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Entscheidungen

StGB/Nebengebiete

Freislervergleich, Richterbeleidigung, Meinungsäußerung

Gericht / Entscheidungsdatum: LG Köln, Beschl. v. 12.07.2024 - 120 Qs 31/24

Eigener Leitsatz:

Zur Frage der Beleidigung durch Kritik an richterlichen Entscheidungen in Form des sog. Freisler-Vergleichs.


120 Qs 31/24

Landgericht Köln

Beschluss

In der Strafsache
betreffend pp.

Verteidiger:

hat die 20. große Strafkammer des Landgerichts Köln auf die sofortige Beschwerde gegen den Beschluss des Amtsgerichts Brühl vom 27.02.2024 - Az: 51 Ds 280/23 - durch die Vorsitzende Richterin am Landgericht, die Richterin am Landgericht und die Richterin am Landgericht am 12.07.2024 beschlossen:

1. Auf die sofortige Beschwerde der Staatsanwaltschaft Köln wird der Nichteröffnungsbeschluss des Amtsgerichts Brühl vom 27.02.2024 (Az. 51 Ds 280/23) aufgehoben.
2. Die Anklage der Staatsanwaltschaft Köln vom 20.10.2023 (Az. 74 Js 273/23) wird zur Hauptverhandlung zugelassen.
3. Das Hauptverfahren wird vor dem Amtsgericht Brühl, Strafrichter, eröffnet.
4. Eine Kostenentscheidung ist nicht veranlasst.

Gründe:

I.

Dem Angeschuldigten wird mit der Anklage der Staatsanwaltschaft vom 20.10.2023 zur Last gelegt, einen Vorsitzenden Richter am Landgericht durch einen bildhaften Vergleich mit dem vormaligen Präsidenten des Volksgerichtshofs Roland Freisler beleidigt zu haben.

Dies in Gestalt eines im Zuge eines laufenden Zivilverfahrens zur Gerichtsakte eingereichten anwaltlichen Schriftsatzes vom 28.03.2023, in welchem der Angeschuldigte auf Anfrage der zuständigen Rechtspflegerin in diesem Verfahren erklärte, seinen PKH-Festsetzungsantrag zunächst zurückzustellen. Der Schriftsatz beinhaltete weiter eine mit Sprechblasen versehene Bildabfolge des vormaligen Präsidenten des Volksgerichtshofs Roland Freisler, in welcher dieser eine auf die Abschaffung von RVG und PKH gerichtete Rede hält. Das letzte Bild legte die Beweggründe des Roland Freisler in einer Denkblase offen („Wenn man ihnen nicht mehr als 800 kcal/d gibt, verschwindet das Anwaltsproblem von alleine.“) und war zudem mit dem folgenden Schriftzug versehen: „Streitwert? Nicht mehr als 6.000 €. Alles andere erschiene völlig willkürlich.“ Wegen der weiteren Einzelheiten des Schriftsatzes wird auf Bl. 2 ff. d.A. Bezug genommen. Der vorgenannten Bildabfolge war einleitend die Bemerkung vorangestellt, der Vorsitzende Richter am Landgericht habe „[wahrscheinlich [...] auch seine netten Seiten, und nur Schwierigkeiten damit, sie zu zeigen, da aus dem kollektiven Unbewussten der deutschen Richterschaft hier und da „dunkle Momente“ in ihm durchbrechen, eine Art „Schatten“: [Bildabfolge].“

In dem langjährigen Zivilverfahren, welchem auch ein selbständiges Beweisverfahren vorausgegangen war, war der Umfang einer Bewilligung von Prozesskostenhilfe und die (vorläufige) Festsetzung des Streitwerts mehrfach Streitpunkt. Zuletzt hatte das Landgericht den Streitwert im Klageverfahren vorläufig mit Beschluss vom 13.12.2022 auf 6.000,- EUR festgesetzt, da es sich um eine Feststellungsklage handele und die behaupteten Behandlungsfehler kaum erwähnt und erst recht nicht konkret beschrieben worden seien, so dass „zum gegenwärtigen Zeitpunkt eine über 6.000,- EUR hinausgehende Wertfestsetzung völlig willkürlich erschiene“ (vgl. Bl. 69 d.A.). Dies nachdem der Angeschuldigte am 24.11.2022 einen Antrag auf Kostenfestsetzung eingereicht hatte, welcher auf der im selbständigen Beweisverfahren zugrunde gelegten Streitwertfestsetzung von zuletzt 62.000,- EUR basierte.

