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Entscheidungen

StPO

Pflichtverteidiger, zusätzlicher Pflichtverteidiger, Sicherungsverteidiger. besonderer Umfang

Gericht / Entscheidungsdatum: KG, Beschl. v. 03.04.2024 – 2 Ws 41/24

Leitsatz des Gerichts:

1. Die Beiordnung eines zusätzlichen Pflichtverteidigers als Sicherungsverteidiger kommt nur in eng begrenzten Ausnahmefällen in Betracht.
2. Ein derartiger Fall ist nur anzunehmen, wenn hierfür – etwa wegen des besonderen Umfangs oder der besonderen Schwierigkeit der Sache – ein „unabweisbares Bedürfnis“ besteht, um eine sachgerechte Wahrnehmung der Rechte des Angeklagten und einen ordnungsgemäßen Verfahrensverlauf zu gewährleisten.


2 Ws 41/24121 GWs 26/24

In der Strafsache
gegen pp u.a.,
hier nur gegen pp.

wegen Betruges u.a.

hat der 2. Strafsenat des Kammergerichts am 3. April 2024 beschlossen:

Die sofortige Beschwerde des Angeklagten gegen den Beschluss des Vorsitzenden der 14. Strafkammer des Landgerichts Berlin I vom 13. Februar 2024 wird zurückgewiesen.
Der Beschwerdeführer hat die Kosten seines Rechtsmittels zu tragen.

Gründe:

I.

Die Staatsanwaltschaft Berlin legt dem Beschwerdeführer mit Anklageschrift vom 28. November 2022 vierzehn Taten der Urkundenfälschung, teilweise in Tateinheit mit der Verletzung von Urheberrechten nach §§ 106, 108a UrhG und Betrug und teilweise im Versuch, sowie Geldwäsche zur Last.

Die 14. Strafkammer des Landgerichts Berlin I – Wirtschaftsstrafkammer – verhandelt seit dem 14. Juni 2023 gegen den Beschwerdeführer und weitere Angeklagte an bisher 49 Hauptverhandlungstagen (Stand: 13. Februar 2024). Die Strafkammer hat u.a. hinsichtlich des Beschwerdeführers die Tatvorwürfe der Verletzung von Urheberrechten nach §§ 106, 108a UrhG in der Hauptverhandlung vom 15. Februar 2024 gemäß § 154a Abs. 2, Abs. 1 Nr. 1 StPO vorläufig eingestellt.
Für den Beschwerdeführer ist neben Rechtsanwalt Dr. A auch Rechtsanwalt Prof. Dr. N als Wahlverteidiger tätig. Seit dem 15. Mai 2023 ist dem Beschwerdeführer Rechtsanwalt B als Sicherungsverteidiger bestellt. Rechtsanwalt Dr. A beantragte in der Hauptverhandlung am 1. Februar 2024 seine Beiordnung als weiterer Pflichtverteidiger des Beschwerdeführers. Zur Begründung führte er u.a. aus, eine (kontinuierliche) Wahlverteidigung sei weder durch ihn noch durch Rechtsanwalt Prof. Dr. N gewährleistet. Auch sei dem Mitangeklagten H ein zweiter Pflichtverteidiger bestellt worden.

Mit Beschluss vom 13. Februar 2024 lehnte der Vorsitzende der 14. Strafkammer den Antrag ab. Gegen diesen dem Verteidiger des Beschwerdeführers zugestellten Beschluss wendet sich der Beschwerdeführer mit seiner sofortigen Beschwerde vom 28. Februar 2024, eingegangen beim Landgericht Berlin I am selben Tag.  

II.

