde bereits mit Schreiben vom 10.07.2023 gestellt und erst mit Verfügung der Staatsanwaltschaft vom 27.03.2024 - so-mit erst mit wesentlicher Verzögerung - dem Amtsgericht zur Entscheidung vorgelegt.
Die Kostenentscheidung beruht auf einer analogen Anwendung des § 467 Abs. 1 StPO.
Einsender: RA W. Mond, Annaberg-Buchholz
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