Das Amtsgericht Brühl lehnte mit Beschluss vom 27.02.2024 die Eröffnung des Hauptverfahrens aus rechtlichen Gründen ab, da die Äußerungen dem Schutzbereich der Meinungsfreiheit unterfielen und gem. § 193 StGB noch gerechtfertigt seien. Gegen diesen Nichteröffnungsbeschluss legte die Staatsanwaltschaft Köln am 22.03.2024 sofortige Beschwerde ein.

II.

Die gemäß § 210 Abs. 2 StPO statthafte sofortige Beschwerde ist gemäß § 311 Abs. 2 StPO zulässig und begründet. Das Amtsgericht hat durch den angefochtenen Beschluss zu Unrecht die Eröffnung des Hauptverfahrens aus rechtlichen Gründen abgelehnt.

Nach den Ergebnissen des Ermittlungsverfahrens hat sich der Angeschuldigte wegen Beleidigung gem. § 185 StGB hinreichend verdächtig gemacht, indem er den vorbezeichneten Schriftsatz vom 28.03.2023 samt Bildabfolge zur Gerichtsakte einreichte. Entgegen der Auffassung des Amtsgerichts Brühl lässt die sachliche Bezugnahme der in diesem Schriftsatz enthaltenen Bildfolge zu einer (vorläufigen) Streitwertentscheidung im laufenden Zivilverfahren eine Strafbarkeit der diesem Schriftsatz in seiner Gesamtheit zu entnehmenden beleidigenden Äußerung über die Person des (mit-)erkennenden Vorsitzenden Richters am Landgericht – bei vorläufiger Würdigung – nicht nach § 193 StGB entfallen.

1. Die Kammer schließt sich den Ausführungen des Amtsgerichts insoweit an, als die gegenständliche Äußerung bei Anlegung der auch im angefochtenen Beschluss zutreffend dargestellten verfassungsrechtlichen Maßstäbe in den Schutzbereich des Grundrechts auf Meinungsfreiheit fällt, so dass eine Strafbarkeit nur nach Gewichtung der Beeinträchtigung, die einerseits der Meinungsfreiheit des sich Äußernden und andererseits der persönlichen Ehre des von der Äußerungen Betroffenen droht, in Betracht kommt (vgl. BVerfGE 93, 266 (319)). Eine dem Schutzbereich entzogene Schmähkritik, bei der die in einer Äußerung liegende persönliche Kränkung ein etwaiges sachliches Anliegen von vorneherein völlig in den Hintergrund drängt, ist hier nicht ersichtlich. Vielmehr wird ein sachlicher Bezug der Äußerung zu einer konkreten Streitwertentscheidung im laufenden Verfahren nicht nur aus dem Anlass ihrer Tätigung – hier der Antwort auf die Rückfrage einer Rechtspflegerin, ob angesichts der Kritik an der (vorläufigen) Streitwertentscheidung an dem gestellten PKH-Festsetzungsantrag festgehalten werde –, sondern auch an zahlreichen Stellen der bildhaften Darstellung ersichtlich. Dies von der ersten Sprechblase, welche sinngemäß auf einen PKH-Festsetzungsantrag verweist, über die in weiteren Sprechblasen erörterte Sinnhaftigkeit der Anwaltsvergütung und – rolle bis hin zum abschließenden Schriftzug, welcher nicht nur den Wert der im laufende Verfahren erfolgten Streitwertfestsetzung von 6.000,- EUR, sondern auch deren Begründung aufgreift. Zutreffend führt das Amtsgericht vor diesem Hintergrund aus, dass eine Auseinandersetzung mit der Sache erfolge, welche von dem ehrbeeinträchtigenden Gehalt der Darstellungen nicht von vornherein völlig in den Hintergrund verdrängt werde.