1. Die sofortige Beschwerde ist statthaft und auch im Übrigen zulässig (§§ 142 Abs. 7 Satz 1, 311 Abs. 1 und 2 StPO). Da der Senat nicht eindeutig feststellen kann, ob der Beschluss des Landgerichts Berlin I vom 13. Februar 2024 dem Verteidiger des Beschwerdeführers am 20. Februar 2024 – wie auf der Zustellungsurkunde vermerkt – oder am 21. Februar 2024 – wie auf dem vom Verteidiger übermittelten Briefumschlag vom Postbediensteten vermerkt – zugestellt wurde, geht der Senat zugunsten des Beschwerdeführers von einer Zustellung am 21. Februar 2024 aus, mit der Folge, dass die sofortige Beschwerde vom 28. Februar 2024 rechtzeitig binnen der Wochenfrist des § 311 Abs. 2 StPO erhoben wurde.

2. Die sofortige Beschwerde ist unbegründet. Der gemäß § 142 Abs. 3 Nr. 3 StPO zur Entscheidung berufene Vorsitzende der 14. Strafkammer des Landgerichts Berlin I hat rechtsfehlerfrei entschieden.

a) Gemäß § 144 Abs. 1 StPO können in Fällen der notwendigen Verteidigung einem Beschuldigten zu seinem Wahlverteidiger bis zu zwei weitere Pflichtverteidiger zusätzlich bestellt werden, wenn dies zur Sicherung der zügigen Durchführung des Verfahrens, insbesondere wegen dessen Umfang oder Schwierigkeit, erforderlich ist. Nach ihrem Wortlaut hat die Vorschrift demnach zur zentralen Voraussetzung, dass die Sicherung der zügigen Durchführung des Verfahrens die Beiordnung eines zusätzlichen Pflichtverteidigers erfordert. Eine solche Bestellung ist somit nicht schon dann geboten, wenn sie eine das weitere Verfahren sichernde Wirkung hat; vielmehr muss sie zum Zeitpunkt ihrer Anordnung zur Sicherung der zügigen Verfahrensdurchführung notwendig sein (vgl. KG, Beschluss vom 12. Januar 2022 – 4 Ws 4/22 –).

Gegenstand der Prüfung der angefochtenen Entscheidung durch den Senat ist dabei allein, ob der Vorsitzende die Grenzen des ihm zustehenden Beurteilungsspielraums zu den tatbestandlichen Voraussetzungen des § 144 Abs. 1 StPO eingehalten und sein Entscheidungsermessen fehlerfrei ausgeübt hat. Die Beurteilung des Vorsitzenden, dass die Sicherung der zügigen Durchführung des Verfahrens die Beiordnung eines weiteren Pflichtverteidigers nicht erfordert, wäre nur zu beanstanden, soweit sie den Rahmen des Vertretbaren überschreitet (vgl. BGH, Beschluss vom 31. August 2020 – StB 23/20 –; KG, Beschluss vom 25. November 2021 – 1 Ws 56/21 –; Hanseatisches OLG in Bremen, Beschluss vom 30. April 2021 – 1 Ws 24/21 –).
Unter dieser Prämisse kann für die Auslegung des § 144 Abs. 1 StPO im Übrigen auf die Rechtsprechung zurückgegriffen werden, die sich vor der Reform durch das Gesetz zur Neuregelung des Rechts der notwendigen Verteidigung vom 10. Dezember 2019 zur Zulässigkeit der Beiordnung eines zusätzlichen Pflichtverteidigers als Sicherungsverteidiger herausgebildet hatte. Danach ist eine solche Bestellung lediglich in eng begrenzten Ausnahmefällen in Betracht zu ziehen. Ein derartiger Fall ist nur anzunehmen, wenn hierfür – etwa wegen des besonderen Umfangs oder der besonderen Schwierigkeit der Sache – ein „unabweisbares Bedürfnis“ besteht, um eine sachgerechte Wahrnehmung der Rechte des Angeklagten und einen ordnungsgemäßen Verfahrensverlauf zu gewährleisten (vgl. BGH aaO; Senat, Beschlüsse vom 28. Juni 2019 – 2 Ws 102/19 – und vom 6. Juli 2016 – 2 Ws 176/16 –; KG, Beschluss vom 12. Januar 2022 aaO, jeweils mwN).

b) Unter Anwendung dieser Maßstäbe unterliegen die in dem angefochtenen Beschluss dargelegten Gründe keinen Bedenken.