Dem steht der hier in dem historischen Vergleich zum nationalsozialistischen Unrechtsregime begründete übersteigert polemische Charakter der Darstellung nicht entgegen. Dabei besteht durchaus Anlass in Frage zu ziehen, ob es sich noch um eine bloß überspitzte Darstellungsform handelt, wenn die (vermeintliche) Fehlerhaftigkeit bzw. Willkür einer Einzelfallentscheidung ohne Not in die Nähe des Unwertes des nationalsozialistischen Unrechtsregimes gerückt wird, oder hierdurch nicht entweder das nationalsozialistische Unrecht geschmälert oder aber der von der Darstellung betroffenen Person eine nationalsozialistische Gesinnung unterstellt werden soll. Zumal einem Rechtsanwalt angesichts langjähriger Studien- und Ausbildungszeiten andere sprachliche Mittel zur Verfügung stehen sollten, um seine Rechtsansichten und Anliegen zu unterstreichen (zur Relevanz der Ausdrucksfähigkeit des jeweiligen sich Äußernden s. BVerfG, Beschluss v. 19.05.2020, 1 BvR 2397/19, Rn. 28). Wegen seines bereits den Anwendungsbereich der Meinungsfreiheit verdrängenden Effekts ist der Begriff der Schmähkritik von Verfassungs wegen jedoch eng zu verstehen. Die Grenze zulässiger Meinungsäußerung liegt nicht schon da, wo eine polemische Zuspitzung für die Äußerung sachlicher Kritik nicht erforderlich ist (BVerfG, Beschluss v. 8.02.2017, 1 BvR 2973/14, juris Rn. 14). Historische Vergleiche mit nationalsozialistischer Praxis können für sich besehen daher nicht die Annahme des Vorliegens von Schmähkritik begründen (BVerfG, Beschluss v. 14.06.2019, 1 BvR 2433/17, juris Rn. 19;).

2. Entgegen der Auffassung des Amtsgerichts kann die Äußerung in ihrer Gesamtheit indes nicht – aufgrund des aufgezeigten Sachbezugs – dahingehend gedeutet werden, dass dem Vorsitzenden Richter keine nationalsozialistische Gesinnung unterstellt wird, sondern sich die Äußerung in dem Vorwurf der vermeintlichen Fehlerhaftigkeit und Willkür einer konkreten gerichtlichen Entscheidung erschöpft. Das Amtsgericht verkennt insoweit, dass die der bildhaften Darstellung einleitend vorweggestellte Textpassage das dem Schriftsatz in seiner Gesamtheit zu entnehmende Werturteil von einer konkreten gerichtlichen Entscheidung hin zu der Person des Vorsitzenden Richters lenkt und damit aus dem Kontext eines Sachbezugs weitgehend herauslöst.

Demnach ist unerheblich, dass die bildhafte Darstellung für sich genommen – wie das Amtsgericht im Ergebnis wohl zutreffend ausführt – angesichts des vielschichtigen Sachbezugs zu dem (vorläufigen) Streitwertbeschluss in einem laufenden Verfahren als eine lediglich überpointierte Kritik im „Kampf um das Recht“ erscheint, die der Vorsitzende Richter von Berufs wegen (vgl. BVerfGE 76, 171) unter Berücksichtigung der zum gegenwärtigen Verfahrenszeitpunkt bekannten Gesamtumstände gem. § 193 StGB auszuhalten haben dürfte. Denn die einleitend vorangestellte Textpassage enthält eine konkrete Bezugnahme auf die Person des Vorsitzenden Richters, welche den nach der bildhaften Darstellung auf einen Einzelfall bezogenen Willkürvorwurf zu einem allgemeinen Charakterzug erhebt. So handelt es sich bei den in Bezug genommenen „dunkle(n) Momente(n)“, die in dem Vorsitzenden Richter „hier und da“ durchbrächen, ausweislich der Gegenüberstellung zu dessen „nette(n) Seiten“ um einen ebenfalls vorhandenen Wesenszug. Die sodann gewählte Interpunktion – hier des Doppelpunktes – verdeutlicht, dass es sich bei der nachfolgenden bildhaften Darstellung lediglich um einen plakativen Beispielsfall für diesen allgemeinen Wesenszug handele. Dies wird durch die der Schule der Analytischen Psychologie von C.G. Jung entlehnte Wortwahl des „Schattens“ wie auch des „kollektiven Unbewusstseins“ nur noch verdeutlicht. Zwar zielt die genannte Schule auf einen Prozess des Erkennens, Akzeptierens und Integrierens von verdrängten Aspekten der Persönlichkeit (sog „Schatten“) ab, um den Einzelnen zu einer größeren humanitären Reife und sozialen Verantwortlichkeit zu führen. Die Begrifflichkeit dient indes erkennbar dazu, dem Vorsitzenden Richter eine besondere Ausprägung des genannten Wesenszuges bzw. jedenfalls eine besondere Anfälligkeit für das Durschlagen dieses – möglicherweise auch der gesamten „deutschen Richterschaft“ eigenen – Wesenszuges auf seine Handlungen zu unterstellen. Damit handelt es sich nicht lediglich um eine überpointierte Kritik an einer konkreten richterlichen Entscheidung, sondern um eine Diffamierung eben der Person des Richters selbst, die lediglich anlässlich der – als solche möglicherweise überpointiert kritisierten richterlichen Entscheidung vorgetragen wurde.

3. Angesichts des erheblichen Gewichts der Ehrkränkung, welche den Vorsitzenden Richters in die Nähe einer Ideologie vergleichbar mit derjenigen der Unterstützter des nationalsozialistischen Unrechtsregimes rückt (vgl. OLG Köln, Urt. v. 10.12.2019 – III- 1 RVs 180/19, juris), und des – wie aufgezeigt – nur mittelbaren sachlichen Bezugs der getätigten Meinungsäußerung fällt die die erforderliche Gesamtwürdigung – bei vorläufiger Bewertung nach derzeitigem Verfahrensstand – zulasten des Beschwerdeführers aus, weswegen ein hinreichender Tatverdacht bezüglich des Vorliegens einer Beleidigung gem. § 185 StGB vorliegt. Dabei hat die Kammer auch die vom Amtsgericht zutreffend zugunsten des Beschwerdeführers herangezogenen weiteren Umstände - soweit bekannt - berücksichtigt, namentlich die Parteiöffentlichkeit der Äußerung und die persönliche Betroffenheit des Beschwerdeführers in Vergütungsfragen in einem langjährigen Verfahren, in welchem es mehrfach zu Konflikten zwischen dem Beschwerdeführer und dem Vorsitzenden Richter gekommen war. Hingegen war auch zu beachten, dass die gegenständliche Äußerung nicht ad hoc in einem (hitzigen) Gespräch gefallen war, sondern schriftsätzlich auf Anfrage nicht etwa des Vorsitzenden Richters selbst, sondern einer Rechtspflegerin vorgetragen wurde, so dass die Spontanität der freien Rede hier nicht zugunsten des Beschwerdeführers sprechen kann (vgl. BVerfGE 7, 198 (112)).

III.

Diese Entscheidung ist unanfechtbar, § 310 Abs. 2 StPO.


Einsender: RA M. Riemer, Brühl

Anmerkung: Aufhebung von: AG Brühl, Beschl. v. 27.02.2024 – 51 Ds-74 Js 273/23-280/23


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