(1) Die voraussichtliche Dauer der Hauptverhandlung zwingt nicht zu der Bestellung eines zweiten Verteidigers. In Fällen einer außergewöhnlich langen Hauptverhandlung beruht die Beiordnung eines zusätzlichen Verteidigers als Sicherungsverteidiger auf der Erfahrung, dass sich bei einer derartigen Dauer der Hauptverhandlung die Wahrscheinlichkeit erhöht, ein Verteidiger könnte durch Erkrankung für einen längeren Zeitraum als durch Unterbrechungen überbrückbar ausfallen (vgl. BGH aaO mwN). Sie ist aber nur dann geboten, wenn und soweit andere Reaktionsmöglichkeiten auf die unvorhergesehene Verhinderung eines Verteidigers nicht ausreichen. In Betracht kommen insoweit unter anderem das Tätigwerden eines Vertreters oder die Bestellung eines weiteren Verteidigers (erst) bei tatsächlichem Eintritt der Verhinderung oder des Ausbleibens des zunächst allein beigeordneten Verteidigers. Die letztgenannte Möglichkeit einer Verteidigerbestellung in der laufenden Hauptverhandlung ist in § 145 Abs. 1 S. 1 StPO ausdrücklich vorgesehen (vgl. Senat, Beschluss vom 6. Juli 2016 aaO mwN).

Soweit der Verteidiger des Beschwerdeführers darauf verweist, dass die Strafkammer weitere Termine zur Hauptverhandlung bis Ende September 2024, jeweils montags und donnerstags, anberaumt habe, rechtfertigt dies keine andere Beurteilung. Dass sich allein aus dieser Terminierung nunmehr die Notwendigkeit eines weiteren Pflichtverteidigers ergeben soll, erschließt sich dem Senat nicht; insbesondere ist auch nicht ersichtlich, dass ein Ausfall oder eine Verhinderung des Sicherungsverteidigers drohen könnte. Soweit der Beschwerdeführer weiter darauf verweist, dass bisher nahezu die Hälfte der Hauptverhandlungstage von Rechtsanwalt B allein wahrgenommen worden ist, ist nicht erkennbar, dass dies zukünftig nicht mehr möglich sein sollte. Terminkollisionen sind zudem – soweit ersichtlich – nicht geltend gemacht worden. Eine bloß abstrakt-theoretische Möglichkeit eines späteren Ausfalls des Pflichtverteidigers gibt – außer in Fällen voraussichtlich ganz besonders langer Hauptverhandlungen, wie sie bei einer weiteren Dauer von rund fünf Monaten nicht vorliegt – regelmäßig keinen Anlass zur Bestellung eines weiteren Pflichtverteidigers (vgl. BGH, NStZ 2022, 696, 697 mwN).

(2) Soweit sich die Notwendigkeit der Sicherung der zügigen Durchführung des Verfahrens aus dessen sachlichem Umfang oder aus der Schwierigkeit der Sache ergeben kann, kommt nach der obergerichtlichen Rechtsprechung die Beiordnung eines weiteren Pflichtverteidigers nur in Betracht, wenn der Prozessstoff so schwierig oder so umfangreich ist, dass er nach Ausschöpfung aller Hilfsmittel ausschließlich bei arbeitsteiligem Zusammenwirken zweier Verteidiger beherrscht werden kann, ein Verteidiger alleine ihn also nicht beherrschen könnte, wobei auch die Zeit zu berücksichtigen ist, die diesem zur Erarbeitung des Verfahrensstoffs zur Verfügung steht (vgl. Hans. OLG in Hamburg, Beschluss vom 13.01.2020 – 2 Ws 3/20 – mwN).

aa) Die Annahme des Vorsitzenden, dass die Schwierigkeit des Verfahrens nicht die Beiordnung eines zusätzlichen Verteidigers erfordert, ist nicht zu beanstanden. Die Tatvorwürfe der Verletzung von Urheberrechten wurden zwischenzeitlich mit Beschluss vom 15. Februar 2024 gemäß § 154a Abs. 2, Abs. 1 Nr. 1 StPO vorläufig eingestellt, so dass die Tatvorwürfe nur noch auf die Vorwürfe der Urkundenfälschung, des Betruges und der Geldwäsche beschränkt sind. Besondere Schwierigkeiten hat der Strafkammervorsitzende nachvollziehbar verneint, sie sind im Übrigen weder vorgetragen noch sonst ersichtlich.

bb) Ein „unabweisbares Bedürfnis“ für die Beiordnung eines zweiten Verteidigers ergibt sich auch nicht aus dem Umfang des Verfahrensstoffs. Dies hat der Vorsitzende der Strafkammer mit nachvollziehbaren Erwägungen unter Verweis auf den Umfang des Verfahrens mit 28 Hauptbänden, 38 Beistücken und elf Sonderbänden verneint. Auch die weiteren Ausführungen des Strafkammervorsitzenden, dass den Verteidigern hinreichend Zeit zur Einarbeitung mit Blick auf die seit mehr als neun Monate laufende Hauptverhandlung und die Möglichkeit der Akteneinsicht seit April 2022 zur Verfügung standen, ist nicht zu beanstanden; seine Entscheidung, dass sich daraus nicht die Erforderlichkeit der Bestellung eines zweiten Pflichtverteidigers ergibt, ist vertretbar.

(3) Schließlich gebietet auch der Grundsatz des fairen Verfahrens unter dem Gesichtspunkt der Waffengleichheit nicht die Beiordnung eines weiteren Pflichtverteidigers. Soweit der Verteidiger des Beschwerdeführers darauf verweist, dass der Sicherungsverteidiger Rechtsanwalt B an nahezu der Hälfte der Hauptverhandlungstermine als einziger Verteidiger zugegen gewesen sei, erschließt sich dem Senat nicht, wieso dieser Umstand mit Blick auf die zügige Verfahrensdurchführung die Bestellung eines weiteren Verteidigers gebieten sollte.
Zwar ist in der Rechtsprechung anerkannt, dass die Bestellung eines Pflichtverteidigers nach § 140 StPO aus Gründen des fairen Verfahrens und des Grundsatzes der Waffengleichheit geboten sein kann, wenn beispielsweise nur ein Mitangeklagter, nicht aber der weitere Angeklagte, über einen Verteidiger verfügt oder wenn einem Verletzten oder Nebenkläger ein Rechtsanwalt beigeordnet worden ist bzw. dieser sich auf eigene Kosten eines Rechtsanwaltes als Beistand bedient (vgl. OLG Frankfurt a.M. NStZ-RR 2007, 244 mwN). Diesen in der Rechtsprechung entschiedenen Fallgruppen liegt zu Grunde, dass die Bestellung eines Pflichtverteidigers die ordnungsgemäße Verteidigung des Angeklagten sichern soll. Diese war deswegen nicht gewährleistet, weil der nicht verteidigte Angeklagte rechtlich und tatsächlich dem anwaltlich vertretenen Mitangeklagten oder Verletzten nicht gewachsen war, und auch über geringere Verfahrensrechte verfügte (vgl. OLG Frankfurt a.M. aaO). So liegt die Sache hier aber gerade nicht, da der Beschwerdeführer durch Rechtsanwalt B als Sicherungsverteidiger und zwei Wahlverteidiger verteidigt ist; eine Benachteiligung des Beschwerdeführers liegt ersichtlich nicht vor.

Auch der Einwand, dass den Mitangeklagten jeweils ein zweiter Verteidiger bestellt worden sei, rechtfertigt für sich keine andere Beurteilung. Der Beschwerdeführer hat neben seinem Sicherungsverteidiger als einziger Angeklagter zwei Wahlverteidiger, er wird mithin von insgesamt drei Verteidigern vertreten. Die Entscheidung des Strafkammervorsitzenden, diesen Fall differenziert zu betrachten von den Fällen der Mitangeklagten, ist nicht zu beanstanden.

III.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 473 Abs. 1 Satz. 1 StPO.


Einsender: RiKG D. Neumann, Berlin

Anmerkung:


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